VwGH 90/09/0073

VwGH90/09/007318.10.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 1. März 1990, Zl. 125/6-DOK/89, betreffend Wiederaufnahme eines Disziplinarverfahrens, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1;
BDG 1979 §105;
BDG 1979 §116;
BDG 1979 §117;
AVG §69 Abs1;
BDG 1979 §105;
BDG 1979 §116;
BDG 1979 §117;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Erkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (DK) vom 20. Dezember 1988 wurde der Beschwerdeführer mehrerer am 31. Oktober 1987 begangener (zum Teil auch strafrechtlich und verwaltungsstrafrechtlich geahndeter) Dienstvergehen für schuldig erkannt, und es wurde über den Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt. Dieses Disziplinarerkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 17. Jänner 1989 eigenhändig zugestellt.

Am 1. Februar 1989 gab der Vertreter des Beschwerdeführers eine Berufung gegen das genannte Disziplinarerkenntnis zur Post. Darüber hielt die belangte Behörde am 27. April 1989 eine mündliche Verhandlung ab, bei welcher die (um einen Tag) verspätete Einbringung der Berufung zur Sprache kam. Der Vertreter des Beschwerdeführers stellte hierauf noch am 27. April 1989 mündlich bei der belangten Behörde und in der Folge schriftlich bei der DK den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil es zur verspäteten Einbringung der Berufung durch einen unvorhergesehenen und unabwendbaren Fehler in seiner Anwaltskanzlei gekommen sei. Gleichzeitig ersuchte der Vertreter des Beschwerdeführers, ihm volle Akteneinsicht zu gewähren.

Mit Bescheid vom 18. Mai 1989 wies die DK diesen Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1950 in Verbindung mit § 116 BDG 1979 ab. Auch gegen diesen Bescheid der DK erhob der Beschwerdeführer Berufung. Gleichzeitig mit diesem Rechtsmittel stellte er den Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Bescheid der DK vom 20. Dezember 1988 abgeschlossenen Verfahrens zum Zwecke der Einvernahme zweier weiterer Zeugen. Zur Begründung dieses Antrages machte der Beschwerdeführer geltend, es sei ihm erst am 29. Mai 1989 volle Akteneinsicht gewährt worden, und erst dadurch seien ihm die neuen Tatsachen und Beweismittel bekannt geworden, durch welche ein für den Beschwerdeführer günstigeres Disziplinarerkenntnis herbeigeführt hätte werden können.

Mit Bescheid vom 19. September 1989 gab die belangte Behörde der Berufung betreffend den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 66 Abs. 4 in Verbindung mit § 105 BDG 1979 keine Folge, änderte aber den diesbezüglichen Bescheid der DK dahin ab, daß der Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 71 Abs. 3 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen wurde, weil der Beschwerdeführer nicht zugleich mit seinem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Prozeßhandlung nachgeholt habe.

Mit weiterem Bescheid vom 19. September 1989 wies die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer gegen das Disziplinarerkenntnis vom 20. Dezember 1988 erhobene Berufung gemäß § 63 Abs. 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurück, weil die Berufungsfrist am 31. Jänner 1989 geendet habe, die Berufung aber erst am 1. Februar 1989 zur Post gegeben worden sei.

Nach Zustellung dieser beiden Bescheide der belangten Behörde an den Beschwerdeführer erließ die DK nun ihren Bescheid vom 24. Oktober 1989, mit welchem sie den vom Beschwerdeführer am 5. Juni 1989 eingebrachten Antrag auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens mangels eines gesetzlichen Wiederaufnahmsgrundes gemäß § 69 AVG 1950 in Verbindung mit § 106 BDG 1979 (gemeint wohl § 116 BDG 1979) keine Folge gab. Begründend führte die DK dazu aus, nach der Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Disziplinarerkenntnis vom 20. Dezember 1988 durch den Bescheid der belangten Behörde vom 19. September 1989 sei nunmehr ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren gegeben. Die DK könne jedoch aus dem Wiederaufnahmsantrag des Beschwerdeführers keinen zutreffenden Wiederaufnahmsgrund erkennen, dies vor allem im Hinblick auf die strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, an welche die DK bei ihrem Erkenntnis gebunden gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei auch im Disziplinarverfahren ausreichend Akteneinsicht gewährt worden; insbesondere seien Namen und Adressen der beiden vom Beschwerdeführer genannten Zeugen bereits im Verhandlungsbeschluß genannt worden, sie hätten sich allerdings zur Verhandlung krank gemeldet, doch habe der Beschwerdeführer ihre neuerliche Vorladung nicht beantragt. Auch sonst enthalte der Antrag des Beschwerdeführers keine tauglichen Wiederaufnahmsgründe.

Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid der DK erhobenen Berufung hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 1. März 1990 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 105 BDG 1979 keine Folge gegeben, sie hat aber den bei ihr angefochtenen Bescheid der DK dahin abgeändert, daß der Wiederaufnahmsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 69 Abs. 1 AVG 1950 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Begründend ging die belangte Behörde davon aus, daß nach dem Gesetz (§ 69 Abs. 1 AVG 1950) Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens sei, daß überhaupt ein formell rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren vorliege. Zum Zeitpunkt des hier vom Vertreter des Beschwerdeführers gestellten Wiederaufnahmsantrages sei aber das bei der belangten Behörde über die Berufung gegen das Disziplinarerkenntnis der DK vom 20. Dezember 1988 anhängige Berufungsverfahren noch nicht bescheidmäßig abgeschlossen gewesen. Dieser Abschluß sei erst mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 19. September 1989 erfolgt, mit welchem die Berufung des Beschwerdeführers als verspätet zurückgewiesen worden sei. Dem Beschwerdeführer sei es im Zeitpunkt der Einbringung seines Wiederaufnahmsantrages somit noch durchaus möglich gewesen, die in diesem Antrag vorgebrachten Gründe im Rahmen des noch nicht abgeschlossenen Berufungsverfahrens geltend zu machen. Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgend, sei der Wiederaufnahmsantrag als unzulässig zurückzuweisen gewesen, weil das gegen den Beschwerdeführer geführte Disziplinarverfahren zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, "wegen Rechtswidrigkeit" erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht auf Entscheidung der belangten Behörde in der Sache seines Wiederaufnahmsantrages verletzt, weil die belangte Behörde diesen Antrag zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen habe.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 105 BDG 1979 sind auf das Disziplinarverfahren, soweit in diesem Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, mit bestimmten Ausnahmen die Regeln des AVG 1950 anzuwenden. Die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens sind von dieser Anwendung nicht ausgenommen, sie werden nur (allerdings in einer für den vorliegenden Beschwerdefall nicht maßgeblichen Weise) durch § 116 BDG 1979 modifiziert.

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG 1950 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens aus bestimmten, in lit. a bis c näher umschriebenen Gründen stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde (im Gegensatz zur DK, welche den Wiederaufnahmsantrag materiell erledigte) den vorliegenden Antrag auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens deshalb als unzulässig zurückgewiesen, weil im Zeitpunkt seiner Einbringung noch das Verfahren über die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Disziplinarerkenntnis der DK vom 20. Dezember 1988 anhängig gewesen sei. Dem Beschwerdeführer wäre es bis zum Abschluß des diesbezüglichen Berufungsverfahrens offen gestanden, sein ergänzendes Vorbringen unmittelbar in diesem Verfahren zu erstatten.

Mit Recht macht der Beschwerdeführer dagegen geltend, ein Vorbringen im Rahmen des anhängigen Berufungsverfahrens wäre schon deshalb ins Leere gegangen, weil seine Berufung gegen das Disziplinarerkenntnis vom 20. Dezember 1988 als verspätet zurückzuweisen gewesen sei, und somit in diesem Berufungsverfahren die zugrunde liegende Disziplinarsache in merito nicht mehr behandelt werden konnte.

§ 69 Abs. 1 AVG 1950 sieht als Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmsantrages ausdrücklich vor, daß ein Rechtsmittel gegen den Bescheid "nicht oder nicht mehr zulässig" ist. Damit kommt unmißverständlich zum Ausdruck, daß ein Wiederaufnahmsantrag jedenfalls dann als zulässig anzusehen ist, wenn der Bescheid, mit welchem das wieder aufzunehmende Verfahren zum Abschluß gebracht wurde, zulässigerweise nicht oder nicht mehr angefochten werden kann. Ein Rechtsmittel ist aber jedenfalls - unabhängig davon, ob es tatsächlich eingebracht wurde oder nicht - dann nicht mehr zulässig, wenn das Berufungsrecht erloschen ist. Dies ist jedenfalls immer dann der Fall, wenn die Berufungsfrist fruchtlos verstrichen ist. Es liegt also ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren im Sinne des § 69 Abs. 1 AVG 1950 immer auch dann vor, wenn nach Ablauf der Berufungsfrist eine (allenfalls mit einem Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungsfrist verbundene) Berufung eingebracht worden ist (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 1978, Zl. 1441/77 = Slg. 9727/A). Eine andere Lösung würde es dem Wiederaufnahmswerber ermöglichen, durch Einbringung einer unzulässigen (verspäteten) Berufung den Zeitpunkt, zu welchem er von der Möglichkeit eines Wiederaufnahmsantrages Gebrauch machen will, nach eigener Willkür zu bestimmen bzw. hinauszuschieben.

Da im Beschwerdefall die vom Beschwerdeführer gegen das Disziplinarerkenntnis der DK vom 20. Dezember 1988 eingebrachte Berufung verspätet und somit unzulässig war (was die belangte Behörde mit ihrem diesbezüglichen Bescheid vom 19. September 1989 selbst zum Ausdruck gebracht hat), stand der Zulässigkeit eines Wiederaufnahmsantrages des Beschwerdeführers der Umstand nicht entgegen, daß seine Berufung im Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmsantrages noch nicht als verspätet zurückgewiesen worden war. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit der vom Beschwerdeführer behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet und den Beschwerdeführer in seinem Recht auf meritorische Erledigung seines Antrages auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens verletzt. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206/1989.

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