Normen
B-VG Art137 / sonstige Klagen
Mehrwertsteuerrichtlinie des Rates vom 28.11.06, 2006/112/EG , über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem Art78
UStG 1994 §1 Abs1, §4 Abs1
B-VG Art137 / sonstige Klagen
Mehrwertsteuerrichtlinie des Rates vom 28.11.06, 2006/112/EG , über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem Art78
UStG 1994 §1 Abs1, §4 Abs1
Spruch:
Die Klage wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt und Klagebegehren
1. Mit seiner am 5. September 2011 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten auf Art137 B-VG gestützten Klage gegen den Bund beantragt der Kläger die Fällung des folgenden Urteils:
"1. Der Beklagte ist schuldig dem Kläger 409,47 Euro samt 4% Zinsen seit dem 23.02.2009 zu zahlen
2. Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die Kosten dieses Verfahrens zu Handen des Klagevertreters binnen 14 Tagen zu ersetzen".
Begründend führt der Kläger aus, dass er einen Neuwagen erworben habe, auf dessen Nettokaufpreis
9% Normverbrauchsabgabe (im Folgenden: NoVA) gemäß dem Bundesgesetz, mit dem eine Abgabe für den Normverbrauch von Kraftfahrzeugen eingeführt wird (Normverbrauchsabgabegesetz - NoVAG 1991), BGBl. 695/1991, aufgeschlagen worden sei. Diese Summe sei - auf Grundlage von §4 Abs1 des Bundesgesetzes über die Besteuerung der Umsätze (Umsatzsteuergesetz 1994 - UStG 1994) - in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer miteinbezogen worden, was jedoch mit Art78 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: MwSt-Richtlinie) nicht vereinbar sei. Dies deshalb, weil - dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH 22.12.2010, Rs. C-443/09 , Kommission/Österreich, Slg. 2010, I-00181) zufolge - die NoVA keine anderweitige Abgabe darstelle, die bei Lieferung fällig werde, sondern bei erstmaliger Zulassung des Kraftfahrzeuges in Österreich. Somit sei das Einbeziehen der NoVA in die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer unionsrechtswidrig.
Der dem Kläger entstandene Schaden resultiere unmittelbar aus einer Fehlleistung des Gesetzgebers und somit aus legislativem Unrecht, da das UstG 1994 in Kombination mit dem NoVAG 1991 die Unionsrechtswidrigkeit bereits in sich trügen. Dass die Gesetze von Verwaltungsbehörden vollzogen würden, ändere daran nichts, da diese unter Beachtung ihrer Gesetzesbindung dieser Unionsrechtswidrigkeit nicht hätten abhelfen können.
Das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten
Verstoßes ergebe sich aus der langen Dauer und dem großen Umfang des Verstoßes, zumal die NoVA bereits seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahre 1995 falsch berechnet werde. Zudem sei die Unionsrechtswidrigkeit dieser Berechnungsweise spätestens seit der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 1. Juni 2006 (Rs. C-98/05 , Danske Bilimportører, Slg. 2006, I-04945), in dem die Unionsrechtswidrigkeit einer sehr ähnlich gelagerten dänischen Neuwagenzulassungssteuer festgestellt worden sei, wegen der Übertragbarkeit des Falles offensichtlich. Weder bestehe ein Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten noch könne der Kläger die zu seinen Lasten ungerechtfertigte Bereicherung im Verwaltungswege geltend machen.
2. Der Bund, vertreten durch den Bundeskanzler, erstattete eine Gegenschrift in der er dem Vorbringen des Klägers entgegentritt und die Zurückweisung der Klage als unzulässig, in eventu deren Abweisung beantragt. In Bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Klage weist der Bund - unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes - darauf hin, dass über Ansprüche, die auf unionsrechtswidriges hoheitliches Handeln gestützt werden, grundsätzlich die ordentlichen Gerichte nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes entscheiden würden. Diese seien lediglich dann unzuständig, wenn die Einbringung einer Klage nach dem Amtshaftungsgesetz mangels Anknüpfungspunktes zur Vollziehung von vornherein ausscheide. Entscheidend sei - unabhängig davon, ob und wie die Organe der Vollziehung tätig geworden seien -, dass zur Handhabung der Regelung Vollziehungsorgane berufen seien.
