VfGH B863/01

VfGHB863/0122.9.2003

Gleichheitswidrige Auslegung von Bestimmungen der Nö Bauordnung 1996 bei Entscheidung über Einwendungen eines benachbarten Gewerbebetriebes gegen die Errichtung eines Hotel- und Bürogebäudes; subjektiv-öffentliches Recht auf die Nichterrichtung von einen Immissionsschutz beanspruchenden Betrieben auf einem als Betriebsgebiet gewidmeten Baugrundstück

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art2
Nö BauO 1996 §6
Nö BauO 1996 §48
Nö ROG 1976 §14 Abs2 Z9
Nö ROG 1976 §16 Abs1 Z3
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art2
Nö BauO 1996 §6
Nö BauO 1996 §48
Nö ROG 1976 §14 Abs2 Z9
Nö ROG 1976 §16 Abs1 Z3

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 2.143,68 € bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. 177/10, EZ 833 sowie des Grundstücks Nr. 172/3, EZ 1818, KG Wiener Neudorf, beide als "Bauland - Industriegebiet" gewidmet. Sie führt auf diesen Grundstücken seit 1960 einen gewerbebehördlich genehmigten Betrieb zur Produktion von Betonsteinen, von dem intensive Lärm- und Staubemissionen ausgehen. Die mitbeteiligte Partei P. H. Ö. GmbH beabsichtigt auf den teilweise unmittelbar benachbarten Grundstücken Nr. 213/1, EZ 681, Nr. 173/5, EZ 972, Nr. 177/9 und 182/8, je EZ 1049, KG Wiener Neudorf, ein Hotel- und Bürogebäude mit Geschäftsflächen zu errichten. Nach der "Änderung Nr. 1-1998" sieht das örtliche Raumordnungsprogramm für diese Grundstücke teilweise die Widmung "Bauland - Sondergebiet Hotel- und Dienstleistungseinrichtungen" vor, teilweise "Bauland - Betriebsgebiet*" - laut Legende bedeutet das: "Betriebsgebiet für Betriebe, die eine abpuffernde Wirkung zwischen Industriegebiet und Sondergebiet bewirken".

2. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Wiener Neudorf erteilte mit Bescheid vom 27. März 2000 der mitbeteiligten Partei die am 18. Dezember 1998 beantragte Baubewilligung. Die dagegen von der beschwerdeführenden Gesellschaft erhobene Berufung wies der Gemeinderat der Marktgemeinde Wiener Neudorf mit Bescheid vom 11. Oktober 2000 ab.

3. Der dagegen von der beschwerdeführenden Gesellschaft erhobenen Vorstellung gab die Niederösterreichische Landesregierung mit dem angefochtenen Bescheid Folge; sie behob den Berufungsbescheid des Gemeinderates und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde Wiener Neudorf zurück. Die belangte Behörde stützte die Stattgabe der Vorstellung auf den Umstand, dass die Gemeindebehörden trotz der diesbezüglichen Einwendungen der nunmehr beschwerdeführenden Gesellschaft kein "entsprechendes Gutachten gemäß §54 der NÖ Bauordnung 1996" eingeholt hätten [Anm:

Diese Bestimmung enthält Regeln für die Höhe und die Anordnung von Gebäuden in Baulandbereichen, für die kein Bebauungsplan gilt.]; da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Baubehörden bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem für die nunmehr beschwerdeführende Gesellschaft günstigeren Ergebnis hätten kommen können, seien subjektiv-öffentliche Rechte der nunmehr beschwerdeführenden Gesellschaft verletzt worden.

Die belangte Behörde führt daneben in der Begründung des angefochtenen Bescheides noch Folgendes aus:

"Zum Einwand, dass das Bauvorhaben im Widerspruch zur Widmung 'Bauland - Betriebsgebiet' stehe:

Ein Nachbar hat nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Einhaltung der einzelnen Widmungsarten, wenn diese einen Immissionsschutz gewährleisten (siehe u.a. VwGH vom 26. April 1984, Zl. 1153/80). Da jedoch die [nunmehr beschwerdeführende Gesellschaft] nie behauptet hat, dass sie durch die von dem zu bebauenden Grundstück ausgehenden Immissionen belästigt werden würde, sondern lediglich erstmalig in der Vorstellung geltend gemacht hat, dass die Behörde bestimmte Emissionen feststellen hätte müssen, hat sie nicht aufgezeigt, inwiefern sie durch diesen von ihr behaupteten Widerspruch in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein konnte. Die Baubehörden konnten somit zu Recht davon ausgehen, dass eine Verletzung von subjektiv-öffentlichen Rechten durch die erteilte Baubewilligung nicht gegeben ist (siehe u.a. VwGH vom 19. Jänner 1993, Zl. 92/05/0208).

