VwGH 87/08/0042

VwGH87/08/00424.7.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Sauberer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse in Wien X, Wienerbergstraße 15-19, (versehen mit der Unterschrift des Rechtsanwaltes Dr. Heinz Edelmann, Wien VI, Windmühlgasse 30), gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 17. Dezember 1986, Zl. 123.618/3-6/86, betreffend Vollversicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1) Bank of Tokyo Ltd, Representative Office in Vienna,

2) H H in T, Japan, 3) T T in C, Japan, alle vertreten durch Dr. Hans Bichler, Rechtsanwalt in Wien 3, Weyrgasse 8, 4) Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Wien 2, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 5) Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien 20, Adalbert-Stifter-Straße 65), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §3 Abs3;
ASVG §35 Abs1;
VwRallg;
ASVG §3 Abs3;
ASVG §35 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit zwei Bescheiden vom 16. September 1983 stellte die Beschwerdeführerin fest, daß der Zweit- und Drittmitbeteiligte aufgrund ihrer Beschäftigungen bei der Erstmitbeteiligten gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll-, (Kranken- , Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlägen, und zwar der Zweitmitbeteiligte ab 1. November 1982, der Drittmitbeteiligte ab 1. Februar 1981.

Die von der Erstmitbeteiligten gegen diese Bescheide erhobenen Einsprüche wies der Landeshauptmann von Wien mit den Bescheiden vom 22. Oktober 1985 (hinsichtlich des Zweitmitbeteiligten) und vom 24. Oktober 1985 (hinsichtlich des Drittmitbeteiligten) gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet ab und stellte gemäß den §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG fest, daß der Zweit- und Drittmitbeteiligte aufgrund ihrer Tätigkeiten für die Erstmitbeteiligte in Wien in einem die Vollversicherungs- (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) und Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG begründenden Beschäftigungsverhältnisse stünden bzw. gestanden seien, und zwar der Zweitmitbeteiligte ab 1. November 1982 und der Drittmitbeteiligte vom 1. Februar 1981 bis 31. Jänner 1984.

Den gegen diese Bescheide von der Erstmitbeteiligten erhobenen Berufungen gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 Folge und stellte in Abänderung der bekämpften Bescheide fest, daß der Zweit- und Drittmitbeteiligte aufgrund ihrer Beschäftigungen bei der Erstmitbeteiligten nicht der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG unterlägen. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung nachstehenden Sachverhalt zugrunde: Der Zweitmitbeteiligte sei als Direktor, der Drittmitbeteiligte als Angestellter des Representative Office der Erstmitbeteiligten in Wien tätig. Seitens der Erstmitbeteiligten sei in Wien 1, Opernringhof 3/6/23, ein Büro gemietet worden. Aufgabe dieses Büros sei die Beschaffung von Informationen betreffend den Finanzbedarf bestimmter Comeconländer, die Erhebung und Erforschung von Risken der Kreditvergabe von einzelnen Ländern, die Erhebung des Finanzbedarfes der Republik Österreich, der österreichischen Bundesländer sowie öffentlicher Organisationen in Österreich und die Betreuung japanischer Unternehmen in Österreich, wie z.B. die Herstellung von Behördenkontakten. Weiters führe das Representative Office Vorarbeiten betreffend die Investitionen japanischer Unternehmen in Österreich und Vorbereitungsarbeiten für die Betreuung österreichischer Delegationen nach Japan durch. Es sei nicht berechtigt, Bankgeschäfte abzuwickeln oder andere Geschäfte mit verbindlicher Wirkung abzuschließen. Aus den vorgelegten Unterlagen gehe hervor, daß der Zweit- und Drittmitbeteiligte einem Sozialversicherungssystem, das für den Versicherungsfall des Alters, der Krankheit und der Arbeitslosigkeit Vorsorge treffe, unterlägen und daß für sie eine Unfallversicherung bestehe. Der Zweitmitbeteilgte sei seit 28. Februar 1986 nicht mehr im Wiener Büro der Erstmitbeteiligten tätig. Unbestritten sei, daß es sich bei der Bank of Tokyo um einen ausländischen Betrieb mit dem Sitz in Tokyo, Japan, handle. Zwischen der Republik Österreich und Japan bestehe kein Sozialversicherungsabkommen. Strittig sei, ob es sich bei dem in Wien bestehenden Representative Office um eine Betriebsstätte im Sinne des § 3 Abs. 3 ASVG handle. Das ASVG regle nicht, was unter dem Begriff "Betriebsstätte" zu verstehen sei. Auch sei in den Erläuterungen zur 9. Novelle zum ASVG, mit der die Bestimmung des § 3 Abs. 3 ASVG in der jetzt geltenden Fassung eingeführt worden sei, dieser Begriff nicht näher bestimmt worden. Nach Auffassung der belangten Behörde sei dabei im besonderen zu prüfen, ob eine Einrichtung bestehe, von der bzw. mit der eine wirtschaftliche Tätigkeit in Österreich entfaltet werden könne. Es sei im besonderen von Bedeutung, ob im vorliegenden Fall eine Konzession für die Betreibung von Bankgeschäften gemäß § 4 Kreditwesengesetz durch die österreichischen Behörden erteilt worden sei und damit dem Representative Office die Möglichkeit gegeben werde, im Inland auf dem Banksektor tätig zu werden. Weiters sei relevant, ob das Büro berechtigt sei, Geschäfte mit verbindlicher Wirkung abzuschließen. Im vorliegenden Fall sei nach dem oben dargelegten Sachverhalt davon auszugehen, daß diese für das Vorliegen einer Betriebsstätte wesentlichen Merkmale nicht gegeben seien. Für diese Interpretation des Begriffes "Betriebsstätte" spreche auch die im Abkommen zwischen der Republik Österreich und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen enthaltene Bestimmung des Begriffes "Betriebsstätte", die nach Auffassung der belangte Behörde in analoger Weise herangezogen werden könne, wenngleich sie einem anderen Rechtsgebiet entstamme. Dort werde unter anderem als negative Umschreibung angeführt, daß das Unterhalten einer festen Geschäftseinrichtung ausschließlich zur Beschaffung von Informationen für das Unternehmen und das Unterhalten einer festen Geschäftseinrichtung zur Werbung, zur Erteilung von Auskünften oder zur Ausübung ähnlicher Tätigkeiten, die im Rahmen des Unternehmens vorbereitender Art seien, die Erfordernisse für eine Betriebsstätte nicht erfüllten. Hingegen werde normiert, daß unter den Begriffen "Betriebsstätte" eine feste Geschäftseinrichtung zu verstehen sei, in der die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt werde. Die Tätigkeit des Unternehmens der Erstmitbeteiligten liege im wesentlichen in der Abwicklung von Bankgeschäften. Im Einklang mit der oben dargelegten Rechtsauffassung sei daher festzustellen, daß es sich um keine "Betriebsstätte" im Sinne des § 3 ASVG handle, da das Representative Office der Erstmitbeteiligten in Wien solche Geschäfte nicht abschließe und seine Tätigkeit lediglich vorbereitender Art sei. Der Eintritt der Versicherungspflicht des Zweit- und Drittmitbeteiligten hänge weiters davon ab, ob sie einem System der sozialen Sicherheit im Ausland unterlägen. Dies sei nach der vorgelegten Betätigung der Fall.