Dass eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes ausscheide, bringe der Kläger selbst vor, indem er in seiner Klage ausführt, dass die einschlägigen Gesetze (UStG 1994 bzw. NoVAG 1991) von der Verwaltung vollzogen worden seien. Der Kläger habe somit selbst dargetan, dass die von ihm behaupteten Schäden nicht unmittelbar dem Gesetzgeber zurechenbar seien. Die Behauptung des Klägers, dass die Verwaltungsbehörden unter Beachtung ihrer Gesetzesbindung der Unionsrechtswidrigkeit nicht hätten abhelfen können, verkenne grundlegende Prinzipien des Unionsrechts, wie insbesondere das Gebot der unionsrechtskonformen Interpretation des nationalen Rechts oder den Anwendungsvorrang.
Die Einbeziehung der NoVA in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer durch die Finanzverwaltung habe bis zum Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 22. Dezember 2010 auf einer Interpretation des in §4 Abs1 UStG 1994 normierten Entgeltsbegriffs in den Umsatzsteuerrichtlinien (UStR 2000) beruht, bei welchen es sich um einen Auslegungsbehelf des Bundesministeriums für Finanzen zum UStG 1994 in Erlassform handle. Um dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union Folge zu leisten, sei daher auch keine Gesetzesänderung, sondern lediglich eine Änderung der Verwaltungsanweisung erforderlich gewesen. Die Europäische Kommission habe auch in Folge mit Beschluss vom 19. Mai 2011 das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/2176 gegen Österreich eingestellt. Es sei davon auszugehen, dass die Kommission - wäre sie der Auffassung gewesen, dass die Unionsrechtswidrigkeit unmittelbar der Gesetzgebung zuzurechnen sei und daher ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur Herstellung eines unionsrechtskonformen Zustands erforderlich gewesen wäre - das Verfahren nicht eingestellt hätte. Darüber hinaus, habe der Fahrzeugverkäufer, als Schuldner der Umsatzsteuer, grundsätzlich die Möglichkeit, die Rechnung hinsichtlich des zu hoch ausgewiesenen Steuerbetrags gegenüber dem Kläger zu berichtigen und eine Umsatzsteuer-Gutschrift zu erlangen.
Der Bund weist weiters darauf hin, dass die Amtshaftungsgerichte ihre Zuständigkeit im Zusammenhang mit Staatshaftungsklagen aus Anlass des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union bereits bejaht hätten und legte zum Beweis ein entsprechendes Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vor.
3. Am 6. Dezember 2011 langte beim Verfassungsgerichtshof ein weiterer, als "Vorbereitender Schriftsatz" bezeichneter Schriftsatz des Klägers ein, in dem dieser der Gegenschrift des Beklagten entgegentritt und zur Frage der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes im Wesentlichen vorbringt, dass die Bestimmung des §6 Abs6 NoVAG 1991, derzufolge sich die NoVA um 20% erhöhe, wenn diese nicht Teil der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ist, sehr wohl vorsehe, dass die NoVA (unionsrechtswidrig) in die Umsatzsteuerbemessungsgrundlage einzubeziehen sei. Die Unionsrechtswidrigkeit beruhe somit unmittelbar auf dem Gesetz, weshalb eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gegeben sei.
II. Maßgebliche Rechtslage
1. Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen des UStG 1994, BGBl. 663/1994 idF BGBl. I 76/2011, lauten wie folgt:
"Steuerbare Umsätze
§1. (1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. Die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt;
2. - 3. [...]
(2) - (3) [...]
Bemessungsgrundlage für die Lieferungen, sonstigen Leistungen und den Eigenverbrauch
§4. (1) Der Umsatz wird im Falle des §1 Abs1 Z1 nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung aufzuwenden hat, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten (Solleinnahme); dazu gehören insbesondere auch Gebühren für Rechtsgeschäfte und andere mit der Errichtung von Verträgen über Lieferungen oder sonstige Leistungen verbundene Kosten, die der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung dem Unternehmer zu ersetzen hat.