Zur Einwendung der heranrückenden Wohnbebauung:

Aus §6 Abs2 [NÖ BauO 1996] ergibt sich, dass zwar ein Nachbar ein Recht auf Schutz vor Immissionen, nicht jedoch einen Schutz vor herannahender Wohnbebauung genießt. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zur NÖ Bauordnung ausgesprochen hat (siehe u. a. VwGH vom 23.2.1993, Zl. 92/05/0252, und 30. Juni 1998, Zl. 98/05/0055) kann der Inhaber eines Betriebes gegen ein Bauvorhaben für ein Wohnhaus nicht mit Erfolg einwenden, die künftigen Bewohner hätten seinen Betrieb und die von ihm ausgehenden Immissionen hinzunehmen. Die von der [nunmehr beschwerdeführenden Gesellschaft] angeführten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes sind vor dem zuletzt zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 1998 ergangen. Überdies sind die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zur Wiener bzw. Oberösterreichischen Bauordnung ergangen. Daher ist diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auf die NÖ Bauordnung nicht anwendbar und konnte die Vorstellungswerberin daher auch mit dieser Einwendung keine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes aufzeigen."

4. In ihrer dagegen gerichteten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde behauptet die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (örtliches Raumordnungsprogramm in der Fassung der Änderung Nr. 1-1998).

4.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde führt die beschwerdeführende Gesellschaft aus, obwohl ihre Vorstellung zur Aufhebung des Bescheids der Berufungsbehörde geführt habe, sei sie durch den bekämpften Bescheid dennoch beschwert, da die Berufungsbehörde im fortgesetzten Verfahren an die in der Begründung geäußerten Rechtsansichten der belangten Behörde gebunden sei, die für die beschwerdeführende Gesellschaft nachteilig seien.

4.2. Die beschwerdeführende Gesellschaft sei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz einerseits deshalb verletzt, weil ihr trotz rechtzeitig in der ersten Bauverhandlung erhobener Einwendungen keine Möglichkeit gegeben worden sei, sich gegen die vom Projekt der mitbeteiligten Partei ausgehenden Emissionen zur Wehr zu setzen, worin Willkür liege. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte der beschwerdeführenden Gesellschaft auch diesbezüglich Parteistellung zuerkannt werden müssen.

Andererseits habe die belangte Behörde willkürlich gehandelt, weil sie der beschwerdeführenden Gesellschaft keine Möglichkeit gegeben habe, sich gegen eine "heranrückende Wohnbebauung" zur Wehr zu setzen. Die belangte Behörde verkenne den Inhalt des §6 NÖ BauO dahingehend, dass diese Bestimmung ausschließlich Emissionswirkungen des Bauvorhabens erfasse und nicht auch Immissionen eines bestehenden Gewerbebetriebes auf das Bauvorhaben. Im Fall der Errichtung des geplanten Hotel- und Bürogebäudes mit Geschäftsflächen habe die beschwerdeführende Gesellschaft mit Auflagen der Gewerbebehörde zum Schutz der Nachbarschaft vor Emissionen zu rechnen. Die beschwerdeführende Gesellschaft sei daher bei verfassungskonformer Auslegung der §§6 Abs2 Z2 iVm 48 Abs1 Z2 NÖ BauO berechtigt, Einwendungen gegen das Heranrücken der Wohnbevölkerung zu erheben. Die Hotelgäste wie auch die in den zu errichten beabsichtigten Büros arbeitenden Menschen seien aufgrund gleicher Schutzinteressen der Wohnbevölkerung gleichzuhalten.

Auch der NÖ BauO und dem NÖ ROG wohne der allgemeine Grundsatz inne, dass bei Bauvorhaben die Qualität der Wohnverhältnisse sichergestellt werden soll. Es fehle an der sachlichen Rechtfertigung für die Annahme, dass eine vom Gesetz verpönte schwerwiegende Beeinträchtigung ausschließlich dann zu unterbinden sei, wenn die Quelle der Emissionen geschaffen werden soll, nicht hingegen in dem bloß durch die zeitliche Abfolge verschiedenen Fall, dass sie bereits besteht und erst durch die Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann. Die belangte Behörde unterstelle der NÖ BauO einen gleichheitswidrigen Inhalt. Die Widmung "Bauland - Sondergebiet für Hotel- und Dienstleistungseinrichtungen" solle - im Vergleich zur Widmung "Bauland - Wohngebiet", die dem Großteil der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur "heranrückenden Wohnbebauung" zugrunde lag - gerade in verstärktem Ausmaß der Erholung dienen; man halte sich im Hotel- und Dienstleistungseinrichtungsbereich "- auch - bevorzugt im Freien" auf.

4.3. Die Widmung der Baugrundstücke (teilweise) als "Bauland - Sondergebiet für Hotel- und Dienstleistungseinrichtungen" verstoße eklatant gegen die Ziele des NÖ ROG. Für die Grundstücke der beschwerdeführenden Gesellschaft, die unmittelbar an die Baugrundstücke angrenzten, bestehe schon seit Jahrzehnten die Widmung "Bauland - Industriegebiet". Die beschwerdeführende Gesellschaft führe auf ihren Grundstücken einen stark emittierenden Betrieb mit einer im Freien gelegenen Produktionsanlage. Auch in unmittelbarer Umgebung seien mehrere Industriegebiete angesiedelt. Gemäß §1 Abs2 Z1 litc NÖ ROG gelte jedoch das generelle Leitziel, dass die einzelnen Nutzungen von Grundstücken derart geordnet werden müssen, dass gegenseitige Störungen vermieden werden und dass die einzelnen Nutzungen jenen Standorten zugeordnet werden, die dafür die besten Eignungen besitzen. Gemäß §1 Abs2 Z1 liti leg. cit. seien Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung durch Lärm, Staub, Geruch, Strahlungen, Erschütterungen udgl. zu vermeiden. Gemäß §1 Abs2 Z3 litf leg. cit. sollten bestehende Betriebsstandorte gesichert werden und Gebiete mit einer besonderen Standorteignung für die Ansiedlung von Betrieben vor diesen Nutzungen zuwiderlaufenden Widmungen geschützt werden. Die gewerblichen und industriellen Betriebsstätten sollten räumlich konzentriert innerhalb des Gemeindegebietes angelegt werden. Gemäß §14 Abs2 Z11 leg. cit. sollten Erholungsgebiete, wozu ein Gebiet mit der vorliegenden Widmung zähle, nicht durch Störungseinflüsse beeinträchtigt werden; nach Z9 leg. cit. dürften Wohnbauland und Sondergebiete mit besonderem Schutzbedürfnis wie das vorliegende nur außerhalb von Störungseinflüssen angeordnet werden; nach §14 Abs2 Z13 leg. cit. seien Betriebsgebiete und Industriegebiete so anzulegen, dass größtmögliche Raumkonzentration erreicht werden kann.

Überdies sei entgegen den gesetzlichen Bestimmungen die graphische Darstellung des Flächenwidmungsplanes derart unklar, dass hinsichtlich der Baugrundstücke die tatsächlich verordnete Flächenwidmung nicht entnommen werden könne, was dem Bestimmtheitsgebot eklatant widerspreche und die bekämpfte Verordnung über die Abänderung des Flächenwidmungsplans ebenfalls mit Rechtswidrigkeit belaste.

5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

6. Die Marktgemeinde Wiener Neudorf legte die Akten betreffend das Zustandekommen der "Änderung Nr. 1-1998" des örtlichen Raumordnungsprogramms vor.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Wenn die belangte Behörde die Verletzung von Rechten der beschwerdeführenden Gesellschaft im Zusammenhang mit der Frage der vom Projekt der mitbeteiligten Partei ausgehenden Emissionen ausschließt, weil die beschwerdeführende Gesellschaft erstmalig in der Vorstellung geltend gemacht habe, dass die Behörde bestimmte Emissionen feststellen hätte müssen, so hat sie damit nicht Willkür geübt. Die Beschwerde bleibt in diesem Punkt nähere Ausführungen schuldig, worin die behauptete "qualifizierte Rechtswidrigkeit im Sinne eines gehäuften Verkennens der Rechtslage" und die "qualifizierte Verletzung von Verfahrensvorschriften" liegen soll; der Verfassungsgerichtshof vermag von sich aus solche Verfehlungen der belangten Behörde nicht zu erkennen.

