VwGH 84/17/0213

VwGH84/17/021313.11.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Kramer, Dr. Wetzel und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kowalski über die Beschwerde des Dr. JV in S, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 22. Oktober 1984, Zl. II-V-10/3-1984, betreffend Kanalanschlußgebühren für das Haus S Nr. 9 (mitbeteiligte Partei: Gemeinde S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §73 Abs2;
B-VG Art119a Abs5;
EGVG 2008 Art2 Abs5;
GdO Bgld 1965 §77 Abs2;
GdO Bgld 1965 §87 Abs1;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art119a Abs5;
EGVG 2008 Art2 Abs5;
GdO Bgld 1965 §77 Abs2;
GdO Bgld 1965 §87 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Eingabe vom 2. März 1983 beantragte der Beschwerdeführer die Erlassung eines endgültigen Abgabenbescheides des Bürgermeisters der Gemeinde S betreffend die Kanalanschlußgebühr für das Haus S Nr. 9. Der im Devolutionsweg zuständig gewordene Gemeinderat der Gemeinde S erließ hierauf den endgültigen Bescheid vom 30. April 1984, gegen den der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 5. Mai 1984, bei der Gemeinde eingelangt am 8. Mai 1984, Vorstellung erhob.

Da die Bezirkshauptmannschaft Oberwart als Gemeindeaufsichtsbehörde säumig geworden war, brachte der Beschwerdeführer am 15. November 1984 bei der Burgenländischen Landesregierung einen Devolutionsantrag ein.

1.2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 22. Oktober 1984 wurde der Bescheid des Gemeinderates vom 30. April 1984 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen. Dieser Vorstellungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer am 4. Dezember 1984 zugestellt.

1.3. Gegen den zuletzt genannten Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der der Beschwerdeführer u.a. geltend macht, daß die Zuständigkeit zur Entscheidung infolge des Devolutionsantrages vom 15. November 1984 auf die Burgenländische Landesregierung übergegangen sei und die Bezirkshauptmannschaft Oberwart den angefochtenen Vorstellungsbescheid nicht mehr hätte erlassen dürfen.

1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Auf das Verfahren vor den Gemeindeaufsichtsbehörden im Burgenland sind auch in der vorliegenden Abgabenangelegenheit die Bestimmungen des AVG 1950 anzuwenden, da § 87 Abs. 1 der Burgenländischen Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 37/1965 (im folgenden: Bgld GdO), lege non distinguente auch die Angelegenheiten der Abgaben miteinschließt und somit im Sinne des Art. II Abs. 5 EGVG 1950 "ausdrücklich etwas anderes" (nämlich etwas anderes als die Anwendung der Abgabenvorschriften) "bestimmt ist".

2.2.1. § 73 Abs. 1 und 2 AVG 1950 lauten:

"(1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.

(2) Wird der Partei innerhalb der Frist der Bescheid nicht zugestellt, so geht auf ihr schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist."

2.2.2. Die Frist, nach deren Ablauf ein Devolutionsantrag gestellt werden kann, läuft (gleich jener vor Erhebung einer Säumnisbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof) von dem Tage, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war, und nicht von dem Tage, an dem er zur Post gegeben wurde (hg. Erkenntnis vom 26. April 1960, Slg. N. F. Nr. 5280/A, zur Frist nach § 73 Abs. 1 AVG, Beschluß vom 15. April 1964, Slg. N. F. Nr. 6304/A, zur Säumnisbeschwerde).

