VfGH B742/04

VfGHB742/0430.9.2004

Keine Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung in angemessener Zeit durch Abweisung des Antrags auf Einstellung des Finanzstrafverfahrens betreffend eine Finanzordnungswidrigkeit infolge überlanger Verfahrensdauer; kein Anspruch auf Verfahrenseinstellung; Feststellung der überlangen Verfahrensdauer und infolge dessen Strafmilderung durch den Unabhängigen Finanzsenat - UFS ausreichend iSd Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention

Normen

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
FinStrG §49
StGB §34 Abs2
VStG §19
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
FinStrG §49
StGB §34 Abs2
VStG §19

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Bescheid vom 27. April 1998 hat der Spruchsenat beim Finanzamt für den 1. Bezirk in Wien als Organ des Finanzamtes für den 12., 13. und 14. Bezirk und Purkersdorf den nunmehrigen Beschwerdeführer nach §49 Abs1 lita Finanzstrafgesetz (im Folgenden: FinStrG) für schuldig erkannt, weil er im Bereich des Finanzamtes für Körperschaften als Geschäftsführer der M-GmbH in Wien vorsätzlich Abgaben, die selbst zu berechnen sind - konkret handelte es sich um Vorauszahlungen an Umsatzsteuer für das Jahr 1994 in Höhe von

S 2,463.049,00 - nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet oder abgeführt hat, ohne der zuständigen Abgabenbehörde bis zu diesem Zeitpunkt die Höhe des geschuldeten Betrages bekannt zu geben. Aus diesem Grund wurde über ihn gemäß §49 Abs2 FinStrG eine Geldstrafe in der Höhe von S 250.000,00 (entspricht € 18.168,21) verhängt und für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe gemäß §20 FinStrG eine an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen ausgesprochen.

1.2. Gegen diesen Bescheid brachte der nunmehrige Beschwerdeführer am 7. August 1998 Berufung ein, in der er im Wesentlichen der von der Behörde getroffenen Annahme vorsätzlichen Handelns entgegentrat und den Antrag stellte, den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben und den nunmehrigen Beschwerdeführer von dem gegen ihn erhobenen Strafvorwurf freizusprechen.

1.3. Mit Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 22. Jänner 1999 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

1.4. Gegen diese Berufungsentscheidung erhob der nunmehrige Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20. Mai 1999 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof; dieser hob mit Erkenntnis vom 17. Dezember 2003, Zl. 99/13/0087, die angefochtene Berufungsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes auf: Im Ergebnis erweise sich nicht nur die behördliche Beweiswürdigung zur Frage von Tathandlungen - außerhalb der Herausnahme der Julirechnungen aus der Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1994 - als nicht überprüfbar, sondern der angefochtene Bescheid erweise sich auch insofern als mit einem rechtlichen Fehler behaftet, als die belangte Behörde die unzureichende Gestaltung der Tatumschreibung in dem vor ihr bekämpften Bescheid des Spruchsenates nicht erkannt habe. Die Annahme vorsätzlichen Handelns des nunmehrigen Beschwerdeführers erweise sich auch deshalb als unüberprüfbar, weil nicht klargestellt sei, um welches Handeln es - für andere Umsatzsteuervorauszahlungen als jene für den Monat Juli 1994 - überhaupt gehe.

1.5. Mit Eingabe vom 16. Februar 2004 stellte der nunmehrige Beschwerdeführer daraufhin bei der belangten Behörde einen "Antrag auf Einstellung des Finanzstrafverfahrens gemäß Art6 Abs1 MRK" und führte dazu im Wesentlichen Folgendes aus:

Der Zeitpunkt der behaupteten Setzung des inkriminierten Verhaltens liege im Sommer 1994. Im November 1997 sei vom Amtsbeauftragten des Finanzamtes für Körperschaften eine Stellungnahme zu der gegenständlichen Causa abgegeben worden. Im Jänner 1998 habe vor dem Spruchsenat beim Finanzamt Wien 1 als Organ des Finanzamtes für Körperschaften die mündliche Verhandlung stattgefunden; am 27. April 1998 wurde zunächst der Bescheid des Finanzamtes für Körperschaften erlassen. Über die am 7. August 1998 dagegen erhobene Berufung sei am 22. Jänner 1999 entschieden worden, wogegen der Beschwerdeführer am 20. Mai 1999 Bescheidbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof erhoben habe. Dieser habe mit Erkenntnis vom 17. Dezember 2003, das dem Beschwerdeführer am 16. Jänner 2004 zugestellt worden sei, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Wie aus dem Akteninhalt ersichtlich sei, habe der Verwaltungsgerichtshof über vier Jahre benötigt, um eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren zu treffen.

