Normen
ASVG §412 Abs1;
ASVG §415;
AVG §71 Abs4;
ASVG §412 Abs1;
ASVG §415;
AVG §71 Abs4;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 5. August 1986 schrieb die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse dem Beschwerdeführer als Dienstgeber allgemeine Beiträge in Höhe von S 342.799,40, Sonderbeiträge in Höhe von S 75.993,70 und einen Beitragszuschlag in Höhe von S 64.400,-- vor. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer nach dem vorliegenden Rückschein am 21. August 1986 im Wege der Ersatzzustellung zugestellt.
Am 26. September 1986 langte bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse ein am 25. September 1986 zur Post gegebenes, auf dem Geschäftspapier des Beschwerdeführers geschriebenes und mit der Geschäftsstampiglie des Beschwerdeführers und dem Namenszug "i.V. F" gefertigtes Schreiben vom 23. September 1986 folgenden Inhaltes ein:
"Betreff: Beitragskonto Nr. 750-0609/8/N/93 Bescheid vom 5.8.1986
Da unsere zuständige Dame zu diesem Zeitpunkt, wo wir den Bescheid (wie oben angeführt) erhalten haben, ist uns leider der Fehler zum fristgemäßen Einspruchstermin unterlaufen. Wir bitten Sie deshalb unseren Einspruch noch stattzugeben, damit wir die Möglichkeit haben, mit unserem Steuerbüro, die Fakten durchzugehen. Wir bedanken uns im Vorhinein für Ihr Verständnis und verbleiben in freundlicher
Hochachtung
..................."
Dieses Schreiben beantwortete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse mit Schreiben vom 1. Oktober 1986 dahin, dass die unerstreckbare Einspruchsfrist am 22. September 1986 abgelaufen sei und dass ein nach Ablauf der Einspruchsfrist eingebrachter Einspruch von der belangten Behörde als verspätet eingebracht zurückgewiesen werden müsste.
Daraufhin gab der Beschwerdeführer am 14. Oktober 1986 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "in die Frist zur Erhebung des Einspruches gegen den Bescheid der OÖ. Gebietskrankenkassa vom 1.10.1986" (richtig: 5. August 1986) zur Post. Darin machte er im wesentlichen geltend, dass er erst am 8. Oktober 1986 auf Grund des Schreibens der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 1. Oktober 1986 vom Bescheid vom 5. August 1986 Kenntnis erlangt habe. Dieser Bescheid sei von einer seiner Sekretärinnen entgegengenommen, ihm jedoch nicht vorgelegt worden. Zum Zeitpunkt der Zustellung habe er sich nicht in den Betriebsräumlichkeiten (Abgabestelle) befunden. Um den Fehler zu vertuschen, sei das Schreiben vom 23. September 1986 von einer Sekretärin verfasst worden. Beide Sekretärinnen hätten seine ausdrückliche Weisung, keinerlei Schriftstücke, welche mittels Rückschein oder eingeschrieben zugestellt werden, zu übernehmen.
Diesen Wiedereinsetzungsantrag legte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse der belangten Behörde mit dem Antrag vor, ihn abzuweisen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde "als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung und als Rechtsmittelbehörde" dem Antrag des Beschwerdeführers vom 14. Oktober 1986 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 keine Folge.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift ebenso wie die mitbeteiligte Partei die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Bei der Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag handelt es sich um einen verfahrensrechtlichen Bescheid. Solche Bescheide unterliegen grundsätzlich denselben Vorschriften, die für den Instanzenzug in der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Angelegenheit maßgebend sind (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 2. März 1950, Slg. Nr. 1286/A). Den Gegenstand des Verfahrens bildet hier die Frage der Berechtigung der Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen und eines Beitragszuschlages. Bescheide des Landeshauptmannes als Einspruchsbehörde nach § 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG, die diese Fragen - als Hauptfrage - zum Gegenstand haben, unterliegen aber der im § 415 ASVG angeordneten Beschränkung des Rechtszuges. Danach steht in diesen Fällen eine Berufung an den Bundesminister nicht zu. Da diese Beschränkung des Instanzenzuges nach dem oben dargestellten Grundsatz auch für verfahrensrechtliche Bescheide in solchen Angelegenheiten gilt, liegt beim angefochtenen Bescheid das in Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG für die Zulässigkeit einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof aufgestellte Erfordernis der Erschöpfung des Instanzenzuges vor. Die Beschwerde ist daher zulässig.
Gemäß § 357 Abs. 1 ASVG gelten für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen und in Verwaltungssachen unter anderem die Bestimmungen der §§ 71 und 72 AVG 1950 über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Gemäß § 71 Abs. 4 AVG 1950 ist zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Da ein Einspruch gegen den Bescheid eines Versicherungsträgers gemäß § 412 Abs. 1 dritter Satz ASVG bei dem Versicherungsträger einzubringen ist, der den Bescheid erlassen hat, ist dieser Versicherungsträger auch zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruches zuständig.
Für den Beschwerdefall folgt daraus, dass über den vom Beschwerdeführer gestellten Wiedereinsetzungsantrag die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in erster Instanz zu entscheiden gehabt hätte. Dadurch, dass die belangte Behörde an Stelle der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse über diesen Antrag absprach, nahm sie eine ihr nicht zustehende Zuständigkeit in Anspruch. Diese Rechtswidrigkeit hat der Verwaltungsgerichtshof auch ohne entsprechende Rüge in der Beschwerde von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 2. Dezember 1976, Slg. Nr. 9191/A).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG. Das auf den Ersatz von Stempelmarken gerichtete Mehrbegehren war zufolge der im § 110 ASVG verankerten sachlichen Abgabenfreiheit abzuweisen.
Wien, am 29. Juni 1987
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