VfGH G23/2013

VfGHG23/20136.6.2013

Unzulässigkeit eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Außerstreitgesetzes über den Ausschluss eines Abänderungsverfahrens nach Rechtskraft der Einantwortung infolge Zumutbarkeit des gerichtlichen Rechtswegs

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AußStrG §62, §63, §73, §180 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AußStrG §62, §63, §73, §180 Abs2

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Mit ihrem auf Art140 B-VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, die Bestimmung des §180 Abs2 Außerstreitgesetz (AußStrG) als verfassungswidrig aufzuheben.

Dem Individualantrag liegt ein vor dem Bezirksgericht Traun geführtes Verlassenschaftsverfahren hinsichtlich des Nachlasses des am 21. Dezember 2008 verstorbenen Vaters der Antragstellerin zu Grunde. Der Erblasser habe testamentarisch seine zweite Ehefrau (eine Bedienstete des Bezirksgerichtes Traun) als Alleinerbin eingesetzt; dieser sei nach Abgabe einer bedingten Erbantrittserklärung der Nachlass mit Beschluss des Bezirksgerichtes Traun vom 30. Dezember 2009 rechtskräftig eingeantwortet worden, sodass die Antragstellerin und ihre Schwester lediglich pflichtteilsberechtigt seien.

In der Folge habe die Antragstellerin gegen die erblasserische Witwe in mehrfacher Hinsicht Ansprüche gerichtlich geltend gemacht und u.a. beim Bezirksgericht Traun zum AZ11 C1633/11h Klage auf Rechnungslegung und Zahlung (EUR 8.000,--) eingebracht. In diesem Verfahren hätten sich sämtliche Richter des genannten Bezirksgerichtes (einschließlich der mit der Einantwortung befasst gewesenen Verlassenschaftsrichterin) für befangen erklärt, weshalb das Landesgericht Linz die Rechtssache mit Beschluss vom 15. März 2012, AZ32 Nc 39/12p, dem Bezirksgericht Linz übertragen habe.

Daraufhin habe die Antragstellerin mit Eingabe vom 17. August 2012 "die Aufhebung des Einantwortungsbeschlusses wegen Nichtigkeit" begehrt, weil die Verlassenschaftsrichterin bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Einantwortung befangen gewesen sein musste, was die absolute Nichtigkeit des Verfahrens gemäß §73 AußStrG zur Folge habe. Dieser Antrag wurde vom Bezirksgericht Traun mit Beschluss vom 12. September 2012, GZ14 A202/08i-26, mit der Begründung abgewiesen, dass der Antragstellerin die Tätigkeit von Erbin und Verlassenschaftsrichterin am selben Gericht schon lange bekannt gewesen sei und der mögliche Anschein mangelnder Objektivität im streitigen Verfahren anderen Maßstäben unterliege als im Verlassenschaftsverfahren.

Der dagegen seitens der Antragstellerin erhobene Rekurs wurde vom Landesgericht Linz als Abänderungsantrag gemäß §73 AußStrG gewertet und mit Beschluss vom 29. November 2012, AZ15 R 420/12h, zurückgewiesen, weil ein solcher Antrag voraussetze, dass sich die Wirkungen einer Entscheidung (hier: der Einantwortung) nicht durch die Einleitung eines anderen gerichtlichen Verfahrens beseitigen ließen. Da die Wirkungen der rechtskräftigen Einantwortung im Wege einer Erbschaftsklage gemäß §823 ABGB beseitigt werden könnten, sei der Abänderungsantrag gemäß §77 Abs1 AußStrG unzulässig; der ordentliche Revisionsrekurs wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des §62 Abs1 AußStrG für nicht zulässig erklärt.

2. Die Antragstellerin leitet ihre Antragslegitimation aus dem Ausspruch der Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses ab.

Die Verfassungswidrigkeit des §180 Abs2 AußStrG erblickt sie in einem Verstoß gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter: Die angefochtene Bestimmung nehme keine Differenzierung hinsichtlich der Art des Abänderungsgrundes vor, sondern schließe die Durchführung eines Abänderungsverfahrens nach Rechtskraft der Einantwortung schlechthin aus. Das Aufgreifen allenfalls entscheidungsrelevanter, jedoch erst nach Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses hervorgekommener Umstände, die zu einer Änderung der Sachentscheidung führen, aber in anderer Weise nicht geltend gemacht werden könnten, würde daher generell verunmöglicht; dies bedeute eine Verweigerung des Zuganges zum Recht.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG), BGBl I 111/2003 idF BGBl I 111/2010, stellen sich wie folgt dar (die angefochtene Vorschrift ist hervorgehoben):

"5. Abschnitt

Revisionsrekurs

Zulässigkeit des Revisionsrekurses

§62. (1) Gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

(2) Der Revisionsrekurs ist jedoch jedenfalls unzulässig

1. über den Kostenpunkt,

2. über die Verfahrenshilfe sowie

3. über die Gebühren.

(3) Weiters ist der Revisionsrekurs - außer im Fall des §63 Abs3 - jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30 000 Euro nicht übersteigt und das Rekursgericht nach §59 Abs1 Z2 den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat.

(4) Der Abs3 gilt nicht, soweit der Entscheidungsgegenstand nicht rein vermögensrechtlicher Natur ist.

(5) Hat das Rekursgericht nach §59 Abs1 Z2 ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach Abs1 zulässig ist, so kann dennoch ein Revisionsrekurs erhoben werden, wenn der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30 000 Euro übersteigt oder soweit er nicht rein vermögensrechtlicher Natur ist (außerordentlicher Revisionsrekurs).

Zulassungsvorstellung

§63. (1) Übersteigt der Entscheidungsgegenstand nicht insgesamt 30 000 Euro und hat das Rekursgericht nach §59 Abs1 Z2 ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs nach §62 Abs1 nicht zulässig ist, so kann eine Partei einen Antrag an das Rekursgericht stellen, seinen Ausspruch dahin gehend abzuändern, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde (Zulassungsvorstellung); der Antrag muss hinreichend erkennen lassen, warum - entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts - nach §62 Abs1 der ordentliche Revisionsrekurs für zulässig erachtet wird. Mit demselben Schriftsatz ist der ordentliche Revisionsrekurs auszuführen.

(2) Die Zulassungsvorstellung, verbunden mit dem ordentlichen Revisionsrekurs, ist beim Gericht erster Instanz binnen vierzehn Tagen zu stellen; die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung des Rekursgerichts zu laufen. §65 Abs1 zweiter Satz und Abs2 gilt sinngemäß.

(3) Erachtet das Rekursgericht die Zulassungsvorstellung für stichhältig, so hat es seinen Ausspruch mit Beschluss abzuändern und auszusprechen, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch nach §62 Abs1 zulässig ist; dieser Beschluss ist kurz zu begründen (§59 Abs3 letzter Satz).

(4) Erachtet das Rekursgericht die Zulassungsvorstellung für nicht stichhältig, so hat es diese samt dem ordentlichen Revisionsrekurs mit Beschluss zurückzuweisen; dabei kann sich das Rekursgericht mit einem Hinweis auf die Begründung seines aufrechterhaltenen Ausspruchs begnügen, wonach der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel zulässig.

(5) Erklärt das Rekursgericht den Revisionsrekurs doch für zulässig, so hat es diesen Beschluss den Parteien zuzustellen und, soweit vorgesehen, dem Revisionsrekursgegner die Beantwortung des Revisionsrekurses freizustellen. Davon ist auch das Gericht erster Instanz zu verständigen."

"Zurückweisung des Revisionsrekurses

§67. Ein Revisionsrekurs, der aus einem anderen Grund als wegen des Fehlens der Voraussetzungen nach §62 Abs1 unzulässig ist, ist vom Gericht erster Instanz, allenfalls vom Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen; dies gilt auch für eine Zulassungsvorstellung, mit der ein ordentlicher Revisionsrekurs verbunden ist."

"Abänderungsantrag

§73. (1) Nach dem Eintritt der Rechtskraft eines Beschlusses, mit dem über die Sache entschieden wurde, kann seine Abänderung beantragt werden, wenn

1. die Partei in dem vorangegangenen Verfahren nicht vertreten war,

2. die Partei eines gesetzlichen Vertreters bedarf und nicht durch einen solchen vertreten war und die Verfahrensführung nicht nachträglich genehmigt wurde,

3. ein ausgeschlossener oder mit Erfolg abgelehnter Richter oder Rechtspfleger entschieden hat,

4. die Voraussetzungen nach §530 Abs1 Z1 bis 5 ZPO vorliegen,

5. eine Partei eine über die Sache früher ergangene, bereits rechtskräftige Entscheidung auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, welche zwischen den Parteien des dem abzuändernden Beschluss zugrunde liegenden Verfahrens Recht schafft, oder

6. die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte.

(2) Ein Abänderungsgrund nach Abs1 Z1 bis 4 liegt nicht vor, wenn der Umstand, der dem Abänderungsantrag zu Grunde gelegt wird, bereits im vorangegangenen Verfahren hätte geltend gemacht werden können oder ohne Erfolg geltend gemacht wurde.

(3) Ein Abänderungsgrund nach Abs1 Z5 und 6 liegt nur dann vor, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die Rechtskraft der Entscheidung oder die neuen Tatsachen oder Beweismittel in dem vorangegangenen Verfahren geltend zu machen."

"Entscheidung über den Abänderungsantrag

§77. (1) Ist der Abänderungsantrag unzulässig, so hat ihn das Gericht zurückzuweisen.

(2) Liegt ein Abänderungsgrund vor, so ist der Beschluss im Rahmen des Antrags so weit abzuändern, als er vom Abänderungsgrund betroffen ist. Zu Ungunsten der Partei, die die Abänderung begehrt, können Beschlüsse nur in Verfahren, die auch von Amts wegen eingeleitet werden können, abgeändert werden. Sonst ist der Abänderungsantrag abzuweisen, wenn keine für den Antragsteller günstigere Entscheidung über die Sache zu fällen wäre.

(3) Die Abänderung rechtsgestaltender Beschlüsse wirkt dritten Personen gegenüber nicht zurück."

"§180. (1) Die Parteien können bereits vor Erlassung des Einantwortungsbeschlusses auf Rechtsmittel gegen einen ihren Anträgen entsprechenden Beschluss verzichten; die ihren Anträgen entsprechenden Anordnungen können dann sogleich in Vollzug gesetzt werden.

(2) Nach Rechtskraft der Einantwortung findet kein Abänderungsverfahren statt."

III. Erwägungen

1. Der Antrag ist nicht zulässig:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit dem Beschluss VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B‑VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B‑VG dem Einzelnen eingeräumte Rechts­behelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann eröffnet, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist oder anhängig war, das dem Betroffenen Gelegenheit bietet bzw. bot, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (zB VfSlg 13.871/1994 mwN, 15.786/2000, 17.110/2004, 17.276/2004, 18.370/2008). Ein Individualantrag gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG wäre in solchen Fällen nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig. Andernfalls ergäbe sich nämlich eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die sich mit dem Charakter des Individualantrages als bloß Lücken schließenden, subsidiären Rechtsbehelf nicht vereinbaren ließe (zB VfSlg 13.659/1993, 14.672/1996, 15.786/2000).

2. Der Antragstellerin stand im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung ihrer Bedenken zur Verfügung:

Sie hatte nämlich Gelegenheit, die behauptete Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des §180 Abs2 AußStrG bereits im Rahmen des Verfahrens über den auf §73 AußStrG gestützten Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Traun vom 12. September 2012 beim Landesgericht Linz zum AZ15 R 420/12h zu relevieren. Dieses Gericht sprach in seinem Beschluss vom 29. November 2012 (mit dem der Rekurs der Antragstellerin zurückgewiesen wurde) aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung handle und keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliege. Damit hatte die Antragstellerin zudem die Möglichkeit, dem Landesgericht Linz als "zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständiges Gericht" durch Erhebung einer Zulassungsvorstellung gemäß §63 Abs1 AußStrG allfällige verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §180 Abs2 AußStrG mit der Anregung auf Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof zu unterbreiten. Darüber hinaus bot sich der Antragstellerin Gelegenheit, im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen und insofern eine – sei es auch bloß zurückweisende (vgl. VfSlg 13.815/1995; 18.177/2007) – Entscheidung herbeizuführen.

Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG wären sowohl das Rekursgericht als auch der Oberste Gerichtshof – die bei Prüfung des Rechtsmittellegitimation der Antragstellerin auch die bekämpfte Vorschrift des §180 Abs2 AußStrG heranzuziehen gehabt hätten – zur Anfechtung dieser Regelung verpflichtet gewesen, sofern sie die von der Antragstellerin vorgetragenen Bedenken geteilt hätten (vgl. VfSlg 18.751/2009).

Außergewöhnliche Umstände, welche die Einbringung eines Individualantrages zufolge Unzumutbarkeit eines anderen Weges ausnahmsweise zulässig machen können, liegen hier (anders als etwa in den Fällen VfSlg 15.786/2000 und 16.772/2002) nicht vor.

Der Gesetzesprüfungsantrag ist daher mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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