VfGH B547/10

VfGHB547/104.5.2010

VfGG §85 Abs2 / "Vollzug"
VfGG §85 Abs2 / Begründung des Antrages
VfGG §85 Abs2 / Börsenwesen
VfGG §85 Abs2 / Verwaltungsstrafrecht
VfGG §85 Abs2 / "Vollzug"
VfGG §85 Abs2 / Begründung des Antrages
VfGG §85 Abs2 / Börsenwesen
VfGG §85 Abs2 / Verwaltungsstrafrecht

 

Spruch:

Dem in der Beschwerdesache der Mag. A M-W, ..., vertreten durch die E & H Rechtsanwalts GmbH, ..., gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. April 2010, Z ..., gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird gemäß §85 Abs2 VfGG F o l g e gegeben.

Begründung

Begründung

1. Die Antragstellerin ist Mitglied des Vorstands der H.-B. Bank AG. Dieses Unternehmen ist Mitglied der Wiener Börse. Mit Straferkenntnis der Finanzmarktaufsichtsbehörde (im Folgenden: FMA) vom 3. August 2009 wurde über sie eine Geldstrafe in Höhe von € 2.000,-- wegen einer Verwaltungsübertretung nach §48a Abs1 Z2 lita iVm §48c BörseG verhängt. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. April 2010, Z ..., wurde ihrer dagegen erhobenen Berufung nur insoweit Folge gegeben, als u.a. der Tatzeitraum präzisiert wurde. Im Übrigen wurde das Straferkenntnis der FMA bestätigt.

2. In der dagegen gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wird u.a. der Antrag gestellt, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Zur Begründung führt die Antragstellerin aus, dass der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegenstünden. Der sofortige Vollzug des angefochtenen Bescheides würde für die Antragstellerin einen unverhältnismäßigen Nachteil mit sich bringen, weil sie dadurch einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage verlieren würde und die damit einhergehende Reputationsschädigung es ihr unmöglich machen würde, ihre bisherige Tätigkeit wieder aufzunehmen oder eine vergleichbare Beschäftigung zu finden. Die Zulassungsvoraussetzung für die Börsemitgliedschaft gemäß §14 Abs1 Z4 Börsegesetz führe im Ergebnis dazu, dass Geschäftsleiter von Börsemitgliedern ihre Funktion aufgeben müssen, sobald sie rechtskräftig wegen eines Verstoßes gegen §48c Börsegesetz bestraft worden sind. Da das Unternehmen der Antragstellerin andernfalls seine Börsemitgliedschaft verlieren würde, sei davon auszugehen, dass es sie als Geschäftsleiterin ihrer Funktion entheben wird, um diese Gefahr abzuwenden. Die Wirkung des §14 Börsegesetz sei für den Geschäftsleiter eines Börsemitglieds daher ein mit der Bestrafung nach §48c leg.cit. unmittelbar verbundener Funktionsverlust. Dieser Funktionsverlust würde auch einer gleichwertigen Tätigkeit in jedem anderen gleichartigen Unternehmen entgegenstehen. Die Wiener Börse AG habe der Antragstellerin signalisiert, dass der H.-B. Bank AG die Börsemitgliedschaft entzogen wird, wenn der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wird und sie nicht von ihrer Vorstandsfunktion enthoben wird.

3. Gemäß §85 Abs2 VfGG kann einer Beschwerde auf Antrag die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

4. Nach §19 Abs1 Z1 BörseG sind Börsemitglieder von der Mitgliedschaft auszuschließen, wenn die Zulassungsvoraussetzungen weggefallen sind. Dies ist gemäß §14 Abs1 Z4 leg.cit. etwa dann der Fall, wenn einer der Geschäftsleiter des Börsemitglieds rechtskräftig nach §§48, 48b oder 48c leg.cit. bestraft ist.

