VwGH 90/08/0078

VwGH90/08/007813.10.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des D gegen den auf Grund des Beschlusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 18. Oktober 1989, Zl. IV b/7022/7100/B (920/2615 201238), betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §48 Abs1 litd;
VwGG §49 Abs1;
VwGG §48 Abs1 litd;
VwGG §49 Abs1;

 

Spruch:

Der oben genannte Bescheid wird hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Jänner 1989 bis 30. Juni 1989 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird zurückgewiesen.

Begründung

1.0. Aus der Beschwerde und dem vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich im wesentlichen folgender Sachverhalt:

1.1. Mit Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste in Wien vom 30. August 1989 wurde der Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers für den Zeitraum vom 1. Oktober 1988 bis 30. Juni 1989 zum Teil widerrufen und der zu Unrecht bezogene Betrag in Höhe von S 63.107,-- zurückgefordert. Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer verspätet gemeldet, daß seine Ehegattin seit 16. August 1989 (gemeint wohl: 1988) in einem Dienstverhältnis stehe. Auf Grund der Berichtigung seines Leistungsbezuges habe sich deshalb die angeführte Rückforderung ergeben.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Berufung erhoben, in der er die Rückforderung der Höhe nach bestritt, die Versäumung der Meldepflicht jedoch nicht in Abrede stellte.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid des Arbeitsamtes bestätigt.

In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde - nach Zitierung der angewendeten Rechtsgrundlagen - darauf, daß dem Beschwerdeführer die Notstandshilfe erstmals im September 1984 zuerkannt worden sei. Er habe danach mit einigen Unterbrechungen die Notstandshilfe bezogen. Ferner habe er das 50. Lebensjahr überschritten, und seit der Zuerkennung der Notstandshilfe im Jahre 1984 seien mehr als drei Jahre vergangen. Seine Ehegattin habe am 16. August 1988 eine Beschäftigung aufgenommen. Davon habe das Arbeitsamt erst anläßlich eines neuerlichen Antrages auf Notstandshilfe am 14. Juli 1989 Kenntnis erlangt. Eine frühere Meldung sei weder aktenkundig, noch werde sie vom Beschwerdeführer behauptet. Auf Grund des Einkommens seiner Ehegattin sei dem Beschwerdeführer rückwirkend ab 1. Oktober 1988 der zuerkannte Familienzuschlag in Höhe von täglich S 18,90 abzuerkennen und darüber hinaus das Einkommen seiner Gattin bei der Beurteilung seiner Notlage zu berücksichtigen gewesen.

Das Einkommen seiner Gattin sei jeweils auf seinen Notstandshilfebezug im Folgemonat anzurechnen. Die erstmalige Gehaltsauszahlung seiner Ehegattin sei spätestens am 30. September 1988 erfolgt, sodaß es für Oktober 1988 erstmals zu einer Anrechnung kommen müsse. In der maßgeblichen Zeit habe der Beschwerdeführer - ohne Anrechnung des Einkommens seiner Gattin - nachstehende Leistungen bezogen:

vom 1.10.88 - 31.12.88 S 357,-- tgl. (inkl. 1 FZ)

vom 1. 1.89 - 30.6.89 S 364,50 tgl. (inkl. 1 FZ).

Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenze sowie des Werbungskostenpauschales ergebe sich im Zeitraum Oktober bis Dezember 1988 ein monatlich anrechenbares Einkommen seiner Gattin von S 2.010,30, sodaß sich - unter Zugrundelegung eines täglichen Anrechnungsbetrages von S 65,90 - ein Rückforderungsbetrag von S 6.063,-- ergebe. Hiezu komme ein Rückforderungsbetrag von S 1.738,-- auf Grund des zu Unrecht bezogenen Familienzuschlages (FZ).

Ab Jänner 1989 sei - infolge der mit 1. Jänner 1989 in Kraft getretene Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz bzw. der Notstandshilfeverordnung - der Anspruch des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der Familieneinkommensobergrenze zu prüfen gewesen. Die Voraussetzung der Anwendung der Familieneinkommensobergrenze treffe im Falle des Beschwerdeführers zu: Seit der erstmaligen Zuerkennung der Notstandshilfe im September 1984 seien mehr als drei Jahre vergangen. Das Gesetz stelle dabei lediglich auf den Zeitpunkt der Zuerkennung ab, verlange jedoch nicht den ununterbrochenen dreijährigen Bezug der Notstandshilfe. Das Einkommen seiner Ehegattin sei daher ab 1. Jänner 1989 unter Berücksichtigung einer Familieneinkommenssobergrenze anzurechnen gewesen. Diese Familieneinkommensobergrenze setze sich wie folgt zusammen:

Doppelte Freigrenze gem. § 6 Abs. 3 NH-VO S 8.914,--

+ Zusatzbetrag gem. § 4 Abs. 2 NH-VO S 409,50

S 9.323,50.

 

Gemäß den ab 1. Jänner 1989 geltenden gesetzlichen Bestimmungen sei daher die Familieneinkommensobergrenze, d.h. das Einkommen seiner Gattin zuzüglich seiner Leistung, mit S 9.323,50 limitiert. Die darüber hinausgehenden Leistungen habe der Beschwerdeführer zu Unrecht bezogen, sodaß diese zurückzufordern gewesen seien.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Mit dem Spruch des angefochtenen Bescheides wurde vom Beschwerdeführer unberechtigt empfangene Notstandshilfe für die Zeit vom 1. Oktober 1988 bis 30. Juni 1989 in der Gesamthöhe von S 63.107,-- rückgefordert. Im Zusammenhalt mit der unter

1.1. wiedergegebenen Begründung ergibt sich dabei, daß für den Zeitraum Oktober bis Dezember 1988 ein Betrag in der Höhe von S 7.801,-- (Anrechnungsbetrag in Höhe von S 6.063,-- und Familienzuschlag in Höhe von S 1.738,--) rückgefordert wurde. Für den Zeitraum 1. Jänner 1989 bis 30. Juni 1989 ergibt sich somit ein Rückforderungsbetrag in der Gesamthöhe von S 55.306,--. Die Rückforderung dieses Betrages wurde auf § 36 Abs. 3 lit. B sublit. c des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 615/1987 und § 4 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 10. Juli 1973, BGBl. Nr. 352 (Notstandshilfeverordnung), in der Fassung der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 23. Juni 1989, BGBl. Nr. 319, gegründet.

2.2. Der Beschwerdeführer wendet sich ausdrücklich lediglich gegen den den Zeitraum vom 1. Jänner 1989 bis 30. Juni 1989 betreffenden Widerruf und die Rückforderung und bringt dabei im wesentlichen vor, die in der novellierten Fassung des § 4 Abs. 2 der Notstandshilfeverordnung vorgesehene 3 Jahres-Frist sei vom Arbeitsamt von amtswegen festzustellen, ohne daß es hiezu eines Antrages des Notstandshilfeempfängers bedürfe. Zufolge der genannten Bestimmung könne die Familieneinkommensobergrenze erst dann herangezogen werden, wenn seit der Zuerkennung der Notstandshilfe mehr als 3 Jahre vergangen seien. Der Beschwerdeführer habe Notstandshilfe seit dem 25. Juli 1988 bezogen; die vom Gesetz geforderte 3-Jahres-Frist sei sohin am 1. Jänner 1989 noch nicht abgelaufen gewesen. Wie für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 1988 hätte das Einkommen der Ehegattin des Beschwerdeführers auch nach dem 1. Jänner 1989 gemäß § 6 der Notstandshilfeverordnung und nicht gemäß § 4 Abs. 2 leg. cit. berücksichtigt werden müssen, wodurch sich ein weit geringerer Rückforderungsbetrag ergeben hätte. § 4 Abs. 2 der Notstandshilfeverordnung stelle keineswegs auf die erstmalige Zuerkennung der Notstandshilfe als relevanten Zeitpunkt für den Beginn der 3-Jahres-Frist ab. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, daß diese Frist erst zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginne, in der die Notstandshilfe tatsächlich bezogen werde. Selbst wenn man der Rechtsmeinung der belangten Behörde folge, wonach die genannte Bestimmung der Notstandshilfeverordnung so auszulegen sei, daß die 3-Jahres-Frist mit der erstmaligen Zuerkennung der Notstandshilfe in Gang gesetzt werde, so hätte der Beschwerdeführer als rechtsunkundige Partei auf Grund des langen Zeitraumes, in dem er freiwillig auf Leistungen verzichtet habe, davon ausgehen müssen, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 der Notstandshilfeverordnung am 1. Jänner 1989 noch nicht erfüllt gewesen seien und ihm somit zu diesem Zeitpunkt auch keine Anzeigepflicht oblegen sei.

2.3. Aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdeverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 22. Mai 1990 gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, sublit. c des § 36 Abs. 3 lit. B des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 609, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 615/1987, als verfassungswidrig aufzuheben. Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 139 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 4 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 10. Juli 1973, BGBl. Nr. 352, betreffend Richtlinien für die Gewährung der Notstandshilfe (Notstandshilfeverordnung) in der Fassung der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 23. Juni 1988, BGBl. Nr. 319, als gesetzwidrig aufzuheben.

2.4. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 29. Juni 1990, G 81/90, V 179/90 und Folgezahlen, die genannten Bestimmungen als verfassungs- bzw. gesetzwidrig aufgehoben.

2.5. Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung im vorliegenden Anlaßfall (vgl. Art. 139 Abs. 6 und Art. 140 Abs. 7 letzter Satz B-VG) hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Jänner 1989 bis 30. Juni 1989 auf die unter 2.3. zitierten Bestimmungen gestützt, die vom Verfassungsgerichtshof als verfassungs- bzw. gesetzwidrig aufgehoben worden sind. Der angefochtene Bescheid ist daher hinsichtlich des diesen Zeitraum betreffenden Rückforderungsbetrages (S 55.306,--) schon aus diesem Grund mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet, weshalb er ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 2 VwGG aufzuheben war, wobei sich eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen erübrigte.

2.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 1989/206. Der Schriftsatzaufwand konnte dabei nur in der Höhe des begehrten Ausmaßes zugesprochen werden. Das Mehrbegehren war zurückzuweisen, weil als Verhandlungsaufwand nur der Aufwand zuerkannt werden kann, der für einen Beschwerdeführer mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgerichtshof verbunden war (§ 48 Abs. 1 lit. d VwGG), dies aber hinsichtlich eines Aufwandes, der dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einer Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof entstanden ist, selbst dann nicht zutrifft, wenn es auf Grund einer Anfechtung durch den Verwaltungsgerichtshof zu einer solchen Verhandlung gekommen ist und der Beschwerdeführer daran teilgenommen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. Juni 1985, Zl. 84/02/0269).

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