VfGH B931/03

VfGHB931/0324.2.2004

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Absehen von einer Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat in einem Verwaltungsstrafverfahren infolge Verhängung einer Geldstrafe von weniger als 500,- €; kein Verzicht des Beschwerdeführers auf eine Verhandlung

Normen

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
VStG §51e Abs3
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
VStG §51e Abs3

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 11. Dezember 2002, Zl. X-9-2002/34049, wurde der Beschwerdeführer bestraft, weil er "als Zulassungsbesitzer [eines näher bezeichneten Kraftfahrzeuges] nicht binnen 2 Wochen [...] bekanntgegeben [habe], wer das Fahrzeug am 27.07.2002 um 16:47 Uhr in Langen [...] gelenkt hat". Er habe dadurch gegen §103 Abs2 KFG 1967 verstoßen. Über den Beschwerdeführer wurde deswegen eine Geldstrafe in Höhe von € 180,-, eine Ersatzfreiheitsstrafe von 90 Stunden sowie die Verpflichtung zum Ersatz eines Verfahrenskostenbeitrags verhängt.

2. In seiner gegen dieses Straferkenntnis erhobenen - selbst verfaßten - Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, daß er "nicht mehr in der Lage" sei, den Lenker des Fahrzeuges zu nennen. Er verwies dabei auf seine Rechtfertigung im Verfahren vor der Behörde erster Instanz, wonach es ihm nicht mehr möglich sei, "nach 9 Wochen eine Person zu bestimmen, die zum angegebenen Zeitpunkt das Fahrzeug" gelenkt haben soll. In einem weiteren (diesmal durch einen Rechtsanwalt erstatteten) Schriftsatz brachte der Beschwerdeführer vor, daß er die Aufforderung der Bezirkshauptmannschaft zur Lenkerbekanntgabe mittels des mitübersandten Formulars beantwortet habe und darin angegeben habe, daß er "aufgrund öfter vorgenommener Austauschungen der Motorräder keine genaue Auskunft mehr darüber geben könne, wer das Fahrzeug zum angegebenen Zeitpunkt [gelenkt habe]". Im übrigen stellte er in diesem Schriftsatz ausdrücklich den Antrag, von der Berufungsbehörde mündlich einvernommen zu werden. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Mai 2003 gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (in der Folge: UVS) seiner Berufung keine Folge, bestätigte das Straferkenntnis und verpflichtete den Beschwerdeführer auch zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird. Der UVS hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er der Beschwerde entgegentritt und deren Abweisung beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. In der Berufung gegen das Straferkenntnis erster Instanz hat der Beschwerdeführer näher dargetan, daß er die verlangte "Auskunft nicht geben" könne. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Tribunal hat zwar die Behörde erster Instanz anläßlich der Vorlage der Berufung an den UVS ausdrücklich verzichtet, nicht jedoch der Beschwerdeführer als Beschuldigter (und damit als Träger des in Art6 EMRK gewährleisteten Rechts).

2.1. Zur Frage, inwiefern eine mündliche Verhandlung entfallen könne, führte der UVS im angefochtenen Bescheid aus:

"Wenn der Beschuldigte behauptet, die Erstbehörde habe das Recht auf Parteiengehör verletzt, weil eine Bestrafung erst nach seiner mündlichen Einvernahme erfolgen hätte dürfen, so ist dazu festzustellen, dass nach §49 Abs2 VStG der von ihm erhobene Einspruch gegen die Strafverfügung der Erstbehörde vom 25.10.2002 als Rechtfertigung im Sinne des §40 leg. cit. gilt. Von einer Verletzung des Parteiengehöres kann daher nicht die Rede sein. Der Verwaltungssenat hielt im Hinblick auf das Berufungsvorbringen und den ergänzenden Schriftsatz vom 19.3.2003 eine mündliche Einvernahme des Beschuldigten in der gegenständlichen Angelegenheit ebenfalls nicht mehr für erforderlich, zumal der entscheidungsrelevante Sachverhalt klar war. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde daher verzichtet. Abgesehen davon sieht das VStG bei Strafen in der hier in Rede stehenden Höhe eine solche nicht zwingend vor und hat der Beschuldigte die Durchführung einer solchen in der Berufung nicht beantragt."

Die belangte Behörde hat daher angenommen, daß der Berufungswerber im Strafverfahren auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne von Art6 EMRK "verzichtet" hat und hat dies im Hinblick auf die in erster Instanz ausgesprochene Strafhöhe zum Anlaß genommen, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen.

2.2. Daß die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung aus dem alleinigen Grund der Geringfügigkeit der angefochtenen Geldstrafe (§51e Abs3 Z3 VStG) verfassungswidrig wäre, hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 18. Juni 2003, B1312/02, ausgesprochen. Vor dem Hintergrund des Falles kann aber auch nicht von einem schlüssigen, geschweige denn von einem ausdrücklichen Verzicht des Beschwerdeführers die Rede sein: Der Beschwerdeführer war ursprünglich (zum Zeitpunkt der Einbringung seiner Berufung) nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten. Wie der Verfassungsgerichtshof zu Art6 EMRK im Erkenntnis vom 18. Juni 2003, B1312/02, ausgesprochen hat, setzt der schlüssige Verzicht auf ein Recht die Kenntnis dieses Rechts voraus. Daß der Beschwerdeführer als nicht anwaltlich vertretener Berufungswerber in seiner - verschuldensbezogenen und damit sachverhaltsbezogenen - Berufung keinen ausdrücklichen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat, berechtigt den UVS nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes daher keineswegs zur Annahme, daß damit bereits ein konkludenter Verzicht auf die in Strafsachen garantierte mündliche Verhandlung abgegeben worden wäre, zumal weder im erstinstanzlichen Straferkenntnis noch im Berufungsverfahren eine Belehrung über die Antragstellung stattgefunden hat; es deuten auch sonst keine Umstände darauf hin, daß der Beschwerdeführer von der Möglichkeit einer Antragstellung wissen hätte müssen (vgl. VfGH 18.6.2003, B1312/02, VfGH 25.6.2003, B366/03, VfGH 23.9.2003, B374/03).

Erst nach Einbringung seiner selbstverfaßten Berufung war der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem UVS durch einen Rechtsanwalt vertreten. Dieser hat in einer Stellungnahme an den UVS die "mündliche Einvernahme" des Beschwerdeführers sogar ausdrücklich beantragt. Ein Verzicht des Beschwerdeführers auf die mündliche Verhandlung ist daraus keinesfalls ableitbar.

3. Der Beschwerdeführer hat sich seines Rechts auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung daher nicht begeben. Da auch sonst keine Gründe vorliegen, die aus Sicht des Art6 EMRK für eine Einschränkung der Mündlichkeit sprechen, ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal gemäß Art6 EMRK verletzt worden.

4. Der Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

5. Der Kostenspruch beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,- enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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