VfGH B459/02

VfGHB459/028.10.2003

Verletzung im Eigentumsrecht durch denkunmögliche Vorschreibung eines Ergänzungsbetrages zu Gerichtsgebühren wegen einer Klage auf Zahlung von Mietzinsrückständen und wegen eines Räumungsbegehrens; Begriff des Wertes im Gerichtsgebührengesetz ausreichend bestimmt; keine Begründung einer neuerlichen Gebührenpflicht durch Verzicht auf den Räumungstitel

Normen

B-VG Art18 Abs1
StGG Art5
GGG 1984 TP1
GGG 1984 §18 Abs2 Z2
B-VG Art18 Abs1
StGG Art5
GGG 1984 TP1
GGG 1984 §18 Abs2 Z2

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-

bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Beschwerdeführer brachte am 25. November 1997 beim Bezirksgericht Döbling eine Klage wegen Mietzinsrückständen von

S 375.182,49 sA und wegen Räumung ein. Dafür entrichtete er eine Pauschalgebühr gemäß Tarifpost (TP) 1 des Gerichtsgebührengesetzes, BGBl. 501/1984 (in der Folge: GGG), von S 6.890,-. In der Tagsatzung vom 1. April 1998 schloß er mit der beklagten Partei einen Vergleich, in dessen Pkt. 1 sich die Beklagte verpflichtete, die - bis März 1998 aufgelaufenen - rückständigen Mieten (für zwei Mietobjekte, eines davon als "Gassenlokal" bezeichnet) von zusammen S 595.382,41 sA bis 10. Dezember 1998 zu zahlen, und zwar - neben den laufenden Mieten - in Form näher bestimmter Raten.

Pkt. 2 des Vergleiches lautete:

"Betreffend das Gassenlokal wird bis zum Eintritt eines allfälligen Terminsverlustes die Zahlungspflicht für die Mietzeiträume ab 1.4.1998 auf ein Akonto von S 18.000,-- zuzüglich Betriebskosten und Umsatzsteuer ermäßigt.

Erfüllt die beklagte Partei ihre Zahlungsverpflichtungen ohne Eintritt des Terminsverlustes, so wird der den Akontobetrag von S 18.000,-- zuzüglich Betriebskosten und Umsatzsteuer übersteigende Betrag an Miete für das Mietobjekt Gassenlokal und den Zeitraum April bis Dezember 1998 nachgesehen."

Mit Zahlungsauftrag vom 21. Juni 2001 schrieb der Kostenbeamte dem Beschwerdeführer eine restliche Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG von S 33.680,- und eine Einhebungsgebühr von S 100,- vor. Aufgrund eines Berichtigungsantrages bestätigte der Präsident des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien mit Bescheid vom 15. Jänner 2002 diesen Zahlungsauftrag. Er begründete dies damit, daß die Parteien nicht die Beendigung des unbefristet geschlossenen Mietvertrages, sondern dessen Aufrechterhaltung (als Ganzes) beabsichtigt hätten. Für diese Auslegung spreche, daß die klagende Partei durch Vergleichspunkt 3 verpflichtet sei, auf die sich ebenfalls aus diesem Vergleichspunkt ergebende Räumungsverpflichtung zu verzichten, wenn die Beklagte ihrer Leistungspflicht nachkomme und darüber hinaus die laufenden, wenn auch reduzierten Mietzinse zahle. Daher liege eine zum Vergleichsinhalt gehörende Zusage der Beklagten vor, die laufenden Mietzinse auf unbestimmte Zeit zu zahlen. Dabei handle es sich aber um eine Verfügung über materielle Rechte, weshalb der gerichtliche Vergleich als Neuerungsvertrag anzusehen sei. Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage sei daher gemäß §14 GGG iVm §58 Abs1 JN das Zehnfache der Jahresleistung an Mietzins (bei einem monatlichen Mietzins von S 12.000,-) heranzuziehen; somit sei ein Ergänzungsbetrag von S 33.680,- nachzufordern.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens und des Zivilrechtsstreites vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10337/1985, 10362/1985, 11470/1987) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

2. §18 Abs2 Z2 GGG lautet:

"Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen."

3. Der Beschwerdeführer brachte zunächst eine Klage auf Zahlung eines Geldbetrages und auf Räumung ein und entrichtete die dafür vorgesehene Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG. Der Vergleich vom 1. April 1998 umfaßte die Verpflichtung des Beklagten, einen höheren Betrag zu zahlen. Eine Nachforderung aufgrund des §18 Abs2 Z2 GGG war daher jedenfalls gerechtfertigt; dies wird auch vom Beschwerdeführer nicht bezweifelt. Strittig zwischen den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist nur die Frage, ob Pkt. 2. des Vergleiches die Verpflichtung der beklagten Partei zu wiederkehrenden Leistungen, nämlich des laufenden Mietzinses (auf unbestimmte Zeit), enthält, sodaß iSd §14 GGG iVm §58 Abs1 JN der zehnfache Jahresbetrag an Mietzins der Neuberechnung der Pauschalgebühr zugrundezulegen war.

Für ihre Ansicht, daß dies der Fall sei, beruft sich die belangte Behörde in der Gegenschrift auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Mai 1990, 89/16/0226 (ÖStZB 1991, 316), wonach es für die Gebührenpflicht eines Vergleiches unmaßgeblich sei, ob damit ein exekutionsfähiger Titel geschaffen werde und wonach es nur auf die Leistungen ankomme, zu denen sich die Parteien im Vergleich verpflichtet hätten. Auch ein Teilerlaß oder Verzicht könne Gegenstand eines Vergleiches sein.

Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß aus diesen Aussagen etwas für die Frage abgeleitet werden kann, die zwischen den Parteien strittig ist. Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis ausgeführt, daß bei der Reduktion des Mietzinses (im Vergleichswege) für einen bestimmten Zeitraum Bemessungsgrundlage nur der Differenzbetrag ist, weil in diesem Umfang ein Verzicht (des Vermieters) vorliegt, nicht aber eine Zahlungsverpflichtung des Mieters. Der Verfassungsgerichtshof verweist aber insbesondere auf sein Erkenntnis vom 25. November 2002, B1176/01, in dem er die Gebührenpflicht eines Vergleiches zu beurteilen hatte, der in seiner dort strittigen Passage (dem letzten Satz) wie folgt lautete:

"Wenn die eingeräumten Ratenzahlungen neben dem laufenden monatlichen Mietzins pünktlich bezahlt werden, verpflichtet sich der Kläger vom Räumungstitel keinen Gebrauch zu machen."

Dazu führte der Verfassungsgerichtshof in jenem Erkenntnis aus:

"Entscheidend ist ..., daß der Beschwerdeführer durch seinen Verzicht darauf, vom zuvor geschaffenen Exekutionstitel Gebrauch zu machen, allenfalls über jenen Anspruch disponierte, den auch dieser Exekutionstitel betraf, offenkundig aber über keinen anderen Anspruch. Der Anspruch, den jener Exekutionstitel betraf, ist aber der Anspruch auf Räumung, den der Beschwerdeführer bereits mit seiner Klage geltend gemacht und für den er die Pauschalgebühr entrichtet hatte. Daß mit dem letzten Satz des Vergleiches über den Anspruch auf Zahlung des Mietzinses disponiert worden wäre, wie die belangte Behörde annimmt, ist nicht zu erkennen. Die bloß beiläufige Erwähnung des 'laufenden Mietzinses' genügt diesem Erfordernis jedenfalls nicht; eine Verpflichtung des Beklagten, den Mietzins zu zahlen, läßt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr ist die belangte Behörde hier auf das von ihr zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. September 1993, 92/16/0131, zu verweisen, nach welchem die in einem Vergleich vereinbarte Lösungsbefugnis keine Verpflichtung auferlegt und damit für die Berechnung des Streitwertes nicht herangezogen werden kann. Auch der Beklagte im Beschwerdefall konnte sich nämlich durch Leistung des laufenden Mietzinses im Ergebnis von seiner Verpflichtung zur Räumung befreien, ohne zu dieser Zahlung - aufgrund des Vergleiches - verpflichtet zu sein."

Im vorliegenden Fall konnte die beklagte Partei durch pünktliche Zahlung der im Vergleich vereinbarten Raten und des Akontos den Mietzins für die Monate April bis Dezember 1998 reduzieren. Damit wird wohl über den Anspruch auf Zahlung des Mietzinses für diesen Zeitraum disponiert. Eine Verpflichtung des Beklagten, den Mietzins auf unbestimmte Zeit zu zahlen, läßt sich daraus nicht ableiten.

Die belangte Behörde hat §18 Abs2 Z2 GGG iVm §14 GGG und §58 Abs1 JN somit in denkunmöglicher Weise angewandt und daher den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt.

4. Der Bescheid war daher aufzuheben. Auf das weitere Beschwerdevorbringen brauchte nicht mehr eingegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von € 327,- sowie der Ersatz der entrichteten Gebühr gemäß §17a VfGG von € 180,- enthalten.

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