VfGH B532/05

VfGHB532/0512.10.2005

Feststellung einer Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist durch die neuerliche Abweisung des Antrags der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung einer Abfertigung nach aufhebendem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes; jedoch Abweisung des Antrags auf Bescheidaufhebung; im Übrigen Ablehnung der Beschwerde

Normen

B-VG Art144 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
Wr BesoldungsO 1994 §41
B-VG Art144 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
Wr BesoldungsO 1994 §41

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführerin ist im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist nach Art6 Abs1 EMRK verletzt worden.

Insoweit wird jedoch der Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III. Die Gemeinde Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 900,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin stand als Fachbeamtin des Bücherdienstes in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien.

Nach Konsumierung eines Eltern-Karenzurlaubes und eines daran anschließenden einjährigen Karenzurlaubes gemäß §44 Dienstordnung 1966 [nunmehr: §56 Dienstordnung 1994 (DO 1994)] erklärte die Beschwerdeführerin schriftlich ihren Dienstaustritt mit Wirkung vom 15. Dezember 1995. Mit Bescheid vom 2. Februar 1996 stellte der Magistrat der Stadt Wien daraufhin fest, dass das Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin mit 15. Dezember 1995 aufgelöst sei und ihr gemäß §41 Besoldungsordnung 1994 (BO 1994) eine Abfertigung im Ausmaß des Dreifachen eines Monatsbezuges gebühre.

Diesen Bescheid änderte der Magistrat in der Folge mit - auf §13 Abs1 Dienstrechtsverfahrensgesetz 1984 (DVG) gestütztem - Bescheid vom 18. März 1996 dahin gehend ab, dass der Beschwerdeführerin keine Abfertigung gemäß §41 BO 1994 gebühre. Der dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung gab der Berufungssenat der Stadt Wien mit Bescheid vom 3. September 1996 keine Folge.

Mit Erkenntnis vom 17. Oktober 2001, Zl. 96/12/0312, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen, von der Beschwerdeführerin mit Beschwerde gemäß Art131 B-VG angefochtenen Berufungsbescheid des Berufungssenates wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.

2. In der Folge erließ der Dienstrechtssenat der Stadt Wien - im zweiten Rechtsgang - einen mit 7. August 2002 datierten Bescheid. Mit dessen Spruchpunkt I. hob der Dienstrechtssenat den Bescheid des Magistrats vom 18. März 1996 auf; mit Spruchpunkt II. änderte er den Bescheid des Magistrats vom 2. Februar 1996 gemäß §13 Abs1 DVG dahin gehend ab, dass der Beschwerdeführerin keine Abfertigung gemäß §41 BO 1994 gebühre.

Diesen - von der Beschwerdeführerin allein angefochtenen - Spruchpunkt II. des Bescheides des Dienstrechtssenates hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 30. November 2004 B1448/02 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf.

3. Daraufhin erließ - im nunmehr dritten Rechtsgang - der Gemeinderat der Stadt Wien am 1. April 2005 einen auf §13 Abs1 DVG gestützten Bescheid, mit dem - abermals - der Bescheid des Magistrats vom 2. Februar 1996 dahingehend abgeändert wurde, dass der Beschwerdeführerin keine Abfertigung gemäß §41 BO 1994 gebührt.

4. Gegen diesen Bescheid des Gemeinderates wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer - behauptetermaßen - verfassungswidrigen gesetzlichen Bestimmung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

Dazu bringt die Beschwerdeführerin vor, dass sie durch die "Aberkennung der Abfertigung" in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt werde, weil die belangte Behörde §13 Abs1 DVG denkunmöglich angewendet habe; hilfsweise werde die Verfassungswidrigkeit des §41 Abs2 Z2 BO 1994 geltend gemacht. Darüber hinaus behauptet die Beschwerdeführerin eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren iSd. Art6 Abs1 EMRK; dies mit folgender Begründung:

"Der jetzt gefällte Bescheid der belangten Behörde ist der vorläufige Abschluß eines mit dem ersten Entzugsbescheid (des Magistrats) vom 18.03.1996 eingeleiteten Verfahrens zum Zwecke der Entziehung der rechtskräftig zuerkannten Abfertigung. Dabei haben insgesamt zwei Mal (!) sachlich unzuständige Behörden der Stadt Wien (und zwar zunächst der Magistrat mit Bescheid vom 18.03.1996 und dann der Dienstrechtssenat der Stadt Wien mit Bescheid vom 07.08.2002) versucht, zum Nachteil der Beschwerdeführerin in den Rechtsbestand des Bescheides vom 02.02.1996 einzugreifen. Die Beschwerdeführerin mußte sich dagegen bisher schon zwei Mal mit Bescheidbeschwerden an die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zur Wehr setzen, wobei bemerkenswert ist, daß allein das (letzten Endes erfolgreiche) Verfahren zur Bekämpfung des Bescheides des Berufungssenates der Stadt Wien vom 03.09.1996 und damit des Bescheides des unzuständigen erstinstanzlich tätig gewordenen Magistrats vom 18.03.1996 vor dem Verwaltungsgerichtshof ganze fünf Jahre in Anspruch nahm (Beschwerdeerhebung am 16.10.1996 - Erkenntnis des VwGH vom 17.10.2001, Zl. 96/12/0312-6!).

Nach dem Ergehen des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes dauerte es dann wiederum ganze zehn Monate bis zur Entscheidung des (ebenfalls unzuständigen) Dienstrechtssenates der Stadt Wien!

Von einem Verfahren 'innerhalb einer angemessenen Frist' i. S. des Art6 Abs1 EMRK kann im vorliegenden Fall evidentermaßen nicht mehr gesprochen werden. Insgesamt liegt vielmehr eine (nicht in der Sphäre der Beschwerdeführerin begründete) überlange Verfahrensdauer vor, wodurch die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 Abs1 EMRK verletzt ist."

