Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden. Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer brachte am 23. April 2008 beim Bezirksgericht Josefstadt eine Mietzins- und Räumungsklage ein und entrichtete dafür eine Pauschalgebühr nach Tarifpost (TP) 1 Gerichtsgebührengesetz (GGG) in Höhe von € 87,–. In der Verhandlung vom 2. Juni 2008 schlossen der Beschwerdeführer und die beklagte Mieterin einen Vergleich, in dem neben der Räumung des Mietobjekts und der Bezahlung des noch offenen Mietzinses zuzüglich Prozesskosten im Punkt 3. Folgendes vereinbart wurde: "Die klagende Partei verzichtet auf die Räumung gemäß Punkt 1., wenn die Beklagte die Raten gem. Punkt 2. pünktlich einhält und die laufenden Mieten ab Juni 2008 jeweils bis 10. des Monats bezahlt."
2. Die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien schrieb dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Dezember 2012 gemäß TP 1 iVm §14 und §18 Abs2 Z2 GGG sowie §58 Abs1 Jurisdiktionsnorm (JN) eine restliche Pauschalgebühr in Höhe von € 2.289,– und gemäß §6 Abs1 Gerichtliches Einbringungsgesetz eine Einhebungsgebühr von € 8,– vor. Wiederkehrende Leistungen (zB der Mietzins) seien immer dann in die Bemessungsgrundlage eines Vergleichs, der eine Räumungsverpflichtung enthält, einzurechnen, wenn die Räumungsverpflichtung (auch) der Sicherung der wiederkehrenden Leistung diene. Die Funktion des Räumungstitels auf Vorrat bestehe auch darin, die rechtzeitige Zahlung des Mietzinses zu garantieren. In Punkt 3. des gegenständlichen Vergleichs werde auf die Durchsetzung der Räumungsverpflichtung verzichtet, sofern der Mietzinsrückstand und der laufende Mietzins pünktlich bezahlt würden. In die Bemessungsgrundlage sei daher auch die wiederkehrende Leistung des Mietzinses einzurechnen, der gemäß §58 Abs1 JN mit dem Zehnfachen der Jahresleistung zu bewerten sei. Dies treffe auch für Vergleiche zu, auf die §18 Abs2 Z2a GGG, idF BGBl I 111/2010, noch nicht anwendbar sei, weil mit dieser Bestimmung lediglich eine explizite gesetzliche Grundlage zur Klarstellung der ständigen Gesetzesanwendung und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geschaffen werden sollte.
3. In der dagegen gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums. Der Räumungstitel trete gemäß §575 Abs3 ZPO nach sechs Monaten außer Kraft; die bescheiderlassende Behörde meine daher zu Unrecht, dass auf Grund der Sicherungsfunktion der Räumungsverpflichtung eine Gebührenpflicht entstehe, die gemäß §14 GGG iVm §58 JN mit dem zehnfachen Jahresbetrag zu bewerten sei. Mit dem letzten Satz des Vergleichs werde nicht über den Anspruch auf Zahlung des Mietzinses disponiert. Aus der bloß beiläufigen Erwähnung des "laufenden Mietzinses" lasse sich keine Verpflichtung des Beschwerdeführers ableiten, den Mietzins zu zahlen; damit werde lediglich eine Bedingung des Verzichts, nicht aber eine Verpflichtung des Schuldners festgelegt.
4. Die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien erstattete eine Gegenschrift und brachte darin im Wesentlichen vor, dass nicht die in der Vergleichsvereinbarung enthaltene Räumungsverpflichtung, sondern die gleichermaßen enthaltene Verpflichtung zur Zahlung des laufenden Mietzinses zur Streitwertausdehnung geführt habe. Gemäß §58 Abs1 JN sei nämlich bei Übernahme einer zeitlich nicht genau begrenzten Verpflichtung zur Zahlung eines Betrages der Streitwert mit dem Zehnfachen der Jahresleistung anzusetzen. Ein Vergleich führe auch dann zu einer Neubewertung des Streitgegenstandes, wenn er in Ansehung eines gar nicht strittigen Anspruches geschlossen oder wenn darin eine vertraglich bestehende Verpflichtung neuerlich übernommen werde. Das Gerichtsgebührengesetz knüpfe bewusst an formale äußere Tatbestände, um eine einfache Handhabung des Gesetzes zu gewährleisten. Eine Gesetzesauslegung, die über das Fehlen eines Elementes des im Gesetz umschriebenen formalen Tatbestandes hinwegsehe, würde diesem Zweck klar widersprechen.
II. Rechtslage
1. §14 und §18 sowie Artikel VI Gerichtsgebührengesetz (GGG), BGBl 501/1984, idF des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 111/2010, mit dem in §18 Abs2 die Ziffer 2a eingefügt wurde, lauten:
"B. BESONDERE BESTIMMUNGEN ÜBER DIE GEBÜHREN IM ZIVILPROZESS UND IM EXEKUTIONSVERFAHREN
I. Bewertung des Streitgegenstandes
a) Im Zivilprozeß
Allgemeine Grundsätze
§14. Bemessungsgrundlage ist, soweit nicht im folgenden etwas anderes bestimmt wird, der Wert des Streitgegenstandes nach den Bestimmungen der §§54 bis 60 JN.
[...]
Wertänderungen
§18. (1) Die Bemessungsgrundlage bleibt für das ganze Verfahren gleich.
(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:
1. Wird der Streitwert gemäß §7 RATG geändert, so bildet - unbeschadet des §16 - der geänderte Streitwert die Bemessungsgrundlage. Bereits entrichtete Mehrbeträge sind zurückzuzahlen.
2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen.
2a. Ist Gegenstand des Vergleichs eine Räumungsverpflichtung, die auch der Sicherung einer Forderung auf wiederkehrende Leistungen dient (etwa wenn auf die Räumung verzichtet wird oder von dieser kein Gebrauch gemacht werden soll, solange die Leistungsverpflichtung fristgerecht erfüllt wird), so ist in die Bemessungsgrundlage des Vergleiches neben dem Streitwert für die Räumung auch der Streitwert für die wiederkehrenden Leistungen einzurechnen.
3. Betrifft das Rechtsmittelverfahren oder das Verfahren über eine Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage nur einen Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes, so ist in diesem Verfahren für die Berechnung nur der Wert dieses Teiles maßgebend. Bei wechselseitig erhobenen Rechtsmitteln sind die Pauschalgebühren nach Maßgabe der Anträge eines jeden der beiden Streitteile gesondert zu berechnen und vom jeweiligen Rechtsmittelwerber zu entrichten. Ist der von der Anfechtung betroffene Teil nicht nur ein Geldanspruch, so hat ihn der Rechtsmittelwerber in der Rechtsmittelschrift zu bewerten; unterläßt er dies, ist der Bemessung der Pauschalgebühr für das Rechtsmittelverfahren der ganze Wert des ursprünglichen Streitgegenstandes zugrunde zu legen.
4. Wenn ausschließlich der Ausspruch über die Zinsen angefochten wird, ist als Endzeitpunkt für die Zinsenberechnung der Zeitpunkt maßgebend, zu dem dem Rechtsmittelwerber die angefochtene Entscheidung zugestellt worden ist.
(3) Eine Änderung des Streitwertes für die Pauschalgebühren tritt nicht ein, wenn das Klagebegehren zurückgezogen oder eingeschränkt wird oder wenn ein Teil- oder Zwischenurteil gefällt wird.
[...]
ARTIKEL VI
In-Kraft-Treten, Übergangsbestimmungen, Aufhebungen
[...]
39. [...] §18 in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011 ist auf Vergleiche anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2010 geschlossen werden. [...]
[...]"
2. §58 Jurisdiktionsnorm (JN), RGBl. 111/1895, idF BGBl 135/1983, lautet:
"§58.
(1) Als Wert des Rechtes auf den Bezug von Zinsen, Renten, Früchten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen ist bei immerwährender Dauer das Zwanzigfache, bei unbestimmter oder auf Lebenszeit beschränkter Dauer das Zehnfache, sofern es sich um Ansprüche auf Unterhalts- oder Versorgungsbeträge und auf Zahlung von Renten wegen Körperbeschädigung oder Tötung eines Menschen handelt, das Dreifache der Jahresleistung, bei bestimmter Dauer aber der Gesamtbetrag der künftigen Bezüge, jedoch in keinem Fall mehr als das Zwanzigfache der Jahresleistung anzunehmen.