Art 6 EMRK normiere nicht eine bestimmte Entscheidungsfrist, sondern fordere eine angemessene Verfahrensdauer. In diesem Sinn stelle die Rechtsprechung der Straßburger Instanzen bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer jeweils auf die Umstände des Einzelfalles ab, wobei verschiedene Kriterien gegeneinander abgewogen würden: Die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten der Parteien und die Vorgangsweise der Behörden. Eine Verletzung des Art6 EMRK liege nach dieser Rechtsprechung nur dann vor, wenn Verzögerungen durch staatliche Organe verursacht werden. Generell sei festzustellen, dass Verfahren vor Verfassungs- und Verwaltungsgerichten in die Gesamtverfahrensdauer eingerechnet würden. Weiters werde in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass der Staat verpflichtet sei, sein Rechtssystem so zu organisieren, dass eine rasche Entscheidung sichergestellt werde. Dieses Argument werde vor allem dann verwendet, wenn die Arbeitsüberlastung der Gerichte als entschuldigender Grund für Verfahrensverzögerung vorgebracht werde. In den letzten Jahren habe die EKMR in Fällen einer Verfahrensdauer von über fünf Jahren jedenfalls die Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer festgestellt.

Wenn es zu einer überlangen Verfahrensdauer käme, so stelle sich die Frage, wie dies saniert werde und wie der Staat eine Verurteilung durch die Straßburger Organe vermeiden könne. Die EMRK sehe als Folgen einer Konventionsverletzung nur deren Feststellung sowie allenfalls eine Entschädigung vor, hingegen keine sonstigen Sanktionen; es sei also Aufgabe des innerstaatlichen Rechts, für einen Ausgleich im Falle einer Konventionsverletzung zu sorgen. Die Straßburger Organe würden diese Frage unter dem Aspekt des Entfalls der Beschwer behandeln, die nach Art25 EMRK Prozessvoraussetzung für die Beschwerdeführung sei; soweit ersichtlich würden die einschlägigen Entscheidungen durchwegs Strafverfahren betreffen. Nach Auffassung der Straßburger Organe falle die Beschwer dann weg, wenn die mit der überlangen Verfahrensdauer verbundene Beeinträchtigung durch andere Maßnahmen wieder gut gemacht würde; dies könne dadurch erfolgen, dass das Strafverfahren eingestellt wird.

Aufgrund der oben angeführten Gründe sowie des Umstandes, dass das Verfahren bereits sieben Jahre seit der Anklageerhebung anhängig sei und der Verwaltungsgerichtshof über vier Jahre benötigt habe, um eine Entscheidung zu fällen, sei erwiesen, dass eine Verurteilung nach zehn Jahren bezüglich jener Umsatzsteuer-Ungereimtheiten aus dem Jahre 1994 aufgrund des Grundrechts auf eine angemessene Verfahrensdauer ohne Zweifel EMRKund somit verfassungswidrig wäre. Es werde daher der Antrag gestellt, das Finanzstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer einzustellen.

2.1. Der Unabhängige Finanzsenat, Außenstelle Wien, (im Folgenden: UFS) hat am 1. April 2004 als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung des Beschwerdeführers entschieden; der Berufung wurde teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid im Schuldspruch, im Strafausspruch und im Haftungsausspruch aufgehoben; im Umfang der Aufhebung wurde in der Sache selbst erkannt: Der Berufungswerber sei schuldig, als Geschäftsführer der Firma M-GmbH vorsätzlich Abgaben, die selbst zu berechnen sind, und zwar Umsatzsteuer für den Monat Juli 1994 in Höhe von S 2,062.675,43 (entspricht € 149.900,47) nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet zu haben; hiermit habe er das Finanzvergehen der Finanzordnungswidrigkeit nach §49 Abs1 lita FinStrG begangen.

Über den Berufungswerber wurde dafür gemäß §49 Abs2 FinStrG eine Geldstrafe in Höhe von € 10.000,00 und für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe gemäß §20 FinStrG eine an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 27 Tagen verhängt. Gemäß §185 Abs1 lita FinStrG wurden die Kosten des Finanzstrafverfahrens mit € 363,00 neu bestimmt. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

2.2. Der UFS führte - auf das Wesentliche zusammengefasst - in seiner Berufungsentscheidung Folgendes aus:

"Im Hinblick auf den nunmehr relativ lange zurückliegenden Zeitraum erscheint dem Senat eine zweifelsfreie Aufklärung des diesbezüglichen Sachverhaltes nicht möglich, so dass dem Bw. eine vorsätzliche Begehung dieser vom angefochtenen Erkenntnis des Spruchsenates umfassten aber nicht konkretisierten Tathandlungen [Anm.: Tathandlungen, die nicht im Auftrag an die Steuerberatungskanzlei zur Herausnahme der Julirechnungen bestanden hatten] nicht nachgewiesen werden kann. Der dem Bw. gemachte Vorwurf, im Jahr 1994 hinsichtlich eines Betrages in Höhe von S 400.373,57 die Umsatzsteuer nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet zu haben, ist nach Ansicht des Berufungssenates nicht beweisbar und es war für diesen Betrag der Berufung teilweise Folge zu geben. (...) ist daher insgesamt von einem strafbestimmenden Wertbetrag in Höhe von € 2.062.675,43 [gemeint wohl: Schilling] auszugehen.

In seinem ergänzenden Schreiben vom 16. Feber 2004 hält der Bw. die Verfahrensdauer für nicht angemessen im Sinne des Art6 Abs1

MRK:

Zunächst ist hier auf das im Finanzstrafverfahren geltende Legalitätsprinzip hinzuweisen, wonach die Einleitung und Durchführung eines Finanzstrafverfahrens nicht im Ermessen der Finanzstrafbehörde liegt, sondern von zwingenden gesetzlichen Vorschriften bestimmt ist. Von Bedeutung ist im gegenständlichen Fall die gesetzliche Bestimmung des §31 Abs5 FinStrG über die absolute Verjährung. Demnach erlischt bei Finanzvergehen, für deren Verfolgung die Finanzstrafbehörde zuständig ist, die Strafbarkeit jedenfalls, wenn seit Beginn der Verjährungsfrist zehn Jahre verstrichen sind.

(...)

(...) Nicht die Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnisse staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des EGMR ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit einer Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre. Aus der Gesamtschau der diesbezüglichen Rechtsprechung ergibt sich aber, dass Verfahren, die länger als 5 Jahre dauern, nur in seltenen Fällen als angemessen angesehen wurden (vgl. Thienel, ÖJZ 1993, 473).

In der Rechtsprechung des EGMR wird für den Beginn der Frist jener Zeitpunkt angenommen, 'in which a person is charged', dh. sobald ein Beschuldigter durch offizielle Mitteilung oder auch in sonstiger Weise darüber in Kenntnis gesetzt ist, dass gegen ihn wegen des Verdachts, eine strafbare Handlung begangen zu haben, Ermittlungen mit dem Ziel strafrechtlicher Verfolgung durchgeführt werden und seine Lage dadurch in erheblicher Weise beeinträchtigt wird (vgl. Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention: EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Rz. 138 zu Art6 EMRK). Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgerichten werden regelmäßig in die Verfahrensdauer eingerechnet (vgl. EGMR 23.4.1987, Erkner und Hofauer, EuGRZ 1985, 435; 23.4.1987, Poiss, EuGRZ 1985, 435; 26.3.1992, Editions Periscope, HRLJ 1992, 419; 31.3.1992, X gg. Frankreich, ÖJZ 1992/32 (MRK); 30.10.1991, Wiesinger, ÖJZ 1992, 239).

Im vorliegenden Fall erlangte der Bw. mit Einleitungsverfügung der Finanzstrafbehörde erster Instanz vom 10. Juli 1997 erstmals offiziell Kenntnis von dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf. Die Einleitungsverfügung wurde ihm am 19. September 1997 durch Hinterlegung zugestellt. Als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist daher dieser Tag anzunehmen.

Als (vorläufiger) Endzeitpunkt des Verfahrens ist der Tag der Zustellung des im fortgesetzten Verfahren ergangenen Bescheides des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 2003, der 16. Jänner 2004, maßgeblich. Die zu beurteilende Verfahrensdauer beträgt sohin 6 Jahre, 3 Monate und 28 Tage.

Da es dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden kann, wenn er zur Durchsetzung seiner Rechte - erfolgreich - Rechtsmittel ergreift, kann die vorliegende Verfahrensverzögerung dem Grunde nach nicht der Sphäre des Bw. zugerechnet werden. Inwieweit oder ob überhaupt der Bw. sein rechtliches Interesse an einer angemessenen Verfahrensdauer gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof bekundet hat[,] ist dem Berufungssenat allerdings nicht bekannt. Die Länge des Verfahrens ist jedenfalls auf das Handeln bzw. Nichthandeln staatlicher Organe zurückzuführen.

Bei weiterer Berücksichtigung der Höhe der zu erwartenden Geldstrafe und der Schwierigkeit des Falles kann nach Ansicht des Senates die bisherige Dauer des Verfahrens von ca. 6 Jahren und 4 Monaten als unverhältnismäßig lange bewertet werden. Die[s] hat aber nicht zur Folge[,] dass das Strafverfahren einzustellen ist, weil - wie oben bereits erwähnt - eine solche Einstellung des Finanzstrafverfahrens infolge Zeitablaufes nur nach Maßgabe der Verjährungsbestimmungen des §31 FinStrG in Betracht kommt (VwGH vom 24. Oktober 1990, Zahl 86/13/0026). Wenn man den Beginn der Verjährungsfrist mit dem 15. September 1994 annimmt[,] ist die zehnjährige Verjährungsfrist jeden falls noch nicht abgelaufen.

Vom Senat zu beachten ist allerdings, dass gemäß §34 Abs2 StGB es auch ein Milderungsgrund ist, wenn das gegen den Täter geführte Verfahren aus einem nicht von ihm oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert hat (zu §34 Abs2 StGB vgl. die EB zur RV zum Strafrechtsänderungsgesetz 1996, 33 BlgNR

20. GP).

Unter weiterer Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - der Bw. ist derzeit arbeitslos und bezieht aus diesem Titel ca. € 400,00 pro Monat - und auch unter Zugrundelegung des Milderungsgrundes der finanzstrafrechtlichen Unbescholtenheit, welchem kein Erschwerungsgrund gegenübersteht, erscheint die nunmehr mit € 10.000,00 neu bemessene Geldstrafe und eine korrespondierende Ersatzfreiheitsstrafe von 27 Tagen tat- und schuldangemessen."

3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des gemäß Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Der Beschwerdeführer schildert zunächst den Verfahrensverlauf und bringt vor, dass sich die Argumentation des UFS - wonach zwar die bisherige Verfahrensdauer unverhältnismäßig lange gewesen sei, dies aber nicht zur Folge hätte, dass das Strafverfahren einzustellen wäre, da eine solche Einstellung infolge Zeitablaufs nur nach Maßgabe der Verjährungsbestimmungen des §31 FinStrG in Betracht käme - aus folgenden Gründen als völlig haltlos erweise:

In seiner Entscheidung vom 6. November 2003 Jancikova v. Austria (vgl. Appl. 56.483/00) habe der EGMR einerseits judiziert, dass der Einwand der innerstaatlichen Verjährungsfrist nicht ausreiche, um lange Verfahren zu rechtfertigen und andererseits ausgesprochen, dass unzumutbare Verfahrensverzögerungen durch Behörden bei der Strafausmessung zu berücksichtigen wären. Der Beschwerdeführer verweist auf die Länge der dem zitierten Erkenntnis zugrunde liegenden Verfahrensdauer von sechs Jahren und neun Monaten und schildert den Sachverhalt dieses Verfahrens.

