VfGH G45/03

VfGHG45/0327.11.2003

Keine sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Regelung der dienstrechtlichen Stellung von bestimmte Bundesfunktionen sowie das Amt eines Landeshauptmannes einerseits und Landesfunktionen als Mitglied einer Landesregierung andererseits ausübenden Bundesbeamten

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
BDG 1979 §19 Abs1
BezügeG 1972 §10 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
BDG 1979 §19 Abs1
BezügeG 1972 §10 Abs1

 

Spruch:

§10 Abs1 des Bezügegesetzes, BGBl. Nr. 1972/273, idF BGBl. Nr. 1996/392, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Diese Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Oktober 2004 in Kraft.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1202/02 ein Beschwerdeverfahren anhängig, dem im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

1.1. Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. In den Jahren 1996 bis 2001 leitete er die für Kunstangelegenheiten zuständige Sektion im - seinerzeitigen - Bundesministerium für Wissenschaft, Verkehr und Kunst bzw. im Bundeskanzleramt.

Mit schriftlicher Erklärung vom 17.12.1998 bewirkte er gemäß §254 Abs1 Beamtendienstrechtsgesetz 1979 (im Folgenden: BDG) - mit Wirkung vom 1. Jänner 1998 - seine Überleitung in den Allgemeinen Verwaltungsdienst, u. zw. in die Verwendungsgruppe A 1, Funktionsgruppe 8; im Hinblick darauf galt er gemäß Abs4 leg. cit. - mit 1. Jänner 1998 - für einen Zeitraum von fünf Jahren, d.h. bis 31.12.2002, als mit der genannten Funktion (befristet) betraut.

Am 27.4.2001 wurde der Beschwerdeführer vom Wiener Landtag zum amtsführenden Stadtrat für Kultur und Wissenschaft gewählt und als solcher angelobt. Daraufhin wurde er mit Schreiben des Bundeskanzleramtes vom 30.4.2001 gemäß §19 Abs1 Z1 BDG für die Dauer der Ausübung dieser Funktion unter Entfall der Bezüge außer Dienst gestellt.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundeskanzlers vom 21.1.2002 gemäß §38 Abs2 iVm §40 Abs1 und 2 BDG - mit Wirkung von der Zustellung des Bescheides an - von der "zuletzt wahrgenommenen Verwendung als Leiter der Sektion II des Bundeskanzleramtes abberufen"; weiters wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer "[g]emäß §141a BDG 1979 ... die für die Versetzung maßgebenden Gründe nicht zu vertreten" habe

Der gegen diesen Bescheid des Bundeskanzlers erhobenen Berufung an die Berufungskommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport (im Folgenden: Berufungskommission) gab diese Behörde mit Bescheid vom 13.6.2002 keine Folge.

1.2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die eingangs genannte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Gewährleistung der ungeschmälerten Ausübung der politischen Rechte der öffentlich Bediensteten sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht wird.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichthof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §10 Abs1 des Bezügegesetzes, BGBl. Nr. 1972/273, idF BGBl. Nr. 1996/392 entstanden.

Der Verfassungsgerichtshof hat daher mit Beschluss vom 28. Februar 2003 ein Gesetzesprüfungsverfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung eingeleitet.

3.1. Der in Prüfung gezogene §10 Abs1 des Bezügegesetzes lautet wie folgt:

"§10. (1) Der Bundespräsident, Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre, Mitglieder der Volksanwaltschaft, Landeshauptmänner und der Präsident des Rechnungshofes erleiden, wenn sie Bedienstete einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, einer solchen Stiftung, Anstalt oder eines solchen Fonds sind, deren Dienstrecht hinsichtlich Gesetzgebung in die Kompetenz des Bundes fällt, als solche in ihrer dienst- und besoldungsrechtlichen Stellung keine Einbuße. Ihre Ruhe- und Versorgungsbezüge und - soweit §13 Abs9a des Gehaltsgesetzes 1956 nicht anderes bestimmt - ihre Dienstbezüge sind jedoch, solange sie einen im §5 oder §6 bezeichneten Bezug erhalten, so weit stillzulegen, als sie nicht einen Bezug auf Grund dieses Gesetzes übersteigen. Die Zeit der Stillegung ist für die Bemessung des Ruhe- oder Versorgungsgenusses nur anrechenbar, wenn hiefür ein Pensionsbeitrag entrichtet wird."

3.2. Im vorliegenden Zusammenhang ist weiters auf §19 Abs1 BDG, in der maßgeblichen Fassung, BGBl. I 1998/123, hinzuweisen, der wie folgt lautet:

"§19. (1) Der Beamte, der

1. Bundespräsident, Mitglied der Bundesregierung, Staatssekretär, Präsident des Rechnungshofes, Präsident des Nationalrates, Obmann eines Klubs des Nationalrates, Amtsführender Präsident des Landesschulrates (Stadtschulrates für Wien), Mitglied der Volksanwaltschaft, Mitglied einer Landesregierung, Landesvolksanwalt, oder

2. a) Mitglied des Europäischen Parlaments oder

b) der Kommission der Europäischen Gemeinschaften

ist, ist für die Dauer dieser Funktion unter Entfall der Bezüge außer Dienst zu stellen."

4. Zur Frage des Prüfungsumfanges führte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss aus:

"Weiters dürfte der Verfassungsgerichtshof bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde u.a. auch die Bestimmung des §10 Abs1 erster Satz Bezügegesetz anzuwenden haben, auf die sich der bekämpfte Bescheid ausdrücklich und der Sache nach stützt (sva. S 26f. des bekämpften Bescheides).

Diese Bestimmung dürfte mit den übrigen beiden Sätzen des §10 Abs1 Bezügegesetz in untrennbarem Zusammenhang stehen (sva. die den zweiten Satz einleitende Wendung: 'Ihre Ruhe- und Versorgungsbezüge ...'). Im Hinblick darauf wurde §10 Abs1 Bezügegesetz in seiner Gesamtheit in Prüfung gezogen."

5. In der Sache äußerte sich der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss wie folgt:

"In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, §10 Abs1 erster Satz Bezügegesetz könnte auf Grund der nachstehenden Erwägungen gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz (Art7 B-VG) verstoßen.

...

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig von folgender Annahme aus: §10 Abs1 erster Satz Bezügegesetz stellt eine - in der von der Berufungskommission verwendeten Terminologie - 'Besitzstandswahrungsregelung' bzw. 'Behalteregelung' dar, die für die dort genannten Funktionäre die auf §38 Abs2 iVm §40 Abs1 und 2 BDG gestützte bescheidmäßige Abberufung von der (im Zeitpunkt der Außerdienststellung gemäß §19 Abs1 BDG inne gehabten) Verwendung ausschließt.

Der Verfassungsgerichtshof vermag nun - vorläufig - keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, dass §10 Abs1 erster Satz Bezügegesetz in dieser Hinsicht zwischen einem Bundesbeamten, der Bundespräsident, Mitglied der Bundesregierung, Staatssekretär, Mitglied der Volksanwaltschaft, Landeshauptmann oder Präsident des Rechnungshofes ist, - einerseits - und einem Bundesbeamten, der (so wie im vorliegenden Fall) amtsführender Stadtrat der Bundeshauptstadt Wien, also Mitglied einer Landesregierung ist, - andererseits - differenziert. Im Besonderen trifft dies für die solcherart unterschiedliche Regelung der dienstrechtlichen Stellung eines Bundesbeamten, der Landeshauptmann ist, und eines Bundesbeamten zu, der - ein weiteres (vgl. Art101 Abs2 B-VG) - Mitglied der Landesregierung ist. Dabei dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass die Außerdienststellungsregelung des §19 Abs1 Z1 BDG unterschiedslos (sämtliche) Mitglieder der Landesregierung erfasst.

Auch die von der Berufungskommission für die sachliche Rechtfertigung einer solchen Differenzierung ins Treffen geführten Argumente dürften daran nichts ändern: Wenn es zuträfe, dass 'der Bundesgesetzgeber ... offensichtlich eine solche Regelung nur für die Fälle vorsehen wollte, in denen Bedienstete eine Bundesfunktion ausüben,' so käme eine solche Qualifikation für den Landeshauptmann nur dann in Betracht, wenn man seine Stellung als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung berücksichtigte - in dieser Hinsicht dürfte aber kein hier relevanter Unterschied zu den übrigen Mitgliedern der Landesregierung bestehen (vgl. insb. Art103 Abs2 B-VG); zum anderen scheint der Aspekt des Ausübens einer 'Bundesfunktion' im Rahmen einer dienst- und besoldungsrechtlichen - und nicht etwa bezügerechtlichen! - Regelung, sei es auch des Bundes, unter dem Aspekt des Art7 Abs1 B-VG kein zulässiges Differenzierungsmerkmal zu sein. Von Bedeutung könnte dabei der Umstand sein, dass eine Reihe bundesverfassungsgesetzlicher Bestimmungen die in §10 Abs1 erster Satz Bezügegesetz genannten Funktionen oder jedenfalls einzelne dieser Funktionen - in mit der hier zu beurteilenden Regelung vergleichbarem Zusammenhang - gleich werten dürften wie jene eines amtsführenden Stadtrates (Mitgliedes der Landesregierung) der Bundeshauptstadt Wien (des Landes Wien) (sva. Art19, Art142 Abs2 litd, e, f, g und i B-VG, §2 Unvereinbarkeitsgesetz 1983). Auch das weitere von der Berufungskommission in diesem Zusammenhang vorgetragene Argument:

'Durch das genannte Bezügereformgesetz wurde im §19 BDG mit Wirksamkeit vom 1.8.1996 die Außerdienststellung eines Bundesbeamten als Mitglied der Bundes- und der Landesregierung usw. gegen Entfall der Bezüge festgelegt und gleichzeitig eine entsprechende Anpassung im §10 des Bezügegesetzes vorgenommen. Dies zeigt, dass der Bundesgesetzgeber diese Regelung nicht auf die Mitglieder der Landesregierung, ausgenommen den Landeshauptmann, ausdehnen wollte.'

...

Angesichts des eindeutigen Wortlautes des §10 Abs1 erster Satz Bezügegesetz dürfte dessen allenfalls verfassungskonforme Deutung in dem Sinne, dass er über die ausdrücklich genannten (politischen) Funktionäre hinaus auch für andere, von ihrer Bedeutung her vergleichbare, so etwa für amtsführende Stadträte der Bundeshauptstadt Wien, gilt, nicht in Betracht kommen."

6. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren mitgeteilt, dass sie von einer meritorischen Äußerung Abstand nimmt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, dass die vorläufige Annahme des Gerichtshofes, er habe die in Prüfung gezogene Bestimmung des §10 Abs1 erster Satz BezügeG anzuwenden, unzutreffend wäre. Da auch sonst kein Prozesshindernis hervorgekommen ist, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die Bundesregierung hat - wie erwähnt - in diesem Verfahren mitgeteilt, dass sie von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand nimmt. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist auch sonst nichts hervorgekommen, was die oben unter Pkt. I.5. wiedergegebenen, im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken zerstreut hätte. Damit verstößt §10 Abs1 erster Satz Bezügegesetz gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz (Art7 B-VG).

Mit dem ersten Satz des §10 Abs1 Bezügegesetz stehen aber die weiteren Sätze dieser Bestimmung in einem untrennbaren Zusammenhang, sodass die festgestellte Verfassungswidrigkeit §10 Abs1 Bezügegesetz zur Gänze betrifft.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

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