VfGH V36/09

VfGHV36/099.10.2012

Gesetzwidrigkeit der auf aufgehobene Bestimmungen des örtlichen Raumordnungskonzeptes der Gemeinde Leisach beruhenden Widmung eines Grundstückes als Freiland im Flächenwidmungsplan; Zulässigkeit des Individualantrags im Anlassfall

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Leisach vom 25.01.06
Örtliches Raumordnungskonzept der Gemeinde Leisach vom 17.05.00 idF vom 25.08.04 §2, §4, §8
Tir RaumOG 2001 §35 Abs1, §41
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Leisach vom 25.01.06
Örtliches Raumordnungskonzept der Gemeinde Leisach vom 17.05.00 idF vom 25.08.04 §2, §4, §8
Tir RaumOG 2001 §35 Abs1, §41

 

Spruch:

I. Die für das Grundstück Nr. 458/1, KG Leisach, festgelegte Widmung "Freiland" im Flächenwidmungsplan der Gemeinde Leisach, vom Gemeinderat beschlossen am 25. Jänner 2006, mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 20. November 2006 aufsichtsbehördlich genehmigt und durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde vom 22. November bis zum 6. Dezember 2006 kundgemacht, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

III. Die Gemeinde Leisach ist schuldig, dem Antragsteller zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 458/1, KG Leisach (in der Folge: Grundstück). Mit seinem auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt er die Aufhebung der für dieses Grundstück im aktuell geltenden Flächenwidmungsplan (zu dessen Beschluss-, Genehmigungs- und Kundmachungsdaten vgl. Spruchpunkt I.) festgelegten Widmung "Freiland".

2. Im Antrag wird zusammengefasst vorgebracht, das Grundstück sei mit der Erlassung des Flächenwidmungsplanes im Jahr 2006 erstmals als Freiland gewidmet worden, davor habe es sich seit 1976 um Bauland-Wohngebiet gehandelt. Die Umwidmung stehe im Hinblick auf die zentrale Lage des Grundstücks an der Bundesstraße 100 im Ortsteil Leisach-Dorf und seiner Nähe zu typischen Gebäuden eines Ortszentrums (Kirche, Gasthof, Gemeindezentrum, Kindergarten und Feuerwehrhaus) nicht im Einklang mit den in §27 Abs2 lita des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2006 (TROG 2006) normierten Zielen der örtlichen Raumordnung.

Im Antrag wird auch darauf hingewiesen, dass die Widmung "Freiland" auf das örtliche Raumordnungskonzept zurückgehe. Für das Grundstück sei die Zeitzone "z3" festgelegt. Für Grundstücke mit einer höheren Zeitzonenfestlegung als z1 sehe §8 Abs2 litb des örtlichen Raumordnungskonzeptes vor, dass diese zunächst als Freiland zu widmen seien. Erst bei Erfüllung der im örtlichen Raumordnungskonzept, und zwar insbesondere der in den textlichen Erläuterungen zu den einzelnen Entwicklungsstempeln festgelegten Voraussetzungen, könnten diese erneut als Bauland gewidmet werden.

3. Der Bürgermeister der Gemeinde Leisach legte Akten über die Erlassung des Flächenwidmungsplanes vor, die den Zeitraum vom Gemeinderatsbeschluss über die Auflegung des ersten Entwurfes (19. Juli 2004) bis zur Kundmachung der endgültigen Fassung durch Anschlag an der Amtstafel umfassen. Von einer Stellungnahme wurde abgesehen.

In weiterer Folge wurden das örtliche Raumordnungskonzept (Stammfassung vom 17. Mai 2000 und Novelle vom 25. August 2004) sowie die zuvor erstellte Bestandsaufnahme vorgelegt.

4. Die Tiroler Landesregierung legte die Akten des über den Flächenwidmungsplan durchgeführten aufsichtsbehördlichen Genehmigungsverfahrens vor und erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Individualantrages beantragte. Inhaltlich brachte die Tiroler Landesregierung im Einklang mit dem Antragsteller im Wesentlichen vor, die Widmung als Freiland sei durch das örtliche Raumordnungskonzept bedingt. In diesem sei für das Grundstück auf Grund von erschließungsmäßigen Defiziten (insbesondere keine Zufahrt von der B 100) hinsichtlich der Baulandwidmung die Zeitzone "z3" festgelegt worden, weshalb bis auf Weiteres im Flächenwidmungsplan eine Widmung als Freiland zu erfolgen habe.

