VfGH G26/01

VfGHG26/0126.11.2002

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Dritten Rückstellungsgesetzes mangels Legitimation; Anrufung der als Gericht einzustufenden Rückstellungsoberkommission zumutbar

Normen

B-VG Art89 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
RückstellungsG Drittes §14
B-VG Art89 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
RückstellungsG Drittes §14

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Gestützt auf Art140 Abs1 B-VG begehren die Antragsteller mit näherer Begründung §14 Abs1 des 3. Rückstellungsgesetzes, BGBl. 1947/54, als verfassungswidrig aufzuheben.

Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Der geschädigte Eigentümer geht der Ansprüche, die sich aus der Nichtigkeit der Vermögensentziehung ergeben, verlustig, wenn er nicht innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes ein Verfahren gemäß §15 dieses Gesetzes anhängig macht. Diese Frist kann durch Verordnung des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung [nunmehr: Bundesministerium für Finanzen] verlängert werden."

2. Zu ihrer Antragslegitimation führen die Antragsteller im Wesentlichen Folgendes aus:

"Die Privilegierte österreichisch-ungarische Staats-Eisenbahn-Gesellschaft (in der Folge: STEG) verfügte gemäß Protokoll über die 79. ordentliche Generalversammlung in Wien vom 22.12.1936 ... über ein Aktienkapital in Nominale von S 22.668.900,--; dieses war in 450.000 Aktien zu S 50.000,-- (Nominale) und 3.378 Genussscheine zu S 50,-- (Nominale) zerlegt. Die Aktien wurden an der Wiener Börse gehandelt. 40 % dieses Aktienkapitals, das sind 180.000 Aktien, hielt die Compagnie Europeenne de Participations Industrielles, Monaco (in der Folge: CEPI). An dieser wiederum waren maßgeblich die Väter ... der nunmehrigen Antragsteller beteiligt; sie waren Juden.

Die STEG ihrerseits hielt Beteiligungen an der CEPI, und zwar 8.000 Aktien, je Aktie zu einem Wert von FFr 1.000,-- (1938), sowie 6%ige Obligationen der CEPI in einem Wert von FFr 12.000.000,-- Nominale (1938) ... Weder wurden die Aktien der CEPI noch die 6%igen Obligationen der CEPI an Börsen gehandelt; hinsichtlich dieser Beteiligungen sind die Nominalwerte anzusetzen.

Das Schicksal nahm seinen Lauf. Anläßlich der Einberufung der Verwaltungsratssitzung der STEG vom 25.03.1938 wurden die Väter der Antragsteller gezwungen zu demissionieren; der Präsident des Verwaltungsrats führte in dieser Sitzung wie nachstehend aus:

'...

Der Präsident teilt noch mit, daß er von den Herren M A, E A, ... Schreiben erhalten habe, durch welche ihm die einzelnen Herren mitteilen, daß sie mit Schluß der heutigen Sitzung ihre Verwaltungsratsmandate niederlegen und ihre Demission als Verwaltungsräte geben.'

Auf Grund des Umstandes, dass die Väter der Antragsteller Juden waren, und des vom NS-Regime gegen Juden ausgeübten Terrors, wurde seitens der 'deutschen Verwaltungsräte' der STEG in der Folge massiv Druck gemacht, die gegenseitigen Beteiligungsverhältnisse der Gesellschaften zu lösen. Unter diesem Zwang stellte die CEPI ein dahingehendes Anbot am 26.09.1938; dieses wurde in weiterer Folge von der STEG angenommen ...

Der Vertragsinhalt wird in der Ausgabe des Personen- und Industriecompass 1940, 540 ... wie folgt zusammengefasst:

'Die STEG besaß eine Aktienbeteiligung an der CEPI und Nominale FFr 12.000.000,-- 6%ige Obligationen der CEPI, während letztere wieder mit ca. 40 % am Aktienkapital der STEG interessiert war. Die durch die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich geschaffenen neuen Verhältnisse brachten Herbst 1938 eine Lösung dieses gegenseitigen Beteiligungsverhältnisses in der Form, daß die CEPI ihren Aktienbesitz an der STEG gegen Übergabe eigener Aktien und von Nominale FFr. 8.820.000,-- Obligationen aus dem Besitz der STEG tauschte...'

Zu den Werten des Austauschverhältnisses:

...

Die Differenz aus diesem Geschäft betrug zu Ungunsten der CEPI S 79.129.632,--.

Der Vertrag über den Austausch der Beteiligungsverhältnisse wurde in der genannten Form durchgeführt; weder CEPI noch die Antragsteller selbst oder deren Vorfahren haben hinsichtlich der genannten Entziehung jemals einen Ausgleich/Restitution/Rückstellung/Schadenersatz erhalten.

Im Vermögen der CEPI war daher der Anspruch auf Ausgleich dieser Differenz bis zu deren Auflösung am 30.07.1971 vorhanden und ging mit Auflösung der Gesellschaft auf die Gesellschafter im Verhältnis von deren Anteilen an der Gesellschaft zum Auflösungszeitpunkt über ... Von den 10.000 Aktien zum Zeitpunkt der Auflösung der Gesellschaft wurden [von den nunmehrigen Antragstellern] 2.255 von S A, 4.461 von P A und 2.255 von R A gehalten. Der auf die Gesellschafter übergegangene anteilige Anspruch beträgt daher hinsichtlich

S A: S 17.840.240,--

P A: S 35.292.821,--

R A: S 17.840.240,--

gesamt sohin S 70.973.301,--

Rechtsnachfolgerin der STEG ist die Austria Email Aktiengesellschaft.

...

Mit §14 Abs1 des 3. RStG in Verbindung mit der Verordnung BGBl 1953/167, §2, wird bestimmt, dass die Antragsteller der Ansprüche, die sich aus der Nichtigkeit der gegenständlichen Vermögensentziehung ergeben, verlustig gehen, wenn diese Ansprüche nicht bis 30.6.1954 in einem Verfahren gemäß §15 des 3. RStG anhängig gemacht wurden. Die mit den genannten Bestimmungen verbundenen Rechtsfolgen (Anspruchsverlust) führen dazu, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Rückstellung rechtlich unmöglich ist, und finden ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung Anwendung. Im Fall des Fristablaufes, sohin des Anspruchsverlustes, ist ein diesen feststellender/konkretisierender Rechtsakt nicht vorgesehen.

Überdies wäre jeder später als am 30.6.1954 eingebrachte Antrag von der Rückstellungskommission von Gesetzes wegen als verspätet zurückzuweisen gewesen. Da §14 Abs1 des 3. RStG ... verfassungswidrig und außerdem durch die nach der einfachgesetzlichen Rechtslage zu erwartende a-limine-Zurückweisung unmittelbar für uns wirksam ist, sind wir unmittelbar in unseren Rechten verletzt.

Die Fällung einer gerichtlichen Entscheidung wäre überdies mit erheblichem Aufwand verbunden, da die gemäß §15 des 3. RStG vorgesehene erstinstanzliche Rückstellungskommission beim - hier konkret - LG für ZRS Wien nicht mehr eingerichtet ist.

Insgesamt ist daher die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar und besteht nicht die Gefahr, dass die in Art140 Abs1 letzter Satz B-VG enthaltene Einschränkung ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich verliert, weil - wie dargelegt - besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer §14 Abs1 des 3. RStG ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung Wirksamkeit entfaltet.

§14 Abs1 des 3. RStG verletzt die Antragsteller in ihrem Recht auf Rückstellung bzw zumindest auf Anhängigmachung eines Rückstellungsverfahrens.

Aus anwaltlicher Vorsicht wurde aber auch bei der zuständigen Rückstellungskommission einen Rückstellungsantrag gestellt, da es trotz der dargelegten Gesetzeslage nicht auszuschließen ist, dass sich herausstellt, dass der sogenannte 'Umweg' zumutbar ist (im ungünstigsten Fall verjährt der verfahrensgegenständliche Anspruch mit Ablauf des 19.1.2001; eine Unterbrechung dieser Frist durch Anhängigmachen eines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof ist aber nicht vorgesehen)."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den vorliegenden Antrag aus mehreren Gründen als unzulässig qualifiziert und seine Zurückweisung, in eventu seine Abweisung begehrt.

4. Der Antrag ist nicht zulässig.

4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtssprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (VfSlg. 10.511/1985, 11.726/1988).

4.2. Wendet man diese Überlegung auf den vorliegenden Fall an, so kommt man zum Ergebnis, dass den Antragstellern ein zumutbarer Weg zur Abwehr des behaupteten rechtwidrigen Eingriffes zu Verfügung steht.

Anders als die Antragsteller meinen, bestehen die Rückstellungskommissionen nämlich nach wie vor. Sie sind zur Entscheidung über Anträge des noch geltenden 3. Rückstellungsgesetzes berufen und entfalten bei Bedarf auch tatsächlich ihre Entscheidungstätigkeit (vgl. etwa Oberste Rückstellungskommission beim OGH 30.6.1998, Rkv 1/98, JBl. 1998, 731). Es besteht sohin die Möglichkeit eines Verfahrens, in dem die Antragsteller ihre Ansprüche vor der örtlich zuständigen Rückstellungskommission geltend machen können. Im Falle einer Zurückweisung des Antrages könnten sie im Wege des Rekurses an die Rückstellungsoberkommission ihre Bedenken gegen §14 Abs1 des 3. Rückstellungsgesetzes darlegen und die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art89 Abs2 B-VG anregen. Die Rückstellungskommissionen sind nämlich als Gerichte zu qualifizieren (vgl. zB VfSlg. 2133/1951 uHa VfSlg. 1949 Anhang 1), der Rückstellungsoberkommission kommt daher als Gericht zweiter Instanz ein Antragsrecht gemäß Art140 B-VG zu. Der Verfassungsgerichtshof findet auch keinen Anhaltspunkt, der die Annahme rechtfertigen könnte, dass den Antragstellern der eben geschilderte Weg zur Abwehr des behaupteten rechtswidrigen Eingriffes unzumutbar wäre, wobei noch anzumerken ist, dass es bei Beurteilung dieser Frage nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auf die Erfolgsaussichten der Parteien in der Sache nicht ankommt (zB. VfSlg. 13.226/1992).

5. Der Antrag war daher allein deshalb - also ohne das Vorliegen weiterer Zurückweisungsgründe zu prüfen - mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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