VfGH B51/10

VfGHB51/1016.3.2012

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführer sind durch Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.860,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer auf

Art144 B-VG gestützten Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 30. November 2009, mit dem aufgrund der Berufung des Landeshauptmannes der Steiermark als wasserwirtschaftliches Planungsorgan des Landes Steiermark vom 11. Juni 2007 ihr Antrag auf wasserrechtliche Bewilligung für das Projekt "Kraftwerk Schwarze Sulm, Ausbaustufe Teil A" (maximale Leistung zirka 5 Megawatt) abgewiesen wurde.

Mit dem Bescheid des Landeshauptmannes der Steiermark vom 24. Mai 2007 als iSd §99 Abs1 litb des Wasserrechtsgesetzes 1959 (WRG), BGBl. 215 idF

BGBl. I 65/2002, in erster Instanz zuständige Behörde wurde die wasserrechtliche Bewilligung für dieses Projekt befristet bis zum 31. Dezember 2066 erteilt.

Begründend führt der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft im Wesentlichen aus, dass die Prüfung der Voraussetzungen, aufgrund derer ein Durchbrechen des Verschlechterungsverbots gemäß §104a Abs2 Z1 bis Z3 WRG zulässig sei, ergeben habe, dass im Hinblick auf das vorliegende Projekt weder iSd Z1 ein übergeordnetes öffentliches Interesse und ein Nutzen für die nachhaltige Entwicklung, welcher den Nutzen der Zielverwirklichung der §§30a, c und d übersteige, vorliegen würde, noch gemäß Z2 dieser Bestimmung alle praktikablen Vorkehrungen getroffen worden wären, um die negativen Auswirkungen auf den Zustand des Oberflächenwasser- oder Grundwasserkörpers zu mindern. Das Vorliegen dieser Elemente sei die Voraussetzung für die wasserrechtliche Genehmigung von Vorhaben mit Auswirkungen auf den Gewässerzustand (§104a WRG).

2. Die Beschwerdeführer behaupten die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Dazu bringen sie zunächst vor, dass das wasserwirtschaftliche Planungsorgan nach der Bestimmung des §104a Abs3 WRG keine Befugnis zur Erhebung einer Berufung gehabt hätte, weil es im gesamten Verfahren keine "begründete negative Stellungnahme" im Sinne dieser Bestimmung abgegeben hätte. Weiters behaupten sie, dass das wasserwirtschaftliche Planungsorgan entgegen der von ihnen kritisierten Judikatur des VwGH (vgl. VwSlg. 16.980 A/2006) nach der hier ausschließlich anwendbaren Bestimmung des §104a WRG gar nicht legitimiert sei, eine Berufung gegen einen erstinstanzlichen Bescheid zu erheben, weil diese Bestimmung nur die Beschwerdemöglichkeit gegen letztinstanzliche Bescheide normiere. Es bestehe auch keine aus §55 WRG ableitbare Parteistellung des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans. Eine parallele Parteistellung nach beiden genannten Bestimmungen würde zudem eine "absolute Systemwidrigkeit" darstellen.

Schließlich behaupten die beschwerdeführenden

Parteien aber auch die Verfassungswidrigkeit des §102 Abs1 lith iVm §55 Abs1 und Abs4 sowie des §104a Abs3 WRG, weil es diese Bestimmungen möglich machen würden, dass dem Landeshauptmann gleichzeitig die Funktion als entscheidende Behörde einerseits und als Amts- bzw. Formalpartei in Form des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans andererseits in demselben Verwaltungsverfahren zukommen würde. Zum einen würde dies den Fall einer konfligierenden sachlichen Doppelzuständigkeit einer Behörde bewirken, zum anderen zeigten sich Verfassungswidrigkeiten "im verfassungsrechtlichen Verständnis der mittelbaren Bundesverwaltung, der kompetenzrechtlichen Regelung des Verwaltungsverfahrens, im rechtsstaatlichen Konzept der Verfassung, in der Verletzung des fairen Verfahrens sowie im Verstoß gegen den Gleichheitssatz und das allgemeine Sachlichkeitsgebot". Alternativ wird von den Beschwerdeführern schließlich die denkunmögliche bzw. einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellende Anwendung der entsprechenden Bestimmungen durch die belangte Behörde behauptet.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Rechtslage

