VfGH B1347/09

VfGHB1347/098.12.2010

Entzug des gesetzlichen Richters durch Abweisung einer Berufung durch die Landes-Grundverkehrskommission; Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates im Zeitpunkt der Bescheiderlassung auf Grund einer Novelle zum Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996

Normen

B-VG Art83 Abs2
Tir GVG 1996 §26 Abs2
B-VG Art83 Abs2
Tir GVG 1996 §26 Abs2

 

Spruch:

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Eingabe vom 6. März 2009 beantragten die

Beschwerdeführer die grundverkehrsbehördliche Genehmigung des Erwerbs der EZ 537 GB B., bestehend aus den Grundstücken 1756/2 und 1756/3, aus der Verlassenschaft nach der 1994 verstorbenen A. M. T. Die Bezirks-Grundverkehrskommission versagte mit Bescheid vom 23. April 2009 diesem Rechtserwerb die Genehmigung. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung.

2. Die Landes-Grundverkehrskommission (im Folgenden: LGVK) wies die Berufung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21. September 2009 und anschließender Beschlussfassung mit dem mit 23. September 2009 datierten Bescheid ab. Dieser Bescheid wurde allen Beteiligten am 1. Oktober 2009 zugestellt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass es sich bei der gegenständlichen Liegenschaft um land- bzw. forstwirtschaftliche Grundstücke iSd §2 Abs1 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996, LGBl. 61 (im Folgenden: TirGVG 1996) idF LGBl. 85/2005 handle, die auch aktuell durch einen Landwirt durch Mahd und Beweidung genützt würden, und auf welchen ein Freizeitwohnsitz liege. Das Vermächtnis sei 1976 in der Absicht errichtet worden, die damals in Geltung stehenden Bestimmungen des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1970, LGBl. 4/1971 idF LGBl. 6/1974, für den Rechtserwerb unter Lebenden an land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücken zu umgehen. Die Beschwerdeführer gehörten auch nicht zum Kreis der gesetzlichen Erben. Die Voraussetzungen des §6 Abs6 TirGVG 1996 idF LGBl. 85/2005 träfen daher - der Ansicht der Bezirks-Grundverkehrsbehörde folgend - zu.

3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet. Unter anderem bringen die Beschwerdeführer vor, dass die belangte Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen habe. Nach ArtII Abs3 der Novelle zum TirGVG 1996, LGBl. 60/2009, hätte vielmehr der Unabhängige Verwaltungssenat in der Sache entscheiden müssen.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen. Er beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Einer der gesetzlichen Erben der Vermächtnisgeberin hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet.

II. 1. Die maßgebliche Bestimmung des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996, LGBl. 61 idF LGBl. 60/2009, lautet:

"9. Abschnitt

Behörden

§26

Grundverkehrsbehörden

(1) Grundverkehrsbehörde erster Instanz ist hinsichtlich der land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücke die Bezirks-Grundverkehrskommission (§27), hinsichtlich der Baugrundstücke und der sonstigen Grundstücke die Bezirksverwaltungsbehörde. ...

(2) Gegen Bescheide nach diesem Gesetz ist die Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig."

2. §26 des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996, LGBl. 61 idF LGBl. 85/2005, lautet:

"9. Abschnitt

Behörden

§26

Grundverkehrsbehörden

(1) ...

(2) Grundverkehrsbehörde zweiter Instanz ist die Landes-Grundverkehrskommission."

3. Der ArtII des Gesetzes LGBl. 60/2009 lautet:

"Artikel II

(1) Dieses Gesetz tritt mit 1. Oktober 2009 in Kraft.

(2) ...

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat hat die am 30. September 2009 bei der Landes-Grundverkehrskommission anhängigen Verfahren fortzuführen.

(4) Auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Verfahren ist das Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 in seiner durch ArtI dieses Gesetzes geänderten Fassung anzuwenden. Die durch dieses Gesetz neu gefassten §§7 Abs1 litd und 7a sind jedoch auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes in zweiter Instanz anhängige Verfahren nicht anzuwenden."

III. Die - zulässige - Beschwerde erweist sich im Ergebnis als begründet.

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

1.1. Die belangte Behörde hat schon am 21. September 2009 - im Anschluss an die mündliche Verhandlung - über den Bescheid Beschluss gefasst. Zu diesem Zeitpunkt war §26 Abs2 TirGVG 1996 noch in der Fassung vor In-Kraft-Treten des Gesetzes LGBl. 60/2009 anzuwenden. Es ist im Verfahren unbestritten geblieben und aus den Verwaltungsakten ersichtlich, dass der - nicht mündlich verkündete - mit 23. September 2009 datierte Bescheid der LGVK den Beschwerdeführern (wie auch den anderen Parteien des Berufungsverfahrens) erst am 1. Oktober 2009 zugestellt worden ist.

1.2. Ein (schriftlicher) Bescheid gilt auch bei Kollegialbehörden nicht schon mit der Beschlussfassung, sondern - mangels mündlicher Verkündung - erst als erlassen, wenn er einer der Parteien des Verfahrens gültig zugestellt worden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, sind die rechtlichen Grundlagen eines Bescheides auch bei Kollegialbehörden stets nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides, nicht nach jener im Zeitpunkt der kollegialen Beschlussfassung zu beurteilen (zB VfSlg. 16.907/2003 mwN, 17.987/2006, 18.365/2008). Der Verfassungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass eine (kollegiale) Verwaltungsbehörde ihre (sachliche und örtliche) Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens - und zwar bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung - von Amts wegen wahrzunehmen hat, auch wenn sich die Unzuständigkeit der Behörde erst im Laufe des Verfahrens ergibt (VfSlg. 17.381/2004, 17.987/2006).

1.3. §26 Abs2 TirGVG 1996 stand am 1. Oktober 2009 in der Fassung des Gesetzes LGBl. 60/2009 in Kraft. Daraus folgt, dass im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides nicht mehr die belangte Behörde, sondern der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol zu einem Abspruch über die Berufung der Beschwerdeführer zuständig war. Auf Grund der erst am 1. Oktober 2009 erfolgten Zustellung des mit 23. September 2009 datierten Bescheides der LGVK hat diese eine ihr gesetzlich nicht (mehr) zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen.

1.4. Die Beschwerdeführer sind somit durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die übrigen Beschwerdevorbringen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 220,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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