(2) Ist das Bestehen eines Pacht- oder Mietverhältnisses streitig, so ist der Betrag des auf die gesamte streitige Zeit fallenden Zinses der Bewertung zugrunde zu legen."
III. Erwägungen
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 11.470/1987, 15.884/2000, 16.112/2001, 16.290/2001) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2. Der Verfassungsgerichtshof hatte bereits mehrmals (vgl. VfSlg 16.701/2002, 17.004/2003, 17.634/2005, 18.990/2010, 19.062/2010) die Gebührenpflicht von Vergleichen zu beurteilen, in denen es jeweils den beklagten Parteien offen stand, durch die Bezahlung des aushaftenden Monatsmietzinses und der laufenden Monatsmietentgelte die Räumung abzuwenden. Darin ging der Verfassungsgerichtshof jeweils davon aus, dass der Beschwerdeführer durch seinen (bedingten) Verzicht, vom zuvor geschaffenen Exekutionstitel Gebrauch zu machen, allenfalls über den Anspruch auf Räumung disponierte, den er bereits mit seiner Klage geltend gemacht und für den er die Pauschalgebühr entrichtet hatte.
Über den Anspruch auf Zahlung des laufenden Mietzinses, also jenes Mietzinses, der zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht fällig war und daher auch nicht Gegenstand des Verfahrens sein konnte, wird aber in jenen Fällen dann nicht in einer die Gebührenpflicht auslösenden Weise disponiert, wenn der Verzicht auf die Räumung unter die (nahe liegende) Bedingung gestellt wird, dass der Schuldner seine offene Verbindlichkeit, die den Gegenstand des Titels bildet, nicht dadurch bloß auf die künftigen Mietentgelte verlagert, als er jene bezahlt, diese aber unberichtigt lässt. Insofern wird über künftige Mietentgelte nicht disponiert, diese werden lediglich im Vergleich "nebenher" erwähnt, ohne dadurch selbst zum Gegenstand der im Vergleich getroffenen Dispositionen zu werden.
3. Die Punkte 1. bis 3. des dem angefochtenen Gerichtsgebührenbescheid zugrunde liegenden Vergleiches stehen insoweit in einem engen Sachzusammenhang, als der Beschwerdeführer (als klagende Partei im Gerichtsverfahren) auf die Geltendmachung der in Punkt 1. enthaltenen Verpflichtung zur Räumung und Übergabe des Bestandobjektes in Punkt 3. unter der Bedingung verzichtet, dass die beklagte Partei nicht nur den eingeklagten Mietzinsrückstand, sondern auch die laufenden Mietzinse pünktlich entrichtet.
Die Erwähnung der Entrichtung der laufenden monatlichen Mietentgelte erfolgte in dem hier vorliegenden Vergleich – nicht anders als in den von der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits entschiedenen Fällen – ausschließlich als weitere Bedingung für den Verzicht auf die Räumung. Über den Anspruch auf Zahlung des Mietzinses für diesen Zeitraum wurde damit nicht disponiert.
Die belangte Behörde hat demnach §18 Abs2 Z2 und §14 GGG iVm §58 Abs1 JN in denkunmöglicher Weise angewendet und den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt, weil sie die Einhaltung einer schon bestehenden vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung laufender Mietzinse, welche bloß als eine Bedingung für den Verzicht auf die Räumung durch die klagende Partei in einen Räumungsvergleich aufgenommen wurde, einer (gebührenpflichtigen) Disposition über eine Zahlungsverpflichtung gleichgesetzt hat (vgl. zuletzt VfSlg 19.062/2010).
4. Festzuhalten ist, dass im vorliegenden Beschwerdefall die Bestimmung des §18 Abs2 Z2a GGG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 111/2010, nicht anwendbar ist (ArtVI Z39 GGG).
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
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