Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Allg
StGG Art14
EMRK Art9
EMRK Art60
Richtlinie des Rates 93/119/EG über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung
VStG §7
Vlbg TierschutzG §11
StV St Germain 1919 Art63 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Allg
StGG Art14
EMRK Art9
EMRK Art60
Richtlinie des Rates 93/119/EG über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung
VStG §7
Vlbg TierschutzG §11
StV St Germain 1919 Art63 Abs2
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Vorarlberg ist schuldig, dem Beschwerdeführer Verfahrenskosten in Höhe von öS 15.000,-- bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Straferkenntnis vom 29. November 1996 verhängte die Bezirkshauptmannschaft über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 3.000,-- wegen Beihilfeleistung zu nach dem Vorarlberger Landesgesetz zum Schutz der Tiere vor Quälerei und mutwilliger Tötung (Tierschutzgesetz), Vbg. LGBl. 31/1982 idF. Vbg. LGBl. 46/1996 (im folgenden: Vbg. TierschutzG 1982) verbotenen Schächtungen. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg keine Folge; das angefochtene Straferkenntnis wurde mit der Maßgabe bestätigt, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten hat:
"Sie haben es gewußt und zugelassen, daß auf Ihrem landwirtschaftlichen Anwesen in Feldkirch/Altenstadt, Küchlerstraße 43, am 28.4.1996, vormittags bis gegen 10.10 Uhr, 26 Stück Schafe, die Sie zuvor an türkische Staatsangehörige verkauft haben, ohne Betäubung vor dem Blutentzug von den türkischen Staatsangehörigen (es folgen die Namen) geschlachtet wurden (Schächtung). Sie haben dadurch vorsätzlich Beihilfe zur Begehung dieser Tat geleistet."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den durch Art14 Abs1 StGG, Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain und Art9 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes - nämlich des §11 Abs1, erster Satz, des Vbg. TierschutzG 1982 - behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab. In einer Stellungnahme des Amtes der Vorarlberger Landesregierung vom 6. März 1998 wird den gegen die dem angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften vorgebrachten Bedenken entgegengetreten und diese Auffassung zusammenfassend wie folgt begründet:
"1. Nach ho. Ansicht ist das Schächten nicht vom Vorbehalt des §6 Abs2 des Gesetzes betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft i. d.g.F. ausgenommen bzw. zählt somit auch nicht zu den durch die Anerkennung entstandenen inneren Angelegenheiten.
Aber auch unter der Annahme der Zugehörigkeit des Schächtens zu den inneren Angelegenheiten, gilt der Gesetzesvorbehalt des Art15 StGG unter der Voraussetzung, daß durch eine in diesen Bereich eingreifende Gesetzgebung auch andere nach dem Gegenstand der Regelung sachlich in Betracht kommende juristische Personen erfaßt werden. Es ist unbestritten, daß es sich beim Schächtverbot um eine solche Regelung handelt.
2. Das Schächtverbot stellt eine nach Art9 Abs1 MRK bzw. Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain mögliche und gerechtfertigte gesetzliche Einschränkung im Interesse der öffentlichen Ordnung bzw. Moral dar."
4. In einer Äußerung vom 9. Juni 1998 vertrat die belangte Behörde die Rechtsauffassung, der Berufungswerber habe - nach Aufforderung, binnen zwei Wochen "die Berufungsgründe bekanntzugeben oder mitzuteilen, daß sich die Berufung nur gegen die Höhe der von der Bezirkshauptmannschaft festgesetzten Geldstrafe richte" - am 19. September 1997 die Berufung mündlich auf eine Berufung gegen die Höhe der Geldstrafe eingeschränkt. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß der Beschwerdeführer am 22. September 1997 durch einen Rechtsanwalt schriftlich sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach Berufung erhoben habe, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine einmal rechtswirksam erklärte Einschränkung der Berufung unwiderruflich sei. Die belangte Behörde hätte daher nur über die Berufung gegen die Strafhöhe entscheiden dürfen. Der Umstand, daß sie auch dem Grunde nach entschieden habe, "könne die Legitimation des Beschwerdeführers zur diesbezüglichen Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof nicht begründen".