Eine rechtskräftige Bestrafung wie jene des angefochtenen Bescheides entfaltet daher Tatbestandswirkung für die von der Börse gemäß §§14, 19 BörseG zu veranlassende Beendigung des Börsemitgliedschaftsverhältnisses (welches seit dem Börsefondsüberleitungsgesetz BGBl. I 11/1998 privatrechtlich organisiert ist; vgl. die RV 929 BlgNR 20. GP, 21). Im Hinblick darauf, dass im privatrechtlichen Verhältnis zwischen dem Börsemitglied und der Börse keine mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten Rechtsbehelfe vorgesehen sind (§19 Abs2 BörseG schließt ein Besitzstörungsverfahren oder die Erlassung von einstweiligen Verfügungen in diesem Zusammenhang ausdrücklich aus), sieht es der Verfassungsgerichtshof als belegt an, dass eine Vollziehung des angefochtenen Bescheides durch die Wiener Börse AG für die Antragstellerin dazu führen würde, dass das Unternehmen, bei dem sie als Vorstand bestellt ist, sie als Vorstandsmitglied absetzen müsste, um den Ausschluss von der Börsemitgliedschaft abzuwenden. Mit der Umsetzung des angefochtenen Bescheides wäre für die Antragstellerin daher nicht nur die Fälligkeit der Geldstrafe, sondern auch der (zumindest vorläufige) Verlust ihrer Position im Unternehmen verbunden.

Der angefochtene Bescheid ist daher einem Vollzug zugänglich und sowohl hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung der Geldstrafe als auch hinsichtlich seiner aus §19 BörseG resultierenden Folgewirkungen geeignet, für die Antragstellerin unmittelbar nachteilige Folgen auszulösen.

5. Aus dem Vorbringen der Antragstellerin und den von ihr vorgelegten Unterlagen geht hervor, dass der angefochtene Bescheid des UVS Wien bereits am 25. Jänner 2010 mündlich verkündet worden ist und in der Folge zwischen der Antragstellerin und der Wiener Börse AG ein Schriftverkehr zur Frage der Erhebung einer Beschwerde und zu einem allfälligen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattgefunden hat. Die Wiener Börse AG hat die Antragstellerein zunächst mit Schreiben vom 15. März 2010 ersucht, innerhalb eines Monats mitzuteilen, welche Schritte sie gegen den mündlich verkündeten Bescheid setzen wird (dh. ob sie gegen den Bescheid Beschwerde erheben und einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stellen wird). Mit Schreiben vom 21. April 2010 hat die Wiener Börse AG den Rechtsvertreter der Antragstellerin darauf hingewiesen, dass die schriftliche Ausfertigung des Bescheides nunmehr vorliegt und dass "nichts mehr gegen eine umgehende Bekämpfung dieses Bescheides bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts und gegen die Beantragung der aufschiebenden Wirkung [spricht]".

6. Im Hinblick auf die Ausführungen unter Punkt 4. geht der Verfassungsgerichtshof von der Vollzugstauglichkeit des angefochtenen Bescheides aus sowie davon, dass die Antragstellerin - jedenfalls hinsichtlich der als Folgewirkungen des Bescheides gemäß §19 BörseG von ihr zu befürchtenden Konsequenzen - die sie betreffenden Nachteile hinreichend konkret dargelegt hat. Dem von der Antragstellerin hervorgehobenen Umstand, dass die hier einschlägige spezielle Zulassungsvoraussetzung erst mit der Neufassung des §14 BörseG, somit erst am 1.4.2009 in Kraft getreten ist, das für ihre Verurteilung maßgebende Verhalten aber vor diesem Zeitpunkt gesetzt worden ist, kommt dabei keine maßgebende Bedeutung zu, da die Wiener Börse AG erkennbar von dem - hier nicht zu hinterfragenden - Rechtsstandpunkt ausgeht, dass die Vorschrift auch Verurteilungen wegen früher gesetzter Tathandlungen betrifft.

Angesichts der aus der vorgelegten Korrespondenz hervorgehenden (zuwartenden) Haltung der Wiener Börse AG geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kein öffentliches Interesse entgegensteht und dass insbesondere nicht angenommen werden muss, dass von der Wiener Börse AG eine besondere Dringlichkeit gesehen wird, den angefochtenen Bescheid umgehend zu vollziehen, d.h. ohne dass der Ausgang des verfassungsgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden dürfte.

Nach Abwägung aller berührten Interessen ist daher davon auszugehen, dass der Vollzug des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin mit einem unverhältnismäßigen Nachteil im Sinn des §85 Abs2 VfGG verbunden wäre. Dem Antrag ist daher Folge zu geben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte