VfGH G11/06

VfGHG11/0622.6.2006

Zurückweisung des Antrags des Obmanns des Vereins "Asyl in Not - Unterstützungskomitee für politisch verfolgte Ausländerinnen und Ausländer" auf Aufhebung von Teilen der Bestimmung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 betreffend die Strafbarkeit der Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt; kein Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers mangels Tatbestandsmäßigkeit der auf Beratung, Vertretung und humanitäre Unterstützung der Betroffenen gerichteten Vereinstätigkeit

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
FremdenpolizeiG 2005 §115
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
FremdenpolizeiG 2005 §115

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Der Antragsteller ist - gemäß dem vorgelegten Auszug aus dem Vereinsregister - Obmann des Vereins "Asyl in Not - Unterstützungskomitee für politisch verfolgte Ausländerinnen und Ausländer". Der Zweck dieses Vereines wird in §2 der Statuten wie folgt umschrieben:

"Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist und somit als gemeinnützig anzusehen ist, bezweckt die Vertretung der Interessen und die Förderung und Unterstützung von politisch, rassisch oder religiös verfolgten AusländerInnen."

Als ideelle Mittel zur Erreichung des Vereinszwecks dienen gemäß §3 Abs2 der Statuten:

"a) die Vertretung der Interessen von politisch verfolgten und sonst benachteiligten AusländerInnen

b) die Veranstaltung von Versammlungen, Vorträgen, Diskussionsabenden, Ausstellungen, Dia-, Film- und Videoabenden, Konzert-, Theater- und Festveranstaltungen sowie von geselligen Zusammenkünften

c) Herausgabe von Mitteilungsblättern, Broschüren, Zeitschriften, Flugblättern und Plakaten, Filmen, Videos

d) die Einrichtung eines Sekretariats und eines Dokumentationsarchives sowie von Informations- und Beratungsstellen."

Der Antragsteller stellte folgende Anträge:

"1.1 §115 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 in der Fassung des BGBl. I Nr. 157/2005 sowie die Wendungen '1 oder' in §115 Abs4 sowie '1 und' in §115 Abs5 dieses Gesetzes, je in der Fassung des BGBl. I Nr. 100/2005, als verfassungswidrig aufzuheben, hilfsweise

1.2 lediglich die dem §115 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 mit Artikel I Z. 10 des BGBl. I Nr. 157/2005 angefügten Sätze 'Jedenfalls nicht rechtswidrig handelt, wer ausschließlich Tätigkeiten im Rahmen seiner Berufspflichten als Rechtsanwalt ausübt. Gleiches gilt für andere in die Verteidigerliste eingetragene Personen' als verfassungswidrig aufzuheben, sowie jedenfalls

2. gemäß §65a VfGG zu erkennen, dass der Bund schuldig ist, dem Antragsteller die Kosten des vorliegenden Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen."

2. §115 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: FPG), lautet in der Stammfassung:

"Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt

§115. (1) Wer mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union erleichtert, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Wer mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes, nicht bloß geringfügiges Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union erleichtert, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(3) Wer die Tat gewerbsmäßig begeht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(4) Der Fremde, dem die Beihilfe nach Abs1 oder 2 zu Gute kam oder kommen sollte, ist nicht als Beteiligter zu bestrafen.

(5) Das Verfahren wegen der im Abs1 und 2 bezeichneten Taten obliegt den Gerichtshöfen erster Instanz."

Das Gesetz trat am 1. Jänner 2006 in Kraft (§126 Abs1 FPG). In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (952 BlgNR XXII. GP, 112) wird zu dieser Bestimmung ausgeführt:

"Zu §115:

§115 entstand aus §107a Fremdengesetz 1997.

Abs1 stellt unter Strafe, wer einem Fremden den unbefugten Aufenthalt erleichtert, um ein behördliches Verfahren - also Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung, eines Aufenthalts- oder eines Rückkehrverbotes - zu erschweren oder rechtwidrig eine faktische, behördliche angeordnete Maßnahme - also eine Zurückschiebung, Abschiebung oder Durchbeförderung - hintanzuhalten. Im Gegensatz zu Erschweren ist Hintanhalten eine zumindest über längere Zeit anhaltende Vereitelung. Nicht rechtswidrig sind humanitäre Zuwendungen an einen Fremden oder Rechtshilfe. Hingegen ist etwa das Verstecken eines Fremden in einer Wohnung, wenn es mit dem Ziel verfolgt wird, die polizeiliche Maßnahme hintanzuhalten oder ein behördliches Verfahren zu verhindern, mit Strafe bedroht.

Abs2 normiert, dass die gewerbsmäßige Begehung der Tat nach Abs1 strenger zu bestrafen ist, Abs3, dass der Fremde, dem die rechtswidrige Unterstützung zugekommen ist, nicht nach dieser Bestimmung als Beteiligter zu bestrafen ist.

Abs4 normiert, dass das Verfahren - wie etwa auch der Grundtatbestand der Schlepperei - von den Gerichtshöfen der ersten Instanz zu führen ist."

Mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 157/2005 wurden mehrere Bestimmungen des FPG geändert. Unter anderem wurden dem §115 Abs1 folgende Sätze angefügt:

"Jedenfalls nicht rechtswidrig handelt, wer ausschließlich Tätigkeiten im Rahmen seiner Berufspflichten als Rechtsanwalt ausübt. Gleiches gilt für andere in die Verteidigerliste eingetragene Personen."

Als Begründung für die Novellierung des §115 FPG noch vor dem Inkrafttreten der Stammfassung des Gesetzes wird im Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten (1154 BlgNR XXII. GP, 2) Folgendes ausgeführt:

"Tätigkeiten, die ein Rechtsanwalt ausschließlich im Rahmen der Erfüllung seiner beruflichen Pflichten ausübt, können niemals tatbestandsmäßig sein. Die gesetzliche vorgesehene Wahrung von Parteienrechten eines Mandanten kann daher naturgemäß keine Verhinderung eines Verfahrens oder einer rechtmäßigen Durchsetzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme darstellen."

II. 1. Der Antragsteller führt zur Zulässigkeit des Antrages aus, dass nach §115 FPG jegliche Handlung tatbestandsmäßig sei, die einem (aktuell oder auch erst künftig) unbefugt aufhältigen Fremden den unbefugten Aufenthalt auf welche Weise immer erleichtere und dabei zumindest vom bedingten Vorsatz getragen sei, ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen diesen Fremden oder deren Durchsetzung hintanzuhalten. Damit berühre §115 Abs1 direkt seine Rechtssphäre. Der Antragsteller leiste zahlreichen Fremden in asylrechtlichen und fremdenpolizeilichen Verfahren Hilfestellung, sei es durch Abfassen von Rechtsmitteln und Eingaben oder auch durch Übernahme von Vertretungs- und Zustellvollmachten in den bezughabenden Verwaltungsverfahren.

Der Antragsteller führt dann Beispiele für seine Hilfestellung in diversen Verfahren an und meint, dass auch die Ergreifung von Rechtsmitteln tatbestandmäßig sein könne, weil etwa dadurch die Aufenthaltsbeendigung eines in Schubhaft befindlichen Fremden hintangehalten werde.

Die Abgrenzung zwischen erlaubten und nunmehr strafbaren Handlungen sei äußerst schwierig. Um eine

"völlig ins Belieben der Strafverfolgungsbehörden gestellte Strafverfolgung gemäß §115 Abs1 FPG zu vermeiden, müsste der Antragsteller entweder sein Engagement hinkünftig auf Fremde beschränken, die über einen relativ gesicherten rechtmäßigen Aufenthaltsstatus verfügen, und/oder sowohl bestehende als auch künftige Betreuungs- und Vertretungsverhältnisse unter der auflösenden Bedingung eingehen, dass sie mit Verlust des rechtmäßigen Aufenthaltes des Auftraggebers als aufgelöst zu gelten haben."

