VfGH B471/03

VfGHB471/0323.9.2003

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und in der Erwerbsausübungsfreiheit durch die Versagung der neuerlichen Eintragung eines Rechtsanwaltes in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter und Erteilung einer Substitutionsberechtigung; keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung; keine denkunmögliche Annahme einer Berufspflicht eines Rechtsanwaltes zur selbständigen Weiterbildung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §15 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §15 Abs2

 

Spruch:

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Schreiben vom 4. Juli 2002 beantragte der Erstbeschwerdeführer beim Ausschuß der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer die Erteilung der "Substitutionsberechtigung gem. §15 Abs2 RAO" für Mag. C. S., den nunmehrigen Zweitbeschwerdeführer, der vom 1. Oktober 1996 bis zum 30. September 1998 in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen war. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß der Zweitbeschwerdeführer "im Anschluß an seine kurze Tätigkeit als Rechtsanwalt bis einschließlich 2001 für die Energiewirtschaft als Jurist tätig war" und einen "Wiedereinstieg in die Rechtsanwaltschaft" plane, wobei er sich aus ökonomischen Gründen vorerst nicht selbständig machen könne. Neben einem tragfähigen Klientenstock würden ihm "aktuelle praktische Kenntnisse der Kanzleiführung etwa in zwingend vorgeschriebenen EDV-Angelegenheiten oder dem neuesten Stand verschiedenster Gesetze" fehlen.

2. Mit Beschluß vom 17. Juli 2002 hat die Abteilung II des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer "die Eintragung von Mag. C. S. in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter und somit die Ausstellung einer Legitimationsurkunde gemäß §15 Abs2 RAO" abgewiesen.

3. Gegen diesen Beschluß der Abteilung erhoben die Beschwerdeführer Vorstellung an den Ausschuß der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (Plenum). Dieser gab der Vorstellung mit Bescheid vom 25. September 2002 keine Folge. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommmission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK). Die OBDK gab der (gemeinsam ausgeführten) Berufung mit Bescheid vom 2. Dezember 2002 ebenfalls keine Folge.

4. Gegen den Bescheid der OBDK richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 StGG), sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

5. Die OBDK hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt zu sein, stützen die Beschwerdeführer zum einen darauf, daß die OBDK Willkür geübt habe, zum anderen darauf, daß sie dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe. Die von der OBDK vertretene Auslegung der RAO führe dazu, daß solche Rechtsanwaltsanwärter, die bislang nicht als Rechtsanwalt eingetragen waren, den Status des Rechtsanwaltsanwärters "ad infinitum" - theoretisch bis ans Ende ihrer Erwerbstätigkeit - beibehalten können, während jene, die bereits einmal in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen waren, nicht mehr den Status eines Rechtsanwaltsanwärters wiedererlangen könnten. Darin liege eine "offensichtliche Ungleichbehandlung".

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2.1. Daß der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitssatz widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder daß die belangte Behörde bei seiner Erlassung Willkür geübt hat, ist nicht erkennbar (vgl. zur Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlage bereits das Erkenntnis VfSlg. 13841/1994). Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes könnte daher nur dann vorliegen, wenn die OBDK der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hätte.

2.2. Unter Bezugnahme auf das Erkenntnis VfSlg. 13841/1994 behaupten die Beschwerdeführer, daß sie in der vorliegenden Beschwerde ein "neues Argument" vorbringen, das vom Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis noch nicht behandelt worden sei: Dem Gesetz werde ein gleichheitswidriger Inhalt unterstellt, wenn es dahin ausgelegt wird, daß "einerseits ein Rechtsanwaltsanwärter 'ad infinitum' den Status des Rechtsanwaltsanwärters behalten könne, während andererseits ein bereits eingetragener Rechtsanwalt nicht mehr den Stand des Rechtsanwaltsanwärters erlangen könne". Es bestehe keine sachliche Rechtfertigung für diese unterschiedliche Behandlung: Weder "berufstypische Solidaritätspflichten" wie beispielsweise die "unentgeltliche Erledigung von Verfahrenshilfeleistungen", noch die zu befürchtende "Vermeidung der für Rechtsanwälte vorgeschriebenen Berufshaftpflichtversicherungsprämien" oder der Zahlung von Beiträgen an die Rechtsanwaltskammer können eine derartige unterschiedliche Behandlung rechtfertigen; in Wahrheit würden sich Rechtsanwaltsanwärter, die den Status als Rechtsanwalt nicht anstreben, den typischen Berufspflichten viel eher entziehen, während - wende man die Ansicht der OBDK konsequent an - Rechtsanwälte, die wieder Rechtsanwaltsanwärter sein wollen, den berufstypischen Solidaritätspflichten schon für bestimmte Zeit nachgekommen seien. Umso mehr müsse daher die "Wiedereintragung als Rechtsanwaltsanwärter" möglich sein.

Soweit der belangten Behörde mit diesem Beschwerdevorbringen vorgeworfen wird, sie unterstelle dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt, kann sich der Verfassungsgerichtshof dem nicht anschließen: Die von den Beschwerdeführern unterstellte "Ungleichbehandlung" ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich, zumal dafür sachliche Gründe im Tatsächlichen vorliegen: Jene Personen, die sich für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte entschieden haben, um den Rechtsanwaltsberuf (einschließlich seiner Chancen und Risiken) auszuüben, unterscheiden sich bereits in diesem Punkt grundlegend von Rechtsanwaltsanwärtern, die diesen Antrag nicht gestellt haben. Eine danach differenzierende Behandlung verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz. Daß der Zweitbeschwerdeführer ohnehin beabsichtigt, de facto eine rechtsanwaltliche Tätigkeit auszuüben, zeigt sein eigenes Vorbringen, wonach es ihm, "nicht um den begrifflichen Status des Rechtsanwaltsanwärters" gehe, "sondern primär um das Ausstellen einer Legitimationsurkunde, um berufstypische Tätigkeiten ausüben zu können", was er - wie die OBDK zutreffend ausführt - bei Vermeidung des von ihm befürchteten wirtschaftlichen Risikos - auch als angestellter Rechtsanwalt tun könnte.

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus sachlich, wenn die OBDK im angefochtenen Bescheid ihre Auffassung damit begründet, daß ein Rechtsanwalt, der es "bis zur Eintragung als Rechtsanwalt gebracht hat und eine Zeit lang als Rechtsanwalt auch berufstätig gewesen ist, regelmäßig in der Lage sein wird, sich auch ohne fremde Hilfe mit veränderter Rechtslage und Judikatur auseinanderzusetzen und ausreichend vertraut zu machen". Der im angefochtenen Bescheid enthaltene Hinweis auf die Berufspflicht des Rechtsanwalts zur selbständigen Weiterbildung macht ebenfalls deutlich, daß ein bereits eingetragener Rechtsanwalt nicht mit einem Rechtsanwaltsanwärter verglichen werden kann:

"Jeder Rechtsanwalt [hat] im Falle empfundener Unsicherheit auf einem bestimmten, im aktuellen Fall in Frage kommenden, Rechtsgebiet, die Verpflichtung, sich selbst ausreichend zu informieren oder sich informieren zu lassen. Die (...) permanent nötige berufliche Weiterbildung ist eine wesentliche Berufspflicht des Rechtsanwaltes, der er auch im Hinblick auf die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung, die seinen Rat und seine Vertretung benötigt, zu entsprechen hat. Dabei kann eine gewisse Wiedereinstiegsperiode zur Nutzung der Rechtsinformation über inzwischen geänderte oder neue Rechtsvorschriften entweder selbständig realisiert, ein gleichwertiger Effekt aber auch durch ein Dienstverhältnis zu einem anderen Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwaltsgesellschaft erzielt werden (§21g RAO)".

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes liegt daher nicht vor.

3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird mit Rücksicht auf den in Art6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nur verletzt, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10413/1985).

Behauptet wird die denkunmögliche Anwendung eines Gesetzes, gegen dessen Verfassungsmäßigkeit aus der Sicht des Anlaßfalles keine Bedenken bestehen. Da die OBDK die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften aber in vertretbarer Weise ausgelegt und angewendet hat (siehe oben unter Punkt 2.), erweist sich auch dieser Beschwerdevorwurf als unbegründet (vgl. VfSlg. 13841/1994).

Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte der Beschwerdeführer hat somit nicht stattgefunden.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer in einem von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden sind.

Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn, wie hier, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art133 Z4 B-VG nicht zulässig ist (zB VfSlg. 10565/1985, 10659/1985).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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