5. Der Gemeinderat legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er den Ausführungen der Beschwerdeführerin entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Zur behaupteten Verletzung des Art6 Abs1 EMRK führt der Gemeinderat das Folgende aus:

"Art 6 MRK bestimmt, dass jedermann einen Anspruch darauf hat, dass 'über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ... innerhalb einer angemessenen Frist...' entschieden wird. Als Verfahren, die 'zivile Rechte' nicht betreffen, werden vom EGMR Streitigkeiten aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis betreffend Aufnahme, Laufbahn und Beendigung desselben qualifiziert (vgl. EGMR vom 17. März 1997, Neigel, ÖJZ 1998,195 und EGMR vom 2. September 1997, De Santa, ÖJZ 1994,34). Da es sich beim gegenständlichen Abfertigungsanspruch um einen Anspruch anlässlich der Beendigung des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses handelt, ist im Sinne der vorzitierten Judikatur kein 'ziviles Recht' betroffen. Der Vorwurf einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren geht daher ins Leere.

Zur Dauer des Verfahrens darf dennoch angemerkt werden, dass der überwiegende Teil der Verfahrensdauer, nämlich jener vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, nicht im Einflussbereich der belangten Behörde liegt. Der Umstand, dass wiederholt eine sachlich unzuständige Behörde entschieden hat, ist darauf zurückzuführen, dass seit dem Bestehen des Dienstrechtssenates der Stadt Wien die Frage der Zuständigkeit als oberste Dienstbehörde nicht geklärt war. Insbesondere durch die Einrichtung des Dienstrechtssenats der Stadt Wien als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art133 Z4 B-VG, dessen Entscheidungen - mit wenigen Ausnahmen - nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen, war der Schluss, dass es sich beim Dienstrechtssenat auch um die oberste Dienstbehörde handle, naheliegend und vertretbar."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK behauptet, weil die angefochtene Entscheidung nicht in angemessener Frist iS dieser Verfassungsnorm ergangen sei, ist sie damit - auf Grund nachstehender Erwägungen - im Recht.

Wie sich aus dem - zu einem in allen hier wesentlichen Belangen gleichartigen Beschwerdefall ergangenen - Erkenntnis VfGH 30.9.2005 B1741/03 ergibt, ist Art6 Abs1 EMRK bei Entscheidungen über dienstrechtliche Streitigkeiten jedenfalls insoweit zu beachten, als er eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist garantiert.

Art 6 Abs1 EMRK bestimmt, dass jedermann "Anspruch darauf

[hat], daß seine Sache ... innerhalb angemessener Frist gehört wird,

und zwar von einem ... Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche

und Verpflichtungen ... zu entscheiden hat".

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, welche die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, aber auch die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer (vgl VfGH 30.9.2004 B239/03 sowie 16.6.2005 B1219/04).

Nicht die Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnis staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des EGMR ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre (vgl. VfSlg. 16.385/2001 mH auf die Rechtsprechung des EGMR).

Der Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, mit dem festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführerin keine Abfertigung gemäß §41 BO 1994 gebühre, wurde ihr am 26. März 1996 zugestellt. Als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist daher dieser Tag anzunehmen. Den Endzeitpunkt des Verfahrens bildet der Tag der Zustellung des im dritten Rechtsgang erlassenen Bescheides der belangten Behörde vom 1. April 2005, das ist der 6. April 2005. Die zu beurteilende Verfahrensdauer beträgt sohin rd. 9 Jahre.

Die ungewöhnliche Länge des Verfahrens ist allein dem Verhalten staatlicher Organe zuzuschreiben; insbesondere kann der Beschwerdeführerin kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie zur Durchsetzung ihrer Rechte zwei Mal - mit Erfolg - ein Höchstgericht des öffentlichen Rechts angerufen hat.

Da nach der Aktenlage weder Art und Umfang des Sachverhaltes noch die zu beurteilende Rechtsfrage die Behandlung diese Rechtssache als ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lässt, in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren aber auch kein weiterer besonderer Umstand hervorgekommen ist, welcher die Dauer des Verfahrens rechtfertigen könnte, ist die Dauer des Verfahrens von insgesamt mehr als 9 Jahren bis zur Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht mehr als angemessen iS des Art6 Abs1 EMRK zu beurteilen.

Die Beschwerdeführerin ist daher in ihrem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden.

Durch die (begehrte) Aufhebung der das (bisherige) überlange Verfahren (vorläufig) abschließenden angefochtenen Entscheidung des Gemeinderates der Stadt Wien könnte diese Rechtsverletzung aber nicht beseitigt, sondern im Gegenteil sogar insoweit verschärft werden, als das Enden des Verfahrens noch weiter verzögert werden würde. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich deshalb auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung der Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist nach Art6 Abs1 EMRK stattgefunden hat (vgl. VfGH 30.9.2004 B239/03 mwH).

Insoweit ist folglich der Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuweisen (vgl. nochmals VfGH 30.9.2004 B239/03).

2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Ein solcher Fall liegt hier vor:

Die anderen behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verletzung in Rechten durch die Anwendung der behaupteter Maßen verfassungswidrigen Bestimmung des §41 BO 1994 behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum - weiten - Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Dienst- und Besoldungsrechts (vgl. zB VfSlg. 11.193/1986 und 12.154/1989) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Da die Sache auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, behandelt der Verfassungsgerichtshof sie insoweit nicht und tritt sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Beschwerdeführerin nur zum Teil durchgedrungen ist. In dem zugesprochenen Betrag sind € 120,-- an USt. und eine Eingabengebühr von € 180,-- enthalten.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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