VfGH B1589/99

VfGHB1589/992.10.2002

Verletzung im Gleichheitsrecht durch neuerliche Abweisung einer Vorstellung gegen die Zurückweisung von Anrainereinwendungen gegen eine Baubewilligung zur Errichtung einer Autowerkstätte nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung der Nö BauO 1976 über subjektiv-öffentliche Nachbarrechte; Verkennung der Rechtsfolge des VfGH-Erkenntnisses in einem entscheidenden Punkt; keine Befugnis der Aufsichtsbehörde zur Entscheidung in der Sache selbst; keine Präklusion

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AVG §42
Nö BauO 1976 §118 Abs9
Nö GdO 1973 §61 Abs4
VfGG §87 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AVG §42
Nö BauO 1976 §118 Abs9
Nö GdO 1973 §61 Abs4
VfGG §87 Abs2

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit € 2.143,68 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Rabenstein a.d. Pielach vom 28. Februar 1997 wurde der mitbeteiligten Partei die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Autowerkstätte und einer Verkaufshalle auf dem Grundstück Nr. 2808/5, KG Rabenstein a.d. Pielach, erteilt. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des südlich an das Grundstück Nr. 2808/5 angrenzenden Grundstückes Nr. 119/9; seine im Rahmen der Bauverhandlung erhobenen Einwendungen wurden vom Bürgermeister im Bewilligungsbescheid vom 28. Februar 1997 mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dass gemäß §118 Abs9 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 subjektiv-öffentliche Rechte von Anrainern bei Bauvorhaben, die außer der baubehördlichen auch einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedürften, nur durch die Bestimmung des §118 Abs9 Z4 NÖ Bauordnung 1976, also nur hinsichtlich der Bebauungsweise, der Bebauungshöhe und der Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung begründet würden. Da sich die Einwendungen des Beschwerdeführers auf keines dieser subjektiv-öffentlichen Rechte bezögen, seien sie im Bauverfahren als unzulässig zurückzuweisen. Derartige Einwendungen seien nur im gewerbebehördlichen Verfahren einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates vom 11. April 1997 als unbegründet abgewiesen. Die Berufungsbehörde führt in diesem Bescheid hinsichtlich einzelner Vorbringen des Beschwerdeführers ua. aus, diese bezögen sich ausschließlich auf den Immissionsschutz; die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde erstrecke sich jedoch nur auf jenen Bereich, in welchem dem Berufungswerber im Rahmen der Geltendmachung seiner subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte ein Mitspracherecht zustehe. Aufgrund der Bestimmung des §118 Abs9 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 stünden dem Nachbarn in diesem Bauverfahren aber gerade im Hinblick auf den Immissionsschutz subjektiv-öffentliche Rechte nicht zu. Bei Bauvorhaben, die außer einer baubehördlichen noch einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedürften, seien diese im gewerberechtlichen Verfahren geltend zu machen. "Ohne näher darauf eingehen zu müssen, ob die Vorbringen bereits präkludiert sind, bzw. ob tatsächlich Verfahrensmängel vorliegen" wies die Berufungsbehörde die Berufung daher ua. in diesem Punkt als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Vorstellung an die Aufsichtsbehörde.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 1997, berichtigt durch Bescheid vom 23. Oktober 1997, wies die belangte Behörde die Vorstellung des Beschwerdeführers - ebenfalls unter Hinweis auf §118 Abs9 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 - als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer erhob dagegen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

Mit Beschluss vom 16. Juni 1998, B1364/96, leitete der Verfassungsgerichtshof das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des letzten Satzes des §118 Abs9 NÖ Bauordnung 1976, LGBl. Nr. 8200-0 idF LGBl. Nr. 8200-14, ein und sprach mit Erkenntnis VfSlg. 15.360/1998 aus, dass diese Bestimmung verfassungswidrig war.

In der Folge hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 7. Juni 1999, B2907/97, den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. Oktober 1997 auf, weil der Beschwerdeführer durch ihn wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung - des §118 Abs9 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 - in seinen Rechten verletzt worden war.

2. Mit dem - im zweiten Rechtsgang erlassenen - Bescheid vom 26. August 1999 wies die Niederösterreichische Landesregierung die Vorstellung des Beschwerdeführers nunmehr erneut als unbegründet ab.

In der Begründung dieses Bescheides führt die belangte Behörde aus, der nunmehrige Beschwerdeführer sei zur Bauverhandlung am 12. Februar 1997 unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen nachweislich geladen worden. Des weiteren heißt es (wobei das feststellende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes fälschlich als Aufhebung bezeichnet wird):

"[...]

