Normen
B-VG Art83 Abs2
Nö StraßenG 1999 §2 Z2, §12 Abs1
B-VG Art83 Abs2
Nö StraßenG 1999 §2 Z2, §12 Abs1
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Gestützt auf §12 Abs6 iVm §9 des NÖ Straßengesetzes 1999 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung mit Bescheid vom 24. September 2002 unter Vorschreibung von Auflagen dem Land Niederösterreich die straßenbaubehördliche Bewilligung zum Bau der
"L 2075 (Anschluss Westspange Rannersdorf) von km 0,00 - km 1,192 im Gemeindegebiet von Schwechat". Die vom nunmehrigen Beschwerdeführer (er ist Eigentümer eines Grundstückes über das die genannte Straße führen soll) erhobenen Einwendungen wurden gemäß §13 Abs2 NÖ Straßengesetz 1999 teils als unzulässig zurück-, teils als unbegründet abgewiesen.
Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies die Niederösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 11. April 2003 als unbegründet ab.
1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer in erster Linie wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten, in eventu aber auch in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit, auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK verletzt erachtet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.
1.3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdevorwürfen entgegentritt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
2. Die für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
2.1. Das NÖ Straßengesetz 1999, LGBl. 8500-1, regelt seinem §1 zufolge "den Bau, die Erhaltung und die Verwaltung aller öffentlichen Straßen mit Ausnahme der Bundesstraßen (Bundesautobahnen und Bundesschnellstraßen) im Land Niederösterreich".
Gemäß §2 ist, sofern im NÖ Straßengesetz 1999 nicht anders geregelt, "in Angelegenheiten, die
1. Gemeindestraßen betreffen,
* der Bürgermeister (der Magistrat bei Städten mit
eigenem Statut) Behörde I. Instanz,
* der Gemeinderat (der Stadtsenat bei Städten mit
eigenem Statut) Behörde II. Instanz;
2. Landesstraßen betreffen,
* die Bezirksverwaltungsbehörde Behörde I. Instanz,
* die Landesregierung Behörde II. Instanz".
Bezüglich Landesstraßen bestimmt §5 Abs1 NÖ Straßengesetz 1999 (die Wortfolge "zu bauenden oder" wurde durch die Novelle LGBl. 8500-1 vom 19. Juli 2002 mit Wirksamkeit 1. April 2002 eingefügt):
"(1) Die Landesregierung hat durch Verordnung (NÖ Landesstraßenverzeichnis) die durch das Land zu bauenden oder zu erhaltenden Straßen
* zu Landesstraßen zu erklären, überdies
* deren Verlauf zu beschreiben und
* bei deren Ausführung als Naturstraßen sie als solche zu
bezeichnen.
Zusätzliche Bezeichnungen (z.B. Numerierung, Funktionsstufe) dürfen beigefügt werden."
Der Bau von Straßen ist in den §§9 bis 14 NÖ Straßengesetz 1999 geregelt. Nach §12 Abs1 bedürfen der "Bau und die Umgestaltung einer Straße nach den §§5 und 6 ... eine[r] Bewilligung der Behörde".
2.2. In dem auf Basis des §5 NÖ Straßengesetz 1999 erlassenen NÖ Straßenverzeichnis, LGBl. 8500/99-3, findet sich weder eine Straße mit der Bezeichnung "L 2075 (Anschluss Westspange Rannersdorf)" noch sonst eine Straße, die die - den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildende - (Landesstraßen-)Verbindung zwischen der S 1 (vormals: B 301) zur B 11 im Gemeindegebiet der Gemeinde Schwechat festlegt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
Mit dem angefochtenen Bescheid wird ein straßenrechtliches Baubewilligungsverfahren gemäß §12 NÖ Straßengesetz 1999 durch Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung abgeschlossen. Die Zuständigkeit zur Durchführung eines derartigen Bewilligungsverfahrens hängt gemäß §2 leg.cit. davon ab, ob das Bewilligungsverfahren eine Gemeindestraße oder eine Landesstraße betrifft: §2 NÖ Straßengesetz 1999 ordnet für Angelegenheiten, die Gemeindestraßen betreffen, die Zuständigkeit des Bürgermeisters als Behörde erster Instanz sowie des Gemeinderates als Behörde zweiter Instanz an, für Angelegenheiten (also auch straßenrechtliche Bewilligungsverfahren), die Landesstraßen betreffen, hingegen die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde als Behörde erster Instanz und der Landesregierung als Behörde zweiter Instanz.
Ob der von der belangten ebenso wie von der
erstinstanzlichen Behörde angenommene zuständigkeitsbegründende
Tatbestand "Landesstraße" aber im konkreten Fall rechtens vorliegt,
ist gemäß §5 Abs1 NÖ Straßengesetz 1999 anhand des von der
Landesregierung durch Verordnung zu gestaltenden
"NÖ Landesstraßenverzeichnisses" zu beurteilen: §5 Abs1
NÖ Straßengesetz 1999 in der Fassung der mit 1. April 2002 in Kraft
getretenen 1. Novelle ordnet nämlich an, dass "[d]ie Landesregierung
... durch Verordnung (NÖ Landesstraßenverzeichnis) die durch das Land
zu bauenden ... Straßen zu Landesstraßen zu erklären, überdies deren
Verlauf zu beschreiben ... [hat]".
Die seit der 1. Novelle zum NÖ Straßengesetz 1999 angeordnete Erklärung der erst "zu bauenden" Straßen zu Landesstraßen durch eine entsprechende Verordnung und die dadurch bewirkte Aufnahme in das NÖ Landesstraßenverzeichnis bildet eine zuständigkeitsbegründende Voraussetzung für die Durchführung entsprechender straßenrechtlicher Bewilligungsverfahren; so auch die Materialien zur 1. Novelle, wenn dort unter Z6 ausgeführt wird:
"Die 'Erklärung zur Landesstraße' einer erst in Planung befindlichen Straße durch eine Verordnung der Landesregierung sieht §5 Abs1 in der Stammfassung nicht vor, da der Bau von Straßen im Gegensatz zu §1 und §4 Z. 6 nicht erwähnt wird. In der Vollziehung ist daher davon ausgegangen worden, dass sich Verordnungen nach §5 nur auf bestehende Straßen beziehen und das Vorliegen einer derartigen Verordnung - entgegen den eindeutigen Gesetzesverweis in §12 Abs1 - keine Voraussetzung für die Einleitung des straßenrechtlichen Baubewilligungsverfahrens darstellt. Um das Spannungsverhältnis zwischen §5 Abs1 und §12 Abs1 aufzulösen, soll die Verordnungsermächtigung in §5 Abs1 auf erst zu bauende Straßen ausgedehnt werden.
Die Verordnung nach §5 Abs1 hat ausschließlich zuständigkeitsbegründende Wirkung (§2 Z. 2; VfGH 24. Juni 1994, G20-23/94); die Festlegung der konkreten Trasse erfolgt erst im (zeitlich nachgelagerten) straßenrechtlichen Baubewilligungsverfahren nach §12."
Da weder im NÖ Landesstraßenverzeichnis, LGBl. 8500/99-3, die den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildende Straße "L 2075"
- sei es zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, sei es zu dem für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides
- enthalten war noch sonst eine diesbezügliche Verordnung der Landesregierung in Geltung stand, fehlte es der zu bauenden Straße an der rechtlichen Qualifikation als Landesstraße und damit der Bezirksverwaltungsbehörde die Zuständigkeit, im straßenrechtlichen Baubewilligungsverfahren als Behörde erster Instanz gemäß §12 Abs1 iVm §2 Z2 NÖ Straßengesetz 1999 für die genannte Straße einzuschreiten.
Die Niederösterreichische Landesregierung war zwar zuständig, aufgrund der Berufung gegen den (erstinstanzlichen) Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde in zweiter Instanz zu entscheiden. Gleichwohl hat sie den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil sie den Zuständigkeitsmangel der Behörde erster Instanz nicht wahrgenommen, sondern - statt den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung mangels Zuständigkeit aufzuheben - durch Abweisung der Berufung die unzulässige Sachentscheidung erster Instanz wiederholt (bestätigt) hat. Die Niederösterreichische Landesregierung hat damit ebenfalls die Sachzuständigkeit gemäß §2 Z2 NÖ Straßengesetz 1999 in Anspruch genommen, die ihr mangels rechtlich verbindlicher Qualifikation der fraglichen Straße als Landesstraße im NÖ Straßenverzeichnis (§5 Abs1 NÖ Straßengesetz 1999) nicht zustand. Sie hat damit den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. VfSlg. 10.305/1984, 13.141/1992, 14.972/1997).
Der Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.
III. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- und eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.
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