Die §§55 und 102 WRG, BGBl. 215/1959, lauteten in der Fassung des Agrarrechtsänderungsgesetz 2005, BGBl. I 87, wie folgt:

"§55. (1) Dem Landeshauptmann als wasserwirtschaftlichem Planungsorgan obliegt

a) die Zusammenfassung und Koordinierung aller wasserwirtschaftlichen Planungsfragen im Lande,

b) die Überwachung der wasserwirtschaftlichen Entwicklung,

c) die Sammlung der für die wasserwirtschaftliche Planung bedeutsamen Daten,

d) die vorausschauende wasserwirtschaftliche Planung,

e) die Schaffung von Grundlagen für die Festlegung von Schutz- und Schongebieten (§§34, 35, 37), für Verordnungen gemäß §33 Abs2, für Sanierungsprogramme gemäß §33d, für Beobachtungs- und voraussichtliche Maßnahmengebiete gemäß §33f, für wasserwirtschaftliche Rahmenverfügungen gemäß §54 sowie für Regionalprogramme gemäß §55g Abs1 Z1,

f) die Wahrnehmung wasserwirtschaftlicher Interessen gegenüber anderen Planungsträgern,

g) die Wahrnehmung der Interessen an der Sicherung der Trink- und Nutzwasserversorgung im Lande in allen behördlichen Verfahren als Partei.

(2) Dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft obliegt insbesondere

a) die fachliche Koordinierung der Tätigkeit der wasserwirtschaftlichen Planungsorgane in den Ländern,

b) die Behandlung von wasserwirtschaftlichen Grundsatzfragen und von solchen, die für mehrere Länder von Bedeutung sind,

c) die Aufstellung von einheitlichen Grundsätzen für die wasserwirtschaftliche Planung (Abs1 lita bis e),

d) auf Grund der Bestandsaufnahmen die überörtliche zusammenfassende wasserwirtschaftliche Planung für eine den wasserwirtschaftlichen Planungsgrundsätzen entsprechende Ordnung der nationalen Teile der Flussgebietseinheiten oder ihrer Teile (Planungsräume) aufzustellen und der Entwicklung anzupassen.

(3) Wer eine wasserrechtliche Bewilligung anstrebt, hat schon vor Befassung der Wasserrechtsbehörde sein Vorhaben unter Darlegung der Grundzüge dem wasserwirtschaftlichen Planungsorgan anzuzeigen.

(4) Das wasserwirtschaftliche Planungsorgan ist in allen Verfahren nach diesem Bundesgesetz sowie nach dem Mineralrohstoffgesetz, dem Eisenbahnrecht, dem Schiffahrtsrecht, dem Gewerberecht, dem Rohrleitungsrecht, dem Forstrecht und dem Abfallrecht des Bundes, durch die wasserwirtschaftliche Interessen berührt werden, zu hören, im Fall der Parteistellung (§102 Abs1 lith) beizuziehen. Die Parteistellung einschließlich der Beschwerdelegitimation vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts ist in Wahrnehmung seiner Aufgaben zur Wahrung wasserwirtschaftlicher Interessen gemäß Abs1 lita bis g, insbesondere unter Bedachtnahme auf die in einem Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan (Maßnahmen- oder Regionalprogramm) festgelegten Vorgaben (Maßnahmen) in allen behördlichen Verfahren nach diesem Bundesgesetz sowie in allen behördlichen Verfahren, in denen wasserrechtliche Bestimmungen mit angewendet werden (AWG 2002, UVP-G 2000, GewO 1994) gegeben."

"§98. (1) Wasserrechtsbehörden sind, unbeschadet der in den einzelnen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgelegten Zuständigkeit des Bürgermeisters, die Bezirksverwaltungsbehörde, der Landeshauptmann und der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Sofern in diesem Bundesgesetze keine anderweitigen Bestimmungen getroffen sind, ist in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig.

[...]

§99. (1) Der Landeshauptmann ist, sofern nicht §100 Anwendung findet, in erster Instanz zuständig

[...]

b) für Wasserkraftanlagen mit mehr als 500 kW Höchstleistung;"

"§102. (1) Parteien sind:

a) der Antragsteller;

b) diejenigen, die zu einer Leistung, Duldung oder Unterlassung verpflichtet werden sollen oder deren Rechte (§12 Abs2) sonst berührt werden, sowie die Fischereiberechtigten (§15 Abs1) und die Nutzungsberechtigten im Sinne des Grundsatzgesetzes 1951 über die Behandlung der Wald- und Weidenutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten, BGBl. Nr. 103, sowie diejenigen, die einen Widerstreit (§§17, 109) geltend machen;

ferner

c) im Verfahren über die Auflassung von Wasseranlagen oder über das Erlöschen von Wasserrechten die im §29 Abs1 und 3 genannten Personen;

d) Gemeinden im Verfahren nach §111a, sonst nur zur Wahrung des ihnen nach §13 Abs3 und §31c Abs3 zustehenden Anspruches;

e) diejenigen, die als Mitglieder einer Wassergenossenschaft oder eines Wasserverbandes herangezogen werden sollen;

f) im Verfahren über die Auflösung von Wassergenossenschaften oder Wasserverbänden die im §83 Abs3 und 4 genannten Personen und Stellen;

g) diejenigen, deren wasserwirtschaftliche Interessen durch eine wasserwirtschaftliche Rahmenverfügung (§54) oder einem Regionalprogramm (§55g Abs1 Z1) als rechtliche Interessen anerkannt wurden;

h) das wasserwirtschaftliche Planungsorgan in Wahrnehmung der in §55 Abs1 lita bis g genannten Aufgaben.

(2) Beteiligte im Sinne des §8 AVG. sind - nach

Maßgabe des jeweiligen Verhandlungsgegenstandes und soweit ihnen nicht schon nach Abs1 Parteistellung zukommt - insbesondere die Interessenten am Gemeingebrauch, alle an berührten Liegenschaften dinglich Berechtigten, alle, die aus der Erhaltung oder Auflassung einer Anlage oder der Löschung eines Wasserrechtes Nutzen ziehen würden, und im Verfahren über den Widerstreit von Entwürfen (§109) alle, die bei Ausführung eines dieser Entwürfe als Partei (Abs1) anzusehen wären.

(3) Die Beteiligten sind berechtigt, im Verfahren

ihre Interessen darzulegen, die Erhebung von Einwendungen steht ihnen jedoch nicht zu.

(4) Im wasserrechtlichen Verfahren können sich

Parteien und Beteiligte auch fachkundiger Beistände bedienen."

Aus dem Zusammenwirken dieser Bestimmungen ergibt

sich, dass der Landeshauptmann im Verfahren zur Genehmigung des geplanten Kraftwerks in erster Instanz zugleich als zur Entscheidung berufene Wasserrechtsbehörde gemäß §99 Abs1 litb WRG und als wasserwirtschaftliches Planungsorgan gemäß §55 Abs1 litg und Abs4 iVm §102 Abs1 lith leg. cit. zuständig war.

III. Erwägungen

1. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §55 Abs1 litg und der Wortfolgen ", im Fall der Parteistellung (§102 Abs1 lith) beizuziehen" sowie "in allen behördlichen Verfahren nach diesem Bundesgesetz sowie" in §55 Abs4 sowie des §102 Abs1 lith des Wasserrechtsgesetzes 1959 (WRG), BGBl. 215 idF BGBl. I 87/2005 ein. Mit Erkenntnis vom 16.3.2012, G126/11, sprach er aus, dass die genannten Bestimmungen verfassungswidrig waren.

2. Die Beschwerde ist begründet.

Die belangte Behörde hat verfassungswidrige Gesetzesbestimmungen angewendet, auf Grund derer dem Landeshauptmann als wasserwirtschaftliches Planungsorgan Parteistellung und damit auch ein Berufungsrecht im Verfahren erster Instanz zukam. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass die Anwendung dieser Bestimmungen für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden also durch den

angefochtenen Bescheid wegen Anwendung verfassungswidriger

Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt

(zB VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher im Hinblick auf den - ausschließlich angefochtenen - Spruchpunkt I. aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,-, Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,- und die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-

enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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