2. Die Beschwerde ist jedoch im Recht, soweit sie sich gegen die Ansicht der belangten Behörde, die Einwendungen der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen die heranrückende immissionsempfindliche Bebauung seien unzulässig, wendet:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem richtungsweisenden Erkenntnis VfSlg. 12.468/1990 zu §6 Abs8 der Wiener Bauordnung erkannt hat, ist einer Vorschrift, die die Errichtung von Betrieben in Wohngebieten beschränkt, ein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, der insbesondere die Qualität der Wohnverhältnisse sicherstellen will. Erfasst man die Regelung nach dem evidenten Zweck, so fehlte es an einer sachlichen Rechtfertigung für die Annahme, dass eine vom Gesetz verpönte schwer wiegende Beeinträchtigung ausschließlich dann zu unterbinden ist, wenn die Quelle der Emissionen geschaffen werden soll, nicht hingegen in dem bloß durch die zeitliche Abfolge verschiedenen Fall, dass sie bereits besteht und erst durch die Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Aussagen in den Erkenntnissen VfSlg. 13.210/1992 (zu §23 Abs2 OÖ Bauordnung), VfSlg. 14.943/1997 (zu §134 Abs3 und §134a der Bauordnung für Wien), VfSlg. 15.188/1998 (zu §21 Abs2 der Kärntner Bauordnung 1992) und VfSlg. 15.691/1999 zu §26 Stmk. BauG wiederholt.

Diese Judikatur hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. Juni 2000, B224/98 ua., auf §30 Tiroler Bauordnung 1989 angewendet und diese Bestimmung ebenfalls dahingehend ausgelegt, dass sie Einwendungen des Betriebsinhabers gegen eine heranrückende Wohnbebauung zulässt.

In dem Fall, der dem - erst nach Erlassung des hier angefochtenen Bescheides ergangenen - Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs VfSlg. 16.250/2001 zugrunde lag, hat die damals wie im vorliegenden Fall belangte Behörde §6 iVm §48 Niederösterreichische Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, in der Folge: NÖ BauO, so ausgelegt, dass sich der Inhaber eines Gewerbebetriebes nicht gegen eine heranrückende Wohnbebauung durch eine Kleingartensiedlung zur Wehr setzen könne. Der Verfassungsgerichtshof stellte fest, dass die belangte Behörde von einem sachlich nicht begründbaren und daher auch gleichheitswidrigen Verständnis der zitierten Gesetzesstellen ausgegangen sei. Er führte u.a. aus:

"Auszugehen ist von den [...] Vorerkenntnissen zur Frage der heranrückenden Wohnbebauung - in Wohngebieten - und der Tatsache, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Errichtung von Gebäuden auf Grundstücken mit der Widmung 'Grünland-Kleingärten' zur Sicherung des Erholungscharakters und der - wenn auch nicht ganzjährigen - Nutzung zu Wohnzwecken noch strenger sind. Daher kommt der Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Bestimmung des §6 Abs2 Z2 iVm §48 NÖ BauO 1996 (wonach 'subjektiv-öffentliche Rechte [...] durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, [...] die den Schutz vor Immissionen (§48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§63) ergeben') in Verbindung mit den widmungsrechtlichen Bestimmungen auch den Fall des Inhabers einer gewerbebehördlich genehmigten Betriebsanlage erfasst, in dessen unmittelbarer Nähe ein Wohnhaus bzw. ein Kleingartenhaus errichtet werden soll. Denn möglicherweise erweist sich eine widmungsgemäße Verwendung der Baugrundstücke in Folge der Emissionen des Betriebes als nicht möglich. §6 Abs2 NÖ BauO 1996 enthält eine taxative Aufzählung subjektiv-öffentlicher Rechte, die in einer Bestimmung dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen begründet sind, die den Schutz vor Immissionen gewährleisten. Auch die Bestimmung des §48 NÖ BauO 1996 enthält keinen im Widerspruch zu dieser Annahme stehenden Wortlaut. Einerseits dient diese Bestimmung nicht ausschließlich der Erteilung von Auflagen betreffend das zu bewilligende Bauvorhaben, sondern betrifft auch Emissionen die von einem - wenn auch schon früher bewilligten - Bauwerk ausgehen. Sie kann auch die Grundlage für die Erteilung von Auflagen für das Bauvorhaben zum Schutz vor von einem bereits errichteten Bauwerk ausgehenden Emissionen sein. Die in Abs2 dieser Bestimmung geregelte Frage, ob Belästigungen örtlich zumutbar sind, knüpft daran an, wie sich die durch die Bauwerke und deren Benützung verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen auswirken. Diese Regelung ist bei verfassungskonformer Interpretation auch so zu verstehen, dass sie einen Schutz davor bietet, dass derartige Immissionen im Wohngebiet oder Kleingartengebiet dadurch entstehen, dass in der Nähe eines emittierenden Betriebes ein Wohnhaus oder eine Kleingartenhütte errichtet wird."

