VwGH 86/07/0001

VwGH86/07/000122.4.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Salcher, Dr. Hoffmann, Dr. Fürnsinn und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Pinter, über die Beschwerde der J T in T, vertreten durch Dr. Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Villacher Ring 59, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 8. November 1985, Zl. 410.612/04-I 4/85, betreffend Abweisung eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
AVG §73 Abs2;
WRG 1959 §138 Abs1;
WRG 1959 §138 Abs2;
WRG 1959 §27 Abs1 litg;
AVG §38;
AVG §73 Abs2;
WRG 1959 §138 Abs1;
WRG 1959 §138 Abs2;
WRG 1959 §27 Abs1 litg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Eingabe vom 14. September 1984 beantragte die Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft als betroffene Grundeigentümerin beim Landeshauptmann von Kärnten als Wasserrechtsbehörde erster Instanz die Einstellung des Betriebes der mit Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 2. März 1984 gemäß § 27 Abs. 1 lit. g WRG 1959 für erloschen erklärten Wasserkraftanlage B der J.

2. Mit Schriftsatz vom 2. April 1985 stellte die Beschwerdeführerin beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft als der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 das Verlangen auf Übergang der Entscheidungspflicht, da der Landeshauptmann von Kärnten bis zu diesem Zeitpunkt über den unter 1. genannten Antrag der Beschwerdeführerin nicht entschieden hatte.

3. Mit Bescheid vom 8. November 1985 wies der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft (die belangte Behörde) den Antrag der Beschwerdeführerin auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der von ihr herangezogenen Gesetzesstelle folgendes aus: Die J sei mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid (des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft) vom 16. August 1984 gemäß § 138 Abs. 2 WRG 1959 verpflichtet worden, binnen sechs Wochen um wasserrechtliche Bewilligung für die Wasserkraftanlage B anzusuchen oder die konsenslos betriebene Anlage binnen zwölf Monaten zu beseitigen. Das Unternehmen habe fristgerecht um wasserrechtliche Bewilligung angesucht. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 15. März 1985 sei der Konsenswerberin unter Vorschreibung verschiedener Auflagen die wasserrechtliche Bewilligung erteilt worden. Dagegen hätten sowohl die Konsenswerberin als auch die nunmehrige Beschwerdeführerin berufen; das Berufungsverfahren sei derzeit noch anhängig. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Einstellung des Betriebes hindere die Wasserrechtsbehörde nicht, das Verfahren über das vom konsenswerbenden Unternehmen gestellte Begehren um nachträgliche Bewilligung der konsenslos betriebenen Wasserkraftanlage einzuleiten und hierüber zu entscheiden. Erst nach Maßgabe der rechtskräftigen Entscheidung über diesen Bewilligungsantrag sei zu erkennen, ob und inwiefern dem Antrag auf Einstellung des Betriebes stattgegeben werden könne. Daraus ergebe sich, dass die Durchführung des wasserrechtlichen Bewilligungsverfahrens eine Vorfrage darstelle, deren rechtskräftige Beurteilung erst die Entscheidung über den besagten Antrag der Beschwerdeführerin ermögliche. Da das wasserrechtliche Bewilligungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, könne die Verzögerung bei der Entscheidung nicht auf das ausschließliche Verschulden der Erstinstanz zurückgeführt werden, weshalb der Devolutionsantrag abzuweisen gewesen sei.

4. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch diesen Bescheid in dem Recht auf Entscheidung über ihren Antrag vom 14. September 1984 mit dem Ziel, dass der Betrieb der nicht bewilligten Wasserkraftanlage B eingestellt werde, verletzt. Sie begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 73 Abs. 1 AVG 1950 sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Nach Abs. 2 dieses Paragraphen geht, wenn der Partei innerhalb dieser Frist der Bescheid nicht zugestellt wird, auf ihr schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

2.1. Die belangte Behörde verneinte in der Begründung des bekämpften Bescheides ein ausschließliches Verschulden der Behörde erster Instanz an der Verzögerung der Entscheidung über den verfahrensgegenständlichen Antrag der Beschwerdeführerin im Hinblick darauf, dass die Entscheidung über den Bewilligungsantrag der J eine Vorfragenentscheidung darstelle, von deren Vorliegen das rechtliche Schicksal des Antrages der Beschwerdeführerin auf Einstellung des Betriebes der Wasserkraftanlage des genannten Unternehmens abhängig sei. Handelte es sich bei der Frage der wasserrechtlichen Bewilligung der in Rede stehenden Wasserkraftanlage tatsächlich um eine gemäß § 38 AVG 1950 relevante Vorfrage in Bezug auf die im Beschwerdefall zu entscheidende Hauptfrage der Einstellung des Betriebes eben dieser Anlage, so wäre der von der belangten Behörde aus dem Nichtvorliegen dieser Vorfragenentscheidung gezogene Schluss auf das Fehlen einer schuldhaften Verzögerung der Entscheidung durch die Erstinstanz im Sinne des § 73 Abs. 2 dritter Satz AVG 1950 zutreffend (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1969, Slg. Nr. 7632/A).

Die Beschwerdeführerin vertritt entgegen der Meinung der belangten Behörde - zwar mit untauglicher Begründung, aber im Ergebnis zu Recht - die Ansicht, die Beurteilung der Frage der wasserrechtlichen Bewilligung der Anlage als Vorfrage sei im gegebenen Zusammenhang verfehlt.

2.2. Unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell - und somit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, d.h. eine notwendige Grundlage ist, und die diese Rechtsfrage in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1981, Zl. 81/11/0059).

Dass die wesentliche Voraussetzung für die Qualifikation einer Frage als Vorfrage im hier bedeutsamen Sinn, nämlich die Unentbehrlichkeit der Beantwortung dieser Frage für die Entscheidung der Hauptfrage, im Beschwerdefall vorliegt, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen. Es steht außer Streit, dass das Wassernutzungsrecht zum Betrieb der Wasserkraftanlage B erloschen ist (Feststellung mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. März 1984). Unter Zugrundelegung der Ausführungen in der Beschwerde wie auch in der Begründung des bekämpften Bescheides wird die Anlage ungeachtet dessen - konsenslos betrieben. Um diesen gesetzwidrigen Zustand zu beseitigen, hat die J - in Befolgung des auf § 138 Abs. 2 WRG 1959 gestützten in Rechtskraft erwachsenen, Alternativauftrages der belangten Behörde - um Erteilung der nachträglichen wasserrechtlichen Bewilligung der Wasserkraftanlage angesucht. Wenn die belangte Behörde dazu meint, der Antrag der Beschwerdeführerin auf Einstellung des (nach wie vor) bewilligungslosen Betriebes der Anlage hindere die Behörde nicht an der Durchführung des durch das nachträgliche Ansuchen des Unternehmers in Gang gesetzten Bewilligungsverfahrens und an dessen bescheidmäßigem Abschluss, so trifft dies durchaus zu. Die belangte Behörde verkennt aber hiebei - und dies allein ist die aus der Sicht des Beschwerdefalles dem Gesetz entsprechende Betrachtungsweise -, dass das Anhängigsein eines Bewilligungsverfahrens einer Entscheidung über das von der Beschwerdeführerin gestellte Begehren in keiner Weise hinderlich entgegensteht. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend darlegt, ist der Antrag der Beschwerdeführerin auf Einstellung des konsenslosen Betriebes der Wasserkraftanlage nach § 138 Abs. 1 WRG 1959 zu beurteilen; es geht um das Verlangen eines Betroffenen auf Beseitigung eigenmächtig vorgenommener Neuerungen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. März 1959, Slg. Nr. 4913/A). Um über ein solches Begehren absprechen zu können, bedarf es nicht des Zuwartens auf die Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche wasserrechtliche Bewilligung der Anlage, kann doch keine Rede davon sein, dass das Vorliegen eines solchen Abspruches ein Tatbestandselement des § 138 Abs. 1 WRG 1959 bildet.

Die belangte Behörde ist demnach mit ihrer Einstufung der Frage der wasserrechtlichen Bewilligung als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 einem Rechtsirrtum unterlegen.

2.3. Eine zur Abweisung des Devolutionsantrages führende nicht ausschließlich auf einem Verschulden der Behörde beruhende Verzögerung der Entscheidung ist nur dann zu bejahen, wenn diese Verzögerung durch ein Verschulden der Partei oder durch ein unüberwindliches - dazu gehört auch ein gesetzliches - Hindernis verursacht worden ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 1977, Zl. 1146/76). Keines der angeführten Kriterien ist im vorliegenden Fall erfüllt: Es bietet die Aktenlage keinen Anhaltspunkt noch wird von der belangten Behörde behauptet, dass die Erstinstanz an der fristgerechten Entscheidung über das Begehren auf Betriebseinstellung durch das Verschulden der Beschwerdeführerin gehindert worden wäre. Das von der belangten Behörde angenommene unüberwindliche Hindernis dergestalt, dass die Entscheidung über eine präjudizielle Rechtsfrage (Vorfrage gemäß § 38 AVG 1950) noch ausstehe, wurde von ihr, wie dargetan, zu Unrecht als Ursache für die Verzögerung der erstinstanzlichen Entscheidung ins Treffen geführt. Andere allenfalls als unüberwindliche Hindernisse zu wertende Umstände wurden im bekämpften Bescheid nicht aufgezeigt und sind auch nicht hervorgekommen.

Die belangte Behörde durfte sohin nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Verzögerung der Entscheidung durch die Wasserrechtsbehörde erster Instanz nicht ausschließlich auf deren Verschulden zurückzuführen sei.

3. Da nach dem Gesagten der den Antrag der Beschwerdeführerin auf Übergang der Entscheidungspflicht abweisende angefochtene Bescheid auf einer mit der Rechtslage nicht in Einklang stehenden Beurteilung der im Beschwerdefall entscheidenden Rechtsfrage beruht, wurde die Beschwerdeführerin durch diesen Bescheid in ihrem vom Beschwerdepunkt (I.4.) umfassten subjektiven Recht, dass (nach Stattgebung des Devolutionsantrages) über ihren Antrag vom 14. September 1984 entschieden werde, verletzt.

Der in Beschwerde gezogene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Das Mehrbegehren musste abgewiesen werden, weil für die beiden Beschwerdeausfertigungen nur jeweils S 120,-- an Stempelgebühren zu entrichten waren.

Wien, am 22. April 1986

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