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Es sei schon nach der allgemeinen Lebensauffassung nahezu undenkbar, daß sich ein Bankunternehmen - noch dazu auf eigene Kosten - eine Einrichtung schaffe, die nicht auch eine wirtschaftliche Tätigkeit zu entfalten und zu verrichten habe. Es würde dem Aufgabenbereich eines Bankunternehmens geradezu zuwiderlaufen, Tätigkeiten zu finanzieren, welche dem Bankunternehmen nicht zum wirtschaftlichen Vorteil gereichten. Bei einer solchen Tätigkeit müsse es sich aber nicht unbedingt um eine Banktätigkeit im engeren Sinn handeln, die eine Bankkonzession voraussetze. Könne die Tätigkeit einer solchen Einrichtung dem Bankunternehmen mittelbar oder unmittelbar zum Vorteil gereichen, dann sei diese Einrichtung zweifelsfrei als Betriebsstätte anzusehen, da sie ja eine wirtschaftliche Tätigkeit im weiteren Sinn entfalte. Die Errichtung einer derartigen Institution in Wien durch die Erstmitbeteiligte zeige geradezu auf, wie wichtig die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Repräsentanz sei; von den Ergebnissen der wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Einrichtung sei ja die weitere Geschäftspolitik der Erstmitbeteiligten abhängig gemacht worden. Im Verfahren sei auch hervorgekommen, daß neben dem Zweit- und Drittmitbeteiligten eine Reihe weiterer Dienstnehmer zur Sozialversicherung gemeldet gewesen seien. Es sei daher unerfindlich, weshalb nur im Fall des Zweit- und Drittmitbeteiligten keine Betriebsstätte, im Fall der anderen Dienstnehmer aber schon eine solche vorgelegen habe solle. Schließlich sei noch auf den Wortlaut des § 3 Abs. 3 ASVG hingewiesen, wonach die Betriebsstätte im Klammerausdruck auch als "Niederlassung" und "Niederlage" definiert sei. Die belangte Behörde hätte die Repräsentanz der Erstmitbeteiligten in Wien zumindest als "Niederlassung" bzw. "Niederlage" im Sinne des § 3 Abs. 3 ASVG qualifizieren müssen.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm aber ebenso wie die Viert- und Fünftmitbeteiligten von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand; die Erst- bis Drittmitbeteiligten erstatteten gleichlautende Gegenschriften. Darin führen sie aus, er werde gar nicht bestritten und liege zweifellos auf der Hand, daß die festgestellten Hilfstätigkeiten des Repräsentationsbüros der Erstmitbeteiligten mittelbar oder unmittelbar zum (wirtschaftlichen) Vorteil gereichen solle. Dies genüge aber nicht für die Wertung als "Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage)". "Wirtschaftlich" im weiteren Sinn wäre ja jede Tätigkeit, welche geeignet erscheine, die Unternehmenszwecke oder auch bloß volkswirtschaftliche (im vorliegenden Fall gehe es auch und sogar wesentlich um die Herstellung von Länderkontakten) Zwecke in irgend einer Weise zu fördern, also z.B. die bloße Führung von Telefongesprächen. Dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprache gemäß müsse sich die Ermittlung des Inhaltes der genannten Begriffe grundsätzlich daran orientieren, wie dieselben oder ähnliche Begriffe in anderen Rechtsgebieten verstanden würden. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer derartigen Vorgangsweise sei allerdings, daß die betrachteten Rechtsvorschriften einen zumindest vergleichbaren Telos aufwiesen. Zu diesem Zweck habe die belangte Behörde den in Artikel IV des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Republik Österreich und Japan (BGBl. Nr. 127/1963) verankerten Begriff der "Betriebsstätte" herangezogen. Dem daraus gezogenen Schluß, daß das Repräsentationsbüro der Erstmitbeteiligten keine Betriebsstätte im Sinne dieser Vorschrift sei, müsse voll beigepflichtet werden. Wohl handle es sich bei diesem Büro um eine "feste Geschäftseinrichtung", in der aber die Tätigkeit der Erstmitbeteiligten, die eben primär in der Abwicklung von Bankgeschäften bestehe, weder ganz noch teilweise abgewickelt werde. Vielmehr würden - bezogen auf den Unternehmensgegenstand - nur Tätigkeiten rein vorbereitender Art bzw. reine Hilfstätigkeiten verrichtet, die nach näher genannten Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens die Wertung als Betriebsstätte ausschlössen. Die Rechtsansicht der belangten Behörde könne allerdings auch durch Heranziehung anderer, von ihr selbst nicht erwähnter Bestimmungen sowie daran angeknüpfter Überlegungen untermauert werden. Dies führen die Erst- bis Drittmitbeteiligten zunächst anhand des Begriffes "Zweigniederlassung" im § 13 HGB und der Begriffe "Niederlassung" und "Betriebsstätte" im § 87 Abs. 1 JN aus und meinen dann, es gehe in § 3 Abs. 3 ASVG - wie in den diversen Doppelbesteuerungsabkommen - darum, das sowohl im Sozialversicherungs- als auch im Steuerrecht grundsätzlich geltende Territorialitätsprinzip sinnvoll aufzulockern. § 3 Abs. 3 ASVG sei Ausdruck des sogenannten "Einstrahlungsgrundsatzes". Der Gesetzgeber habe damit sicherstellen wollen, daß im Inland tätige Dienstnehmer ausländischer Unternehmen (das Gesetz spreche etwas irreführend von "Betrieben") nur dann der Versicherungspflicht nach dem ASVG bzw. dem AlVG unterlägen, wenn die vom ausländischen Unternehmen im Inland entfaltete Tätigkeit einen gewissen Grad an Eigenständigkeit aufweise; bei Fehlen einer solchen nur dann, wenn die Dienstnehmer die Tätigkeit von einem inländischen Wohnsitz ausübten und sozial nicht abgesichert seien. Diese Ansicht vermeide auch Wertungswidersprüche mit den das Versicherungsverhältnis regelnden Normen des ASVG. Die qualitativen Anforderungen an die im Inland verrichtete Tätigkeit müßten zumindest so hoch gesteckt sein, daß die "Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage)" bei rechtlicher Selbständigkeit als solche Dienstgebertätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG ausüben könnte. Damit werde auch wieder die Verbindung zu § 13 HGB deutlich. Eine Tätigkeit, die bloß im Hinblick auf bzw. im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit im Wirtschaftsverkehr denkbar sei, d.h. eine Hilfstätigkeit, welche bloß der Verrichtung der Haupttätigkeit diene, liege unter diesen Anforderungen. Dienstnehmer, die im Rahmen einer solchen Hilfstätigkeit im Inland eingesetzt würden, wobei die Haupttätigkeit zur Gänze im Auslande abgewickelt werde, unterlägen daher nicht dem ASVG, sofern sie nicht im betreffenden Ausland unversichert seien. Das treffe auf die im Repräsentationsbüro der Erstmitbeteiligten beschäftigten Zweit- und Drittmitbeteiligten zu.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des ASVG lauten:

"§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt die Allgemeine Sozialversicherung im Inland beschäftigter Personen einschließlich der den Dienstnehmern nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes gleichgestellten selbständig Erwerbstätigen und die Krankenversicherung der Pensionisten aus der Allgemeinen Sozialversicherung.

3. (1) Als im Inland beschäftigt gelten unselbständig Erwerbstätige, der Beschäftigungsort (§ 30 Abs. 2) im Inland gelegen ist, selbständig Erwerbstätige, wenn der Sitz ihres Betriebes im Inland gelegen ist.

….

(3) Als im Inland beschäftigt gelten unbeschadet und unvorgreiflich einer anderen zwischenstaatlichen Regelung

insbesondere nicht ... Dienstnehmer, die sich in Begleitung eines

Dienstgebers, der im Inland keinen Wohnsitz hat, nur vorübergehend im Inland aufhalten. Die Dienstnehmer eines ausländischen Betriebes, der im Inland keine Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage) unterhält, gelten nur dann als im Inland beschäftigt, wenn sie ihre Beschäftigung (Tätigkeit) von einem im Inland gelegenen Wohnsitz aus ausüben und sie nicht auf Grund dieser Beschäftigung einem System der sozialen Sicherheit im Ausland unterliegen.

4. (1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet:

1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;

.....

(2) Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

.....

§ 30. (1) ...

(2) Beschäftigungsort ist der Ort, an dem die Beschäftigung ausgeübt wird. Wird eine Beschäftigung abwechselnd an verschiedenen Orten ausgeübt, aber von einer festen Arbeitsstätte aus, so gilt diese als Beschäftigungsort. Wird eine Beschäftigung ohne feste Arbeitsstätte ausgeübt, so gilt der Wohnsitz des Versicherten als Beschäftigungsort ...

35. (1) Als Dienstgeber im Sinne diese Bundesgesetzes gilt derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer (Lehrling) in einem Beschäftigungs(Lehr)verhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch MittelsPersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgeltes verweist

...."

Im Beschwerdefall ist unstrittig, daß der Zweitmitbeteiligte ab 1. November 1982 (offensichtlich aber nur bis 28. Februar 1986) und der Drittmitbeteiligte vom 1. Februar 1981 bis 31. Jänner 1984 von der Erstmitbeteiligten in ihrem Wiener Büro als Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG beschäftigt wurden und aufgrund dieser Beschäftigung einem System der sozialen Sicherheit im Ausland unterlagen. Strittig ist, ob das von der Erstmitbeteiligten (jedenfalls in den relevanten Zeiträumen) unterhaltene Wiener Büro eine "Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage)" im Sinne des § 3 Abs. 3 ASVG darstellte.

Das ASVG bestimmt nicht, was unter einer "Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage)" zu verstehen ist; diesbezüglich fehlen auch Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung des ASVG, die die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 3 leg. cit. allerdings anders umschrieben hatte, und in jenen zur 9. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 13/1962, durch die § 3 Abs. 3 leg. cit. die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltende Fassung erhielt.

Nach den oben wiedergegebenen Normen des ASVG unterliegt das Beschäftigungsverhältnis der unselbständig Erwerbstätigen (zu denen jedenfalls die Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG zählen), deren Beschäftigungsort im Inland gelegen ist, unabhängig von einem allfälligen Bedürfnis nach ihrer sozialrechtlichen Absicherung, grundsätzlich dem ASVG und werden damit die davon betroffenen Personen (nämlich der unselbständig Erwerbstätige und sein Dienstgeber im Sinne des § 35 ASVG) den durch das ASVG normierten Regeln über das Versicherungs-, Beitrags- und Leistungsverhältnis unterworfen. Von dieser bloßen Anknüpfung des Geltungsbereiches des ASVG an den Beschäftigungsort im Inland und damit der Verankerung des Territorialitätsprinzips sieht § 3 Abs. 3 ASVG zwei Ausnahmen vor: Obwohl der Beschäftigungsort im Inland gelegen ist, unterliegen 1. (für den Beschwerdefall aber nicht in Betracht kommend) dem ASVG nicht "Dienstnehmer, die sich in Begleitung eines Dienstgebers, der im Inland keinen Wohnsitz hat, nur vorübergehend im Inland aufhalten" (letzter Halbsatz des ersten Satzes des § 3 Abs. 3 ASVG) und 2. die im zweiten Satz des § 3 Abs. 3 lit. cit. näher umschriebenen "Dienstnehmer eines ausländischen Betriebes" (im Zusammenhalt der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 sowie § 35 Abs. 1 ASVG gemeint: eines Dienstgebers, dessen Betrieb im Ausland seinen Sitz hat). Danach bleibt es also nach dem Gesetz (zwischenstaatliche Regelungen können anderes bestimmen) beim Grundsatz und kommt es nicht zu einer "Auflockerung des Territorialitätsprinzips", wenn der ausländische Betrieb (der Dienstgeber, dessen Betrieb seinen Sitz im Ausland hat) in Österreich eine Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage) unterhält; ob der beschäftigte Dienstnehmer einem System der sozialen Sicherheit im Ausland unterliegt, ist in diesem Fall - dem Grundsatz entsprechend - irrelevant. Unterhält allerdings der ausländische Betrieb in Österreich keine Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage), so wird das Beschäftigungsverhältnis - zwecks sozialrechtlicher Absicherung des Dienstnehmers - nur dann in den Geltungsbereich des ASVG einbezogen, wenn (kein Fall des letzten Halbsatzes des ersten Satzes des § 3 Abs. 3 ASVG vorliegt und) der Dienstnehmer nicht nur in Österreich seinen Beschäftigungsort hat, sondern die Beschäftigung (Tätigkeit) von einem in Inland gelegenen Wohnsitz aus ausübt und er nicht auf Grund dieser Beschäftigung einem System der sozialen Sicherheit im Ausland unterliegt.

Aus dieser Regelung ist zu ersehen, daß den Gesetzgeber bei Vorhandensein einer Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage) des ausländischen Betriebes in Österreich nicht das Bedürfnis nach einer sozialrechtlichen Absicherung der mit einem Beschäftigungsort in Österreich beschäftigten Dienstnehmer dieses ausländischen Betriebes zu einer Einbeziehung der diesbezüglichen Beschäftigungsverhältnisse in den Geltungsbereich des ASVG bewogen haben kann; vielmehr stand hiebei wohl die Erwägung im Vordergrund, im Falle einer derartigen sachlichen Nahebeziehung zum Inland nicht die Beteiligten des Beschäftigungsverhältnisses aus der Sicht der Beteiligten von Beschäftigungsverhältnissen, die dem Grundsatz entsprechend dem Geltungsbereich des ASVG unterliegen, beitragsrechtlich zu privilegieren, sondern auch sie - aufgrund dieser Nahebeziehung - in die an die Beschäftigung im Inland geknüpfte Versicherungsgemeinschaft in der Sozialversicherung einzubeziehen. (Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß nicht auch ein solches Beschäftigungsverhältnis dem einzelnen Dienstnehmer zusätzliche sozialrechtliche Begünstigungen verschaffen kann, geschweige denn dargetan werden, daß dadurch vom Grundsatz abgewichen werde, wonach einer Beitragsverpflichtung im Prinzip ein Leistungsanspruch gegenüberstehen muß: vgl. dazu unter anderem das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juni 1985, Slg. Nr. 10.451).

Für eine solche im Unterhalten einer Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage) gelegene sachliche Nahebeziehung zum Inland genügt es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes, daß der Dienstgeber, dessen Betrieb seinen Sitz im Ausland hat, im Inland über eine örtliche Einrichtung oder Anlage verfügt, in der nicht nur vorübergehend auf seine Rechnung betriebliche Tätigkeiten verrichtet werden, die seinem ausländischen Betrieb dienen. Dafür, daß diese Tätigkeiten der Art nach der Haupttätigkeit des Betriebes entsprechen müßten, eine Berechtigung zum Abschluß von Geschäften mit verbindlicher Wirkung im Inland bestehen oder "die vom ausländischen Unternehmen im Inland entfaltete Tätigkeit einen gewissen Grad an Eigenständigkeit" (im Gegensatz zu Hilfstätigkeiten) aufweisen müßte und demnach Tätigkeiten der festgestellten Art nicht genügten, bestehen nach dem Wortlaut der zitierten Normen sowie nach dem daraus ableitbaren Zweck der Regelung des inländischen Geltungsbereiches des ASVG keine Anhaltspunkte. Insbesondere sind bei einer Ablehnung der von der belangten Behörde und den Erstbis Drittmitbeteiligten vertretenen Auffassung keine "Wertungswidersprüche mit den das Versicherungsverhältnis regelnden Normen des ASVG" erkennbar. Nach § 35 Abs. 1 ASVG ist für die Qualifikation einer Person als Dienstgeber im Sinne des ASVG nur maßgeblich, daß für ihre Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht, nicht aber, ob die Tätigkeit "bloß im Hinblick auf bzw. im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit im Wirtschaftsverkehr denkbar ist, d.h. eine Hilfstätigkeit, welche bloß der Verrichtung der Haupttätigkeit dient", darstellt.

Den Erst- bis Drittmitbeteiligten ist darin beizupflichten, daß Definitionen der Begriffe "Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage)" in anderen Rechtsvorschriften dann zur Auslegung der im ASVG verwendeten Begriffe herangezogen werden könnten, wenn diese anderen Rechtsvorschriften "einen zumindest vergleichbaren telos" aufwiesen. Dies trifft aber, wie die genannten Mitbeteiligten selbst erkennen, für die bloße Zuständigkeitsnorm des § 87 Abs. 1 JN nicht zu; aber auch die Judikatur und das Schrifttum zum Begriff der Zweigniederlassung des § 13 HGB ist einerseits im Hinblick darauf, daß § 3 Abs. 3 ASVG in der Fassung der 9. Novelle gar nicht mehr diesen Begriff, sondern neben drei anderen jenen der Niederlassung verwendet, und die unterschiedlichen Regelungszwecke für die Auslegung des § 3 Abs. 3 ASVG unmaßgeblich.

Aber auch das sowohl von der belangten Behörde als auch den Erst- bis Drittmitbeteiligten in den Vordergrund gestellte Doppelbesteuerungsabkommen mit Japan stellt keine vom Zweck her vergleichbare Regelung dar, die es gestattete, den in diesem Abkommen umschriebenen Begriff der Betriebsstätte für die Auslegung dieses Begriffes in § 3 Abs. 3 ASVG heranzuziehen. Denn Doppelbesteuerungsabkommen sind zweiseitige völkerrechtliche Verträge (Staatsverträge), in denen die Besteuerungsrechte der beteiligten Staaten so abgegrenzt werden, daß die materielle Doppelbesteuerung gemildert oder vermieden wird (Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts II2, 242; vgl. auch Neuner, Die Betriebsstätte im zwischenstaatlichen Steuerrecht, Finanzjournal 1987, 167 ff). Eine Vergleichbarkeit könnte daher, wenn überhaupt, nur dann in Betracht kommen, wenn es um die Auslegung einer zwischenstaatlichen Regelung im Sinne des Eingangssatzes des § 3 Abs. 3 ASVG mit dem Zweck einer Vermeidung oder Milderung einer Doppelbelastung der Beteiligten eines Beschäftigungsverhältnisses ginge; mangels einer solchen Regelung könnte nur jene des § 29 BAO, in der der Begriff der Betriebsstätte in einer mit dem Doppelbesteuerungsabkommen nicht immer übereinstimmenden Art (vgl. dazu Neuner, Betriebsstätte, Finanzjournal 1987, 167, und Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts I, 148) umschrieben wird, herangezogen werden. Dies würde aber an der obigen Auslegung nichts ändern (vgl. dazu Reger-Stoll, Bundesabgabenordnung, 160 ff; und Stoll, Bundesabgabenordnung, Handbuch, 82 ff mit ausführlichen Judikaturhinweisen).

Da die belangte Behörde nach den obigen Darlegungen dem Wiener Büro der Erstmitbeteiligten auf Grund einer unrichtigen Auslegung des § 3 Abs. 3 ASVG die Eigenschaft einer "Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage)" im Sinne des § 3 Abs. 3 ASVG abgesprochen hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Wien, am 4. Juli 1989

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte