VwGH 83/11/0171

VwGH83/11/017117.10.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Dorner, Dr. Waldner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Schöller, über die Beschwerde des W H in W, vertreten durch Dr. Heinrich Waldhof, Rechtsanwalt in Wien I, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Burgenland vom 10. Juni 1983, Zl. IV/7022/7404 B Schu/Po, betreffend Insolvenz-Ausfallgeld, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
IESG §7 Abs1;
AVG §45 Abs2;
IESG §7 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.285,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt vom 9. Jänner 1981, AZ. 4 Nc 1065/80, wurde der Antrag der G-Gesellschaft mbH in W auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Firma R Z, Internationale Transporte, mangels eines kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

Am 16. Februar 1981, modifiziert am 9. April 1981, begehrte der Beschwerdeführer die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für nachstehende gesicherte Ansprüche gegen R Z, bei dem er vom 1. März 1979 bis 4. Juli 1979 als Fernfahrer beschäftigt gewesen sei: Lohn für März und Juni 1979 von je S 8.000,--, Wohnungsbeihilfe für März und Juni 1979 von zusammen S 60,--, anteilige Sonderzahlungen für die Zeit vom 1. März 1979 bis 5. Juli 1979 von S 5.435,62, Diäten für Fernfahrten von insgesamt S 8.000,--, S 5.450,-- aus dem Titel des Schadenersatzes sowie Zinsen im Gesamtbetrag von S 2.683,04. Der Beschwerdeführer habe weder während der Dauer seines Dienstverhältnisses mit R Z noch nach dessen Beendigung seine Ansprüche geltend machen können, weil die G-GesmbH (die ursprünglich ebenfalls einen Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld gestellt hatte, den sie jedoch in der Folge zurückzog) zur Hereinbringung einer Forderung gegen den Beschwerdeführer im Betrag von zirka S 15.000,-- seine Dienstbezüge gepfändet habe; die Überweisung zur Einziehung sei bewilligt worden. Da R Z trotz Pfändung und Überweisung keine Drittschuldneräußerung erstattet und keine Zahlung geleistet habe, habe die G-GesmbH beim Arbeitsgericht Eisenstadt zu Cr 43/79 und Cr 58/79 rechtskräftige Versäumungsurteile gegen R Z erwirkt. Dieser habe jedoch außer S 3.000,-- keine Zahlung geleistet. Da die G-GesmbH auf Grund der ihr überwiesenen Ansprüche des Beschwerdeführers gegen R Z Exekutionstitel erwirkt habe, lägen insoweit auch solche Titel für die Ansprüche des Beschwerdeführers vor. Da die eingeleiteten Exekutionsverfahren ergebnislos geblieben seien, habe die G-GesmbH beim Landesgericht Eisenstadt den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über R Z beantragt, der jedoch mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden sei.

Der zur Stellungnahme gemäß § 6 Abs. 4 IESG aufgeforderte ehemalige Dienstgeber des Beschwerdeführers R Z erklärte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 20. Oktober 1981, der Beschwerdeführer habe von ihm "seine gesamten Forderungen" bekommen. Er habe doch bei jeder Tour schon einen Teil im voraus geholt. Er (R Z) habe ihn sogar überzahlt, weil die Frau des Beschwerdeführers immer zusätzlich Geld benötigt habe und er den Schaden, den ihm der Beschwerdeführer zugefügt habe, überhaupt nicht in Rechnung stelle. Er sei seinen Fahrern keinen Groschen schuldig geblieben. H L und B S könne man fragen.