5. Aus Anlass des vorliegenden Individualantrages leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit von Bestimmungen des örtlichen Raumordnungskonzeptes der Gemeinde Leisach (in der Folge: öRk), vom Gemeinderat beschlossen am 17. Mai 2000, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 1. Juni 2001, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde vom 20. Juni 2001 bis 5. Juli 2001, in der Fassung der vom Gemeinderat am 25. August 2004 beschlossenen Änderung, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 14. Februar 2005, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde vom 23. Februar 2005 bis 9. März 2005, ein. Konkret waren §2 Abs1 litc zweiter, vierter und fünfter Satz, §4 Abs2, 4, 6 und 7 sowie §8 Abs2 der textlichen Festlegungen und außerdem die Festlegung sämtlicher Zeitzonen ("z1", "z2" und "z3") im zugehörigen Konzeptplan vom Prüfungsbeschluss umfasst.

6. Mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2012, V29/12, hob der Verfassungsgerichtshof §2 Abs1 litc zweiter, vierter und fünfter Satz, §4 Abs2, 4, 6 und 7 sowie §8 Abs2 der textlichen Festlegungen des öRk sowie sämtliche Zeitzonenfestlegungen ("z1", "z2", "z3") im Konzeptplan des öRk als gesetzwidrig auf.

7. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere bringt der Antragsteller vor, auf dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück Wohnhäuser errichten zu wollen. Damit hat er konkrete Bebauungsabsichten dargetan, die der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung als hinreichend für das Vorliegen eines durch den Flächenwidmungsplan bewirkten aktuellen Eingriffes in die Rechtssphäre des Eigentümers angesehen hat (vgl. VfSlg. 19.075/2010 mwH).

8. Nach dem ersten Satz des §35 Abs1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001 (TROG 2001), LGBl. 93 idF LGBl. 60/2005 (diese Fassung galt im Zeitpunkt der Erlassung des mit dem Antrag bekämpften Flächenwidmungsplanes), ist im Flächenwidmungsplan unbeschadet der Planungskompetenzen des Bundes und des Landes unter Berücksichtigung der Ziele der örtlichen Raumordnung, des örtlichen Raumordnungskonzeptes und der Ergebnisse der Bestandsaufnahme für alle Grundflächen des Gemeindegebietes der Verwendungszweck durch die Widmung als Bauland, Freiland, Sonderflächen oder Vorbehaltsflächen festzulegen.

9. Der Gemeinderat der Gemeinde Leisach hatte also beim Beschluss des Flächenwidmungsplanes das öRk zu "berücksichtigen". Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das örtliche Raumordnungskonzept im Rahmen seiner Festlegungen rechtliche Wirkungen auf alle nachfolgenden Planungsschritte, insbesondere den Flächenwidmungsplan, entfaltet (vgl. Auer, Die Änderung des Flächenwidmungplans, 1998, 32; Lienbacher, Raumordnungsrecht, in Bachmann ua. [Hrsg.], Besonderes Verwaltungsrecht9, 2012, 470, 473).

Die als gesetzwidrig aufgehobenen Teile des öRk waren für die Widmung des Grundstücks als Freiland mit den in §41 TROG 2001 geregelten Rechtsfolgen in concreto verbindlich und wurden bei der Widmungsfestlegung angewendet (bzw. wären sie nach Aufhebung der primär angewendeten Teile anzuwenden gewesen; vgl. näher das Erkenntnis V29/12). Daher ist auch die auf den aufgehobenen Bestimmungen beruhende Widmung im Flächenwidmungsplan mit Gesetzwidrigkeit belastet und war aufzuheben.

10. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litk Tir. Landes-Verlautbarungsgesetz, LGBl. 8/1982 idF

LGBl. 60/2011.

11. Die Kostenentscheidung beruht auf §61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- und eine Eingabengebühr in der Höhe von € 220,-- enthalten.

12. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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