5. Der Beschwerdeführer nahm zu dieser Äußerung Stellung und bestritt das Vorliegen einer rechtswirksamen (teilweisen) Berufungsrücknahme. Er begründete dies ua. damit, daß seine Äußerung vom 19. September 1997 nach §13 AVG - um Rechtswirksamkeit zu erlangen - der Schriftform bedurft hätte.
6. In einer weiteren Äußerung vom 27. Juli 1998 hält die belangte Behörde ihre bereits im Schriftsatz vom 9. Juni 1998 vertretene Rechtsauffassung vollinhaltlich aufrecht.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
A. Zur Zulässigkeit:
1. Der Einwand der belangten Behörde, sie hätte im Hinblick auf die "Einschränkung" der Berufung nur über die Strafhöhe zu entscheiden gehabt, ist im Ergebnis nicht berechtigt. Der Beschwerdeführer hat am 20. Dezember 1996 mündlich gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch volle Berufung erhoben. Dem Akteninhalt kann nicht entnommen werden, daß der Beschwerdeführer ausdrücklich eine Einschränkung der Berufung auf die Bekämpfung allein der im Bescheid der ersten Instanz ausgesprochenen Strafhöhe vorgenommen hätte. Dies gilt insbesondere auch für die Niederschrift, aufgenommen vor der belangten Behörde am 19. September 1997, in welcher protokolliert ist, der Beschwerdeführer bekämpfe die Höhe der verhängten Geldstrafe, weil sie unangemessen sei. Diese Protokollierung kann dem - damals anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführer - nicht zum Nachteil gereichen. Wenn die Behörde in ihrer Äußerung vom 9. Juni 1998 - verfaßt vom Vertreter jenes Mitgliedes des UVS, vor dem diese Niederschrift aufgenommen wurde und das den Bescheid erlassen hat - nunmehr die entgegengesetzte Rechtsauffassung vertritt, ist ihr entgegenzuhalten, daß sie - durch eben jenes Mitglied, welches die Amtshandlung durchführte - in ihrer Berufungsentscheidung selbst von einer uneingeschränkten Berufung ausgegangen ist, indem sie im bekämpften Bescheid nicht nur über die Strafhöhe, sondern auch dem Grunde nach entschieden hat. Da unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles somit nicht angenommen werden kann, daß der Beschwerdeführer die volle Berufung in der Folge nur auf die Strafhöhe eingeschränkt hat und auch sonst keine Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, erweist sich die Beschwerde als zulässig.
B. In der Sache:
1.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Vbg. TierschutzG 1982 haben folgenden Wortlaut:
"§11
Schlachtung von Tieren
(1) Das Schlachten von Tieren ohne Betäubung vor dem Blutentzug ist verboten. Ist eine Betäubung unter den gegebenen Umständen nicht möglich oder nicht zumutbar, so ist die Schlachtung so vorzunehmen, daß dem Tier nicht unnötig Schmerzen zugefügt werden.
(2) Die Schlachtung eines Tieres darf nur durch Personen, welche die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, vorgenommen werden.
(3) Die Landesregierung kann im Interesse des Tierschutzes durch Verordnung bestimmte Schlachtmethoden verbieten, zulassen oder gebieten sowie Vorschriften über die Behandlung der Tiere unmittelbar vor der Schlachtung erlassen.
...
§18
Strafbestimmungen
(1) Eine Übertretung begeht und ist, wenn keine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, von der Behörde mit einer Geldstrafe bis zu 30.000 S zu bestrafen, wer
.....
g) entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Anordnungen Eingriffe an Tieren vornimmt oder Tiere schlachtet,
..."