Mit Bescheid vom 16. Juli 1982 lehnte das Arbeitsamt Eisenstadt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 IESG ab. In der Bescheidbegründung führte die erstinstanzliche Behörde aus, der Beschwerdeführer habe an geeigneten Beweismitteln für die behaupteten Forderungen im Gesamtbetrag von S 37.628,66 lediglich die schon oben genannten Versäumungsurteile neben Nachweisen über das Dienstverhältnis beigeschlossen. Sonstige Nachweise, die die begehrten Forderungen als gesicherte Forderungen erscheinen ließen, seien trotz einer ergangenen Aufforderung nicht nachgereicht worden. Die von der G-GesmbH erwirkten Versäumungsurteile stellten zwar ein Hilfsmittel für die Entscheidung dar, eine "gerichtliche" Bindung an solche Urteile sei jedoch nicht gegeben. Wie das Ermittlungsverfahren weiters ergeben habe, seien sämtliche Forderungen vom Dienstgeber im Forderungsverzeichnis wegen Nichtbestehens bestritten worden. Die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Dienstgebers hinsichtlich der Begleichung der Verpflichtungen aus dem Dienstverhältnis habe durch weitere Erhebungen festgestellt werden können. In Ermangelung eines gesicherten Grundanspruches sei auch die Zinsenforderung abzuweisen gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid keine Folge und bestätigte ihn aus seinen zutreffenden Gründen. Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung der erstinstanzlichen Behörde zunächst Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorgeworfen, da ihm das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht zur Kenntnis und Stellungnahme vorgelegt worden sei. Dieser Vorwurf sei unbegründet, da die erstinstanzliche Behörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 1. Dezember 1981 das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Davon habe er auch Gebrauch gemacht. Er werfe dem erstinstanzlichen Bescheid auch Rechtsmangel insoweit vor, als der Bestreitung einer offenen Forderung seitens des Dienstgebers des Beschwerdeführers Relevanz beigemessen worden sei, nach Auffassung des Beschwerdeführers aber die Behörde bei richtiger Beweiswürdigung den Aussagen des Dienstgebers keine Glaubwürdigkeit hätte beimessen dürfen. Hiezu verweise die belangte Behörde auf § 45 Abs. 2 AVG 1950, wonach die Behörde die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in freier Überzeugung zu beurteilen habe. Die Aussage des Dienstgebers sei durch niederschriftliche Aussagen der übrigen Arbeitnehmer der Firma erhärtet worden, wonach es bei den Lohnzahlungen der Firma Z keine Schwierigkeiten gegeben habe. Man müsse somit der erstinstanzlichen Behörde zubilligen, daß sie bei der freien Beweiswürdigung nach bestem Wissen und Gewissen vorgegangen sei. Die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld sei nur insoweit möglich, als der Anspruch durch ein schlüssiges Beweisverfahren erwiesen sei. Die vom Beschwerdeführer im Zuge des Verfahrens vorgelegten Nachweise über angebliche offene Forderungen gegen seinen ehemaligen Dienstgeber wie Auszahlungsquittungen, Einzahlungsbestätigungen etc. hätten sich als ungeeignet erwiesen. Weitere Beweisanträge seien trotz Aufforderung weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungsverfahren gestellt worden. Obwohl die belangte Behörde hinsichtlich des vom Beschwerdeführer behaupteten Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld ein eigenes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe und bemüht gewesen sei, den wahren Sachverhalt von Amts wegen festzustellen und den Dienstgeber unter Vorweis der Ein- und Auszahlungsbelege des Beschwerdeführers niederschriftlich unter Hinweis auf die Wahrheitspflicht einvernommen habe, habe dieser die Nachweise nicht anerkannt und überhaupt das Bestehen einer offenen Forderung des Beschwerdeführers bestritten. Es sei somit auch der belangten Behörde nicht möglich gewesen, die behauptete offene Forderung an den Dienstgeber als erwiesen anzunehmen. Insofern der Beschwerdeführer der erstinstanzlichen Behörde zum Vorwurf mache, sie verkenne die Rechtskraftwirkung der Bindung an die im Verfahren vorgelegten gerichtlichen Urteile, werde darauf verwiesen, daß diese Rechtsansicht in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 14. Dezember 1979, Zl. 2920/78) Deckung finde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde beantragt in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt der Beschwerdeführer darin, daß die belangte Behörde - entgegen § 7 Abs. 1 erster Satz IESG - eine Bindungswirkung gegenüber den ergangenen Versäumungsurteilen verneint habe. Der Hinweis auf die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sei insoweit irreführend, als sich dieses Erkenntnis nur mit dem zweiten Satz des § 7 Abs. 1 IESG beschäftige und ausspreche, daß eine Bindung an die unbestrittene Anmeldung im Konkurs nicht unbedingt gegeben sei.

Dieser Einwand ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in dem zitierten Erkenntnis vom 14. Dezember 1979, Slg. Nr. 9992/A, nicht nur mit der Auslegung des § 7 Abs. 1 zweiter Satz IESG, sondern auch mit jener des ersten Satzes dieser Bestimmung befaßt und ausgesprochen, daß gerichtliche Entscheidungen, deren prozessuale Grundlage allein die Parteiendisposition ist (z.B. also Versäumungs- und Anerkenntnisurteile), hinsichtlich der Qualifizierung eines Anspruches als gesicherten, nicht bindend im Sinne des § 7 Abs. 1 erster Satz sind. Der Verwaltungsgerichtshof hält diese Auffassung aufrecht. Die belangte Behörde hatte daher, wie sie zu Recht betont, nach dem letzten Satz des § 7 Abs. 1 IESG nach § 45 Abs. 2 AVG 1950 unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob die Behauptung des Beschwerdeführers, es seien seine behaupteten Ansprüche aus dem Dienstverhältnis mit R Z nicht erfüllt worden, als erwiesen anzusehen ist oder nicht.

Gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung wendet der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ein, es wäre zumindest "die Frage zu erheben gewesen", warum der Dienstgeber sich habe verurteilen lassen, wenn er dem Beschwerdeführer nichts schuldig gewesen sei. Er habe auf die Sachverhaltsfeststellung keinen Einfluß gehabt, da er auf die Fragestellung keine Ingerenz gehabt habe. Die belangte Behörde meine weiters, die erstinstanzliche Behörde sei bei der freien Beweiswürdigung nach bestem Wissen und Gewissen vorgegangen. Dies sei augenscheinlich nicht der Fall gewesen, da die erstinstanzliche Behörde die vorhandenen und vorliegenden Exekutionstitel nicht einmal zum Gegenstand der Befragung des ehemaligen Dienstgebers des Beschwerdeführers verwendet habe.

Dieser Einwand ist begründet. Der im § 45 Abs. 2 AVG 1950 verankerte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet, daß für den Beweis einer Tatsache nicht irgendwelche Beweisregeln, sondern allgemein der "innere Wahrheitsgehalt" der Ergebnisse ausschlaggebend ist; bei der Feststellung dieses inneren (materiellen) Wahrheitsgehaltes hat die Behörde schlüssig im Sinne der Denkgesetze vorzugehen. Diese behördliche Beurteilung unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in der Richtung, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d. h. ob sie unter anderem den Denkgesetzen sowie dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Wesentliche Mängel der Sachverhaltsdarstellung einschließlich der Beweiswürdigung führen zur Aufhebung eines Bescheides (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 1984, Zl. 11/2677/80 und Zl. 11/3037/80, mit weiteren Judikaturhinweisen). Die von der belangten Behörde (zum Teil unter Übernahme von Erwägungen der erstinstanzlichen Behörde) getroffene Beweiswürdigung beruht, wie der Beschwerdeführer zutreffend betont, auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren. Der Beschwerdeführer hat nämlich in seinem Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld behauptet, er habe weder während seines Dienstverhältnisses noch nach dessen Beendigung die ihm gebührenden Entgeltansprüche gegen R Z geltend machen können, weil diese Ansprüche zugunsten der G-GesmbH gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden seien. Da R Z aber der ihm aus dieser Überweisung obliegenden Verpflichtung nicht nachgekommen sei, seien gegen ihn Versäumungsurteile zugunsten der Überweisungsgläubigerin ergangen. R Z habe aber auch darnach keinerlei Zahlungen an die Überweisungsgläubigerin geleistet, weshalb diese zunächst Exekutionsverfahren gegen ihn angestrengt und schließlich einen Konkursantrag gestellt habe. Aus welchen Gründen die belangte Behörde diesen Umständen keine Bedeutung für die Würdigung der nach ihrer Auffassung entscheidenden Aussage des ehemaligen Dienstgebers des Beschwerdeführers für die zu klärende Frage, ob die behaupteten Ansprüche des Beschwerdeführers von R Z erfüllt worden sind oder nicht, (und zwar, da es um die Glaubwürdigkeit des R Z geht, auch hinsichtlich der von der Überweisung nicht betroffenen, vom Beschwerdeführer geltend gemachten Schadenersatzansprüche) beigemessen hat (was sich darin zeigt, daß sie R Z bei der im Berufungsverfahren durchgeführten Vernehmung nach dem Wortlaut der bezüglichen Niederschrift keine entsprechenden Fragen, wie z.B. darüber, ob es richtig sei, daß er dem Beschwerdeführer selbst weder während des bestehenden Dienstverhältnisses noch darnach Engeltzahlungen leisten durfte, bejahendenfalls warum er dies dennoch - rechtswidrigerweise - und wann gemacht habe, aus welchen näheren Gründen es zu den Versäumungsurteilen gekommen ist, gestellt hat), wurde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht dargelegt. Daß die "übrigen Arbeitnehmer der Firma" des ehemaligen Arbeitgebers des Beschwerdeführers bekundet hätten, es habe "bei den Lohnzahlungen der Firma Z keinerlei Schwierigkeiten gegeben" (eine solche Aussage machte nach der Aktenlage nur B S), stellt keinen zureichenden Grund für die Unterlassung einer derartigen Ergänzung des Ermittlungsverfahrens dar, hat doch B S bekundet, es sei ihm nicht bekannt, ob "übrige Dienstnehmer" noch Forderungen an R Z hätten, und steht doch nicht einmal fest, wann B S bei R Z beschäftigt war.

Da die belangte Behörde durch den aufgezeigten Verfahrensmangel Verfahrensvorschriften außeracht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221 .

Wien, am 17. Oktober 1984

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