Der Sachverhalt, mit dem sich der EGMR im Fall Jancikova v. Austria auseinanderzusetzen hatte, sei zwar nicht identisch mit der Causa des Beschwerdeführers, doch zeige die Entscheidung deutlich, dass der Einwand, wonach eine Verurteilung innerstaatlich noch möglich wäre, weil die Verjährungsfrist noch offen sei, der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen gestanden habe. Das bedeute, dass die lange Verfahrensdauer trotz der innerstaatlichen Verurteilungsmöglichkeit nicht gerechtfertigt sei. Der Größenschluss auf das vorliegende Verfahren ließe somit erkennen, dass sich die Ansicht der belangten Behörde, wonach eine Verurteilung trotz der langen Verfahrensdauer noch möglich wäre, als völlig haltlos erweise.

Der Beschwerdeführer weist weiters darauf hin, dass der EGMR im Allgemeinen bei einer Verfahrensdauer von mehr als fünf Jahren von einer Verletzung des Art6 EMRK ausgeht und führt als Beispiele die Fälle Pokorny v. Austria vom 3. Juni 2003 (vgl. Appl. 57.080/00) und Yavuz v. Austria vom 27. Mai 2004 (vgl. Appl. 46.549/99) an:

Der Fall Pokorny v. Austria zeige deutlich, dass eine Verfahrensdauer von sieben Jahren selbst dann zu lange sei, wenn der Sachverhalt komplex wäre. Im vorliegenden Fall sei der Sachverhalt jedoch durchaus leicht zu erfassen, da es sich lediglich um Ungereimtheiten hinsichtlich der Stornierung zweier Rechnungen handle.

Der Fall Yavuz v. Austria zeige auf, dass es gegen das Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer verstoße, wenn der Verwaltungsgerichtshof eineinhalb Jahre benötigt, um sich mit einem Fall auseinanderzusetzen. Im vorliegenden Fall hätte der Verwaltungsgerichtshof jedoch über vier Jahre benötigt, um eine Entscheidung zu treffen. Dies begründe jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK.

3.2. Im Fall Jancikova v. Austria werde zum wiederholten Male festgestellt, dass eine Verfahrensdauer von über sechs Jahren in jedem Fall gegen Art6 Abs1 EMRK verstoße. Aufgrund des Umstandes, dass das dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zugrunde liegende Verfahren über sechs Jahre anhängig sei und der Verwaltungsgerichtshof über vier Jahre benötigt habe, um eine Entscheidung zu treffen, sei erwiesen, dass eine Verurteilung bezüglich jener Umsatzsteuer-Ungereimtheiten aus dem Jahre 1994 nach zehn Jahren hinsichtlich des Grundrechts auf eine angemessene Verfahrensdauer konventions- und somit verfassungswidrig wäre.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer stützt seine Behauptung, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden zu sein im Wesentlichen darauf, dass das Verfahren mit einer Dauer von über sechs Jahren unangemessen lange gedauert habe:

Art 6 Abs1 EMRK bestimmt, dass jedermann "Anspruch darauf

(hat), dass seine Sache ... innerhalb angemessener Frist gehört wird,

und zwar von einem ... Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche

und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat".

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung VfSlg. 16.550/2002 festgestellt, dass eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung binnen angemessener Frist (Art6 Abs1 EMRK) dann vorliegen würde, wenn die belangte Behörde nach Ablauf einer unangemessen langen Dauer des Disziplinar- oder Strafverfahrens einen Bescheid fällt, ohne die unangemessen lange Dauer festzustellen und bei der Strafbemessung zu berücksichtigen oder etwa das Strafverfahren einzustellen (Hervorhebung nicht im Original; vgl. weiters VfSlg. 16.385/2001).

1.3. Im vorliegenden Fall erlangte der Beschwerdeführer mit Zustellung der Einleitungsverfügung der Finanzstrafbehörde erster Instanz vom 10. Juli 1997 erstmals offiziell Kenntnis von dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf. Die Einleitungsverfügung wurde ihm am 19. September 1997 durch Hinterlegung zugestellt; als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist daher dieser Tag anzunehmen.

Als (vorläufiger) Endzeitpunkt des Verfahrens ist der Tag der Zustellung des im fortgesetzten Verfahren ergangenen Bescheides des Unabhängigen Finanzsenates vom 1. April 2004, der 23. April 2004, maßgeblich.

Die zu beurteilende Verfahrensdauer beträgt sohin sechs Jahre, sieben Monate und vier Tage.

1.4. Der UFS hat - unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles, die sich aus dem Verhältnis der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der beteiligten Behörden sowie der Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer ergeben - die Verfahrensdauer als unangemessen iSd. Art6 EMRK festgestellt und diesen Umstand bei der Strafbemessung strafmildernd berücksichtigt. Eine Einstellung des Strafverfahrens ist nicht erfolgt.

1.5. Dadurch, dass der UFS - zutreffend - festgestellt hat, dass die bisherige Dauer des Verfahrens "als unverhältnismäßig lange bewertet werden kann" und daher die verhängte Strafe (€ 18.168,21) unter Zitierung der Erläuterungen zu §34 Abs2 StGB (vgl. die Erläuterungen zur RV zum Strafrechtsänderungsgesetz 1996, 33 BlgNR,

20. GP) um € 8.168,21 (auf € 10.000,00) gemildert hat, wurde dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Art6 EMRK durch die belangte Behörde jedoch bereits Rechnung getragen. Angesichts dessen bleibt es für den Verfassungsgerichtshof völlig unverständlich, dass der Beschwerdeführer in seiner Eingabe ausschließlich die - vom UFS nicht bestrittene - Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist (Art6 Abs1 EMRK) geltend macht.

1.6. Nun geht der Beschwerdeführer offenbar in seiner Beschwerde davon aus, dass das durch Art6 Abs1 EMRK gewährleistete Recht auf Entscheidung binnen angemessener Frist auch den verfassungsrechtlichen Anspruch einschließe, dass ein Strafverfahren im Falle der Feststellung einer Verletzung des Art6 EMRK - wie hier vorliegend - einzustellen wäre. Damit ist der Beschwerdeführer nicht im Recht:

1.6.1. Der Rechtsprechung der Straßburger Organe zur Frage der Rechtsfolgen bei überlanger Verfahrensdauer kann nur entnommen werden, dass die Feststellung der Konventionsverletzung aufgrund überlanger Verfahrensdauer sowie eine (nicht näher festgelegte) Form der Wiedergutmachung der mit der Verfahrensdauer verbundenen Beeinträchtigung als zwingende Rechtsfolgen anzusehen sind. Diese Wiedergutmachung bzw. Entschädigung - welche letztlich von der innerstaatlichen Rechtsordnung als Ausgleich vorgesehen werden kann - kann beispielsweise in der Zuerkennung eines Ersatzes für den erlittenen immateriellen Schaden, in der Milderung einer verhängten Strafe oder auch in der Einstellung des zugrunde liegenden Strafverfahrens bestehen. (Vgl. dazu EKMR 16.10.1980, X. v. Germany, D.R. 25, p. 144; EGMR 21.6.1983, Eckle v. Germany (Art50), A 65, Appl. 8130/78; EKMR 6.7.1983, G. v. Germany, D.R. 33, p. 5 ff.; EKMR 12.12.1983, Neubeck v. Germany, D.R. 41, p. 34 ff.; EGMR 28.3.1990, B. v. Austria, A/175, Appl. 11.968/86; EGMR 28.6.1990, Obermeier, A/179, Appl. 11.761/85; EGMR 19.2.1991, Pugliese I, A/195-10, Appl. 11.840/85; EGMR 19.2.1991, Girolami, A/196-E, Appl. 13.324/87; EGMR 27.2.1992, Casciaroli v. Italy, A 229-C, Appl. 11.973/86; EGMR 27.2.1992, Cifola v. Italy, A/231-A, Appl. 13.216/87).

1.6.2. Auch die Lehre hat sich mit der Frage der Wiedergutmachung der mit einer überlangen Verfahrensdauer verbundenen Beeinträchtigung auseinandergesetzt. So führt etwa Thienel (vgl. Thienel, Die angemessene Verfahrensdauer [Art6 Abs1 EMRK] in der Rechtsprechung der Straßburger Organe, ÖJZ 1993, 473) dazu im Wesentlichen aus (Hervorhebungen nicht im Original):

"Ist es zu einem überlangen Verfahren gekommen, stellt sich die Frage, wie dies saniert werden und wie der Staat seine Verurteilung in Straßburg vermeiden kann (FN 254). Die MRK sieht als Folgen einer Konventionsverletzung nur deren Feststellung sowie allenfalls eine Entschädigung vor, aber keine sonstigen Sanktionen; es ist also Aufgabe des innerstaatl[ichen] Rechts, für einen Ausgleich der Konventionsverletzung zu sorgen. Die Straßburger Organe behandeln diese Frage unter dem Aspekt des Entfalles der Beschwer, die nach Art25 MRK Prozeßvoraussetzung für die Beschwerdeführung ist (FN 255). Soweit ersichtlich, betreffen die einschlägigen Entscheidungen durchwegs Strafverfahren. Nach Auffassung der Straßburger Organe fällt die Beschwer dann weg, wenn die mit der überlangen Verfahrensdauer verbundene Beeinträchtigung durch andere Maßnahmen wieder gutgemacht wird; dies könne dadurch erfolgen, daß das Strafverfahren eingestellt oder die letztlich verhängte Strafe gemildert wird.

(...)

(...) es wäre daher durchaus denkbar, daß eine Strafmilderung oder sogar eine Verfahrenseinstellung wegen überlangen Verfahrens vorgesehen wird. Rechtlich geboten scheint das jedoch nicht".

1.6.3. Schließlich verneinen sowohl der OGH (vgl. OGH 3.11.1987, Zl. 11 Os 11/87 = NRspr 1988/70, wonach eine iSd. Art6 Abs1 EMRK unangemessene Verfahrensdauer für die Verfolgbarkeit einer Tat ohne Bedeutung ist, jedoch im Rahmen der Strafzumessung als Milderungsgrund entsprechend berücksichtigt werden muss), als auch der Verwaltungsgerichtshof das Erfordernis der Einstellung eines Strafverfahrens (vgl. etwa zu einem Finanzstrafverfahren VwGH 24.10.1990, Zl. 86/13/0026).

Auch der Verfassungsgerichtshof hat zuletzt mit Erkenntnis vom 19. Juni 2002, VfSlg. 16.550/2002, nur die Möglichkeit der Einstellung eines Strafverfahrens in Betracht gezogen (arg.: "oder etwa das Strafverfahren einzustellen") und ist nicht von einem (verfassungsrechtlich gebotenen) Anspruch auf Verfahrenseinstellung ausgegangen.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles bei seiner Auffassung, dass aus Art6 EMRK kein Anspruch auf Verfahrenseinstellung abgeleitet werden kann.

Was die aus Art6 EMRK erfließenden Anforderungen an die innerstaatliche Rechtsordnung betrifft, hat der Gesetzgeber diese im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums durch die in §34 Abs2 StGB (auch iVm. §19 VStG) enthaltene Anordnung, dass es auch "ein Milderungsgrund ist (...), wenn das gegen den Täter geführte Verfahren aus einem nicht von ihm oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert hat", erfüllt.

1.7. Dass der UFS dem "Antrag auf Einstellung des Finanzstrafverfahrens gemäß Art6 Abs1 MRK" des nunmehrigen Beschwerdeführers keine Folge gab, sondern "nur" die Verfahrensdauer ausdrücklich als unangemessen iSd. Art6 EMRK festgestellt hat und daher u.a. aus diesem Grund die verhängte Strafe (€ 18.168,21) unter Zitierung der Erläuterungen zu §34 Abs2 StGB (vgl. die Erläuterungen zur RV zum Strafrechtsänderungsgesetz 1996, 33 BlgNR, 20. GP) um € 8.168,21 (auf € 10.000,00) gemildert, das Verfahren aber nicht eingestellt hat, ist nicht zu beanstanden. Ein in die Verfassungssphäre reichender - schwerer - Fehler ist der belangten Behörde dabei nicht unterlaufen.

Die behauptete Verfassungsverletzung liegt somit nicht vor. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde. Ob der angefochtene Bescheid aber in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

2. Kosten an die belangte Behörde als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes waren nicht zuzusprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 7315/1974, 9488/1982, 10.003/1986, 11.340/1987, 11.917/1988, 13.012/1992, 13.044/1992, 14.573/1996, 14.925/1997, 15.727/2000 und 16.080/2001).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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