Das Einlangen des Antrages auf Sachentscheidung bei der gesetzlich vorgesehenen Einbringungsstelle ist aber auch in der Hinsicht beachtlich, daß es auf das Eintreffen bei der zur Entscheidung zuständigen Behörde nicht ankommt, mit anderen Worten, daß der Dienstweg zur Antrags- und Aktenvorlage die Entscheidungsfrist nicht zu Lasten der Partei verlängert. Dies gilt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch für den Lauf der Frist zur Entscheidung über eine nach § 77 Abs. 2 erster Satz Bgld GdO ausdrücklich bei der Gemeinde einzubringende und nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle von der Gemeinde unverzüglich, spätestens jedoch einen Monat nach Einlangen der Aufsichtsbehörde vorzulegende Vorstellung durch die Vorstellungsbehörde. Vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlichen Regelung des Art. 119 a Abs. 5 B-VG, wonach derjenige, der durch den Bescheid eines Gemeindeorgans in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, Vorstellung "bei der Aufsichtsbehörde erheben kann", gebietet es nämlich der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung, die zitierte Bestimmung der Burgenländischen Gemeindeordnung keinesfalls so zu deuten, daß der Vorstellungswerber durch diese landesgesetzliche Bestimmung der Gemeinde als Einbringungsstelle eine schlechtere Rechtsstellung erhielte, als dies bei Bezeichnung der Aufsichtsbehörde selbst als Einbringungsstelle (wie z.B. nach der Salzburger Gemeindeordnung) der Fall wäre. Die Frist für die Entscheidung der Vorstellungsbehörde ist somit vom Einlangen der Vorstellung bei der in § 77 Abs. 2 erster Satz Bgld GdO als Einbringungsstelle bezeichneten Gemeinde zu berechnen; sie verlängert sich nicht zu Lasten des Vorstellungswerbers durch die im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle der Gemeinde eingeräumte Vorlagefrist.

Im vorliegenden Fall ist die Vorstellung vom 5. Mai 1984 bei der Gemeinde S, bei der sie einzubringen war (§ 77 Abs. 2 Bgld GdO), am 8. Mai 1984 eingelangt. Der Devolutionsantrag ist am 15. November 1984 und somit nach Ablauf der Entscheidungsfrist von sechs Monaten bei der Burgenländischen Landesregierung eingebracht worden.

2.2.3. Wird der Partei innerhalb der genannten Frist der Bescheid nicht zugestellt, so tritt, wie sich aus dem Wortlaut des § 73 Abs. 2 erster Satz AVG 1950 ergibt, die Rechtswirkung des Verlangens nach Übergang der Entscheidungspflicht unmittelbar mit der Einbringung dieses Verlangens bei der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde ein (hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1969, Zl. 479/67). Zu dem Zeitpunkt des Einlangens des Devolutionsantrages bei der Oberbehörde war unabhängig davon, ob die Unterbehörde tatsächlich schuldhaft säumig im Sinne des § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG 1950 gewesen war oder nicht sowie ohne Rücksicht darauf, wann die Unterbehörde von der Anrufung der Oberbehörde Kenntnis erlangt und wann das zuständige Organ den Bescheidentwurf durch seine Unterschrift genehmigt hatte, nicht mehr diese Behörde, sondern die Oberbehörde zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers berufen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1969, Zl. 31/68).

Ungeachtet des Umstandes, daß der mit 22. Oktober 1984 datierte angefochtene Bescheid allenfalls bereits vor Ablauf der Sechsmonatsfrist vom zuständigen Verwaltungsorgan genehmigt wurde, ist nach dem klaren Wortlaut des § 73 Abs. 2 AVG 1950 und der zitierten Rechtsprechung der Zeitpunkt seiner Erlassung, also seiner Zustellung am 4. Dezember 1984, maßgebend.

Die Erlassung des angefochtenen Bescheides am 4. Dezember 1984 erfolgte somit durch die in diesem Zeitpunkt bereits unzuständig gewordene belangte Behörde.

2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß der angefochtene Bescheid schon aus dem Grunde der vom Beschwerdeführer ausdrücklich geltend gemachten Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Bezirkshauptmannschaft Oberwart gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben war.

2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Stempelgebührenersatz war nur für vier Beschwerdeausfertigungen (S 480,--) und den angefochtenen Bescheid in einfacher Ausfertigung (S 30,--; § 14 TP 5 des Gebührengesetzes) zuzusprechen.

2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 13. November 1985

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