Gemäß §118 Abs8 der NÖ Bauordnung genießen als Anrainer alle Grundstückseigentümer Parteistellung gemäß §8 AVG, wenn sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer werden nach Abs9 dieser Bestimmung durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über

1. den Brandschutz;

2. den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf die Anrainergrundstücke ausdehnen können;

3. die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflusses auf die Umgebung;

4. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Den im Rahmen der 10. Novelle zur NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-12, eingefügten Schlußsatz mit dem Inhalt, daß, wenn ein Bauvorhaben außer der baubehördlichen auch einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedarf, subjektiv-öffentliche Rechte nur durch die Bestimmung gemäß Z. 4 begründet werden, hob der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 1998, G134/98, als verfassungswidrig auf. [...]

Mit dem eingangs zitierten Erkenntnis hob der Verfassungsgerichtshof die Entscheidung der NÖ Landesregierung vom 15. Oktober 1997 deshalb auf, da sich diese auf eine als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung gestützt hatte, deren Anwendung für die Rechtsstellung des Nachbarn nachteilig gewesen war.

Objektiv steht dem Anrainer [...] daher die Mitwirkungsmöglichkeit - entgegen der ursprünglichen Rechtslage - im Rahmen des gesamten §118 Abs9 der NÖ Bauordnung 1976 offen.

Jedoch ist auch jetzt §42 Absl des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 zu beachten. Dieser bestimmt, daß Einwendungen, die nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht wurden, keine Berücksichtigung finden und angenommen wird, daß die Beteiligten dem Parteiantrag zustimmen. [...]

Die Prüfungsbefugnis der Rechtsmittelbehörde ist im Falle einer beschränkten Parteistellung des Rechtsmittelwerbers, wie es für Nachbarn im Baubewilligungsverfahren typisch ist, einerseits auf jenen Themenkreis eingeschränkt, in dem diese Partei mitzuwirken berechtigt ist - hier §118 Abs9 Z4 NÖ Bauordnung 1976 -, andererseits auch durch deren rechtzeitige Geltendmachung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bewirkt das eingeschränkte Mitspracherecht zudem, daß Nachbarn allfällige Verfahrensmängel auch nur insoweit mit Erfolg geltend machen können, als sie dadurch in der Verfolgung ihrer subjektiv-öffentlichen Anrainerrechte beeinträchtigt werden.

Im vorliegenden Fall beanstandete Herr H im Rahmen der Bauverhandlung - also rechtzeitig - nur frühere Anschüttungen im westlichen und östlichen Bereich des Baugrundstückes. Dafür existieren bereits rechtskräftige Baubewilligungsbescheide aus den Jahren 1978 und 1979 und sind diese Niveauveränderungen nicht Teil des nunmehrigen Verfahrensgegenstandes. Die befürchtete Kontaminierung des Erdreiches - mangels näherer Erläuterungen ist anzunehmen, daß Herr H damit eine mögliche Gefährdung des Grundwassers konkludent zum Ausdruck bringen wollte - stellt ebenfalls kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht im Sinn der NÖ Bauordnung 1976 dar. Das weitere - rechtzeitige - Vorbringen hinsichtlich der "Verminderung der Wohn- und Lebensqualität" beinhaltet schließlich mangels ausreichender Konkretisierung keine Einwendung im Rechtsinne. Eine Verletzung eines konkreten subjektiv-öffentlichen Rechtes nach der NÖ Bauordnung wird darin ja nicht behauptet.

[...]"

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Gesetzwidrigkeit des dem Baubewilligungsbescheid zugrunde liegenden Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Rabenstein a.d. Pielach sowie die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) behauptet. Bereits die Umwidmung des Grundstückes Nr. 2808/5 in Bauland-Betriebsgebiet im Jahre 1975 habe nur das Ziel verfolgt, die damals in Planung befindliche Vergrößerung des KFZ-Betriebes zu ermöglichen. Dabei seien keine Grundlagen erhoben worden, es sei ausschließlich um die Einzelinteressen der mitbeteiligten Partei gegangen; das Grundstück liege darüber hinaus im Überschwemmungsgebiet. Eine Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erblickt der Beschwerdeführer darin, dass durch die bestätigende Entscheidung der Vorstellungsbehörde der Instanzenzug abgeschnitten werde und über seine Einwendungen von der Baubehörde zweiter Instanz nicht entschieden worden sei.

4. Die Niederösterreichische Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die vom Beschwerdeführer bekämpfte Widmung des Grundstückes Nr. 2808/5 verteidigt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

5. Die Marktgemeinde Rabenstein a.d. Pielach legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).

2. §87 Abs2 VerfGG 1953 verpflichtet die Verwaltungsbehörden dann, wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (vgl. zB VfSlg. 10.220/1984).

Demnach ist die Behörde - bei unveränderter Sach- und Rechtslage - bei Erlassung des Ersatzbescheides an die vom Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsansicht gebunden. Diese Bindung erstreckt sich auch auf solche Fragen, die der Gerichtshof zwar nicht ausdrücklich behandelt hat, die aber eine notwendige Voraussetzung für den Inhalt seines aufhebenden Erkenntnisses darstellen. Demgemäß setzt etwa die Aufhebung eines Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften die Bejahung der Zuständigkeit der belangten Behörde voraus. Gleiches gilt für die Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. zB VfSlg. 4250/1962, 7330/1974, 8536/1979, 8571/1979, 10.220/1984).

3. Die Niederösterreichische Landesregierung führt in der Begründung der nunmehr bekämpften, im zweiten Rechtsgang erlassenen Vorstellungsentscheidung vom 26. August 1999 zum einen aus, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der aufhebenden Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 15.360/1998 und Erkenntnis vom 7. Juni 1999, B2907/97, siehe oben unter I.1.) nun zwar, entgegen der ursprünglichen Rechtslage, "objektiv" "die Mitwirkungsmöglichkeit [...] im Rahmen des gesamten §118 Abs9 der NÖ Bauordnung 1976" offen stehe; jedoch sei auch "jetzt §42 Abs1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 zu beachten". Dies bewirke, dass im Hinblick auf das gesamte weitere Verfahren, "also auch für das Verfahren vor der Aufsichtsbehörde und dem Verwaltungsgerichtshof" bezüglich vom Beschwerdeführer nicht spätestens bei der Bauverhandlung am 12. Februar 1997 vorgetragener Einwendungen Präklusion eingetreten sei.

Zum anderen verweist die belangte Behörde in der Folge darauf, dass die Prüfungsbefugnis der Rechtsmittelbehörde im Falle einer beschränkten Parteistellung des Rechtsmittelwerbers auf jenen Themenkreis eingeschränkt sei, in dem die Partei mitzuwirken berechtigt sei; das sei "hier §118 Abs9 Z4 NÖ Bauordnung 1976". Danach folgt eine Abhandlung jener Einwendungen, die vom Beschwerdeführer nach Ansicht der Aufsichtsbehörde rechtzeitig erhoben worden sind; die belangte Behörde kommt darin allgemein zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer keine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Nachbarrechtes "im Sinn der NÖ Bauordnung 1976" geltend gemacht habe.

4. Mit einer derartigen Erledigung der nach dem aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Juni 1999 zu B2907/97 neuerlich zu entscheidenden Vorstellung übersieht die belangte Behörde nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes jedoch zweierlei:

4.1. Das erneute, im konkreten Fall überdies zu einer erheblichen Widersprüchlichkeit der Bescheidbegründung führende Zuerkennen der subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte des Beschwerdeführers lediglich im Rahmen des §118 Abs9 "Z 4" NÖ Bauordnung 1976 auf S. 6 des angefochtenen Bescheides verkennt die durch das zitierte verfassungsgerichtliche Erkenntnis VfSlg. 15.360/1998 geschaffene Rechtslage gröblich: Der Verfassungsgerichtshof hat darin die Bestimmung des §118 Abs9 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 als verfassungswidrig befunden und hierzu ausgesprochen, dass die Schutzbedürftigkeit des Nachbarn vor Immissionen, die von einer gewerblichen Betriebsanlage ausgehen, im Baubewilligungsverfahren nicht als geringer einzustufen ist, als jene des Nachbarn einer nichtgewerblichen Betriebsanlage. Dies vor allem deshalb, weil der Nachbar im gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren mangels Anwendbarkeit der raumordnungsrechtlichen Vorschriften einen Widerspruch zum Flächenwidmungsplan, beispielsweise hinsichtlich der Immissionslage, nicht geltend machen kann. Auch dem Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage hat daher im Baubewilligungsverfahren ein Mitspracherecht im Rahmen des gesamten §118 Abs9 NÖ Bauordnung 1976 zuzukommen. Aus eben diesem Grund - da es nach Lage des Falles offenkundig war, dass die Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Rechtsnorm für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig gewesen war - wurde auch der im ersten Rechtsgang erlassene aufsichtsbehördliche Bescheid vom 15. Oktober 1997 durch den Verfassungsgerichtshof behoben.

Die Aufsichtsbehörde spricht in ihrer Bescheidbegründung nun zwar einerseits von einer nunmehr "objektiven" Mitwirkungsmöglichkeit des Beschwerdeführers im Rahmen des §118 Abs9 NÖ Bauordnung 1976; im übernächsten Absatz gesteht sie diesem andererseits ein Mitspracherecht wiederum nur im Rahmen des §118 Abs9 Z4 leg. cit. zu. Dass auch die daraufhin folgende allgemeine Abhandlung der erhobenen Einwendungen keine klare Auseinandersetzung mit der geänderten, durch die Erkenntnisse VfSlg. 15.360/1998 und B2907/98 vom 7. Juni 1999 auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwendenden Rechtslage beinhaltet, lässt insgesamt den Eindruck entstehen, dass es sich hierbei nicht um ein Versehen der belangten Behörde handelt, sondern dass ihr vielmehr bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht an der unverzüglichen Herstellung des der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes gelegen war.

