VwGH 89/16/0196

VwGH89/16/019625.1.1990

N-AG gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 8. August 1988, Zl. GA 13-7/W-262/1/7/83, betreffend Geltendmachung einer Ersatzforderung im gemeinschaftlichen Versandverfahren

Normen

BAO §20;
BAO §6 Abs1;
VersandverfahrenDG 1973 §1 Abs1;
VersandverfahrenDG 1973 §2 Abs1 idF 1977/332;
VersandverfahrenDG 1973 idF 1977/332;
VersandverfahrenV 1977 Art11 lita;
VersandverfahrenV 1977 Art35;
ZollG 1955 §119 Abs1;
ZollG 1955 §119 Abs4;
ZollG 1955 §174 Abs3 lita Tatbestand1;
ZollG 1955 §7 Abs4;
BAO §20;
BAO §6 Abs1;
VersandverfahrenDG 1973 §1 Abs1;
VersandverfahrenDG 1973 §2 Abs1 idF 1977/332;
VersandverfahrenDG 1973 idF 1977/332;
VersandverfahrenV 1977 Art11 lita;
VersandverfahrenV 1977 Art35;
ZollG 1955 §119 Abs1;
ZollG 1955 §119 Abs4;
ZollG 1955 §174 Abs3 lita Tatbestand1;
ZollG 1955 §7 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die Schweizer Abgangszollstelle Zollamt Basel Freilager auf Antrag der Beschwerdeführerin als Hauptverpflichteter in der Zeit vom 15. Oktober 1980 bis 26. März 1981 sechs Sendungen mit insgesamt 2.856 Kartons beinhaltend 162.990 Stück Hemden koreanischen Ursprungs auf Versandschein T 1 zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren (gVV) unter Sicherung der Nämlichkeit durch Raumverschlüsse abgefertigt. Diese in den sechs Versandscheinen T 1 aufgeführten Waren, für deren ordnungsgemäßen Versand die Beschwerdeführerin jeweils Sicherheit in Form der Pauschalbürgschaft geleistet hatte, waren nach der unbestrittenen Aktenlage der Bestimmungszollstelle, dem Hauptzollamt Wien, nie gestellt, sondern unter widerrechtlicher Entfernung der zur Sicherung der Nämlichkeit angelegten Zollverschlüsse sowie unter Fälschung des Stellungsvermerkes (Stempel und Unterschrift) der Bestimmungszollstelle auf den Versandscheinen T 1 unrechtmäßig in den freien Verkehr des Zollgebietes überführt worden.

Wegen gemeinsamer Beteiligung an diesen Manipulationen (Fakten "Basel 1 bis 6") waren drei Personen, nämlich K, M und T, vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Finanzvergehens des banden- und gewerbsmäßigen Schmuggels gemäß §§ 35 Abs. 1, 38 Abs. 1 lit. a und b FinStrG rechtskräftig verurteilt worden. Da die beiden Letztgenannten nach Ansicht der Zollbehörden hiedurch selbst nicht abgabepflichtig geworden seien, waren sie in den anschließenden sachgleichen Abgabenverfahren gemäß § 11 BAO zur Haftung hinsichtlich der bezüglich dieser Fakten verkürzten Eingangsabgaben in Höhe von 2,877.477 S herangezogen worden (vgl. die diesbezüglich erst im Vorjahr erflossenen Erkenntnisse vom 20. April 1989, Zlen. 88/16/0243, 0244, und Zlen. 89/16/0009, 0010, 0011).

Mit an die Beschwerdeführerin gerichtetem Haftungsbescheid vom 29. September 1982 machte das - als erstes mit der Sache befaßte - Hauptzollamt Wien unter Berufung auf den § 119 Abs. 1 Zollgesetz 1955 (ZollG) iVm dessen § 3 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 erster Satz des Versandverfahren-Durchführungsgesetzes, BGBl. Nr. 600/1973, idF des BGBl. Nr. 332/1977, eine Ersatzforderung von 1,718.312 S an Zoll, 1,145.232 S an Einfuhrumsatzsteuer und 13.932 S an Außenhandelsförderungsbeitrag, zusammen 2,877.476 S geltend. Dies mit der Begründung, daß die im gemeinschaftlichen Versandverfahren beförderten Hemden der Empfangszollstelle nicht gestellt worden seien.

Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Abgabenbehörde zweiter Instanz gab mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 8. August 1988 der Berufung der Beschwerdeführerin vom 5. November 1982, in der sie ihre Inanspruchnahme als Haftende deshalb als rechtswidrig bezeichnete, weil sie an der Nichtstellung und Einschmuggelung des Versandguts nach Österreich unbestrittenermaßen kein wie immer geartetes Verschulden treffe, keine Folge. Zur Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Sachverhaltes und Wiedergabe der bezughabenden Rechtsvorschriften, soweit für die Beschwerde von Relevanz, aus, unbestritten sei, daß die Beschwerdeführerin an der Nichtstellung der von den sechs in Rede stehenden Versandscheinen T 1 umfaßten Textilwaren kein Verschulden treffe. Wenn sie aus diesem Umstand jedoch das Fehlen der Ersatzpflicht ableiten wolle, sei ihr entgegenzuhalten, daß nach dem eindeutigen Wortlaut des § 119 Abs. 1 ZollG die Entstehung der Ersatzforderung vom Verschulden des Ersatzpflichtigen unabhängig sei. Die Ersatzpflicht knüpfe nämlich an das rein objektive Kriterium der Nichtstellung der Waren bei der Bestimmungszollstelle. Mit der Nichtstellung - unabhängig davon, wer zur Stellung der Ware verpflichtet sei - entstehe im gemeinschaftlichen Versandverfahren ohne weitere Voraussetzung im Hinblick auf § 2 Abs. 1 des Versandverfahren-Durchführungsgesetzes für den Hauptverpflichteten die Verpflichtung, für den Zoll und die sonstigen Eingangsabgaben Ersatz zu leisten. Dieser Umstand sei demjenigen bekannt, der als Hauptverpflichteter im Verfahren auftrete und stelle somit ein im Geschäftsverkehr einzukalkulierendes Risiko dar. Daher müsse der Hauptverpflichtete damit rechnen, sogar im Falle einer von ihm nicht einmal verursachten Nichtstellung und Entrichtung der Abgaben herangezogen zu werden. Die Frage eines Verschuldens des Hauptverpflichteten stelle sich demnach in einem solchen Fall überhaupt nicht. Zur Entschärfung des Risikos habe der Hauptverpflichtete die Möglichkeit, die im Geschäftsleben üblichen Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen und seine Ansprüche letztlich im Zivilrechtsweg durchzusetzen. Im Hinblick auf die sinngemäße Anwendung des Zollgesetzes im gemeinschaftlichen Versandverfahren (§ 2 Abs. 3 des Versandverfahren-Durchführungsgesetzes) gehe nach § 119 Abs. 4 ZollG die Verpflichtung zur Stellung des Versandscheingutes auf den Warenführer über, dem das Versandscheingut und der Versandschein nachweislich übergeben wurden. Im Beschwerdefall sei der Warentransport nicht von der Beschwerdeführerin, sondern von verschiedenen Frachtführern durchgeführt worden. Die Lenker der diesen Warenführern gehörenden Lastkraftwagen hätten teils durch ihre Unterschrift, daß sie den Versandschein und das Zollgut übernommen hätten, bestätigt und hätten sich auch verpflichtet, das Zolldokument zusammen mit dem Zollgut in unverändertem Zustand und mit unverletzten Nämlichkeitszeichen der im Zolldokument erwähnten Bestimmungszollstelle zur zollamtlichen Bestätigung zu übergeben. Demnach sei die Stellungspflicht auf die Warenführer übergegangen und es sei nicht mehr in der unmittelbaren Einflußsphäre der Beschwerdeführerin gelegen, daß keine ordnungsgemäße Stellung der Ware bei der Bestimmungszollstelle erfolgte. Die Nichtstellung sei daher im Beschwerdefalle von der Beschwerdeführerin gar nicht verursacht worden, sodaß sich die Frage erübrige, ob ihr die Nichtstellung vorzuwerfen sei, d.h. ob sie an der Nichtstellung ein Verschulden treffe. Die Ersatzpflicht des Hauptverpflichteten sei somit eine Erfolgshaftung, die nicht an ein schuldhaftes Verhalten anknüpfe. Der Ersatzpflichtige habe auch das der Nichtstellung zugrundeliegende Verschulden anderer Personen - möge es von ihm bzw. von seinen Warenführern auch nicht veranlaßt worden sein - gegen sich gelten zu lassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe die Ersatzpflicht den Charakter einer Erfolgshaftung. Daß der Verwaltungsgerichtshof in allen einschlägigen Entscheidungen de facto die REINE Erfolgshaftung vertrete, obwohl er sie jeweils als

" WEITGEHENDE" Erfolgshaftung bezeichne, soll festgehalten werden. Ins Leere gehe auch, so führte die belangte Behörde im Zusammenhang abschließend aus, die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie sei Hauptverpflichteter und Bürge in einer Person. Gemäß Art. 27 Abs. 3 der Versand-Verordnung bestehe - vorbehaltlich einer Leistung der Sicherstellung durch Hinterlegung von Bargeld gemäß Art. 33 Abs. 2 der zitierten Verordnung - die Sicherheitsleistung in einer selbstschuldnerischen Bürgschaft einer natürlichen oder juristischen DRITTEN Person. Daher kann es sich beim Bürgen und Hauptverpflichteten immer nur um voneinander verschiedene Personen handeln. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Art. 35 der Versand-Verordnung beziehe sich somit wohl auf den Bürgen (Sicherungsgeber), nicht aber auf die Beschwerdeführerin.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unverletzlichkeit des Eigentums. Die Behandlung der Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit dem Beschluß vom 26. September 1989, B 1744/88, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG abgelehnt, weil die gerügten Rechtsverletzungen zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung einfacher Gesetze wären. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Gleichzeitig wurde die eschwerde nach Art. 144 Abs. 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Der Bundesminister für Finanzen legte die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht verletzt, nicht zur Leistung einer Ersatzforderung herangezogen zu werden. In Ausführung des so aufzufassenden Beschwerdepunktes trägt die Beschwerdeführerin im Einklang mit ihrem Vorbringen vor der Administrativbehörde unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit zunächst vor, die belangte Behörde vertrete zu Unrecht die Auffassung, daß die Beschwerdeführerin, obwohl ihr kein Verschulden anzulasten und sie selbst Opfer eines Verbrechens geworden sei, dennoch zur Ersatzpflicht gemäß § 119 Abs. 1 ZollG heranzuziehen sei. Die belangte Behörde berufe sich hiebei im wesentlichen auf mehrere Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, in welchen jeweils ausgesprochen worden sei, daß § 119 Abs. 1 ZollG eine "weitgehende" Erfolgshaftung normiere. Eine "weitgehende" Erfolgshaftung sei nicht mit einer "reinen" Erfolgshaftung gleichzusetzen. Tatsächlich habe die belangte Behörde die Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes ins Gegenteil gekehrt, in dem sie ausführte, daß dieser ohnedies de facto immer die "reine" Erfolgshaftung vertrete. Damit bringe die belangte Behörde offensichtlich zum Ausdruck, ein Höchstgericht verwende die von ihm ausgesprochenen Fachausdrücke nicht wohl überlegt und präzise, sondern meine etwas anderes, als es zum Ausdruck bringe. In Wahrheit versuche die belangte Behörde lediglich den Anschein zu geben, daß ihre Rechtsmeinung mit jener des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimme. Bei näherer Durchsicht der im angefochtenen Bescheid zitierten Rechtsprechung zeige sich jedoch, daß die Worte "weitgehende Erfolgshaftung" sehr wohl bewußt gewählt und der "reinen" Erfolgshaftung gegenübergestellt worden seien.