(2) - (10) [...]"
2. Der Kläger behauptet, die Einbeziehung der NoVA in die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer sei - dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 22. Dezember 2010, Rs. C-443/09 , Kommission/Österreich, Slg. 2010, I-0018, zufolge - nicht vereinbar mit Art78 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Diese Bestimmung lautet:
"Artikel 78
In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende
Elemente einzubeziehen:
a) Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst;
b) Nebenkosten wie Provisions-, Verpackungs-, Beförderungs- und Versicherungskosten, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger fordert.
Die Mitgliedstaaten können als Nebenkosten im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe b Kosten ansehen, die Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung sind."
III. Die Klage ist aus folgenden Gründen nicht
zulässig:
1. Nach Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
Der Kläger behauptet, einen Vermögensschaden erlitten zu haben, da die NoVA in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einbezogen worden sei, was im Widerspruch zum Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 22. Dezember 2010 (EuGH Kommission/Österreich, Slg. 2010, I-0018), stehe. Der Kläger macht somit einen aus dem Unionsrecht abgeleiteten Staatshaftungsanspruch wegen legislativen Unrechts geltend.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach
dargetan hat (vgl. VfSlg. 16.107/2001, 17.002/2003, 17.611/2005 uva.), ist er zur Entscheidung über solche Ansprüche nur zuständig, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind. Knüpft der behauptete Schaden an ein - wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes - verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung (vgl. VfSlg. 17.611/2005, 18.020/2006 ua.). Eine auf Unionsrecht gestützte Staatshaftungsklage fällt somit auch dann in die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte, wenn - wie hier behauptet - die für den Eintritt des behaupteten Schadens kausale Handlung der Vollziehung durch ein unionsrechtswidriges Gesetz zwingend "vorherbestimmt" sein sollte. Ob die dem behördlichen Vorgehen zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen dem Unionsrecht entsprechen, unterläge der Beurteilung durch das Amtshaftungsgericht im Rahmen einer meritorischen Entscheidung, ist aber für die Zuständigkeitsfrage nicht entscheidend. Eine kumulative Zuständigkeit sowohl des Verfassungsgerichtshofes als auch der Amtshaftungsgerichte ist vor diesem Hintergrund ausgeschlossen.
Ein unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnendes Fehlverhalten liegt nicht vor:
Aus dem Vorbringen der Klage folgt, dass der
behauptete Schaden letztlich auf Handlungen und Unterlassungen von Verwaltungsbehörden zurückzuführen ist. Diese haben - wie der Beklagte in seiner Gegenschrift richtig ausführte - bis zum Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 22. Dezember 2010 (EuGH Kommission/Österreich, Slg. 2010, I-0018) in Beachtung der, einen Auslegungsbehelf des Bundesministeriums für Finanzen zum UStG 1994 bildenden und mittlerweile im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union überarbeiteten, Umsatzsteuerrichtlinien (UStR 2000), die NoVA in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einbezogen. Daraus folgt, dass Verwaltungsbehörden in Anwendung der Bestimmungen des UStG 1994 und des NoVAG 1991 tätig geworden sind. Der Kläger bezieht sich im Übrigen in seiner Klage auch selbst auf "die mit dem Vollzug des UStG bzw. NoVAG beauftragte[n] Verwaltungsbehörden/das Bundesministerium für Finanzen".
Der geltend gemachte Schaden ist somit nicht
unmittelbar auf - behauptete - Fehlleistungen des Gesetzgebers zurückzuführen, sondern durch Verwaltungsbehörden verursacht und wäre somit aus dem Titel der Amtshaftung geltend zu machen; für dieses Verfahren sind gemäß §1 JN die ordentlichen Gerichte zuständig, welche ihre Zuständigkeit im Zusammenhang mit sich aus dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 22. Dezember 2010 (EuGH Kommission/Österreich, Slg. 2010, I-0018) ergebenden Staatshaftungsklagen bereits bejaht haben.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Klage war daher wegen Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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