Der Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers ergebe sich schließlich auch aus seiner Stellung als Vereinsobmann. Der Verein gehe einem erlaubten und von der Vereinsbehörde auch nicht untersagten Vereinszweck nach, der nun kriminalisiert werde.

Der Eingriff sei auch aktuell, da das Gesetz bereits in Kraft getreten sei und der Antragsteller seine bisherige Tätigkeit fortzusetzen gedenke.

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung des Haupt- und des Eventualantrages sowie - im Falle der Zulässigkeit des Antrages - dessen Abweisung begehrt.

Zunächst führt sie aus, dass durch den Verweis auf Abs1 des §115 FPG in den Abs4 und 5 nicht in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen werde. Ferner bringt sie vor:

"Unabhängig davon erscheint der Primärantrag ebenso wie der Eventualantrag als unzulässig, denn auch auf Grund der Darlegungen des Antragstellers kann unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabes [Rohregger, Art140 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Rz 179 (2003)] nicht erkannt werden, warum die angefochtene Gesetzesbestimmung einen Großteil des Handelns des Antragstellers bzw. der Tätigkeit im Rahmen des Vereins 'Asyl in Not' objektiv benachteiligen sollte, zumal der Normzweck nicht auf die Verhinderung von beratenden oder unterstützenden Tätigkeiten von Vereinen oder anderen nichtstaatlichen Institutionen abzielt, sondern auf die Prävention und Sanktion der besonders qualifizierten Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt. Aus der bloßen Existenz eines bestimmten Straftatbestandes auf eine wesentliche Verhinderung der Tätigkeit des Vereins einschließlich seiner Mitglieder zu schließen, der sich nach seinem Vereinszweck der Vertretung der Interessen und der Förderung und Unterstützung von politisch, rassisch oder religiös verfolgten Ausländern widmet, führt jedoch zu weit, zumal die Abgrenzung zwischen strafbarem und erlaubtem Handeln für den Rechtsunterworfenen weiterhin vorhersehbar ist und dieser sein Handeln auch danach ausrichten kann (siehe dazu unten)."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 und 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 10.353/1985, 15.306/1998, 16.890/2003).

Ferner hat sich der Gerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat somit ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2. Der Straftatbestand nach §115 Abs1 setzt nicht bloß voraus, dass der Täter einem Fremden den unbefugten Aufenthalt erleichtert, sondern auch, dass dies mit dem Vorsatz geschieht, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (952 BlgNR XXII. GP) wird der Begriff mit "eine[r] zumindest über längere Zeit anhaltende[n] Vereitelung" erklärt; auch wird vom Vorsatz, "ein behördliches Verfahren zu verhindern", gesprochen. Die Erläuterungen stellen dem Begriff der "Hintanhaltung" jenen des "Erschwerens" gegenüber ("Im Gegensatz zu Erschweren ist Hintanhalten ...").

Angesichts dessen kann jemandem, der insbesondere bei der Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen behördliche Entscheidungen und damit der Ausübung eines Rechtes des Fremden Hilfe leistet, bereits von Vorneherein keinesfalls der Vorsatz unterstellt werden, ein Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten.

Aber auch humanitäre Hilfe jeder Art, die nicht vom Vorsatz, eine "über längere Zeit anhaltende Vereitelung" (RV 952 BlgNR XXII. GP) behördlicher Maßnahmen zu bewirken, begleitet ist, ist nicht tatbestandsmäßig. Dieser Auslegung stehen auch nicht die durch das BGBl. I Nr. 157/2005 dem §115 Abs1 FPG angefügten Sätze entgegen. Die eingefügten Sätze beginnen mit dem Wort "Jedenfalls", woraus sich ergibt, dass die Regelung nicht abschließend ist.

3. Der Antragsteller behauptet nicht, dass seine Tätigkeit oder jene des von ihm geleiteten Vereins auf die Vereitelung von Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen abzielt, sondern auf Beratung, Vertretung und humanitäre Unterstützung von Ausländerinnen und Ausländern, sodass die Strafbestimmung nicht in seine Rechtssphäre eingreift.

Der Haupt- und der Eventualantrag waren daher zurückzuweisen.

IV. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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