VwGH 88/08/0277

VwGH88/08/027727.3.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der N gegen den auf Grund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 20. Juli 1988, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §140;
AlVG 1977 §20 Abs2 idF 1989/364;
AlVG 1977 §38 idF 1989/364;
AlVG 1977 §39 Abs4 idF 1989/364;
UVG §4;
UVG §6 Abs1;
UVG §6 Abs2;
ABGB §140;
AlVG 1977 §20 Abs2 idF 1989/364;
AlVG 1977 §38 idF 1989/364;
AlVG 1977 §39 Abs4 idF 1989/364;
UVG §4;
UVG §6 Abs1;
UVG §6 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, daß der Beschwerdeführerin ab 16. Jänner 1988 Sondernotstandshilfe im Ausmaß von täglich S 202,70 gebühre. Bei der Bemessung ging die belangte Behörde davon aus, daß der Beschwerdeführerin gemäß § 21 Abs. 3 AlVG ein Arbeitslosengeld von täglich S 220,30 zustünde. Die Sondernotstandshilfe sei für Arbeitslose, die für keinen zuschlagsberechtigten Angehörigen zu sorgen hätten, mit 92 Prozent des in Betracht kommenden Arbeitslosengeldes festzusetzen (dabei bezog sich die belangte Behörde auf § 1 der Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973). Die Beschwerdeführerin habe für keinen zuschlagsberechtigten Angehörigen zu sorgen. Sie habe nämlich anläßlich ihrer Einvernahme vom 7. Februar 1988 angeführt, für ihren Sohn (geboren am 11. Jänner 1987) monatlich S 2.700,-- an Alimenten zu erhalten. Zwar sei sie der Ansicht, daß dieser Betrag nicht ausreiche, um den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt ihres Sohnes zu bestreiten, weil die Kosten für Babynahrung, Bekleidung, Kindermöbel, Windeln etc. das Ausmaß der "Alimente plus der Kinderbeihilfe" überstiegen. Zur Frage der Höhe der den Familienzuschlag ausschließenden eigenen Mittel des Angehörigen vertrete die belangte Behörde aber unter Bedachtnahme auf gleichgelagerte Ansprüche in verwandten Rechtsbereichen (z.B. bestehe kein Anspruch auf Familienbeihile bei einem steuerpflichtigen Einkommen von monatlich über S 2.500,--) - die Ansicht, daß ein Einkommen, das die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 lit. c ASVG) übersteige (im Jahre 1988 S 2.527,--), als ausreichend anzusehen sei. Dabei sei eine allfällige Familienbeihilfe einzurechnen, weshalb dann kein Anspruch auf Familienzuschlag bestehe, wenn der Angehörige im Jahre 1988 - bei einem Anspruch auf Familienbeihilfe - ein monatliches Einkommen von S 1.327,-- oder mehr habe. Da der Sohn der Beschwerdeführerin ein Einkommen von monatlich S 2.700,--, also mehr als S 1.327,--, habe, bestehe kein Anspruch auf Familienzuschlag. Die Sondernotstandshilfe sei daher mit 92 Prozent von S 220,30, also S 202,70 täglich, festzusetzen gewesen.

Nach der gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobenen Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihren Rechten auf Gewährung des Familienzuschlages für ihren Sohn gemäß § 20 AlVG und auf Festsetzung der Sondernotstandshilfe im Ausmaß von 100 Prozent des im Betracht kommenden Arbeitslosengeldes (dessen Höhe nicht bestritten wird) verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 2 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 364/1989 sind Familienzuschläge für Ehegatten (Lebensgefährten), Eltern und Großeltern, Kinder und Enkel, Stiefkinder, Wahlkinder und Pflegekinder (zuschlagsberechtigte Personen) zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Personen tatsächlich wesentlich beiträgt. Der Familienzuschlag gebührt nicht, wenn den zuschlagsberechtigten Personen zugemutet werden kann, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere durch eigene Arbeit, zu bestreiten. Gemäß den §§ 38, 39 Abs. 4 AlVG gebühren sie auch den Personen, die Anspruch auf eine Sondernotstandshilfe haben.

"Eigene Mittel" im Sinne des zweiten Satzes des § 20 Abs. 2 AlVG sind auch freiwillig oder in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung geleistete Zahlungen Dritter (vgl. Erkenntnis vom 8. Mai 1987, Zl. 86/08/0069). Die Höhe dieser den Familienzuschlag ausschließenden eigenen Mittel wird in § 20 Abs. 2 AlVG jedoch nicht nach einem starren Maßstab - wie dies der von der belangten Behörde herangezogene, die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. c ASVG absteckende Betrag ist - bestimmt, sondern richtet sich nach dem zur Bestreitung des angemessenen Lebensunterhaltes des Zuschlagsberechtigten notwendigen Aufwand. Dabei sind grundsätzlich die individuellen Verhältnisse des Zuschlagsberechtigten maßgebend, wobei allerdings - etwa im Sinne der von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 140 ABGB entwickelten Grundsätze - als Orientierungshilfe allenfalls auf die Mindestpensionshöhe nach dem ASVG zurückgegriffen werden könnte (vgl. Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291). Rechtsirrig ist auch, daß die für ein Kind gewährte Familienbeihilfe zu dessen "eigenen Mitteln" im Sinne des § 20 Abs. 2 zweiter Satz AlVG zu zählen ist (vgl. Erkenntnis vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0259). Die Begründung der belangten Behörde für die Nichtgewährung des Familienzuschlages widerspricht daher - in Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen - der Rechtslage.

Die belangte Behörde meint allerdings in der Gegenschrift, es sei ein Bescheid auch dann nicht inhaltlich rechtswidrig, wenn sich die Begründung zwar nachträglich als fehlerhaft herausstelle, die belangte Behörde aber auch bei anderer, richtiger Begründung zu keinem anderen Ergebnis im Spruch gekommen wäre. Nach dem zitierten Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291, dürfe zwar bei der Beurteilung, ob ein einen Anspruch auf Familienzuschlag ausschließendes hinreichendes Einkommen vorliege, nicht auf einen starren Maßstab abgestellt werden; es könne aber allenfalls auf adäquate Bestimmungen nach dem ASVG zurückgegriffen werden. Die belangte Behörde vertrete die Meinung, daß ein Abgehen von starren Maßstäben die Gefahr in sich berge, daß dadurch einem verwaltungstechnisch uneinheitlichen Vorgehen Tür und Tor geöffnet werden könnte und von Fall zu Fall ungerechtfertigt verschiedene Entscheidungen gefällt werden könnten. Aus diesem Grund habe sie sich zur Aufgabe gestellt, bei Bestimmung des hinreichenden Einkommens wohl starre Maßstäbe anzuwenden, sie jedoch in Abstellung auf die jeweiligen Altersstufen der zuschlagsberechtigten Person verschieden anzusetzen. Anhaltspunkte dafür scheine das "Unterhaltsvorschußgesetz 1976" (nunmehr Unterhaltsvorschußgesetz 1985 - UVG) zu bieten, das in seinem § 6 durch den Verweis auf § 293 Abs. 1 lit. c bb erster Fall ASVG auf pensionsberechtigte Halbwaisen, die in Ermangelung eines zweiten Elternteiles Anspruch auf eine Leistung von dritter Seite hätten, Bezug nehme. Diesem Personenkreis seien die zuschlagsberechtigten Personen des § 20 AlVG gleichzusetzen, denen es - wie im vorliegenden Fall - ebenfalls an einem zweiten Elternteil mangle und die deshalb unter dem Titel "Alimentations- bzw. Unterhaltsleistung" Anspruch auf eine Leistung von dritter Seite hätten. Der Richtsatz des § 293 Abs. 1 lit. b bb erster Fall ASVG sei im Sinne des § 6 Abs. 2 UVG auf § 20 Abs. 2 AlVG in der Weise zu übertragen, daß die im § 6 Abs. 2 UVG vorgenommenen Abstufungen nach dem Alter von Bedeutung seien. Nach § 6 Abs. 2 Z. 1 UVG dürften die Vorschüsse für ein Kind bis zum Ende des vor Vollendung des 6. Lebensjahr liegenden Monats ein Viertel des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs. 1 lit. c bb erster Fall ASVG nicht übersteigen. Eine Übertragung dieser im § 6 Abs. 2 UVG vorgenommenen Differenzierung nach Altersstufen auf § 20 Abs. 2 AlVG sei deshalb gerechtfertigt, weil erfahrungsgemäß Personen, die der ersten Gruppe des § 6 Abs. 2 UVG zuzuordnen seien, weniger Unkosten bewirkten als jene Personen, die schon ein höheres Alter erreicht hätten. Auf den Beschwerdefall übertragen bedeute dies, daß die Alimente in Höhe von S 2.700,-- monatlich den genannten Höchstbestrag nach § 6 Abs. 2 Z. 1 UVG überstiegen und daher der Beschwerdeführerin ein Familienzuschlag im relevanten Zeitraum nicht gebühre.

Zu diesen Ausführungen in der Gegenschrift ist zunächst zu bemerken, daß ihnen zwar nicht das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot entgegensteht, da es sich um bloße Rechtsausführungen zu einem unbestrittenen Sachverhalt handelt. Diesen rechtlichen Darlegungen ist aber nicht beizupflichten. Der Verwaltungsgerichtshof hält seine im mehrfach zitierten Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291, dargelegte Rechtsauffassung aufrecht. Danach sind aber bei Beurteilung der Frage, ob eigene Mittel des Zuschlagsberechtigten zur Deckung des Aufwandes für seinen angemessenen Lebensunterhalt ausreichen, grundsätzlich seine individuellen Verhältnisse im relevanten Zeitraum und nicht in anderen Bestimmungen fixierte Grenzbeträge maßgebend; auf sie kann allenfalls (d.h. wenn die gestellte Frage, ob der Zuschlagsberechtigte aus den eigenen Mitteln den Aufwand für seinen angemessenen Lebensunterhalt decken kann, nach diesen individuellen Verhältnissen nicht zweifelsfrei lösbar ist) als Orientierungshilfe Bedacht genommen werden, wenn diese Beträge abstrakt zur Lösung dieser Frage beitragen können.

Das trifft jedenfalls auf den im § 6 Abs. 2 Z. 1 UVG festgelegten Höchstbetrag nicht zu. Denn schon die in § 6 Abs. 1 UVG vorgesehene Limitierung der nach diesem Gesetz zu leistenden Vorschüsse auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder erweist, daß die Zielsetzung der Vorschußgewährung nicht darin besteht, den Gesamtaufwand für den angemessenen Lebensunterhalt des Kindes (zu dem auch der Aufwand zählt, den das im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter lebende Kind bei Wegfall der Betreuung durch sie abdecken müßte) zu tragen; umso weniger läßt sich ein solcher Zweck der durch § 6 Abs. 2 UVG vorgenommenen weiteren Beschränkung in den Fällen des § 4 Z. 2 und 3 UVG (in denen an keine dem materiellen Recht entsprechend festgesetzte Unterhaltshöhe angeknüpft werden kann) entnehmen. Ob im Hinblick auf das genannte Erfordernis der Eignung der Eigenmittel zur Deckung des Gesamtaufwandes für den angemessenen Lebensunterhalt des zuschlagsberechtigten Kindes aus anderen Gründen doch der im § 6 Abs. 1 UVG festgelegte Höchstbetrag im Ausmaß des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs. 1 lit. c bb erster Fall ASVG oder nicht eher jener des § 293 Abs. 1 lit. a bb ASVG allenfalls als Orientierungshilfe für die zu lösende Frage herangezogen werden könnte, kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben. Denn einerseits überstieg auch der erstgenannte für das Jahr 1988 mit S 3.296,-- festgesetzte Betrag die monatliche Unterhaltsleistung an den Sohn der Beschwerdeführerin in der Höhe von S 2.700,-- und andererseits hätte es im Hinblick auf das in der Bescheidbegründung wiedergegebene Vorbringen der Beschwerdeführerin zum Aufwand für das Kind primär einer Prüfung nach den individuellen Verhältnissen des Kindes im obgenannten Sinn bedurft. Daraus folgt, daß auch die Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift keine Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Nichtgewährung des Familienzuschlages an die Beschwerdeführerin aufzuzeigen vermögen.

Ist aber die Verneinung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Familienzuschlag rechtswidrig, so auch die Festsetzung der Sondernotstandshilfe im Ausmaß von lediglich 92 Prozent des in Betracht kommenden Arbeitslosengeldes, die die belangte Behörde ausschließlich auf § 20 Abs. 2 zweiter Satz AlVG stützte.

Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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