VfGH B1090/09

VfGHB1090/096.10.2011

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Das Land Vorarlberg ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und amtswegiges Gesetzesprüfungsverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, damals serbische Staatsangehörige, kam im Jahr 1995 nach Österreich und ehelichte einen österreichischen Staatsbürger. Ihre im Jahr 1997 geborene Tochter besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft. Die Ehe der Beschwerdeführerin wurde 1999 geschieden. Die Beschwerdeführerin hält sich seit dem 15. Oktober 1997 rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich auf (s. Bescheid S 2).

2. Mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 3. Juli 2006 wurde der Beschwerdeführerin die Verleihung der Staatsbürgerschaft zugesichert, wenn sie innerhalb von zwei Jahren ab Rechtskraft des Bescheides das Ausscheiden aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates nachweist. Den Ausbürgerungsbescheid des Innenministeriums der Republik Serbien legte die Beschwerdeführerin der Behörde am 4. Juli 2007 vor.

3. Die Beschwerdeführerin war ab 29. Juni 2000 in einer Pizzeria als selbständige handelsrechtliche Geschäftsführerin tätig. Die Pizzeria wurde im Zuge eines Konkursverfahrens, welches am 3. Oktober 2007 eröffnet wurde, geschlossen. Danach war die Beschwerdeführerin arbeitslos und bezog seit 24. Oktober 2007 Sozialhilfe, zumal ihr auf Grund ihrer Staatenlosigkeit der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt wurde.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der Vorarlberger Landesregierung wurde in Spruchpunkt I. der Bescheid vom 3. Juli 2006 über die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall, dass die Beschwerdeführerin binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates, der Republik Serbien, nachweist, gemäß §20 Abs2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (im Folgenden: StbG) widerrufen und in Spruchpunkt II. der Antrag der Beschwerdeführerin vom 13. Februar 2003 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §10 Abs1 Z7 StbG abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete dies im Wesentlichen damit, dass die seit 8. Oktober 2007 arbeitslose Beschwerdeführerin seit 24. Oktober 2007 in dauerndem Sozialhilfebezug stehe, womit sie die Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes iSd §10 Abs1 Z7 StbG nicht (mehr) erfülle. Auch das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes des §10 Abs6 StbG sei nicht hervorgekommen.

5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der "denkunmögliche Gesetzesanwendung und Willkür", eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes nach Art14 EMRK sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Normen geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Bis zum Konkurs der Pizzeria im Oktober 2007 sei der Lebensunterhalt zweifelsfrei gesichert gewesen. Lediglich auf Grund der mittlerweile - als Folge der von der Behörde geforderten Zurücklegung der Staatsangehörigkeit - eingetretenen Staatenlosigkeit sei der Beschwerdeführerin die Erlangung einer legalen Beschäftigung unmöglich gewesen. Die belangte Behörde hätte daher darauf abstellen müssen, ob die Beschwerdeführerin seit Oktober 2007 aus eigenem Verschulden maßgeblich zur mangelnden Unterhaltssicherung beigetragen habe, was keinesfalls zutreffe.

Bereits bei Vorlage des Ausbürgerungsnachweises Anfang Juli 2007 seien sämtliche Voraussetzungen nach dem Staatsbürgerschaftsgesetz vorgelegen. Das unvertretbare Zuwarten der belangten Behörde habe die Beschwerdeführerin geradezu in die Arbeitslosigkeit getrieben. Die belangte Behörde hätte daher bei der Prüfung der Verleihungsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt Anfang Juli 2007 abstellen müssen.

§10 Abs1 Z7 StbG in der anzuwendenden Fassung BGBl. I 37/2006 sei unsachlich. Der Verleihungswerber werde durch die Staatenlosigkeit zwangsläufig seiner eigenen Unterhaltssicherung beraubt, wodurch das Erfüllen der Voraussetzungen des §10 Abs1 Z7 StbG verunmöglicht werde.

6. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §20 Abs2 StbG ein. Mit Erkenntnis vom 29. September 2011, G154/10, hob er diese Bestimmung als verfassungswidrig auf.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist begründet.

Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.

Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-

enthalten. Die zusätzlich verzeichneten Kopierkosten waren nicht zuzusprechen, weil diese bereits im Pauschalsatz enthalten sind (vgl. VfGH 24.9.2007, B539/07).

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