VfGH V34/98

VfGHV34/9825.6.1998

Aufhebung der Verbalbestimmungen eines Flächenwidmungsplanes wegen Widerspruchs zum Rechtsstaatsprinzip mangels eindeutiger Feststellbarkeit der Rechtslage aus der planlichen Darstellung

Normen

B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Lustenau vom 12.07, bzw 25.10.79
B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Lustenau vom 12.07, bzw 25.10.79

 

Spruch:

I. Der Punkt 5. der verbalen Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Lustenau vom 12. Juli bzw. 25. Oktober 1979, genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 19. Dezember 1980, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1998 in Kraft.

III. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer im verfassungsgerichtlichen Verfahren B1916/95 ist Eigentümer der Liegenschaften EZ 4003 und 5892 mit den Grundstücken Nr. 3873/1 und 3873/2 KG Lustenau. Für das daran angrenzende Grundstück Nr. 3871 KG Lustenau wurde mit Antrag vom 19. Juni 1992 um (nachträgliche) Baubewilligung zur Errichtung eines Stadels mit Heulüfter ersucht. Mit Bescheid vom 15. Februar 1993 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde Lustenau die angestrebte Baubewilligung. Dagegen erhob der genannte Beschwerdeführer Berufung, der die Berufungskommission der Gemeinde Lustenau mit Bescheid vom 20. September 1993 keine Folge gab. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Vorstellung wurde von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn im zweiten Rechtsgang mit Bescheid vom 26. April 1995 als unbegründet abgewiesen.

1.1.1. Gegen diesen Vorstellungsbescheid richtet sich die zu B1916/95 protokollierte und auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer in Rechten wegen der Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, nämlich der Verordnung der Gemeinde Lustenau vom 12. Juli bzw. 25. Oktober 1979, mit welcher ein Flächenwidmungsplan für das Gemeindegebiet von Lustenau erlassen wurde, sowie in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

1.1.2. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn legte in diesem Verfahren die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

1.2. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen mit Beschluß vom 3. März 1998, B1916/95, ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Punktes 5. der verbalen Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Lustenau vom 12. Juli bzw. 25. Oktober 1979, genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 19. Dezember 1980, ein.

1.2.1. Die in Prüfung gezogene Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Als Bauflächen und Bauerwartungsflächen gewidmete Grundstücke, auf denen sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Flächenwidmungsplanes bestehende landwirtschaftliche Betriebsgebäude befinden, gelten als Mischgebiete für Bauwerke für land- und forstwirtschaftliche Zwecke."

1.2.2. §14 Abs4 Vlbg. RaumplanungsG in der im Zeitpunkt der Erlassung des in Prüfung gezogenen Flächenwidmungsplanes geltenden Stammfassung LGBl. 1973/15 hat folgenden Wortlaut:

"Mischgebiete sind Gebiete, in denen Gebäude und Anlagen, die in Kern- und Wohngebieten zulässig sind, und nicht störende Klein- und Mittelbetriebe errichtet werden dürfen. In Mischgebieten können Zonen festgelegt werden, in denen Gebäude und Anlagen für land- oder forstwirschaftliche Zwecke errichtet werden dürfen."

1.3. Zu seinen inhaltlichen Bedenken gegen den Punkt 5. der verbalen Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Lustenau verwies der Verfassungsgerichtshof im oben bezeichneten Prüfungsbeschluß zunächst auf sein Erkenntnis VfSlg. 13887/1994, mit dem näher bezeichnete Bestimmungen im Text des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Tschagguns vom 9. Februar 1979 bzw. vom 26. Juli 1979 als gesetzwidrig aufgehoben wurden. Diese Bestimmungen hatten ua. vorgesehen, daß neben den im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Wohngebieten bzw. Mischgebieten auch jene Flächen im Bereich von Freiflächen und Bauerwartungsflächen als Wohngebiete bzw. Mischgebiete gelten, auf denen sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Flächenwidmungsplanes Wohn- bzw. Betriebsgebäude befinden. Sodann legte der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken im Beschluß vom 3. März 1998 wörtlich wie folgt dar:

"Im genannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, daß nach seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 3130/1956, 12420/1990 S 766, zu Flächenwidmungsplänen s. insb. VfSlg. 11807/1988 und 13716/1994) der Rechtsunterworfene die Rechtslage aus der planlichen Darstellung eindeutig und unmittelbar - also ohne das Heranziehen etwaiger technischer Hilfsmittel wie zB des Grenzkatasters - feststellen können muß; andernfalls genügt die Regelung nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung dürfte diesen Erfordernissen insoferne nicht Rechnung tragen, als die Widmung der von ihr erfaßten Flächen weder aus der zeichnerischen Darstellung ersichtlich noch im Text der Verordnung im einzelnen festgelegt ist; die konkrete Widmung einer Fläche dürfte vielmehr nur mittels spezifischer (privater) Nachforschungen über das Vorliegen bestimmter Tatsachen zu einem bestimmten Zeitpunkt feststellbar sein".

1.3.1. Die Vorarlberger Landesregierung legte die bei ihr befindlichen Akten betreffend den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Lustenau vor, verzichtete jedoch ausdrücklich auf die Erstattung einer Äußerung.

1.3.2. Auch die Gemeindevertretung der Gemeinde Lustenau und die beteiligten Parteien äußerten sich in diesem Verfahren nicht.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

2.1.1. Im Verordnungsprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was die vorläufigen Annahmen des Verfasssungsgerichtshofes, daß die Beschwerde im Anlaßfall zulässig und der Punkt 5. der verbalen Bestimmungen des in Rede stehenden Flächenwidmungsplanes präjudiziell in der Bedeutung des Art139 Abs1 B-VG seien, zerstreut hätte.

2.1.2. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2.2.1. Das im Prüfungsbeschluß dargestellte Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit des Punktes 5. der verbalen Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes erweist sich in der Sache selbst als berechtigt:

Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 3130/1956, 12420/1990 S 766; zu Flächenwidmungsplänen s. insb. VfSlg. 11807/1988, 13716/1994 und 13887/1994) dargetan, daß der Rechtsunterworfene die Rechtslage aus der planlichen Darstellung eindeutig und unmittelbar - also ohne das Heranziehen etwaiger technischer Hilfsmittel wie zB des Grenzkatasters - feststellen können muß. Der Punkt 5. der verbalen Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes genügt diesen rechtsstaatlichen Anforderungen an einen Flächenwidmungsplan nicht, weil die Widmung der von dieser Bestimmung erfaßten Flächen weder aus der zeichnerischen Darstellung ersichtlich noch im Text der Verordnung im einzelnen festgelegt ist. Vielmehr läßt sich die konkrete Widmung einer Fläche nur mittels spezifischer (privater) Nachforschungen über das Vorliegen bestimmter Tatsachen zu einem bestimmten Zeitpunkt feststellen.

2.2.2. Der in Prüfung gezogene Punkt 5. der verbalen Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Lustenau ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.

2.3. Die Aussprüche über die Festsetzung einer Frist und die Kundmachung stützen sich auf Art139 Abs5 B-VG.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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