Im vorliegenden Fall richten sich die Einwendungen der beschwerdeführenden Gesellschaft als Betreiberin einer gewerbebehördlich genehmigten Anlage auf Grundstücken, die als "Bauland Industriegebiet" gewidmet sind, gegen ein Projekt, das auf Grundstücken ausgeführt werden soll, die teilweise als "Bauland Betriebsgebiet für Betriebe, die eine abpuffernde Wirkung zwischen Industriegebiet und Sondergebiet bewirken", teilweise als "Bauland Sondergebiet Hotel und Dienstleistungseinrichtungen" gewidmet sind.

Gemäß §16 Abs1 Z3 NÖ RaumordnungsG 1976, in der Folge: NÖ ROG, sind Betriebsgebiete für Bauwerke solcher Betriebe bestimmt, die keine übermäßige Lärm- oder Geruchsbelästigung und keine schädliche, störende oder gefährliche Einwirkung auf die Umgebung verursachen.

§16 Abs1 Z3 NÖ ROG sah in der Fassung vor der Novelle LGBl. 8000-13 in seinem zweiten Satz vor, dass Betriebsgebiete im Flächenwidmungsplan hinsichtlich ihrer speziellen Verwendung näher bezeichnet werden durften (z.B. Emissionsverhalten, Verkehrsverhalten, etc.) - vgl. die inhaltsgleiche Bestimmung des §16 Abs5 NÖ ROG in der Fassung der Novelle LGBl. 8000-13. Darauf stützte bzw. stützt sich die hier vorliegende nähere Bezeichnung "Betriebsgebiet für Betriebe, die eine abpuffernde Wirkung zwischen Industriegebiet und Sondergebiet bewirken". Gemäß dem zweiten Satz des §16 Abs1 Z3 NÖ ROG in der Fassung der Novelle LGBl. 8000-13, die am 17. September 1999 in Kraft trat und im vorliegenden Fall maßgeblich ist (der Bescheid der letzten Gemeindeinstanz stammt vom 11. Oktober 2000), sind in Betriebsgebieten Betriebe, die einen Immissionsschutz beanspruchen, unzulässig.

Es kann vor dem Hintergrund der zitierten ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs keinem Zweifel unterliegen, dass der beschwerdeführenden Gesellschaft, die im Industriegebiet eine emissionsträchtige gewerbliche Betriebsanlage führt, als Nachbarin im Bauverfahren ein subjektiv-öffentliches Recht darauf zukommt, dass auf dem als "Betriebsgebiet" gewidmeten Teil der Baugrundstücke keine Gebäude für Betriebe, die einen Immissionsschutz beanspruchen, errichtet werden.

Doch auch aus der Widmung "Bauland Sondergebiet Hotel und Dienstleistungseinrichtungen" eines Teils des Baugrundstücks kann ein Nachbar, der einen genehmigten emittierenden Betrieb führt, im Bauverfahren das subjektiv-öffentliche Recht ableiten, dass Gebäude nur dann errichtet werden, wenn deren Nutzer hinreichend vor Störungseinflüssen geschützt sind (vgl. §14 Abs2 Z9 NÖ ROG, dem zufolge im Flächenwidmungsplan Sondergebiete mit besonderem Schutzbedürfnis nur außerhalb von Störungseinflüssen angeordnet werden dürfen; der Zielsetzung des Gesetzgebers, Sondergebiete den jeweils sachgerechten Bedürfnissen entsprechend abzuschirmen, ist nicht nur durch den Verordnungsgeber bei Erlassung des Flächenwidmungsplans, sondern auch im einzelnen Baubewilligungsverfahren Rechnung zu tragen).

Durch ihren Ausspruch, die beschwerdeführende Gesellschaft habe mit ihren diesbezüglichen Einwendungen keine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes aufgezeigt, hat daher die belangte Behörde die beschwerdeführende Gesellschaft infolge gleichheitswidriger Auslegung des §6 iVm §48 NÖ BauO in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

3. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 327 € und eine Eingabegebühr in Höhe von 181,68 € enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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