1.2. In der Regierungsvorlage zum Vbg. TierschutzG 1982 (36 Blg. im Jahre 1981 zu den Sitzungsberichten des XXIII. Vorarlberger Landtages) wird zu §11 u.a. ausgeführt:
"Ein Tier soll grundsätzlich nur unter Betäubung geschlachtet werden dürfen. Wenn die Vornahme einer Betäubung nach den gegebenen Umständen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, so soll die Schlachtung auf eine solche Art vorzunehmen sein, die nicht mit unnötigen Schmerzen für das Tier verbunden ist. Im gegebenen Zusammenhang wird als Betäubung nur die Totalbetäubung (Ausschaltung des Bewußtseins) in Betracht kommen. Es handelt sich um eine künstliche Betäubung, bei der durch den Menschen eine möglichst sofortige Bewußtlosigkeit des Tieres hervorgerufen wird. Das kann vor allem durch mechanische Einwirkung auf das Gehirn oder durch die Verabfolgung von Stoffen geschehen, die lähmend auf die Nervenzellen des Großhirns wirken. Da die Betäubung der Vermeidung von Schmerzen bei der Schlachtung dienen soll, muß sie selbst tunlichst schmerzfrei erfolgen. Auch bei ihrer Vorbereitung sind unnötige Aufregungen und Schmerzen der Tiere zu vermeiden. Wenn auch begrifflich zwischen Betäubung und Tötung zu unterscheiden ist, so können doch die Betäubungshandlung und die Tötungshandlung ganz oder teilweise zusammenfallen.
Die Schlachtung eines Tieres soll nur durch solche Personen erfolgen dürfen, welche die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Unter den 'dazu notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten' wird jene Sachkenntnis und Fähigkeit verstanden, die erforderlich ist, um einen bestimmten Tier bei der gewählten Schlachtmethode alle objektiv vermeidbaren Schmerzen und Leiden zu ersparen. Hiebei wird zwischen normalen Schlachtungen und Notschlachtungen zu unterscheiden sein. Bei Notschlachtungen wird die besondere Situation bedingen, daß die Anforderungen dem Notstand entsprechend modifiziert werden. So wird im allgemeinen angenommen werden können, daß ein Landwirt die für eine Notschlachtung notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt.
Die Landesregierung soll im Interesse des Tierschutzes durch Verordnung bestimmte Schlachtmethoden verbieten, zulassen oder gebieten können. Die bekannte Neigung vieler Menschen, das Wohlbefinden des Tieres ihren eigenen (oft wirtschaftlichen) Interessen und ihrer Bequemlichkeit hintanzusetzen, bedingt, daß hier vor allem Verbote im Vordergrund stehen werden. Ein Verbot wird dann angezeigt sein, wenn dem Betroffenen unter Würdigung aller Umstände das Ausweichen auf minder gefährliche oder minder bedenkliche Methoden zuzumuten ist.
In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß der in der vorgeschlagenen Bestimmung normierte Betäubungszwang ein Verbot des rituellen Schächtens bedeutet. Dieses Verbot berührt die Freiheit der Religionsausübung, da bekanntlich die jüdische Religion und der Islam ihren Angehörigen nur den Genuß des Fleisches geschächteter Tiere gestatten. Die Religionsfreiheit ist in dem im Verfassungsrang stehenden Art63 des Staatsvertrages von St. Germain niedergelegt. Alle Einwohner Österreichs haben das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist. Der Begriff 'öffentliche Ordnung' ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe Erk.Slg.Nr. 2944/1955) als Inbegriff der die Rechtsordnung beherrschenden Grundgedanken zu verstehen. Mag auch der Tierschutz vielleicht nicht zu den die Rechtsordnung beherrschenden Grundgedanken gehören, so verstoßen tierquälerische Handlungen jedenfalls gegen die guten Sitten.
