VwGH 90/09/0011

VwGH90/09/001125.4.1990

N gegen Disziplinaroberkommission der Stadt Wien vom 30. November 1989, MD-1096-45 und 46/89, betreffend Disziplinarsache (Aufhebung einer verfügten Einstellung und Verweisung der Disziplinarangelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 an die Disziplinarbehörde erster Instanz)

Normen

AVG §16;
AVG §56;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
BDG 1979 §111 Abs1;
BDG 1979 §118 Abs1;
DO Wr 1966 §63 Z2 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §63 Z3 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §72 Abs1 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §78 Abs1 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §79 Abs2 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §85 Abs5 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §86 idF 1988/013;
AVG §16;
AVG §56;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
BDG 1979 §111 Abs1;
BDG 1979 §118 Abs1;
DO Wr 1966 §63 Z2 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §63 Z3 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §72 Abs1 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §78 Abs1 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §79 Abs2 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §85 Abs5 idF 1988/013;
DO Wr 1966 §86 idF 1988/013;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Bezüglich des Sachverhaltes und des bisherigen Verfahrensablaufes wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das die beiden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Jänner 1990, Zl. 89/09/0107, verwiesen, mit welchem der Bescheid der belangten Behörde vom 6. Juli 1989 betreffend die im Instanzenzuge bestätigte Suspendierung des Beschwerdeführers wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden war. Der Gerichtshof hatte hierbei für bestimmend erachtet, daß dem angefochtenen Bescheid jede eigenständige, über den bloßen Hinweis auf die Disziplinaranzeige der Magistratsabteilung 2 - Personalamt vom 12. Mai 1989 hinausgehende Begründung fehle und er sich auch mit dem umfangreichen und substantiierten Vorbringen des Beschwerdeführers im Administrativverfahren nicht auseinandergesetzt habe.

Das anschließende sachgleiche Disziplinarverfahren, in welchem auf Grund von zwei ergänzenden Disziplinaranzeigen der Magistratsabteilung 2 - Personalamt vom 6. Juli 1989 und vom 17. August 1989 dem Beschwerdeführer noch vier weitere Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt worden waren, hatte die Disziplinarkommission der Stadt Wien unter Berufung auf den materiellen Einstellungstatbestand des § 79 Abs. 1 Z. 4 der Dienstordnung 1966, LGBl. für Wien Nr. 37/1967, idF der 14. Novelle, LGBl. für Wien Nr. 13/1988 (DO 1966) gemäß § 79 Abs. 2 erster Satz leg. cit. mit Aktenvermerk vom 13. Oktober 1989 eingestellt. Zur Begründung war ausgeführt worden, der Disziplinarsenat sei zur Erkenntnis gelangt, daß hinsichtlich der in den Disziplinaranzeigen angeführten 16 Anschuldigungspunkte die Schuld des Beschwerdeführers gering sei, die Taten nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hätten und überdies die Bestrafung des Beschwerdeführers nicht geboten erscheine, um ihn von weiteren Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.

Nach Ausweis der - in beglaubigten Fotokopien vorgelegten - Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die Disziplinarkommission den Beschwerdeführer und den Disziplinaranwalt von der verfügten Einstellung gemäß § 79 Abs. 2 zweiter Satz DO 1966 mit folgendem Schreiben verständigt:

"Die Disziplinarkommission - Senat 12 hat in ihrer Sitzung vom 13. Oktober 1989 folgendes beschlossen:

Die Einstellung des mit Disziplinaranzeigen des Magistrats der Stadt Wien vom 12. Mai 1989, 6. Juli 1989 und 17. August 1989 eingeleiteten Disziplinarverfahrens gegen N wird gemäß § 79 Abs. 1 Z. 4 der Dienstordnung 1966, LGBl. für Wien Nr. 37/1967, i.d.F. des Gesetzes LGBl. Nr. 13/1988 verfügt.

Gegen diesen Bescheid kann binnen zwei Wochen nach Zustellung schriftlich, fernschriftlich oder telegrafisch eine Berufung bei der Disziplinarkommission, Rathaus, 1082 Wien, eingebracht werden, die auch einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat.

Der Vorsitzende:

Dr. T

Senatsrat"

Auf Grund der gegen den Beschluß der Disziplinarkommission

vom 13. Oktober 1989 erhobenen Berufung des Disziplinaranwaltes

vom 25.Oktober 1989 sowie der gegen den als (Schein-)Bescheid

- in Wirklichkeit Mitteilung - bezeichneten Erledigung vom

17. Oktober 1989 vom Beschwerdeführer aus "prozessualer

Vorsicht" erhobenen Berufung hob die belangte Behörde mit dem

nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid

gemäß §66 Abs. 2 AVG 1950 die gemäß § 79 Abs. 1 Z. 4 DO 1966

verfügte Einstellung des gegen den Beschwerdeführer anhängigen

Disziplinarverfahrens auf und verwies die Angelegenheit zur

Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die

Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe. Zur Begründung wurde,

soweit für die Beschwerde von Relevanz, ausgeführt, das oben

wörtlich wiedergegebene Schreiben der Disziplinarkommission

stelle sich inhaltlich als Bescheid dar, weil die wesentlichen

Bescheidelemente, das seien Behörde, Spruch und Unterschrift,

enthalten seien und unter "Entscheidungen und Verfügungen" im

Sinne des § 64 Abs. 1 Z. 3 DO 1966 nichts anderes als Bescheide

zu verstehen seien. Die Verfügung der Einstellung des

Disziplinarverfahrens durch den Senat sei der konstitutive

Verwaltungsakt (Abstimmungsergebnis), mit dem das

Disziplinarverfahren beendet werde. Für die Beurkundung dieser

Maßnahme genüge ein kurzer Aktenvermerk mit Begründung, d.h.

der Senat müsse seine Erledigung nachprüfbar machen, wolle er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, sich gesetzwidrig verhalten zu haben. Eine solche Begründung sei für jede einzelne Anlastung notwendig. Dem Aktenvermerk vom 13. Oktober 1989 sei in dieser Hinsicht aber nichts zu entnehmen. Daraus müsse zum ersten gefolgert werden, daß am 13. Oktober 1989 nur mehr die Einstellung verfügt (also pauschaliter über sämtliche Punkte abgestimmt) und zum zweiten die Verfügung mit dem bloßen Gesetzestext begründet worden sei. Es handle sich in Wahrheit also um eine reine Scheinbegründung. Der Vorsitzende habe (warum sei aus dem Akt nicht erkennbar) als Verständigung über die Einstellung des Disziplinarverfahrens eine Erledigung getroffen, der Bescheidqualität zukomme (Behörde, Spruch, Unterschrift). Es solle in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen werden, daß selbst der Beschwerdeführer ein rechtliches Interesse an der Überprüfbarkeit der erstinstanzlichen Erledigung haben müsse, zumal ihm nach der für die Einstellung herangezogenen Gesetzesstelle in allen Fällen undifferenziert ein Verschulden vorgeworfen werde, wiewohl er selbst diese Meinung nicht vertrete. Die belangte Behörde sei im übrigen der Meinung, daß auch im Falle der gesetzlich normierten "Verständigung" von der Verfahrenseinstellung die Verfahrensparteien eine Bescheidausfertigung begehren und diese sodann im Instanzenzug bekämpfen könnten. Eine Leugnung dieser Möglichkeit würde zu dem in einem Rechtsstaat unbefriedigenden Ergebnis führen, daß eine solche, rechtlich völlig verfehlte erstinstanzliche Erledigung weder nach §§ 68 ff AVG 1950 beseitigt noch vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes angefochten werden könnte, weil nur hinsichtlich eines Bescheides solche rechtlichen Möglichkeiten vorgesehen seien. Wenn die Ausfertigung eines Bescheides zulässig sei, dann könne in der Tatsache, daß der Vorsitzende, obwohl eine Partei einen solchen Antrag gar nicht gestellt habe, eine Erledigung getroffen habe, die als Bescheid zu werten sei, kein rechtlich erheblicher Mangel erblickt werden. Es werde von der belangten Behörde nicht angezweifelt, daß die ergangene Erledigung vom 17. Oktober 1989, wenn sie unangefochtenen geblieben wäre, in Rechtskraft hätte erwachsen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte eine Gegenschrift vor, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen in dem Recht, daß die - im Zusammenhang mit dem gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahren - gemäß § 79 DO 1966 erfolgte Einstellung aufrecht bleibe, verletzt. Er trägt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, die belangte Behörde habe offenbar verkannt, daß eine Einstellung des gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens gemäß § 79 DO 1966 nicht mittels Bescheides zu erfolgen habe und ein solcher Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen wäre. Die Bestimmung des § 79 Abs. 2 DO 1966 normiere, daß der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt nur von der Einstellung mittels einfacher Mitteilung zu verständigen seien. Diese Norm stelle keine Rechtsgrundlage dar, diese "Verständigung oder Mitteilung" in Bescheidform zu erlassen. Die Mitteilung der Einstellung eines Disziplinarverfahrens in Bescheidform sei daher unzulässig und rechtswidrig. Allein aus dem Wort "verfügt", sei bei wörtlicher Interpretation nicht abzuleiten, daß die Einstellung gemäß § 79 Abs. 2 DO 1966 in Bescheidform (Entscheidungen und Verfügungen) zu ergehen habe. Wenn der Gesetzgeber der Dienstordnung 1966 die Vorstellung gehabt hätte, daß die Einstellung eines Disziplinarverfahrens durch Bescheid zu erfolgen hätte und dagegen dem Disziplinaranwalt das Recht der Berufung an die Disziplinaroberkommission eingeräumt werden sollte, so hätte der Gesetzgeber zweifelsohne eine dem § 118 BDG 1979 nachempfundene Bestimmung aufgenommen. Wenn dies nicht erfolgt sei, so habe dies ausschließlich der Gesetzgeber zu vertreten. Das entsprechende Versehen könne aber durch Interpretation oder analoge Anwendung von Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 zum Nachteil seiner Person nicht "saniert" werden. Der Inhalt des § 79 Abs. 2 DO 1966 lasse an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. In diesem Zusammenhang sei ergänzend auf § 16 Abs. 1 AVG 1950 verwiesen. Hätte die belangte Behörde in logischer Konsequenz die offenbar der Berufung des Disziplinaranwaltes entnommene Rechtsansicht im Hinblick auf Lehre und Rechtsprechung überprüft, so hätte die belangte Behörde zweifelsohne nur zur Ansicht gelangen können, daß eine Einstellung des Disziplinarverfahrens gemäß § 79 DO 1966 in Bescheidform materiell-rechtlich nicht vorgesehen und rechtswidrig sei.

Die Beschwerde ist begründet.

Die prozessuale Form, in der eine Einstellung des Verfahrens zu erfolgen hat, ist in § 79 Abs. 2 DO 1966 in der Weise normativ geregelt, daß für die Verfügung der Einstellung "ein kurzer Aktenvermerk mit Begründung genügt".

Die Erläuternden Bemerkungen des Wiener Landtages zur 14. Novelle der Dienstordnung 1966 (Beilage Nr. 5/1988) führen zu dieser Bestimmung u.a. folgendes aus:

"Die Einstellung des Disziplinarverfahrens erfolgt mit Aktenvermerk. Die Parteien sind davon zu verständigen. Da der Aktenvermerk kein Bescheid ist, ist die Berufung einer Partei unzulässig."

Für die Einstellungsverfügung bezüglich eines Disziplinarverfahrens ist im § 79 Abs. 2 DO 1966 in formeller Hinsicht nur eine Möglichkeit normiert, nämlich ein Aktenvermerk mit Begründung. Diese Rechtsfigur ist im § 16 AVG 1950, der gemäß § 72 Abs. 1 DO 1966 auch im Disziplinarverfahren anzuwenden ist, geregelt und unterscheidet sich deutlich vom Bescheid. Ein Aktenvermerk kann nicht ein Bescheid sein oder umgekehrt. Der Aktenvermerk vom 13. Oktober 1989, mit dem die Einstellung des hinsichtlich des Beschwerdeführers bei der Disziplinarkommission gemäß § 64 Abs. 2 Z. 1 DO 1966 anhängigen Disziplinarverfahrens erfolgte, ist daher kein Bescheid. Nur gegen einen solchen (vgl. die abweichende Regelung des § 118 Abs. 1 BDG 1979) steht aber, insbesondere dem Disziplinaranwalt gemäß § 85 Abs. 5 DO 1966, das Recht der Berufung zu.

Eine Berufung gegen eine iSd § 79 Abs. 2 erster Satz DO 1966 mit einem Aktenvermerk verfügte Einstellung eines Disziplinarverfahrens ist in der Wiener Dienstordnung nicht vorgesehen (vgl. insbesondere §§ 85 Abs. 5 und 86) und daher unzulässig. Es wäre daher die Berufung des Disziplinaranwaltes vom 25. Oktober 1985, die sich ausschließlich gegen den Beschluß des Senates 12 der Disziplinarkommission vom 13. Oktober 1989, mit dem die Einstellung des mit Disziplinaranzeigen des Magistrats der Stadt Wien vom 12. Mai, 6. Juli und 17. August 1989 eingeleiteten Disziplinarverfahrens gegen den Beschwerdeführer gemäß § 79 Abs. 1 Z. 4 DO 1966 verfügt worden war, richtete, rechtens als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Aber auch die gegenüber dem Beschwerdeführer, dem Disziplinaranwalt und der Magistratsabteilung 2 - Personalamt mit dem oben wörtliche wiedergegebenen Schreiben vom 17. Oktober 1989 erfolgte Verständigung von der Einstellung des Disziplinarverfahrens, wozu die Disziplinarkommission nach der zwingenden Bestimmung des § 79 Abs. 2 zweiter Satz DO 1966 verpflichtet war, stellt, worauf der Beschwerdeführer bereits im Administrativverfahren zu Recht hinwies, keinen Bescheid dar.

Die aus "prozessualer Vorsicht" erhobene Berufung des Beschwerdeführers, die sich, wie er selbst zu Recht erkannte, gegen keinen Bescheid, sondern gegen eine behördliche Enunziation richtete, die nach der klaren Rechtslage als bloße "Verständigung" nicht die Rechtswirkungen eines Bescheides zu entfalten vermochte, wäre von der belangten Behörde rechtens ebenfalls zurückzuweisen gewesen.

Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift nunmehr ausführt, die Disziplinarkommission hätte die Einstellung des Disziplinarverfahrens deshalb nicht auf die materielle Bestimmung des § 79 Abs. 1 Z. 4 DO 1966 stützen dürfen, weil der Beschwerdeführer am 3. Mai 1989 gemäß § 78 DO 1966 die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst beantragt habe und nach der Anordnung des Abs. 3 der zuletzt zitierten Gesetzesstelle in einem solchen Falle § 79 Abs. 1 DO 1966 nicht anzuwenden sei, so verkennt sie ebenfalls die Rechtslage grundlegend.

Nach der Anordnung des § 61 Abs. 5 DO 1966 gilt das Disziplinarverfahren mit dem Zeitpunkt der ersten vom Magistrat gegen einen bestimmten Beamten als Beschuldigten gerichteten Amtshandlung (Verfolgungshandlung) als eingeleitet, und zwar auch dann, wenn die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

Mit der als Rechtsschutzeinrichtung aufzufassenden Möglichkeit, gegen sich selbst die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu beantragen, kann der betroffene Beamte sich gegen den Verdacht wehren, möglicherweise eine Dienstpflichtverletzung begangen zu haben. Zu diesem Rechtsbehelf wird er dann greifen, wenn der Magistrat als Dienstbehörde seinerseits nichts tut, den Betroffenen von einem solchen Verdacht (zu diesem Begriff vgl. die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im obzitierten Vorerkenntnis) zu befreien.

Bei dem Rechtsinstitut der "Selbstanzeige" handelt es sich um eine besondere (spezielle) disziplinäre Rechtsschutzmöglichkeit, die vergleichsweise im Strafverfahrensrecht keine Entsprechung findet. Einem Staatsbürger wird demgemäß nach der Strafprozeßordnung zugemutet, gegebenenfalls mit dem Verdacht zu leben, möglicherweise eine Straftat begangen zu haben (wenn z.B. die Staatsanwaltschaft keine Veranlassung - mehr - sieht, einer Verdächtigung nachzugehen); die Strafprozeßordnung kennt kein Recht, durch eine "Selbstanzeige" ein Ermittlungsverfahren in Gang zu bringen, das mit dem Ziel zu führen wäre, das Nichtvorliegen einer Straftat aufzuklären. Hingegen verschafft § 78 Abs. 1 DO 1966 (ebenso wie § 111 Abs. 1 BDG 1979) jedem Beamten einen dienstrechtlichen Anspruch gegen die in § 63 Z. 2 und 3 DO 1966 genannten Disziplinarbehörden, ihn unter Anwendung des Disziplinarrechts gegebenenfalls zu rehabilitieren, wenn er "ins Gerede" gekommen ist, sich möglicherweise dienstpflichtwidrig vorwerfbar verhalten zu haben.

Ein im Interesse des Beamten liegender Antrag kann nach § 78 Abs. 1 DO 1966 als Verfahrenshandlung zurückgezogen werden, weil das Gesetz nichts Gegenteiliges bestimmt. Doch hat eine derartige Zurückziehung keinen Einfluß auf die disziplinäre Verfolgung, d.h. gegebenenfalls auf die Weiterführung des auf Grund des Antrages nach § 78 Abs. 1 DO 1966 eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahrens. Könnte durch Antragsrücknahme dem Disziplinarverfahren der Boden entzogen werden, hätte es sonst der Antragsteller in der Hand, die eigene Disziplinarverfolgung zu verhindern, indem er zunächst schriftlich den Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens stellt, dann aber diesen Antrag zurücknimmt, sollte sich wider Erwarten der Verdacht als stichhältig erweisen.

Im Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens mit Schreiben vom 10. Oktober 1989 seinen am 3. Mai 1989 gestellten Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens ausdrücklich und unwiderruflich zurückgezogen und die formlose Einstellung des Disziplinarverfahrens begehrt.

Ungeachtet dieser schriftlichen Zurücknahme blieb es der Disziplinarkommission vorbehalten, das bereits vorher von Gesetzes wegen als eingeleitet geltende Disziplinarverfahren in welcher Form auch immer zu Ende zu führen.

Wenn sie die Tatbestandsvoraussetzungen des § 79 Abs. 1 Z. 4 DO 1966 ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung als gegeben annahm und die Einstellung des Disziplinarverfahrens in der vom Gesetzgeber normierten Weise verfügte, so mag dies rechtlich bedenklich erscheinen. Der erkennende Senat pflichtet der belangten Behörde bei, daß sich die Disziplinarkommission eine richtige Meinung über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für den Abschluß des Disziplinarverfahrens erst nach einer mündlichen Verhandlung hätte bilden können, in der es möglich gewesen wäre, den Sachverhalt sowie die objektive und subjektive Tatseite eingehend zu prüfen. Die Frage, ob dies seinerzeit zu Recht erfolgt ist, entzog sich in Ansehung der nicht bekämpfbaren Erledigung mittels Aktenvermerkes der Kognition durch den Verwaltungsgerichtshof.

Da die kassatorische Entscheidungsbefugnis nach § 66 Abs. 2 AVG 1950 ebenso wie eine Sachentscheidung nach § 66 Abs. 4 AVG 1950 voraussetzt, daß die Berufung zulässig ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1989, Zl. 86/09/0012) und dies - wie oben dargelegt - bei beiden Berufungen nicht der Fall war, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Aufhebung verfallen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung wurde aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

Die Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz des Aufwandes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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