Spruch:
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihrer Rechtsvertreterin die mit EUR 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die beschwerdeführende Partei brachte mit Schriftsatz vom
14. August 2006 beim Bezirksgericht Bruck an der Leitha eine Klage wegen Mietzinsrückständen und wegen Räumung ein. Dafür entrichtete sie eine Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG in Höhe von EUR 87,--. In der Tagsatzung vom 4. Oktober 2006 schloss sie mit dem Beklagten einen Vergleich; darin verpflichtete sich der Beklagte zunächst, die aushaftenden Mietzinsrückstände (für eine Wohnung samt dazugehörigen Kellerräumlichkeiten) von insgesamt EUR 1.376,84 s.A. in monatlichen Raten zu je EUR 120,00 zu bezahlen. In diesem Vergleich verpflichtete sich die beklagte Partei weiters, der nunmehr beschwerdeführenden Partei die Wohnung samt dazugehörigen Kellerräumlichkeiten geräumt bis längstens 30. November 2006 zu übergeben (Pkt. 4). Pkt. 3 des Vergleiches lautet:
"Weiters verpflichtet sich die beklagte Partei, die laufenden Monatsmieten zu bezahlen."
Pkt. 5 des Vergleiches lautet:
"Auf die Räumung gemäß Punkt 4. dieses Vergleiches wird unter der Bedingung verzichtet, dass neben den fälligen laufenden Mietzinsen die unter Punkt 2. dieses Vergleiches vereinbarte Ratenvereinbarung eingehalten wird."
2. Mit einem Zahlungsauftrag vom 16. Juli 2009 wurde der beschwerdeführenden Partei für den Vergleich gemäß TP1 GGG iVm §14 und §18 Abs2 Z2 GGG sowie §58 Abs1 JN (unter Annahme einer in Pkt. 3 des Vergleiches enthaltenen Verpflichtung zu einer Leistung auf unbestimmte Dauer) eine restliche Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG iHv EUR 1.104,-- samt Einhebungsgebühr iHv EUR 8,-- auf Basis des 10-fachen Jahresbetrages des (monatlichen) Mietzinses zur Zahlung vorgeschrieben. Mit Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes Korneuburg vom 7. Oktober 2009 wurde dem dagegen erhobenen Berichtigungsantrag der beschwerdeführenden Partei keine Folge gegeben.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, die beklagte Partei hätte sich in Pkt. 3 des Räumungsvergleiches zur Bezahlung laufender monatlicher Mietzinse verpflichtet, womit diese Leistungsverpflichtung nicht von vornherein auf eine bestimmte Zeit begrenzt sei; da sich daher aus dem Vergleichstext selbst eine bestimmte zeitliche Begrenzung dieser Leistungspflicht nicht ergebe, sei der Berechnung der erhöhten Pauschalgebühr das Zehnfache der Jahresleistung zugrunde zu legen.
3. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (vgl. §7 Abs7 GEG 1962) - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und des Zivilrechtsstreites vor, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.337/1985, 10.362/1985, 11.470/1987) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2.1. §§14 und 18 des Gerichtsgebührengesetzes (GGG), BGBl. 501/1984, lauten:
"I. Bewertung des Streitgegenstandes
a) Im Zivilprozeß
Allgemeine Grundsätze
§14. Bemessungsgrundlage ist, soweit nicht im folgenden etwas anderes bestimmt wird, der Wert des Streitgegenstandes nach den Bestimmungen der §§54 bis 60 JN.
...
Wertänderungen
§18. (1) Die Bemessungsgrundlage bleibt für das ganze Verfahren gleich.
(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:
1. Wird der Streitwert gemäß §7 RATG geändert, so bildet - unbeschadet des §16 - der geänderte Streitwert die Bemessungsgrundlage. Bereits entrichtete Mehrbeträge sind zurückzuzahlen.
2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen.
3. Betrifft das Rechtsmittelverfahren oder das Verfahren über eine Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage nur einen Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes, so ist in diesem Verfahren für die Berechnung nur der Wert dieses Teiles maßgebend. Bei wechselseitig erhobenen Rechtsmitteln sind die Pauschalgebühren nach Maßgabe der Anträge eines jeden der beiden Streitteile gesondert zu berechnen und vom jeweiligen Rechtsmittelwerber zu entrichten. Ist der von der Anfechtung betroffene Teil nicht nur ein Geldanspruch, so hat ihn der Rechtsmittelwerber in der Rechtsmittelschrift zu bewerten; unterläßt er dies, ist der Bemessung der Pauschalgebühr für das Rechtsmittelverfahren der ganze Wert des ursprünglichen Streitgegenstandes zugrunde zu legen.
4. Wenn ausschließlich der Ausspruch über die Zinsen angefochten wird, ist als Endzeitpunkt für die Zinsenberechnung der Zeitpunkt maßgebend, zu dem dem Rechtsmittelwerber die angefochtene Entscheidung zugestellt worden ist.
(3) Eine Änderung des Streitwertes für die Pauschalgebühren tritt nicht ein, wenn das Klagebegehren zurückgezogen oder eingeschränkt wird oder wenn ein Teil- oder Zwischenurteil gefällt wird."
2.2. §58 Abs1 Jurisdiktionsnorm (JN), RGBl. 111/1895 idF BGBl. 135/1983, lautet:
"Als Wert des Rechtes auf den Bezug von Zinsen, Renten, Früchten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen ist bei immerwährender Dauer das Zwanzigfache, bei unbestimmter oder auf Lebenszeit beschränkter Dauer das Zehnfache, sofern es sich um Ansprüche auf Unterhalts- oder Versorgungsbeträge und auf Zahlung von Renten wegen Körperbeschädigung oder Tötung eines Menschen handelt, das Dreifache der Jahresleistung, bei bestimmter Dauer aber der Gesamtbetrag der künftigen Bezüge, jedoch in keinem Fall mehr als das Zwanzigfache der Jahresleistung anzunehmen."
3. Zwischen den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist nur die Frage strittig, ob Pkt. 3 des Vergleiches die Verpflichtung der beklagten Partei zu wiederkehrenden Leistungen, nämlich des laufenden Mietzinses (auf unbestimmte Zeit), enthält, sodass iS des §14 GGG iVm §58 Abs1 JN der zehnfache Jahresbetrag an Mietzins der Neuberechnung der Pauschalgebühr zugrunde zu legen war.
Der Verfassungsgerichtshof hatte in den mit den Erkenntnissen VfSlg. 16.701/2002, 17.004/2003 und 17.634/2005 entschiedenen Fällen die Gebührenpflicht von Vergleichen zu beurteilen, in denen es den jeweils beklagten Parteien offen stand, durch die Bezahlung der aushaftenden Monatsmieten und der laufenden Monatsmieten die Räumung abzuwenden. Darin ging der Verfassungsgerichtshof jeweils davon aus, dass der Beschwerdeführer durch seinen (bedingten) Verzicht darauf, vom zuvor geschaffenen Exekutionstitel Gebrauch zu machen, allenfalls über den Anspruch auf Räumung disponierte, den er bereits mit seiner Klage geltend gemacht und für den er die Pauschalgebühr entrichtet hatte. Über den Anspruch auf Zahlung des Mietzinses wird aber in jenen Fällen dann nicht in einer die Gebührenpflicht auslösenden Weise disponiert, wenn eine bloß beiläufige Erwähnung der Zahlung des "laufenden Mietzinses" in der Weise erfolgt, dass der Verzicht auf den Räumungstitel nicht nur von der Zahlung der rückständigen Mietzinse, sondern auch von der weiterhin ordnungsgemäßen Vertragserfüllung abhängig gemacht wird. Damit wird lediglich eine Bedingung des Verzichts festgelegt, nicht aber eine Verpflichtung des Schuldners begründet.
Im Sinne dieser Rechtsprechung wird das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums wegen einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung verletzt, wenn die Einhaltung einer schon bestehenden vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung laufender Mietzinse, die bloß als eine Bedingung für den Verzicht auf die Räumung durch die klagende Partei in einen Räumungsvergleich aufgenommen wurde, einer (gebührenpflichtigen) Zahlungsverpflichtung der beklagten Partei gleichgesetzt wird.
Ein solcher Sachverhalt liegt auch im vorliegenden Fall vor:
die Punkte 3 bis 5 des in Rede stehenden Vergleiches stehen insoweit in einem engen Sachzusammenhang, als die klagende Partei auf die Geltendmachung der in Punkt 4 enthaltenen Verpflichtung zur Räumung und Übergabe des Bestandobjektes in Punkt 5 unter der Bedingung verzichtet, dass die beklagte Partei nicht nur den eingeklagten Mietzinsrückstand, sondern im Sinne von Punkt 3 auch die laufenden Mietzinse pünktlich entrichtet. Punkt 3 des Vergleichs kommt ungeachtet der Formulierung, wonach sich die beklagte Partei zur Zahlung der laufenden Mietzinse "verpflichtet", keine weitergehende Bedeutung und kein anderer Zweck zu, als Verweisungsobjekt der in Punkt 5 näher formulierten Bedingung zu sein, wie schon erweist, dass nicht einmal die Höhe dieser Zahlungsverpflichtung im Vergleich genannt ist. Die Erwähnung dieser Verpflichtung erfolgte sohin in einer systematischen Zusammenschau nur beiläufig im Sinne der Vorjudikatur (vgl. VfSlg. 16.701/2002, S 675, 17.004/2003, S 463 f., 17.634/2005, S 88 f.).
Die belangte Behörde hat §18 Abs2 Z2 GGG und §14 GGG iVm §58 Abs1 JN somit in denkunmöglicher Weise angewendet und daher die beschwerdeführende Partei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Die zugesprochenen Kosten enthalten Umsatzsteuer von EUR 400,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) von EUR 220,--.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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