VfGH B1551/03

VfGHB1551/036.10.2004

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
VfGG §88
VfGG §17a
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
VfGG §88
VfGG §17a

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit EUR 2142,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Beschwerdeführer übt das nicht bewilligungspflichtige gebundene (vgl. §124 Z12 GewO 1994 idF vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 111/2002) bzw. - seit In-Kraft-Treten des genannten Bundesgesetzes mit 1. August 2002 - das reglementierte Gewerbe der Masseure (§94 Z48 GewO 1994) aus.

Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich, mit welchem dem Beschwerdeführer - nach §46 des Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetzes - MMHmG, BGBl. I Nr. 169/2002 - die freiberufliche Ausübung der Tätigkeit eines Heilmasseurs untersagt worden ist: Der Beschwerdeführer habe den nach §46 Abs1 Z1 MMHmG vorgeschriebenen Qualifikationsnachweis nicht erbracht, auch sei er nicht auf Grund der Übergangsbestimmung des §84 MMHmG unmittelbar berechtigt, die Tätigkeit eines Heilmasseurs auszuüben.

Die Beschwerde behauptet die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§84 Abs7 MMHmG "idgF"); darin wird auch der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die - den Qualifikationsnachweis für Heilmasseure betreffende - Übergangsbestimmung des §84 MMHmG (idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 66/2003) lautet samt Überschrift:

"Gewerbliche Masseure

§84. (1) Personen, die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes

1. die Befähigung für das reglementierte Gewerbe der Massage gemäß der Verordnung über den Befähigungsnachweis für das gebundene Gewerbe der Masseure, BGBl. Nr. 618/1993, auf Grund einer erfolgreich abgelegten Prüfung nach dem 1. Oktober 1986 nachgewiesen haben und

2. das reglementierte Gewerbe der Massage (§94 Z48 GewO 1994) tatsächlich und rechtmäßig selbständig über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren ausgeübt haben,

sind berechtigt, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2007 eine Aufschulung zum Heilmasseur gemäß diesem Bundesgesetz zu absolvieren.

(2) Personen, die

1. vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes das reglementierte Gewerbe der Massage tatsächlich und rechtmäßig selbständig über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren ausgeübt haben und

2. die Befähigung für das reglementierte Gewerbe der Massage ohne Absolvierung einer entsprechenden fachlichen Prüfung rechtmäßig erlangt haben und

3. bis zum Ablauf des vierten dem In-Kraft-Treten folgenden Jahres die Befähigungsprüfung gemäß §2 der Verordnung über den Befähigungsnachweis für das gebundene Gewerbe der Masseure, BGBl. Nr. 618/1993, erfolgreich absolvieren,

sind berechtigt, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2007 eine Aufschulung zum Heilmasseur gemäß diesem Bundesgesetz zu absolvieren.

(3) Die Aufschulung gemäß Abs1 und 2 besteht aus

1. einer theoretischen Ausbildung in der Dauer von 360 Stunden und einer praktischen Ausbildung in der Dauer von 80 Stunden sowie

2. der kommissionellen Abschlussprüfung (§54).

(4) Personen, die die kommissionelle Abschlussprüfung gemäß Abs3 Z2 mit Erfolg abgelegt haben, ist ein Zeugnis, in dem jedenfalls die gesetzliche Grundlage für die Antrittsberechtigung, der Prüfungserfolg sowie die Berufsbezeichnung 'Heilmasseur'/'Heilmasseurin' anzuführen sind, auszustellen.

(5) Die Ausbildung und die kommissionelle Abschlussprüfung gemäß Abs3 dürfen zweimal wiederholt werden. Wird die zweite Wiederholungsprüfung nicht erfolgreich absolviert, ist die Absolvierung der verkürzten Ausbildung zum medizinischen Masseur gemäß §26 und in weiterer Folge die Absolvierung des Aufschulungsmoduls zum Heilmasseur zulässig.

(6) Ein Zeugnis gemäß Abs4 gilt als Qualifikationsnachweis gemäß §36 Z4.

(7) Gewerbliche Masseure, deren qualifizierte Leistungserbringung durch direkte Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes nachgewiesen ist, können auch ohne Aufschulung eine Tätigkeit als Heilmasseur ausüben."

Mit Erkenntnis vom 30. September 2004, G21/04 ua., hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "durch direkte Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern" in §84 Abs7 MMHmG als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Hinsichtlich des Anlassfalles ist daher so vorzugehen, als hätte die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Sachverhaltes nicht mehr der Rechtsordnung angehört. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, stehen solche Fälle gleich, die zu Beginn der mündlichen Verhandlung (sollte eine solche nicht stattfinden: zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986, 11.711/1988).

3. Die nichtöffentliche Beratung in dem zu G21/04 ua. geführten Verfahren begann am 30. September 2004. Die vorliegende Beschwerde war vor diesem Zeitpunkt beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Nach dem soeben Gesagten steht der Fall daher einem Anlassfall gleich.

4. Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet.

Nach der bereinigten Rechtslage ist der vorgeschriebene Qualifikationsnachweis - auch - erbracht, wenn die Anforderungen des §84 Abs1 oder Abs2 MMHmG erfüllt sind und eine (die in §84 Abs3 MMHmG vorgesehene "Aufschulung" entbehrlich machende) "qualifizierte Leistungserbringung" (§84 Abs7 MMHmG) zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes nachgewiesen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, lässt sich vor Gewährung des Parteiengehörs zur bereinigten Rechtslage nicht abschließend beurteilen. Soweit die belangte Behörde dazu in ihrer Gegenschrift Stellung genommen hat, vermag dies eine auf Grund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens gegebene nachvollziehbare Bescheidbegründung nicht zu ersetzen (vgl. VfGH 25. Februar 2003, B1872/02, VfSlg. 16.797 mwN). Nach Lage des Falles ist es daher nicht ausgeschlossen, dass die Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesstelle für die Rechtsposition des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

5. Der Kostenspruch stützt sich auf §88 VfGG. Die zugesprochenen Kosten enthalten Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG). Die ebenfalls verzeichnete "Bareinzahlungsgebühr" (EUR 1,50) ist mit dem zuerkannten Pauschalsatz abgegolten; ihr Ersatz war daher nicht gesondert zuzusprechen (vgl. VfGH 10. Juni 2003, B222/03).

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte