VwGH 87/05/0117

VwGH87/05/011722.9.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde 1. des HS und

2. der ES, beide in M, beide vertreten durch Dr. Robert Hein, Rechtsanwalt in Wien VIII, Laudongasse 26, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 8. April 1987, Zl. II/2- V-86188, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien:

1. Dr. WW in M, A-gasse nn, 2. Stadtgemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §14;
AVG §15;
AVG §37;
AVG §42 Abs1;
AVG §44;
AVG §47 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
BauO NÖ 1976 §118 Abs1;
BauRallg;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2;
VwRallg;
AVG §14;
AVG §15;
AVG §37;
AVG §42 Abs1;
AVG §44;
AVG §47 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
BauO NÖ 1976 §118 Abs1;
BauRallg;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

 

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 9.646,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem auf Grund eines Rechtsmittels der Beschwerdeführer im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 16. Juli 1986 wurde der erstmitbeteiligten Partei dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Wohnhausanlage mit fünf Wohnungen und fünf Garagen auf den Grundstücken Nr. nnn/1 und nnn/7, EZ. nnn0 und nnn1 des Grundbuches über die Kat. Gem. X, erteilt, wobei Präklusion der Beschwerdeführer angenommen worden ist.

Die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 8. April 1987 gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973 als unbegründet abgewiesen. Auch die Aufsichtsbehörde ist davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführer bei der im Gegenstande stattgefundenen Bauverhandlung keine Einwendungen erhoben haben und daher hinsichtlich ihres Vorbringens gegen das in Rede stehende Bauvorhaben präkludiert seien.

 

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligten Parteien erwogen:

Gemäß § 42 Abs. 1 AVG 1950 finden im Falle ordnungsgemäßer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung Einwendungen, die nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung, die Beteiligten werden vielmehr dem Vorhaben, das den Gegenstand der Verhandlung bildet, als zustimmend angesehen.

Diese Regelung ist - entgegen der Meinung der Beschwerdeführer - zufolge § 118 Abs. 1 der NÖ Bauordnung 1976 auch in einem nach den Bestimmungen dieser Bauordnung durchzuführenden Verfahren anzuwenden, weil sich aus dieser Bauordnung hinsichtlich der Frage der Präklusion nichts anderes ergibt.

Eine Einwendung im Sinne des § 42 AVG 1950 setzt die Geltendmachung der Verletzung eines subjektiven-öffentlichen Rechtes voraus; sie ist ihrer begrifflichen Bestimmung nach ein Vorbringen einer Partei des Verfahrens, welches seinem Inhalt nach behauptet, das Vorhaben des Bauwerbers entspreche insoweit zur Gänze oder hinsichtlich eines Teiles nicht den Bestimmungen der Rechtsordnung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1985, Zl. 85/05/0044, BauSlg. Nr. 581). Die Rechtsfolge des § 42 Abs. 1 AVG 1950 ist nicht nur von den Behörden aller Instanzen, sondern auch von der Aufsichtsbehörde im Vorstellungsverfahren und sogar vom Verwaltungsgerichtshof zu beachten, sodass nur jene Einwendungen des Nachbarn berücksichtigt werden können, die bis zum Abschluss der Verhandlung vorgebracht worden sind (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 9. Dezember 1986, Zl. 86/05/0126).

Nach dem Wortlaut der Niederschrift über die im Gegenstande abgehaltene Bauverhandlung, zu welcher die Beschwerdeführer unter Hinweis auf die erwähnten Präklusionsfolgen geladen worden sind, hat sich der Erstbeschwerdeführer, der auch für die Zweitbeschwerdeführerin an dieser Verhandlung teilgenommen hat, "vor Schluss der Verhandlung nach Abgabe der Erklärung" entfernt, "sich das Recht einer ev. Berufung nach Zustellung eines Bescheides vorzubehalten". Die Beschwerdeführer sind zwar in ihrer gegen den erstinstanzlichen Bescheid gerichteten Berufung dieser im Bescheid ausdrücklich erwähnten Sachverhaltsannahme der Behörde nicht entgegengetreten und haben auch keine Einwendungen gegen die Niederschrift erhoben, aber in ihrer Vorstellung gegen den Berufungsbescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vorgebracht, dass der Erstbeschwerdeführer sehr wohl sachliche Einwendungen erhoben habe, "wenn auch vielleicht nicht ausdrücklich als solche bezeichnet". Er habe insbesonders darauf hingewiesen, dass die Parzelle nnn/1 zu dicht verbaut werde und die Fläche der Parzelle nnn/7 für die Berechnung der Bebauungsdichte nicht herangezogen werden dürfe. Dieses Vorbringen sei jedoch nicht protokolliert worden, vielmehr sei der Erstbeschwerdeführer mit dem Hinweis vertröstet worden, dass die von ihm angesprochenen Vorschriften der Bauordnung ohnehin von Amts wegen zu berücksichtigen seien und ihm jedenfalls die Möglichkeit einer Berufung offen stehe. Er sei "über die Rechtsfolgen der Nichtprotokollierung in Irrtum geführt worden".

Hat sich eine Person vor Abschluss der Niederschrift oder des ihre Aussage enthaltenden Teiles der Niederschrift entfernt, so ist gemäß § 14 Abs. 3 AVG 1950 unter Angabe des Grundes, aus dem die Fertigung nicht erfolgte, die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe von dem die Amtshandlung leitenden Organ aus drücklich zu bestätigen. Obwohl sich der Erstbeschwerdeführer entsprechend dem vorstehend wiedergegebenen Inhalt der Niederschrift vor Schluss der in Rede stehenden Bauverhandlung nach Abgabe einer Erklärung entfernt hat, enthält die im Akt erliegende Ausfertigung dieser Niederschrift nicht den geforderten Vermerk über die Richtigkeit der Wiedergabe dieses Geschehens und entspricht daher insoweit nicht dem Gesetz. Daraus folgt aber, dass die Niederschrift auch dann keinen vollen Beweis für die Richtigkeit des bezeugten Vorganges liefert, wenn gegen sie keine Einwendungen im Sinne einer Protokollrüge erhoben worden sind, wobei dann nicht der Partei der Gegenbeweis obliegt, sondern die Behörde durch geeignete Ermittlungen von Amts wegen den Beweis über den Inhalt der Amtshandlung aufzunehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1986, Zl. 86/04/0058). Die belangte Behörde hätte sich daher in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, dass eine gemäß § 14 AVG 1950 aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis liefert, sondern insbesondere klarstellen müssen, welches Vorbringen die Beschwerdeführer erstattet haben: Ist doch die Frage der Bebauungsdichte von ihnen nur beispielsweise (arg. "insbesonders") erwähnt worden, sodass noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche Einwendungen die Beschwerdeführer bei der erwähnten Bauverhandlung erhoben haben. Durch die Unterlassung diesbezüglicher Ermittlungen sind die Beschwerdeführer in ihren Rechten verletzt worden, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war, ohne noch auf das übrige Beschwerdevorbringen eingehen zu müssen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit den Bestimmungen der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren der Beschwerdeführer war abzuweisen, weil für den lediglich in einfacher Ausfertigung vorzulegenden angefochtenen Bescheid nur s 60,-- an Stempelgebühr zu entrichten war.

Wien, am 22. September 1987

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte