B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer bezieht eine Versehrtenrente aus einer gesetzlichen Unfallversorgung.
2. Mit Bescheid des örtlich zuständigen Finanzamtes wurde die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für das Jahr 2001 festgesetzt. Dabei wurde die dem Beschwerdeführer ausbezahlte Versehrtenrente den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§25 EStG 1988) zugerechnet und in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einbezogen (vgl. §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988).
3. Die Finanzlandesdirektion für Steiermark wies die dagegen erhobene Berufung als unbegründet ab.
4. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gem. Art144 Abs1 B-VG, worin die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
5. Mit Erkenntnis vom 7. Dezember 2002, G85/02, hat der Verfassungsgerichtshof das Wort "einmalige" sowie die Wortfolge ", soweit nicht Ansprüche auf laufende Zahlungen abgefunden werden," in §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988 idF des Euro-Steuerumstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 59/2001, durch die Versehrtenrenten aus einer gesetzlichen Unfallversorgung im Ergebnis in die Einkommensteuerpflicht einbezogen wurden, als verfassungswidrig aufgehoben (s. auch die Kundmachung des Bundeskanzlers BGBl. I Nr. 1/2003).
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, sind all jene Fälle gleichzuhalten, die zu Beginn der mündlichen Verhandlung (sollte eine solche nicht stattfinden: zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986, 11.711/1988).
Die nichtöffentliche Beratung in dem zu G85/02 geführten Verfahren begann am 28. November 2002. Die vorliegende Beschwerde ist am 23. Dezember 2002, somit erst nach diesem Zeitpunkt, beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung noch nicht anhängig. Der Fall steht einem Anlaßfall somit nicht gleich.
2. Wie Art140 Abs7 zweiter Satz, zweiter Halbsatz, B-VG entnommen werden kann, kommt dem Verfassungsgerichtshof die Befugnis zu, die Anlaßfallwirkung eines aufhebenden Erkenntnisses auch auf andere vor Aufhebung des Gesetzes verwirklichte Sachverhalte zu erstrecken. Mit Erkenntnis vom 7. Dezember 2002, G85/02, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß die aufgehobenen Teile des §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988 "für die Bemessung der Einkommensteuer der Jahre 2001 und 2002 nicht mehr anzuwenden [sind], soweit die aus der seit 1. Jänner 2001 geltenden Besteuerung von Bezügen aus einer gesetzlichen Unfallversicherung oder aus einer gesetzlichen Unfallversorgung entstandene Mehrbelastung nicht nach den Bestimmungen der §§33 ff des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990 in der Fassung des Art1 des Bundesgesetzes, mit dem das Bundesbehindertengesetz, das Behinderteneinstellungsgesetz und das Bundesfinanzgesetz 2001 geändert werden, BGBl. I Nr. 60/2001, abgegolten worden ist".
Nach dem Wortlaut des soeben wiedergegebenen Ausspruchs ist auch die vorliegende Beschwerde von der Anlaßfallwirkung des hg. Erkenntnisses vom 7. Dezember 2002 erfaßt.
3. Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).
Der Bescheid war daher aufzuheben.
4. Der Kostenspruch stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) in Höhe von € 180,-- enthalten.
5. Dies konnte gem. §19 Abs4 Z3 VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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