Diesem Vorbringen bleibt es verwehrt, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erweisen.

Das "gemeinschaftliche" (nunmehr: "gemeinsame") Versandverfahren ist ein durch Gemeinschaftsrecht der EWG geregeltes Verfahren des Transports von Waren unter zollamtlicher Überwachung innerhalb der Gemeinschaft mit Einbeziehung Österreichs und der Schweiz. Es dient der Beförderung von Waren zwischen in der EWG, in der Schweiz und in Österreich gelegenen Orten (Abgangszoll- und Bestimmungszollstelle). Da beim gemeinschaftlichen Versandverfahren nur noch bei der Abgangszollstelle und bei der Bestimmungszollstelle eine Zollabfertigung erfolgt, stellt dieses Verfahren eine erhebliche Erleichterung dar. Es werden dadurch langwierige Kontrollen und Abfertigungen an den Grenzzollstellen überflüssig.

Rechtsgrundlage für die Durchführung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens in Österreich war bis 1. Jänner 1988 (vgl. das Übereinkommen über ein gemeinsames Versandverfahren, BGBl. Nr. 632/1987) das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 30. November 1972, BGBl. Nr. 599/1973, zur Anwendung der Bestimmungen über das gemeinschaftliche Versandverfahren mit seiner einen Bestandteil dieses Abkommens (vgl. Art. 17) bildenden Anlage I (Verordnung über das gemeinschaftliche Versandverfahren - (EWG) Nr. 222/77 vom 13. Dezember 1976 - BGBl. Nr. 331/1977, Versand-Verordnung). Die Bestimmungen über das gemeinschaftliche Versandverfahren sind auf Grund des Abkommens zwischen der Republik Österreich, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 12. Juli 1977, BGBl. Nr. 115/1978, zur Ausdehnung der Anwendung der Bestimmungen über das gemeinschaftliche Versandverfahren, auch auf die Schweizerische Eidgenossenschaft anwendbar. Nach Art. 11 lit. a der Versand-Verordnung war der "Hauptverpflichtete" die Person, die selbst oder durch einen befugten Vertreter durch eine zollamtlich geprüfte Anmeldung die Abfertigung zum gemeinschaftlichen Versandverfahren beantragte und damit gegenüber den zuständigen Behörden die Haftung für die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens übernahm.

"Ordnungsgemäß durchgeführt" (Haftungsgrund) war ein Versandverfahren dann, wenn der Hauptverpflichtete seinen durch die Versand-Verordnung auferlegten Pflichten in vollem Umfang nachgekommen war. Er hatte die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den zuständigen Behörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu stellen und die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren und über den Versand in den bei der Beförderung berührten Mitgliedstaaten einzuhalten (Art. 13 der Versand-Verordnung). Damit standen auch Beginn und Ende des Versandverfahrens, soweit es den Hauptverpflichteten betraf, fest. Es begann mit seinem Antrag und es endete mit der ordnungsgemäßen Stellung der Ware. Unter dem normativen Tatbestandsmerkmal "Haftung" im Sinne des Art. 11 lit. a der Versand-Verordnung war die Verantwortlichkeit des Hauptverpflichteten für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens zu verstehen. Er hatte für alle Folgen einzutreten, die sich aus einem nicht ordnungsgemäßen Ablauf ergaben. Welche Folgen dies im einzelnen hatte, richtete sich nach dem nationalen, also nach dem einzelstaatlichen Recht jenes Mitgliedstaates, auf dessen Gebiet die eine Eingangsabgabenschuld auslösende Zuwiderhandlung begangen worden war (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Oktober 1983,

Zlen. 83/16/0125, 0131, Slg. Nr. 5824/F).

Im Grunde des § 2 Abs. 1 erster Satz des ebenfalls am 1. Jänner 1988 außer Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 20. Juni 1973 betreffend die Durchführung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Anwendung der Bestimmungen über das gemeinschaftliche Versandverfahren (Versandverfahren-Durchführungsgesetz), BGBl. Nr. 600/1973, idF des BGBl. Nr. 332/1977, hatte der Hauptverpflichtete, wenn eine Zuwiderhandlung gegen die Bestimmungen über das gemeinschaftliche Versandverfahren im Zollgebiet begangen wurde oder als im Zollgebiet begangen galt, ab dem Zeitpunkt der Empfangnahme des Versandscheines wie ein Begleitscheinnehmer im Sinn des Zollgesetzes 1955, BGBl. Nr. 129, in der jeweils geltenden Fassung, für den Zoll und die sonstigen Eingangsabgaben Ersatz zu leisten.

Gemäß dem durch diese Rechtsverweisung miterfaßten und im Beschwerdefall wegen des Grundsatzes der Zeitbezogenheit (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1975, Zl. 174/75) noch anzuwendenden § 119 Abs. 1 ZollG erwuchs dem Begleitscheinnehmer durch die Empfangnahme des Begleitscheines und der im Begleitschein angeführten Waren (Begleitscheingut) die Verpflichtung, das Begleitscheingut innerhalb der im Begleitschein festgesetzten Frist dem Empfangszollamt unverändert und zutreffendenfalls mit unverletztem Zollverschluß unter Vorlage des Begleitscheines zu stellen (Stellungspflicht) und bei Nichtstellung des Begleitscheingutes für den auf die betreffenden Waren entfallenden Zoll sowie die sonstigen Eingangsabgaben (§ 3 Abs. 2 leg. cit.) Ersatz zu leisten (Ersatzpflicht).

Verbrachte der Begleitscheinnehmer, auf dessen Namen der Begleitschein lautete, das Begleitscheingut nicht selbst zum Empfangszollamt, sondern übergab er das Begleitscheingut samt Begleitschein einer anderen Person zur weiteren Beförderung, so ging die Stellungspflicht auf diese Person und unter denselben Voraussetzungen auch auf jede andere nachfolgende Person über. Die Verpflichtung, im Fall der Nichtstellung Ersatz für die auf das Begleitscheingut entfallenden Eingangsabgaben zu leisten, blieb aber auch in diesem Fall gemäß dem § 119 Abs. 4 ZollG unverändert beim Begleitscheinnehmer. Abgabenschuldrechtlich war daher der Übergang der Stellungspflicht ohne Bedeutung, weil sich an der Haftung (Ersatzverpflichtung) des Begleitscheinnehmers hiedurch nichts änderte.

Die Nichtstellung von Begleitscheingut beim Empfangszollamt löste - ein Umstand, den der Gesetzgeber bei der normativen Ausgestaltung des Tatbestandes des § 119 Abs. 1 ZollG gekannt und ausdrücklich geregelt hat - beim Begleitscheinnehmer kraft Gesetzes die Verpflichtung zur Entrichtung der Ersatzforderung aus.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mehr als zehnmal (vgl. die bei Mathes-Meinl, Kommentar zum Zollgesetz unter 1, 2, 6, 16, 17, 22 und 29 wiedergegebene Rechtsprechung) mit dem Wesen der in § 119 Abs. 1 ZollG normierten Haftung eingehend auseinandergesetzt und in ständiger Rechtsprechung dargetan, daß diese Gesetzesstelle eine "weitgehende" Erfolgshaftung begründet. Er hat hiezu bereits in dem erstzitierten Erkenntnis vom 23. Jänner 1952, Zl. 1443/51, Slg. Nr. 532/F, auf welches sich auch die Beschwerdeführerin beruft, näher ausgeführt, daß diese Haftung eine Verpflichtung öffentlich-rechtlicher Art darstellt, auf welche die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes über die Haftung für Verschulden fremder Personen und über das Mitverschulden anderer Personen nicht anzuwenden sind. An dieser Rechtsmeinung, daß für die Geltendmachung dieser Haftung die Frage des Verschuldens OHNE Bedeutung sei, hat der Verwaltungsgerichtshof bis zu seiner jüngsten diesbezüglichen Entscheidung vom 17. Feber 1983, Zlen. 82/16/0135, 83/16/0033, festgehalten.

Der Zweck dieser Haftung EIGENER Art ist darin gelegen, jenes Risiko auszugleichen, das die Zollverwaltung eingeht, wenn sie die Beförderung eingangsabgabepflichtiger zollhängiger Waren durch das Transportgewerbe zuläßt. Es mehren sich in der Praxis die Fälle, in denen - wie im Beschwerdefall - im gemeinschaftlichen Versandverfahren ganze Wagenladungen auf dem Transport "verloren gehen" und nicht wieder herbeigeschafft werden können.

Der Begriff "weitgehende" Erfolgshaftung wurde deshalb gewählt, weil der Begleitscheinnehmer von Gesetzes wegen (vgl. § 7 Abs. 4 ZollG) dann nicht zu haften hat, wenn das Begleitscheingut durch Zufall oder höhere Gewalt untergegangen ist (vgl. das obzitierte Erkenntnis VwSlg. 532/F).

Die Ausführungen der Beschwerdeführerin bieten für den Verwaltungsgerichtshof keinen Anlaß, von dieser ständigen Rechtsauffassung abzugehen.

Mit ihrem weiteren, bereits vor der belangten Behörde erhobenen Vorbringen, sie sei von der Ersatzpflicht deshalb befreit, weil sie von der Abgangszollstelle nicht innerhalb der in § 35 zweiter Satz der Versand-Verordnung normierten Frist von zwölf Monaten über die Nichtstellung der Versandscheine T 1 unterrichtet worden sei, verkennt die Beschwerdeführerin die Rechtslage grundlegend.

Nach dieser Bestimmung ist der Sicherungsgeber auch nach Ablauf einer Frist von zwölf Monaten, vom Zeitpunkt der Registrierung des Versandpapiers T 1 an gerechnet, von seinen Verpflichtungen befreit, wenn er von der Abgangszollstelle nicht über die Nichterledigung des Versandscheins T 1 unterrichtet worden ist.

Zur Sicherstellung der Zölle und anderer Abgaben, die ein Mitgliedsstaat (ein der EWG angehörender Staat , Österreich oder die Schweiz) nach seinen Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Waren beanspruchen könnte, weil in seinem Gebiet eine Zuwiderhandlung (Art. 36 Abs. 1 der Versand-Verordnung) erfolgte, hat der Hauptverpflichtete grundsätzlich eine Sicherheit zu leisten (Art. 27 der Versand-Verordnung). Dies hat entweder durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft oder durch Hinterlegung von Bargeld zu geschehen. Bei der Bürgschaft wird zwischen der Gesamtbürgschaft, der Pauschalbürgschaft und der Einzelbürgschaft unterschieden. Im Beschwerdefall war - wie einleitend dargestellt - Sicherheit in Form der Pauschalbürgschaft (Art. 32 Abs. 1 der Versand-Verordnung) geleistet worden. Bei ihr verpflichtet sich der BÜRGE in Höhe eines Pauschbetrages von 7.000 ECU je Anmeldung zur Zahlung der Zölle und sonstigen Abgaben, die gegebenenfalls bei einem Versandverfahren beansprucht werden können, gleichgültig, wer Hauptverpflichteter ist.

Zum Nachweis der Sicherheitsleistung händigt der Sicherungsgeber an Personen, die - wie die Beschwerdeführerin - als Hauptverpflichteter und für welche die Bürgschaft gelten soll, sogenannte Sicherheitstitel aus, auf Grund derer sie von einer Abgangszollstelle ihrer Wahl aus (hier: Zollamt Basel Freilager) ein gemeinschaftliches Versandverfahren durchführen können. Der Bürge haftet für jeden Sicherheitstitel bis zum Betrag von 7.000 ECU. Er kann aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft an Stelle des haftenden Hauptverpflichteten in Anspruch genommen werden. Sicherungsgeber im Sinne des Art. 35 der Versand-Verordnung kann daher nur der Bürge und nicht etwa auch - wie die Beschwerdeführerin vermeint - der Hauptverpflichtete sein, der dadurch Sicherheit geleistet hat, daß er den Bürgen zur Übernahme der Bürgschaft veranlaßt hat.

Der Beschwerde kommt indessen aus folgenden, von ihr nicht ins Treffen geführten Gründen, Berechtigung zu:

Die belangte Behörde führte im angefochtenen Bescheid aus, unbestritten sei, daß die Beschwerdeführerin an der Nichtstellung der von den sechs in Rede stehenden Versandscheinen T 1 umfaßten Textilwaren kein Verschulden treffe. Diese Annahme steht in Widerspruch zu den spruchmäßigen Feststellungen in den gegenüber M und T erflossenen Bescheiden vom 9. und 15. November 1988, die den Gegenstand der obzitierten Erkenntnisse vom 20. April 1989,

Zlen. 88/16/0243, 0244, und Zlen. 89/16/0009, 0010, 0011, gebildet haben. Damals war in dem von der belangten Behörde jeweils ausdrücklich abgeänderten Spruch festgestellt worden, daß die Beschwerdeführerin zu den Fakten "Basel 1 bis 6" ein "ursprünglicher" Abgabenschuldner sei.

Löst im gemeinschaftlichen Versandverfahren ein anderer als derjenige, der bei der Abgangszollstelle durch Abgabe der Versandanmeldung die Abfertigung der ausländischen Ware zum gemeinschaftlichen Versandverfahren beantragt hat (Hauptverpflichteter), eine Zollschuld aus, so sind beide Gesamtschuldner (§ 6 Abs. 1 BAO), und zwar der Hauptverpflichtete als Schuldner der Ersatzforderung gemäß § 119 Abs. 1 ZollG und der andere als Zollschuldner gemäß § 174 Abs. 3 lit. a erster Tatbestand ZollG. Es steht in einem solchen Fall im freien Ermessen (§ 20 BAO) der Zollbehörde, ob sie sich an den Zollschuldner oder an den Hauptverpflichteten als Haftungsschuldner, der - wie sein Name schon

sagt - ebenfalls Schuldner (sc. der Ersatzforderung) ist, wendet (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1984, Zl. 84/16/0165, Slg. Nr. 5933/F).

Eine Haftung nach § 119 Abs. 1 ZollG setzt voraus, daß während des Versandverfahrens eine Zollschuld entstanden ist. Durch den angefochtenen Bescheid wird ein Haftungsanspruch geltend gemacht, den nach den Feststellungen der belangten Behörde in den Bescheiden vom 9. und 15. November 1988 die Beschwerdeführerin als "ursprünglicher" Abgabenschuldner ausgelöst haben soll.

Dieser unlösbare Widerspruch ist wesentlich, weil er zur Folge hatte, daß die Beschwerdeführerin über die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen nicht ausreichend unterrichtet wurde und weil dadurch auch der erkennende Senat nicht in der Lage ist, den angefochtenen Bescheid allein an Hand seines Inhalts auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Da die belangte Behörde aus diesen Gründen den Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, und zwar weil der Sachverhalt in entscheidungswesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, aber auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die Entscheidung konnte gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG im Dreiersenat erfolgen.

Die Entscheidung über den Anspruch auf Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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