VfGH B999/04

VfGHB999/042.12.2004

RAO §10 Abs1
RAO §10 Abs1

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in St. Pölten und gemeinsam mit mehreren Partnern als Geschäftsführer und Gesellschafter der J & Partner Rechtsanwalts GmbH in Graz und Wien tätig. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 7. Juli 2003 wurde er schuldig erkannt, eine Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen zu haben. Er habe entgegen der Vorschrift des §10 RAO ab 5. Juli 2001 die Vertretung der seit 25. Mai 2001 im Ausgleich befindlichen Sportanlagen BetriebsGmbH übernommen, obwohl er am 8. Mai 2001 für W[...] B[...] beim Arbeits- und Sozialgericht Wien die Klage für die J & Partner Rechtsanwalts GmbH gegen die Sportanlagen BetriebsGmbH, die spätere Ausgleichsschuldnerin, unterfertigt hat. Am 11. Juni 2001 - somit während des bereits eröffneten Ausgleichsverfahrens - erwirkte er gegen die spätere Ausgleichsschuldnerin, vertreten durch seinen Konzipienten Mag. V[...], ein Versäumungsurteil. Er habe dadurch in einer zusammenhängenden Sache sowohl Gläubiger als auch Schuldner vertreten und wurde gemäß §16 DSt zu einer Zusatzstrafe von € 1.200,- und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.

Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) modifizierte den Schuldspruch mit Erkenntnis vom 3. Mai 2004 geringfügig, setzte die in erster Instanz verhängte Zusatzstrafe auf € 1.000,- herab und verurteilte den Beschwerdeführer zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens.

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Bedenken des Beschwerdeführers entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die Auslegung des §10 RAO durch die OBDK im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt. Unter dem Aspekt der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bemängelt er, dass die OBDK ein mangelhaftes Verfahren durchgeführt, die Rechtslage gehäuft verkannt und Willkür geübt hätte. Die OBDK sei nicht auf das Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen, da sie unter Annahme eines verfassungswidrigen Inhalts des §10 RAO davon ausgegangen sei, dass die Frage einer möglichen Interessenkollision und damit der konkreten Natur der Doppelvertretung im Einzelfall für die Strafbarkeit seines Verhaltens keine Rolle spiele. Das stelle einen qualifizierten Verfahrensmangel dar, der den angefochtenen Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belaste.

2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes durch einen Bescheid verletzt, wenn dieser einem Staatsbürger den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10413/1985, 14470/1997, 15431/1999, 15449/1999).

Der angefochtene Bescheid stützt sich in materiell-rechtlicher Hinsicht auf §10 Abs1 RAO. Dieser lautet:

"Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, und kann dieselbe ohne Angabe der Gründe ablehnen; allein er ist verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt tätig war. Ebenso darf er nicht beiden Teilen in dem nämlichen Rechtsstreite dienen oder Rat erteilen."

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden (diesbezüglich auch VfSlg. 13842/1994, 14411/1996, 15844/2000).

Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften könnte eine Verletzung des Grundrechtes auf freie Erwerbsausübung nur dann vorliegen, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte. Einen derartigen Fehler vermag der Verfassungsgerichtshof in der Auslegung des §10 RAO durch die belangte Behörde nicht zu erkennen. Es ist durchaus vertretbar, dass die OBDK annimmt, dass eine unechte Doppelvertretung nicht die konkrete Gefahr einer Interessenskollision voraussetzt. Ebenso kann der OBDK keine denkunmögliche Anwendung des §10 Abs1 RAO vorgeworfen werden, wenn sie von einer "unechten Doppelvertretung" ausgeht, weil ein Anwalt eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten und beraten hat (in sinngemäßer Anwendung ihrer Vorjudikatur zu ähnlich gelagerten Fällen vgl. AnwBl. 1955, 110; 1965, 83). Die OBDK führte in ihrem Erkenntnis vom 3. Mai 2004 dazu Folgendes aus:

"Aus der Tatsache, dass durch W[...] B[...] in weiterer Folge ausgehend von der seinerzeit beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eingebrachten Klage eine weitere Klage auf Insolvenzausfallgeld gestellt wurde, ist klar und deutlich zu ersehen, dass die Rechtssache W[...] B[...] gegen seinen Dienstgeber mit Fällung des Versäumungsurteils am l1.Juni 2001 noch nicht abgeschlossen war und ein Zusammenhang vorliegt, zumal der Disziplinarbeschuldigte als Vertreter der in Ausgleich befindlichen Dienstgeberin des W[...] B[...] in der Ausgleichstagsatzung eine Stellungnahme zu dieser im Ausgleich anzumeldenden Forderung des W[...] B[...] abgeben musste."

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14848/1997, 15241/1998 mwN, 16287/2001, 16640/2002).

Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers wurde der ihm vorgeworfene Sachverhalt hinreichend konkret umschrieben. Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass der wesentliche Sachverhalt in einem aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden Verfahren ermittelt wurde. Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf der Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Akteninhalt oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts ist nicht berechtigt. Der für die Beurteilung maßgebliche Sachverhalt wurde in einem eingehenden Verfahren ermittelt und die Beweise hinreichend gewürdigt. Der Beschwerdeführer hatte ausreichend Gelegenheit, den Sachverhalt und seine Ansicht dazu darzulegen.

Von einer - Willkür indizierenden - Verkennung der Rechtslage kann keine Rede sein.

Ob die Auslegung der angewendeten Rechtsvorschriften in jeder Hinsicht rechtsrichtig ist, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996, 15794/2000).

3. Der Beschwerdeführer ist in den von ihm behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt worden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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