Normen
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
ASVG §416
VfGG §88
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
ASVG §416
VfGG §88
Spruch:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Begründung
1. Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen richtete am 5. August 2002 folgendes Schreiben an die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (im folgenden kurz: BVA) zu Handen des Obmannes:
"Sehr geehrter Herr Obmann!
Ich beziehe mich auf Ihr Schreiben vom 3. Juni 2002, betreffend Widerspruch zur Eingliederung der BVA und der VA der österreichischen Eisenbahnen in den Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger, und teile dazu Folgendes mit:
Der Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger wurde im Rahmen der 6. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 87/1960, beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger eingerichtet. Ziel des Ausgleichsfonds ist es, eine ausgeglichene Gebarung sowie eine ausreichende Liquidität der beteiligten Krankenvesicherungsträger zu gewährleisten.
Zur Funktion des Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung im Jahre 1994 Folgendes grundsätzlich ausgeführt:
'Der Fonds ist ein krankenversicherungsinternes Strukturausgleichsinstrument, dessen Mittel ausschließlich von den Krankenversicherungsträgern selbst aufgebracht werden. Das formal einheitliche Beitragsrecht in der Krankenversicherung verschafft den einzelnen Krankenversicherungsträgern überaus unterschiedlich hohe Beitragseinnahmen pro Kopf der Versicherten. Diese Tendenz zur Entwicklung finanziell gut dotierter Krankenversicherungsträger zu weniger gut dotierten Krankenversicherungsträger erklärt sich durch starke Strukturveränderungen. Aus diesem Grund ist ein Ausgleichsfonds als Instrument des sozialversicherungsinternen Finanzausgleichs unbedingt erforderlich.'
Der Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger entspricht auch dem Solidargedanken in der Sozialversicherung. Die österreichische Sozialversicherung ist nicht rein dem Versicherungsprinzip verpflichtet, sondern im Rahmen der Sozialpflichtigkeit auch dem solidarischen Lastenausgleich innerhalb von gesamtösterreichischen Riskengemeinschaften. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Grundsatz der österreichischen Bundesverfassung hinzuweisen, wonach das Bundesgebiet ein einheitliches Wirtschaftsgebiet darstellt (Artikel 4 Abs1 B-VG).
Allerdings hat es sich in der Vergangenheit gezeigt, dass der Ausgleichsfonds nur unzureichend geeignet war, Strukturunterschiede zwischen den einzelnen Krankenversicherungsträgern auszugleichen; das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen ist daher an den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger herangetreten, Vorschläge für eine Reform des Ausgleichsfonds zu unterbreiten. Beim Hauptverband wurde in weiterer Folge eine mit dieser Aufgabe befasste Expertengruppe eingerichtet, der Vertreter der am Fonds beteiligten Krankenversicherungsträger angehörten.
Die Arbeitsergebnisse dieser Expertengruppe sind weitgehend in die Neugestaltung des Ausgleichsfonds im Rahmen der 60. ASVG-Novelle, die am 11. Juli 2002 vom Nationalrat beschlossen wurde, eingeflossen:
Danach sollen dem Ausgleichsfonds zusätzliche Mittel zugeführt werden, um einen wirkungsvollen Finanzausgleich über diesen zu ermöglichen. So werden künftig zusätzliche Erträge aus der Tabaksteuer dem Fonds zufließen, soweit sie aus Preiserhöhungen zwischen 1. Juli und 31. Dezember 2002 resultieren. Für die Geschäftsjahre 2003 und 2004 wird von den beteiligten Krankenversicherungsträgern das Doppelte der sonst vorgesehenen Beiträge an den Ausgleichsfonds entrichtet werden. Darüber hinaus haben bestimmte am Ausgleichsfonds beteiligte Krankenversicherungsträger diesem nach ihrer Finanzkraft Darlehensgelder zu gewähren, die vom Fonds - ebenso wie die Mehreinnahmen aus der erhöhten Beitragsentrichtung - in den Jahren 2005 bis 2010 verzinst zurückzuzahlen sind. Die Darlehensbeträge übersteigen nicht 20% der voraussichtlichen allgemeinen Rücklage und Leistungssicherungsrücklage zum 31. Dezember 2002 und wurden auf Grund der Jahresvoranschläge 2002 ermittelt.
Um alle auf Grund ihrer Größe bedeutsamen Krankenversicherungsträger in die Neuordnung des Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger einzubeziehen, werden diesem künftig auch die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen und die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter angehören. Die genannten Versicherungsträger werden (aus Gleichheitsgründen) nach ihrer Finanzkraft auch in das Darlehensmodell zur Dotierung des neugeordneten Ausgleichsfonds einbezogen.
Auch der Hauptverband stellt aus seiner Rücklage 20 Mio. €
zur Krankenkassenfinanzierung zur Verfügung.
Für den neu gestalteten Ausgleichsfonds werden zwei 'Töpfe' geschaffen, von denen der eine dem Strukturausgleich, der andere der Honorierung der Zielerreichung dient.
Der dem Strukturausgleich gewidmete Topf beinhaltet als objektive Kriterien all jene Strukturparameter, die von den einzelnen Krankenversicherungsträgern kurz- bis mittelfristig nicht beeinflussbar sind. Danach sind insbesondere die Einnahmenstruktur (Beiträge), die Versichertenstruktur (Angehörige), die demografische Struktur (Pensionisten), die Belastung im Rahmen der Krankenanstaltenfinanzierung, die Belastung durch den Betrieb einer allgemeinen Krankenanstalt, der Großstadtfaktor (Versorgungsdichte in städtischen Ballungsräumen) und die Kassenlage zu beachten. Das Nähere ist in Richtlinien des Hauptverbandes zu regeln. Auf die Leistungen unter dem Titel 'Strukturausgleich' besteht ein Rechtsanspruch.
Der Zielerreichungstopf bindet an einen Zielkatalog an, der mit einem Steuermechanismus verknüpft ist; dabei wird das Modell der Balanced Score Card anzuwenden sein. Auch auf die Zielerreichungs-Zuschüsse besteht ein Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen (Einhaltung der vom Hauptverband zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und einheitlichen Vollzugspraxis erlassenen Richtlinien, Einhaltung der vom Verwaltungsrat erlassenen Zielvereinbarungen) erfüllt werden. Wurden die Zielvereinbarungen nicht vollständig eingehalten, so können entsprechend gekürzte Zuschüsse erbracht werden.
Soweit der Krankenversicherungsträger die ungünstige Kassenlage selbst verschuldet hat, gebühren keine Leistungen aus dem Ausgleichsfonds.
Abschließend noch eine grundsätzliche Überlegung:
Da die Gliederung der Sozialversicherung in verschiedene Träger nach regionalen Gesichtspunkten und Gesichtspunkten der Personenverbundenheit erfolgte, ist es unausweichlich, dass die Riskenauslese innerhalb dieser Träger sehr unterschiedlich ist. Hat sich der Gesetzgeber - wie in Österreich - dafür entschieden, das Leistungsrecht für alle Versichertengruppen in etwa gleich auszugestalten, so bedeutet dies, dass es damit finanziell begünstigte und finanziell benachteiligte Versicherungsgemeinschaften gibt.
Geht man davon aus, dass die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten eine Risikogemeinschaft im weiteren Sinn darstellen, so ist ein finanzieller Ausgleich zwischen defizitären und positiv bilanzierenden Krankenversicherungsträgern nicht nur zulässig, sondern geradezu geboten.
Ich hoffe, mit diesen Ausführungen die Notwendigkeit der Neugestaltung des Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger hinlänglich dargelegt zu haben.
Bemerken möchte ich noch, dass diesem Schreiben kein Bescheidcharakter zukommt."
2. Gegen dieses Schreiben richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte, "aus prozessualer Vorsicht" erhobene Beschwerde der BVA, worin sie sich unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung auf den Standpunkt stellt, daß dieses Schreiben ein Bescheid sei.
3. Das Schreiben der BVA, auf das sich der Bundesminister in seiner Antwort bezieht, hat folgenden Wortlaut:
"Sehr geehrter Herr Bundesminister!
Als Sanierungsmaßnahme für die finanzschwachen Krankenkassen ist beabsichtigt, nunmehr die BVA wie auch die VA in den Ausgleichsfonds einzubeziehen. Gegen diese Maßnahme sprechen wir uns entschieden aus.
BVA und VA haben in den letzten Jahren durch massive Einsparungsmaßnahmen sowie Leistungseinschränkungen und Selbstbehaltserhöhungen bzw. -erweiterungen mühevoll eine relativ ausgeglichene Gebarung erreicht.
Beide Träger werden unbeschadet allfälliger noch zu erwartender Änderungen bei den Vergabemodalitäten Nettozahler an den Ausgleichsfonds. Das bedeutet, dass in kürzester Zeit auch unsere Finanzmittel abgeschöpft sind. Eine derartige Umverteilung stellt einen unerlaubten Eingriff in die Eigentumsrechte der Träger und somit in die verfassungsrechtlichen Kompetenzen der Selbstverwaltung dar. Bei einem Sonderversicherungsträger leisten die Versicherten einen höheren Beitrag als ASVG-Versicherte und darüber hinaus sehr weitgehende Zuzahlungen (Behandlungsbeitrag), die im ASVG gar nicht vorgesehen sind.
Der bundesweite Risikoausgleich, der dem Ausgleichsfonds im ASVG als Prinzip zu Grunde liegt, erfolgt im B-KUVG innerhalb der Riskengemeinschaft der öffentlich Bediensteten bzw. der Versicherten der österreichischen Eisenbahnen.
Derart unerlaubte Eingriffe in das Vermögen der BVA hat der Verfassungsgerichtshof bereits in den 80er Jahren als verfassungswidrig verworfen, was zur Rückzahlung dieser Vermögensmittel führte.
Die seinerzeitige Aufnahme der selbständig Erwerbstätigen wie auch der Bauern kann nicht als Argument für die Einbeziehung gelten, da diese Anlass bezogen als reine Sanierungsmaßnahme für die betroffenen Träger durchgeführt wurde.
Unter diesen Aspekten haben sich die Versicherungsvertreter jedenfalls gegen die geplante Einbeziehung in den Ausgleichsfonds, die kurzfristig zum Finanzkollaps führen wird, auszusprechen, da anderenfalls die persönliche Haftung der Versicherungsvertreter (§136 B-KUVG bzw. §442 ASVG) schlagend wird."
4. Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen hat eine Äußerung erstattet, in der er ua. die Zulässigkeit der Beschwerde mangels Bescheidqualität des Schreibens bestreitet. Mit diesem Schreiben habe er bloß die künftige Rechtslage erläutern wollen. Er beantragt daher, die Beschwerde kostenpflichtig zurück- bzw. abzuweisen.
5. Die beschwerdeführende BVA hat darauf repliziert.
6. Die Beschwerde ist nicht zulässig:
6.1. Gemäß Art144 Abs1 erster Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate. Ein Beschwerdeverfahren vor dem Gerichtshof hat somit zur wesentlichen Voraussetzung, daß dem bekämpften Akt Bescheidqualität zukommt.
6.2. Diese Voraussetzung trifft hier nicht zu:
6.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist eine behördliche Erledigung auch dann, wenn sie nicht als Bescheid bezeichnet und nicht in Spruch und Begründung gegliedert ist, als Bescheid zu werten, sofern sie nur eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber individuell bestimmten Personen in einer der Rechtskraft fähigen Weise normativ regelt, also für den Einzelfall Rechte oder Rechtsverhältnisse bindend gestaltet oder feststellt. Aus der Erledigung muß - soll sie als Bescheid iSd Art144 Abs1 erster Satz B-VG gewertet werden - deutlich der objektiv erkennbare Wille hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen (vgl. VfSlg. 13.342/1993, 14.451/1996 und die dort zitierte Vorjudikatur; ferner VfSlg. 15.893/2000).
6.2.2. Eine Wertung dieses Schreibens des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 5. August 2002 als Bescheid ist aber ausgeschlossen:
a) Gem. §416 ASVG entscheidet der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen zwar über Streitigkeiten zwischen dem Hauptverband und den Versicherungsträgern. Der Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger ist "beim Hauptverband" errichtet, woraus sich die Zurechnung des Ausgleichsfonds zum Hauptverband ergibt (VfSlg. 16.406/2001). Streitigkeiten über die Höhe der Zahlungsverpflichtung eines Krankenversicherungsträgers an den Ausgleichsfonds sind daher solche mit dem Hauptverband.
b) Die BVA behauptet aber nicht, daß eine "Streitigkeit" mit dem Hauptverband vorliegt; sie bringt vielmehr vor, keinerlei derartigen "Antrag" auf Entscheidung einer solchen Streitigkeit - z. B. über die Höhe der Leistungen in den Ausgleichsfonds - eingebracht zu haben. Das Schreiben der BVA an den Bundesminister kann im Hinblick auf seine Formulierung auch keinesfalls als ein solcher Antrag gedeutet werden.
c) Es ist aber auch in keiner anderen Hinsicht möglich, dem in Rede stehenden Schreiben des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen den objektiv erkennbaren Willen zu entnehmen, gegenüber der beschwerdeführenden BVA eine normative Regelung zu treffen. Der Inhalt dieses Schreibens erschöpft sich vielmehr darin, die BVA über die Entstehungsgeschichte und die Funktionsweise des Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger sowie über dessen Neugestaltung und die Hintergründe dieser Neugestaltung in Kenntnis zu setzen.
Das Schreiben enthält auch keinerlei Abspruch über die Verpflichtung der BVA zur Leistung einer bestimmten Geldsumme an den Ausgleichsfonds. Es gleicht darin jenen Schreiben, mit denen die zuständige Behörde einer Partei informativ eröffnet, welche Ergebnisse das bisherige Verfahren erbracht hat (vgl. §45 Abs3 AVG); von einem durch die Verneinung der Bescheidqualität des vorliegenden Schreibens drohenden Rechtsschutzdefizit kann angesichts dessen keine Rede sein (vgl. VfSlg. 14.057/1996, 16.037/2000).
6.2.3. Da die Beschwerde sich somit gegen ein für ein Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof untaugliches Anfechtungsobjekt richtet, war sie mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs als unzulässig zurückzuweisen.
7. Kosten an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen waren für den von ihm erstatteten, ihm jedoch nicht abverlangten Schriftsatz nicht zuzusprechen (vgl. VfSlg. 15.802/2000 mwN).
8. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.
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