VwGH 90/01/0160

VwGH90/01/016021.11.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. April 1990, Zl. 4 223.461/3-III/13/87, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität, reiste am 10. November 1986 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 14. desselben Monats Asyl. Bei der niederschriftlichen Befragung am 15. Dezember 1986 brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe mit ihrem Mann von 1974 bis 1984 in Österreich gelebt und sei anläßlich des Todesfalles ihrer Schwester und der Krankheit ihres Vaters in die Türkei zurückgekehrt. Nach ihrer Rückkehr im Jahre 1984 in die Türkei sei sie von "Militaristen" überfallen worden, die versucht hätten, sie zu vergewaltigen. Sie habe sich gewehrt und dabei seien ihr ein Bein und eine Hand gebrochen worden. Im Jahre 1985 sei ihr Mann zu ihr in die Türkei gekommen und habe sie wieder nach Österreich holen wollen. Als die Beschwerdeführerin ihrem Ehemann von dem Vorfall erzählt habe, sei er mit ihr zur Polizei gegangen und habe Anzeige erstatten wollen. Beide seien jedoch nur ausgelacht und weggeschickt worden. Einige Tage später sei die Polizei in die Wohnung eingedrungen und hätten ihren Mann niedergeschlagen und die Beschwerdeführerin entführt. Sie sei dann in der Folge vergewaltigt worden. Danach hätten sie und ihr Ehemann vor Gericht eine Anzeige machen wollen. Dort seien sie wieder ausgelacht worden und man habe der Beschwerdeführerin gedroht, sollte sie solche Behauptungen noch einmal vorbringen, so würde sie in eine Irrenanstalt eingewiesen werden. Einige Zeit zuvor habe sie bereits um einen Paß angesucht. Bei der Vorsprache vor Gericht habe sie angegeben, daß man sie gar nicht in eine Irrenanstalt einliefern könne, da sie ohnehin wieder nach Österreich fahre; daraufhin sei ihr gesagt worden, daß dies verhindert würde. Am selben Tage habe sie jedoch bereits ihren Paß erhalten und habe noch an eben diesem Tag die Türkei verlassen. Gegen die Beschwerdeführerin sei auch eine Anzeige wegen Verleumdung erstattet worden. Ihr Mann befinde sich derzeit noch im Spital in der Türkei; er werde aber bald mit den Kindern nach Österreich nachkommen.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Februar 1987 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes ist.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit der Begründung Berufung, daß sie der kurdischen Volksgruppe angehöre. Vor ihrem Asylansuchen hätte sie jahrelang in Österreich als Gastarbeiterin gelebt. Nach ihrer Rückkehr in die Türkei hätte sie dort nicht "in Ruhe" leben können. In den kurdischen Gebieten gebe es "eine starke Unterdrückung". Wegen ihrer Abstammung sei sie diskriminiert und "schlecht behandelt" worden.

Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, die allgemein gehaltenen Angaben in der Berufung, die Kurden würden in der Türkei diskriminiert und unterdrückt, begründeten die Voraussetzungen für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Die allgemeine Lage der Kurden vermöge nämlich noch nichts über die allein relevante individuelle Situation des Asylwerbers auszusagen. In diesem Zusammenhang sei es der Beschwerdeführerin im gesamten Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen, konkrete Verfolgungen ihrer Person auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe darzutun. Der Beschwerdeführerin sei es möglich gewesen, in der Zeit von 1974 bis 1984 im Ausland zu leben und sie sei im Jahre 1984 freiwillig in die Türkei zurückgekehrt. Auch sei ihr zwei Jahre später die problemlose Ausreise nach Österreich möglich gewesen. Dies seien Indizien dafür, daß sie von seiten der türkischen Behörden keinen Verfolgungen ausgesetzt worden sei. Die von ihr bei ihrer Befragung dargelegten Vorfälle seien nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen und stellten keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar. Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei, daß den vom Asylwerber im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Argumenten zu entnehmen sei, er müsse konkrete Verfolgung befürchten oder Furcht vor Verfolgung haben. Dies liege hier nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Anerkennung als Flüchtling verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die belangte Behörde ist, wie der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist, von den Angaben der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ausgegangen. In der Berufung hat die Beschwerdeführerin konkrete Angriffe gegen sie auf die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe zurückgeführt. Bei dieser Sachlage ist es unrichtig, wenn die belangte Behörde davon ausgeht, die Beschwerdeführerin habe konkrete Verfolgungen gegen ihre Person auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe im gesamten Verwaltungsverfahren nicht darzutun vermocht. Wenn die belangte Behörde weiters die behaupteten Vorfälle mit dem Bemerken abvotiert, sie seien nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen und stellten keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar, so ist diese Begründung unschlüssig. Denn erlittene Verfolgungshandlungen aus ethnischen Gründen durch staatliche Organe (Militär) führen auch dann zu wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Konvention, wenn sie strafrechtliche Tatbestände erfüllen. Unerheblich sind im vorliegenden Fall auch die Tatsachen, daß die Beschwerdeführerin 10 Jahre bis zum Jahre 1984 sich in Österreich aufgehalten hat und dann wegen Familienereignissen in ihre Heimat zurückgekehrt ist, haben doch die Verfolgungshandlungen erst in späterer Zeit eingesetzt.

Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel belastet hat und nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Beschwerdeführerin von der Entrichtung von Bundesstempelmarken zufolge der Gewährung der Verfahrenshilfe befreit war.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

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