4.2. Dazu kommt noch folgendes: Der Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes, dass §118 Abs9 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 verfassungswidrig war, bewirkte für den konkreten Fall ein erweitertes Mitspracherecht des Nachbarn im Vergleich zur Rechtslage im zuvor durchgeführten Baubewilligungsverfahren auf Gemeindeebene.

Gemäß §61 Abs4 NÖ Gemeindeordnung, in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung LGBl. Nr. 1000-8, hat die Aufsichtsbehörde den Bescheid, wenn durch ihn Rechte des Einschreiters verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.

Die belangte Behörde verkennt nun sowohl ihre rechtliche Stellung als Aufsichtsbehörde als auch die Intention des Erkenntnisses VfSlg. 15.360/1998, wenn sie im zweiten Rechtsgang nunmehr sogleich und ohne den bekämpften Bescheid der Gemeinde aufzuheben und die Angelegenheit an das zuständige Gemeindeorgan zurückzuverweisen, eine die Vorstellung des Nachbarn abweisende Entscheidung trifft: In Angelegenheiten, die zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehören, kommt der Aufsichtsbehörde nur eine Kontrolle, nicht aber eine Befugnis zur Entscheidung in der Sache selbst zu. Die Sachentscheidung der Vorstellungsbehörde kann - anders als die Entscheidung der Berufungsbehörde nach dem AVG - nur in der Kassation des Bescheides oder in einer Abweisung der Vorstellung bestehen. Danach ist aber für eine Sachentscheidung der Vorstellungsbehörde jene Sach- und Rechtslage maßgeblich, die zum Zeitpunkt der Erlassung des letztinstanzlichen gemeindebehördlichen Bescheides bestanden hat (vgl. zB VfSlg. 9575/1982, 10.719/1985).

Mit dem erstinstanzlichen gemeindebehördlichen Bescheid wurden die Einwendungen des Beschwerdeführers unter Berufung auf die als verfassungswidrig erkannte Norm als unzulässig zurückgewiesen; der Berufungsbescheid des Gemeinderates bestätigte diese Entscheidung und stützte sich dabei ebenfalls noch - zu Recht - ausdrücklich auf diese Gesetzesbestimmung. Aufgrund der danach eingetretenen - für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers in diesem Verfahren aber jedenfalls relevanten - Änderung der Rechtslage durch das Erkenntnis VfSlg. 15.360/1998 hätte die belangte Behörde bei der erneuten Überprüfung des letztinstanzlichen gemeindebehördlichen Bescheides anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung erkennen müssen, dass dieser den Beschwerdeführer durch die Anwendung einer als verfassungswidrig erkannten Norm in seinen Rechten verletzt. Dazu kommt aber noch, dass der Ausspruch des genannten verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses jedenfalls ein Recht des Nachbarn auf Berücksichtigung des nunmehr erweiterten Mitspracherechtes im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens auf Gemeindeebene einschließt. Im Sinn der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes hätte die Aufsichtsbehörde daher durch eine Behebung des gemeindebehördlichen Bescheides vom 11. April 1997 den Weg zu einer erneuten Beurteilung der Angelegenheit durch die zuständige Gemeindebehörde freizumachen gehabt.

Wenn die belangte Behörde davon ausgeht, Rechte des Einschreiters könnten deshalb nicht verletzt worden sein, weil der Beschwerdeführer in der mündlichen Bauverhandlung Einwendungen im Sinne des §118 Abs9 Z1 bis 3 NÖ Bauordnung 1976 nicht erhoben habe und daher gemäß §42 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 idgF, präkludiert sei, so übersieht sie dabei, dass für den Beschwerdeführer die Möglichkeit, Einwendungen im Sinne des §118 Abs9 Z1 bis 3 NÖ Bauordnung 1976 zu erheben, erst durch das Erkenntnis VfSlg. 15.360/1998 entstanden ist.

4.3. Indem die belangte Behörde daher insgesamt bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die Rechtsfolge des Erkenntnisses VfSlg. 15.360/1998 im wesentlichen Punkt grob verkannte, hat sie ihn im Ergebnis mit Verfassungswidrigkeit belastet und den Beschwerdeführer dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der bekämpfte Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- und eine Eingabegebühr in der Höhe von € 181,68 enthalten.

Der mitbeteiligten Partei war der Ersatz der Kosten für die Erstattung ihrer Äußerung nicht zuzusprechen, da sie zur Rechtsfindung keinen Beitrag leisten konnte (vgl. VfSlg. 10.228/1984).

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte