VfGH B1113/11

VfGHB1113/1112.6.2012

Zurückweisung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung einer Bundespolizeidirektion mangels Instanzenzugserschöpfung infolge Anrufbarkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
FremdenpolizeiG 2005 §9 Abs1a, §55, §59 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
FremdenpolizeiG 2005 §9 Abs1a, §55, §59 Abs2

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt und Beschwerdevorbringen

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, reiste im Jahr 2002 gemeinsam mit seiner Mutter in das Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt in Österreich auf. Ihm wurden in Österreich mehrfach Aufenthaltstitel erteilt. Seit Auslaufen des letzten befristeten Aufenthaltstitels am 13. Juli 2011 hat der Beschwerdeführer keinen Verlängerungsantrag gestellt, weshalb er sich seit diesem Zeitpunkt unrechtmäßig in Österreich aufhält. Außerdem weist der Beschwerdeführer, wie sich aus den dem Verfassungsgerichtshof zur Verfügung stehenden Akten ergibt, mehrere Verurteilungen des Bezirks- und des Landesgerichts Linz auf.

2. In Reaktion darauf hat die Bundespolizeidirektion Linz gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 25. August 2011 gemäß §52 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, eine Rückkehrentscheidung und - wie dies §53 Abs1 FPG anordnet - unter Einem mit dieser ein Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum erlassen, wobei das Einreiseverbot gemäß §53 Abs2 FPG auf die Dauer von fünf Jahren befristet worden ist. Darüber hinaus ordnet der Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz in Spruchpunkt 3 an, dass gemäß §55 FPG "die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Monaten ab Durchsetzbarkeit dieses Bescheides festgelegt" wird.

2.1. Diesem Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz war überdies eine Rechtsmittelbelehrung mit folgendem Inhalt beigefügt:

"Sie haben das Recht, gegen diesen Bescheid innerhalb von zwei Wochen nach seiner Zustellung schriftlich bei dieser Behörde das Rechtsmittel der Berufung einzubringen. [...]

Gemäß §55 Abs2 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. Nr. 100/2005 idgF, ist gegen Spruchpunkt 3 dieses Bescheids eine gesonderte Berufung nicht zulässig.

Hinweis gemäß §61a AVG: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muss von einem Rechtsanwalt unterschrieben und spätestens zum Zeitpunkt der Beschwerdeüberreichung mit € 220,- vergebührt sein."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die

vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens behauptet wird und die mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist.

3.1. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, dass die belangte Behörde kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Insbesondere sei dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben worden, zur beabsichtigten Erlassung des Rückkehrverbotes Stellung zu nehmen. Auch habe die Behörde keine weitergehenden Erhebungen zu den für die Interessenabwägung nach Art8 EMRK erforderlichen Sachverhaltselemente durchgeführt. Dementsprechend habe die Behörde auch nur eine scheinbare Interessenabwägung vorgenommen, die aber ihrem Inhalte nach derart mangelhaft sei, dass bereits darin eine Rechtsverletzung gelegen sei. Schließlich stelle die Fristsetzung ab Durchsetzbarkeit eine Verhöhnung des Zweckes des §55 FPG dar, da sich der Beschwerdeführer derzeit in Haft befinde und ihm im Falle seiner Enthaftung eine Abschiebung drohe. Von einer freiwilligen Ausreise könne unter diesen Umständen nicht die Rede sein.

II. Rechtslage

Die §§9, 52, 53, 55 und 59 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, lauten auszugsweise wie folgt:

"Berufungen

"§9. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen

gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.

(1a) Über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern. Wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß §§52 iVm 53 Abs2 Z2, 4, 5, 7 bis 9 oder Abs3 erlassen, hat der unabhängige Verwaltungssenat über die Berufung binnen drei Monaten zu entscheiden.

[...]"

"8. Hauptstück

Aufgaben und Befugnisse der Fremdenpolizeibehörden

1. Abschnitt

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen nicht rechtmäßig aufhältige Drittstaatsangehörige Rückkehrentscheidung

§52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen ist,

sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist §66 Abs4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(2) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet

aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs1 zu erlassen.

(3) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung

gemäß Abs1 ist abzusehen, wenn ein Fall des §45 Abs1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

Einreiseverbot

§53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung wird ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

[...]"

"Frist für die freiwillige Ausreise

§55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52

wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Erlassung des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer von der Behörde vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. §37 AVG gilt.

(4) Die Behörde hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Berufung gemäß §57 aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs1 ist mit Mandatsbescheid (§57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht."

"Besondere Verfahrensbestimmungen

§59. (1) Entscheidungen gemäß §§52 bis 56 ergehen in Bescheidform und haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Drittstaatsangehörigen verständlichen Sprache oder in einer Sprache zu enthalten, bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass er sie versteht. Eine unrichtige Übersetzung begründet lediglich das Recht, unter den Voraussetzungen des §71 AVG wiedereingesetzt zu werden.

(2) Gegen die Festlegung einer Frist für die

freiwillige Ausreise gemäß §55 ist eine gesonderte Berufung nicht zulässig.

(3) Eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung ist im Reisedokument des Fremden ersichtlich zu machen, sofern dadurch die Abschiebung nicht unzulässig oder unmöglich gemacht wird.

(4) Der Eintritt der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

(5) Die Durchsetzbarkeit des Rückkehrverbots wird gehemmt, solange dem Drittstaatsangehörigen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird. Das Rückkehrverbot ist nach jeder Verlängerung des Aufenthaltsrechts (§8 AsylG 2005) von Amts wegen zu überprüfen."

III. Erwägungen

Die Beschwerde ist nicht zulässig:

1. Gemäß Art144 Abs1 B-VG iVm §82 Abs1 VfGG kann eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges - falls ein solcher in Betracht kommt - erhoben werden. Die Beschwerde ist daher nur dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer den Instanzenzug ausgeschöpft hat. Die Nichterschöpfung des Instanzenzuges hingegen hat die Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Folge (vgl. VfSlg. 13.242/1992, 15.254/1998, 15.728/2000, 15.806/2000 ua.).

2. Gemäß §9 Abs1a FPG sind für Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen die Unabhängigen Verwaltungssenate zuständig. Das bedeutet, dass dem Beschwerdeführer gegen die Rückkehrentscheidung einschließlich des Einreiseverbotes jedenfalls ein Berufungsrecht an den Unabhängigen Verwaltungssenat zugestanden ist. Hinsichtlich der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise bestimmt §59 Abs2 FPG, dass "eine gesonderte Berufung" nicht zulässig ist, woraus der Beschwerdeführer den Schluss zieht, dass insoweit der Instanzenzug erschöpft ist.

3. Dies trifft indes nicht zu:

Aus der gesetzlichen Anordnung, dass eine Rückkehrentscheidung stets mit dem Ausspruch über eine Frist zur freiwilligen Ausreise zu verbinden ist, ergibt sich, dass mit der Anfechtung der Rückkehrentscheidung im Berufungsweg auch die Frist des §55 FPG gegenstandslos ist, da die erstinstanzliche Rückkehrentscheidung nach einer rechtzeitig erhobenen Berufung nicht mehr vollstreckt werden kann. Die Anordnung des §59 Abs2 FPG hat daher zur Folge, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise nur gemeinsam mit der Rückkehrentscheidung angefochten werden kann.

4. Der Instanzenzug ist somit im vorliegenden Fall nicht erschöpft. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der angefochtene Bescheid zu Unrecht einen "Hinweis" auf die Zulässigkeit einer Beschwerdeerhebung u.a. an den Verfassungsgerichtshof enthält (vgl. auch

VfSlg. 9984/1984; vgl. auch zur Unmaßgeblichkeit einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung für die Frage der Erschöpfung des Instanzenzuges VfSlg. 13.378/1993, 14.750/1997, 17.544/2005).

5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

Die Beschwerde war daher zufolge Nichterschöpfung des Instanzenzuges zurückzuweisen.

Da die Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes offenbar ist, wurde dieser Beschluss gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst.

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