VfGH A23/10

VfGHA23/1022.2.2011

Zurückweisung einer Staatshaftungsklage wegen mangelhafter Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße betreffend den Rechtsschutz gegen Entscheidungen über die Vergabe von Dienstleistungsverträgen an Eisenbahnunternehmen; kein unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnendes Fehlverhalten

Normen

B-VG Art137 / ord Rechtsweg
Verordnung (EG) Nr 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße Art5 Abs7
B-VG Art137 / ord Rechtsweg
Verordnung (EG) Nr 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße Art5 Abs7

 

Spruch:

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.1. Die klagende Partei begehrt in ihrer gegen die "Republik Österreich" (wohl gemeint: den Bund) gerichteten und auf Art137 B-VG gestützten Klage die Feststellung,

"dass die beklagte Partei der klagenden Partei für jeden zukünftigen Schaden, insbesondere in Form von Verfahrenskosten, haftet, der dadurch verursacht wird, dass die Bestimmung des Artikel 5 Abs7 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 nicht bzw. nicht ausreichend in das österreichische Recht umgesetzt wurde."

Begründend führt die klagende Partei aus, dass Art5 Abs7 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates, ABl. 2007, L 315 S 1 ff. (im Folgenden: Verordnung Nr. 1370/2007 ), nicht korrekt umgesetzt worden wäre, da kein Rechtsmittelzug oder Nachprüfungsverfahren festgelegt worden wäre und somit offen stehe, "ob für eine (nachprüfende) Kontrolle der Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Leistungen das Bundesvergabeamt oder die ordentlichen Gerichte zuständig sind". Der klagenden Partei würden durch die, zur Hintanhaltung weiterer Nachteile notwendige, Geltendmachung ihrer Ansprüche im Jahr 2010 in beiden Verfahren nicht unerhebliche Kosten entstehen.

2. Der Bund, vertreten durch den Bundeskanzler, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Zurückweisung der Klage, in eventu deren Abweisung als unbegründet; Kosten wurden nicht beantragt.

3. In ihrer Replik vom 14. Februar 2011 hielt die klagende Partei ihr Begehren vollinhaltlich aufrecht.

II. Der Verfassungsgerichtshof ist zur Entscheidung über die Klage nicht zuständig:

1. Die klagende Partei macht einen aus dem Unionsrecht abgeleiteten Staatshaftungsanspruch wegen legislativen Unrechts geltend. Sie bringt vor, dass ihr zukünftig ein Schaden erwachsen könnte, da sie im Falle einer Vergabe von Dienstleistungsverträgen an Eisenbahnunternehmen durch die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie nicht genau erkennen könne, ob ein Rechtszug an das Bundesvergabeamt oder aber an die ordentlichen Gerichte vorgesehen sei. Aus diesem Grund begehrt sie die Feststellung der Haftung des Bundes insbesondere für Verfahrenskosten, die aufgrund der nicht oder mangelhaft erfolgten Umsetzung des Art5 Abs7 der Verordnung Nr. 1370/2007 entstehen könnten.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes können nur die in Art137 B-VG umschriebenen, nach dieser Vorschrift einklagbaren vermögensrechtlichen Ansprüche Gegenstand eines Feststellungserkenntnisses iSd §38 VfGG sein (VfSlg. 365/1924, 2531/1953, 5789/1968, 13.745/1994).

Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage setzt einerseits die Feststellungsfähigkeit des Rechtsverhältnisses und andererseits ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung voraus. Als Rechtsverhältnis wird eine bestimmte, durch den vorgetragenen Sachverhalt konkretisierte, rechtlich geregelte Beziehung zwischen den Streitteilen verstanden, die im Zeitpunkt der Entscheidung bereits bestehen muss, um "gegenwärtig" zu sein. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes sind Klagen auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden selbst dann zulässig, wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist und "nur die Möglichkeit besteht, dass das schädigende Ereignis einen künftigen Schadenseintritt ermöglichen kann" (vgl. OGH 22.2.2001, 6 Ob 335/00h mwN). Ein schadenersatzrechtliches Feststellungsbegehren ist demnach zulässig, solange der Eintritt künftiger Schäden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (OGH 15.10.2009, 2 Ob 277/08m). Können hingegen (weitere) Schäden aus dem im Feststellungsbegehren bezeichneten Ereignis ausgeschlossen werden, ist das Interesse an der Feststellung zu verneinen (vgl. OGH 19.5.1994, 2 Ob 22/94).

Zunächst ist schon aus dem eigenen Vorbringen der klagenden Partei ersichtlich, dass es ihr am Interesse an einer alsbaldigen Feststellung fehlt: Sie begründet ihr Interesse mit von der zuständigen Bundesministerin beabsichtigten Direktvergaben von Verkehrsdienstleistungen im ersten Halbjahr 2010, wobei der Vertragsabschluss und der Beginn der Leistungserbringung jedenfalls noch im Jahr 2010 erfolgen sollte, bringt aber selbst vor, die Verkehrsdienstleistungen erst ab Dezember 2011 erbringen zu können. Ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Haftung für mögliche künftige Vermögensschäden konnte damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht dargetan werden.

3. Im Übrigen fällt die Entscheidung über die Klage nicht in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art137 B-VG:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach dargetan hat (vgl. VfSlg. 16.107/2001, 17.002/2003, 17.611/2005 uva.), ist er zur Entscheidung über solche Ansprüche nur zuständig, wenn der die Haftung auslösende Akt unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist. Knüpft der behauptete Schaden an ein - wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes - verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung (vgl. VfSlg. 17.611/2005, 18.020/2006 ua.).

Ein unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnendes Fehlverhalten liegt jedoch nicht vor: Wie die klagende Partei selbst vorbringt, wäre ein Rechtsschutz jedenfalls vor dem Bundesvergabeamt oder vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen, so dass jedenfalls ein Akt der Vollziehung dazwischen tritt. Auch in Umsetzung des Art5 Abs7 der Verordnung Nr. 1370/2007 sieht das Rechtsschutzsystem des Bundesvergaberechts im Bundesgesetz über die Vergabe von Verträgen, BGBl. I 17/2006 (Bundesvergabegesetz 2006), zuletzt geändert durch BGBl. I 73/2010, im Falle von Dienstleistungsverträgen den Rechtszug an das Bundesvergabeamt und im Falle von Dienstleistungskonzessionsverträgen jenen an die ordentlichen Gerichte vor. Ein allfälliger Schaden wäre daher aus dem Titel der Amtshaftung geltend zu machen; für dieses Verfahren sind gemäß §1 JN die ordentlichen Gerichte zuständig.

Somit ist offensichtlich, dass Gegenstand der Feststellung ein Schadenersatzanspruch ist, über den zu befinden nicht in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fällt (vgl. VfSlg. 18.600/2008, 18.787/2009).

III. Die Klage war daher wegen Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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