VfGH B488/99

VfGHB488/9910.6.2002

Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal durch Unterlassung der Durchführung einer (volks)öffentlichen Verhandlung im Verfahren vor der Landes-Grundverkehrskommission; Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung wie zB im Fall Ringeisen aufgrund der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art6 EMRK

Normen

B-VG Art90 Abs1
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
AVG §39 Abs2, §40 ff
AVG §67d
Tir GVG 1996 §28
B-VG Art90 Abs1
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
AVG §39 Abs2, §40 ff
AVG §67d
Tir GVG 1996 §28

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerinnen sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal im Sinne des Art6 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen die mit € 2.438,17 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Tauschvertrag vom 29. August 1997 erwarb die Erstbeschwerdeführerin näher bezeichnete Grundstücke aus der Liegenschaft EZ 132 GB Lienz von der mitbeteiligten Partei sowie näher bezeichnete Grundstücke aus der Liegenschaft EZ 467 GB Lienz von der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin übergab näher bezeichnete Grundstücke aus der Liegenschaft EZ 90008 GB Thurn an die mitbeteiligte Partei sowie ein neu gebildetes Grundstück aus der Liegenschaft EZ 602 GB Lienz an die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin.

Mit Bescheid vom 29. Mai 1998 erteilte die Bezirks-Grundverkehrskommission Lienz dem Erwerb der Grundstücke durch die Erstbeschwerdeführerin die grundverkehrsbehördliche Genehmigung. Dagegen erhob der Landesgrundverkehrsreferent Berufung.

Mit Bescheid vom 29. Mai 1998 versagte die Bezirks-Grundverkehrskommission Lienz dem Erwerb der Grundstücke durch die mitbeteiligte Partei die grundverkehrsbehördliche Genehmigung. Gegen diese Entscheidung erhob die mitbeteiligte Partei Berufung.

Mit Bescheid vom 29. Mai 1998 versagte die Bezirkshauptmannschaft Lienz dem Erwerb des neu gebildeten Grundstückes durch die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin die grundverkehrsbehördliche Genehmigung. Dagegen erhoben die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin Berufung.

2. Die Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung hat mit Bescheid vom 25. Jänner 1999 unter Spruchpunkt I

Mit demselben Bescheid hat die Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung unter Spruchpunkt II die Berufung der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen.

Zum Spruchpunkt I wurde begründend ausgeführt, daß sowohl der Erwerb näher bezeichneter Grundstücke durch die Erstbeschwerdeführerin als auch der Erwerb näher bezeichneter Grundstücke durch die mitbeteiligte Partei die Genehmigungsvoraussetzungen des §6 Abs1 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 (im folgenden: TGVG 1996) nicht erfülle. Zum Spruchpunkt II wurde mit näherer Begründung dargelegt, daß die Genehmigungsvoraussetzungen des §11 Abs1 litb TGVG 1996 nicht vorlägen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerinnen haben repliziert.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Im Fall Eisenstecken gegen Österreich (Urteil vom 3.10.2000, ÖJZ 2001/7) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - von seiner früheren Rechtsprechung abgehend - den österreichischen Vorbehalt zu Art6 EMRK ausdrücklich als ungültig angesehen.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich gehalten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen neuer Bewertung des österreichischen Vorbehalts zu Art6 Abs1 EMRK zu folgen (siehe VfGH 13.12.2001, B227/99).

Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art6 Abs1 EMRK hat zur Folge, daß in Verwaltungsverfahren, in welchen über den "Kernbereich" von civil rights abgesprochen wird, eine (volks)öffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden, soweit Art6 EMRK dies zuläßt.

Bei Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung von Rechtsgeschäften steht außer Zweifel, daß es sich um Verfahren handelt, die civil rights in ihrem Kernbereich berühren (VfGH 13.12.2001, B227/99; zur Feststellung, daß grundverkehrsbehördliche Verfahren civil rights berühren, vgl. auch VfSlg. 11131/1986, 11211/1987, 12074/1989, 13209/1992 und 14109/1995).

2. Angesichts dessen war die belangte Behörde daher verpflichtet, gemäß Art6 Abs1 EMRK eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Für diese hat - abgesehen von den nach Art6 Abs1 EMRK zulässigen Ausnahmen, welche in diesem Fall nicht vorliegen - der Grundsatz der Volksöffentlichkeit zu gelten.

Da es die Landes-Grundverkehrskommission unterlassen hat, eine (volks)öffentliche Verhandlung durchzuführen, liegt eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK vor. Der angefochtene Bescheid war daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Verfahrenskosten sind € 376,08 an Umsatzsteuer sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG zu entrichtenden Gebühr von € 181,68 enthalten. Die darüber hinaus geltend gemachte Eingaben- und Beilagengebühr war nicht zuzusprechen, da sie bereits in der Gebühr gemäß §17a VfGG enthalten ist.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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