Der Art15 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger gibt jeder gesetzlich anerkannten Kirche und Religionsgemeinschaft das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, erklärt jedoch, daß auch die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen sind. Die hieraus abzuleitende Forderung, daß Einschränkungen jede Gesellschaft im Staate gleich treffen, ist durch das vorgeschlagene Gesetz erfüllt. Die Bestimmung dürfte daher verfassungsrechtlich unbedenklich sein. ..."
2. Die Beschwerde begründet die behauptete Verfassungswidrigkeit der präjudiziellen Regelungen insbesondere damit, der Koran gebiete in den Suren 5 (Vers 2 und 4), 6 (Vers 146) und 22 (Vers 31) den Gläubigen, Fleisch nur von vorschriftsmäßig geschlachteten Tieren zu essen. Hingewiesen wird dazu auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes VwSlg. 10.666/1897, wonach die Schächtung von Tieren zum rituellen Gebrauch des israelitischen Kultus gehöre. Die Nichtgestattung der Schächtung stelle eine Beeinträchtigung der verfassungsmäßig gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit dar. Damit ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht:
2.1. Art14 Abs1 StGG gewährt jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Nach Art15 StGG hat jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds, ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.
Nach Art63 Abs2 des Staatsvertrages von St. Germain haben alle Einwohner Österreichs das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.
Nach Art9 Abs1 EMRK ist jedermann das Recht auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit gewährleistet. Dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion unter Beachtung religiöser Bräuche auszuüben. Nach Art9 Abs2 EMRK darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.
2.2. Die Schächtung ist eine im Judentum und im Islam verbreitete Form der rituellen Schlachtung von Tieren zum Zwecke der vollständigen Entblutung durch Durchschneiden von Halsschlagader, Luftröhre und Speiseröhre, welches ohne vorherige Betäubung des Tieres erfolgt. Es ist in der bisherigen Lehre und Rechtsprechung nahezu unbestritten, daß die Schächtung als religiöser Brauch und damit als Teil der Religionsausübung in den Schutzbereich der Art14 StGG, Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain und Art9 Abs1 EMRK fällt (vgl. bloß Budischowsky,
Die staatskirchenrechtliche Stellung der österreichischen Israeliten (1995) 101 f. mit Hinweis auf die Erkenntnisse des VwGH VwSlg. 10666/1897 und VwSlg. 5248 A/1907 sowie Ermacora, Handbuch der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1963) 362; vgl. ferner Blum, Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (1990) 45 ff., insbesondere 51 ff., wonach das Schächten im Zusammenhang mit Art9 EMRK entstehungsgeschichtlich als Fall der Religionsausübung ausdrücklich erwähnt wurde).
Auch der Oberste Gerichtshof hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (15 Os 27, 28/96 = JBl. 1998, 196) das Schächten als im Schutzbereich des Grundrechtes liegend angesehen.
2.3. Gegen diese Auffassung spricht nicht, daß es innerhalb des Islam Strömungen gibt, die eine Betäubung des Tieres vor der Schlachtung zulassen wollen (ausführliche diesbezügliche Nachweise bei Gaisbauer, Das "Schächten" nach islamischem Ritus als strafbare Tierquälerei, ZfV 1996, 40 (41 ff.)):
2.3.1. Vor dem Hintergrund der durch Art15 StGG verfassungsgesetzlich verbürgten Autonomie der Religionsgemeinschaften in ihren inneren Angelegenheiten kann es nämlich nicht Aufgabe eines staatlichen Organes, und sei es auch eines Höchstgerichtes, sein, einen Lehrenstreit, der innerhalb einer Religionsgemeinschaft hinsichtlich einer religiösen Übung besteht, dadurch zu entscheiden, daß nur eine der Richtungen als vom Grundrecht geschützt und damit als gleichsam "rechtmäßig" anerkannt würde. Es kann daher für den Schutz einer der Religionsausübung dienenden Handlung nicht darauf ankommen, ob innerhalb einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft einheitliche Auffassungen über deren Modalitäten bestehen.
2.3.2. Im übrigen kommt es, wie auch der Oberste Gerichtshof in der vorzitierten Entscheidung zutreffend ausführt, bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten Religionsausübung darstellt, nicht darauf an, ob es auf einer zwingenden religiösen Vorschrift beruht oder gar Ausdruck eines unabdingbaren Glaubenssatzes ist; vielmehr unterliegen nicht nur rituelle Vorgänge, sondern auch bloß religiöse Gebräuche dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Entscheidend ist nur, daß es sich nicht bloß um eine von einer Einzelperson behauptete oder vorgeschobene, sondern um die tatsächliche Übung eines bestimmten Glaubens oder eines Bekenntnisses handelt, daß sich also eine bestimmte Form der gemeinsamen religiösen Betätigung herausgebildet hat (VfSlg. 2002/1950). Dies ist hinsichtlich des Schächtens unbestritten.
2.4. Der Verfassungsgerichtshof teilt vor diesem Hintergrund die Auffassung der erwähnten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes, sowie der Lehre, daß die Vornahme einer Schächtung nach islamischem ebenso wie nach israelitischem Ritus unter die durch die vorerwähnten Bestimmungen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Ausübung der Religion fällt. Ein Schächtungsverbot stellt daher einen Eingriff in die vorerwähnten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte dar.
2.5. Ob der in einem Schächtungsverbot gelegene Eingriff in die Rechte nach Art14 StGG, Art9 Abs1 EMRK und Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain gerechtfertigt werden kann (wovon die vorerwähnten Materialien zu §11 des Vorarlberger Tierschutzgesetzes ausgehen), ist nach Maßgabe der einschlägigen Grundrechtsschranken zu beurteilen.
2.5.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die genannten Verfassungsbestimmungen insofern als eine Einheit anzusehen, als Art14 StGG durch Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain ergänzt wird und die dort genannten Schranken in Art9 Abs2 EMRK näher umschrieben werden (VfSlg. 10547/1985, dazu Spielbüchler, Staatskirchenrecht vor dem Verfassungsgerichtshof, Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 1990, 24 (25)).
a) Nach Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain haben alle Einwohner Österreichs das Recht, öffentlich oder privat jede Art von Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.
b) Das nach Art9 Abs1 EMRK gewährleistete Recht jedes Menschen, seine Religion unter Beachtung religiöser Bräuche auzuüben, darf nach dem Abs2 dieser Bestimmung nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.
c) Der in Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain enthaltene Vorbehalt ist somit enger gefaßt als jener des Art9 Abs2 EMRK. Nach dem Günstigkeitsprinzip des Art60 EMRK ist daher die Zulässigkeit eines Schächtungsverbotes anhand dieses Schrankenvorbehaltes zu beurteilen (vgl. Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3 (1985) 414). Allerdings wird der Schrankenvorbehalt des Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain durch die Verfassungsnorm des Art9 EMRK näher konkretisiert (VfSlg. 10547/1985).
2.5.2. Es darf daher die Ausübung der Religion auch bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des Art63 Abs2 Staatsvertrag St. Germain keinen Beschränkungen unterworfen werden, die nicht durch Gesetz vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten notwendig sind.
2.6. Die Verfassungsmäßigkeit eines Eingriffs in die Religionsfreiheit durch ein gesetzliches Schächtungsverbot hängt demnach zunächst davon ab, ob die Schächtung der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widerstreitet. Dies kann der Verfassungsgerichtshof indes nicht finden:
2.6.1. Unter der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain ist der Inbegriff der die Rechtsordnung beherrschenden Grundgedanken zu verstehen (vgl. VfSlg. 2944/1955, 3505/1959). Das schließt es jedoch nicht aus, daß auch Vorschriften dem Schutz der öffentlichen Ordnung dienen und im Einklang mit der Verfassung die Ausübung der Religion beschränken können, die sich nicht unmittelbar auf zentrale Rechtsgüter oder tragende Prinzipien der Rechtsordnung beziehen oder solche Vorschriften, die der Freiheit der Religionsausübung seit jeher, also schon im Zeitpunkt des Wirksamwerdens ihrer verfassungsgesetzlichen Garantie, Grenzen gesetzt haben (vgl. VfSlg. 3505/1959, 3711/1960). Der Verfassungsgerichtshof ist daher (entgegen Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht (1971) 78 ff., insbesondere 84) nicht der Auffassung, daß Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain mit dem Begriff der "öffentlichen Ordnung" dasselbe bezeichnet wie Art15 StGG mit den "allgemeinen Staatsgesetzen".
2.6.2. Unter den Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain fallen daher nur Regelungen, die für das Funktionieren des Zusammenlebens der Menschen im Staate wesentlich sind, wie dies etwa für die Grundsätze des Straßenpolizeirechts (VfSlg. 3505/1959) oder für die Vorschriften über die ordnungsgemäße Bestattung von Leichen (VfSlg. 3711/1960) bejaht wurde. Mit der öffentlichen Ordnung unvereinbar sind also nur Handlungen, die das Zusammenleben der Menschen im Staate empfindlich stören.
2.7. Dies kann nun - anders als in den bereits erwähnten Fällen der Erkenntnisse VfSlg. 3505/1959 und 3711/1960 für die dort genannten Bereiche - vom Ritus des Schächtens nicht behauptet werden:
2.7.1. Der Verfassungsgerichtshof übersieht nicht, daß in den letzten Jahrzehnten insoweit ein Wertewandel eingetreten ist, als sich nach heutiger Auffassung im Tierschutz ein weithin anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse verkörpert. Dem Tierschutz kommt aber - vor dem Hintergrund der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Werteskala - unter Berücksichtigung aller Umstände deshalb noch kein gegenüber dem Recht auf Freiheit der Religionsausübung durchschlagendes Gewicht zu. Der Tierschutz ist insbesondere für die öffentliche Ordnung nicht von derart zentraler Bedeutung, daß er das Verbot einer Handlung verlangt, die einem jahrtausendealten Ritus entspricht, der (aus dem Blickwinkel der Zwecke des Tierschutzes gesehen) seinerseits nicht etwa in einer gleichgültigen oder gar aggressiven Haltung dem Tier gegenüber wurzelt, sondern auf die bestmögliche Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Angst bei den zu schlachtenden Tieren höchsten Wert legt (vgl. dazu Budischowsky, Die staatskirchenrechtliche Stellung, 98 f.; nähere Ausführungen zur Frage der Schmerzhaftigkeit der Schächtung bei Schwaighofer, Tierquälerei im Strafrecht, in: Harrer/Graf (Hrsg), Tierschutz und Recht (1994) 147 (157)).
2.7.2. Für die Richtigkeit dieser Wertung sprechen aber auch noch zwei weitere Umstände:
a) Die Frage der Berücksichtigung der rituellen Schächtung wird in den einzelnen Tierschutzgesetzen der Länder von den verschiedenen Landesgesetzgebern durchaus nicht einheitlich beantwortet (vgl. die Nachweise hiezu bei Budischowsky, Die staatskirchenrechtliche Stellung, 103 ff. und Gaisbauer, ZfV 1996, 41 mit FN 3), sodaß von einer einheitlichen Auffassung in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein kann.
b) Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechtes der Europäischen Union verlangt Erwägungsgrund 6 der Richtlinie 93/119/EG des Rates über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung ausdrücklich die Berücksichtigung religiöser Riten bei der Schlachtung von Tieren. Art5 Abs2 dieser Richtlinie gestattet es den Staaten in der Folge ausdrücklich, für Tiere, bei denen aufgrund bestimmter religiöser Riten besondere Schlachtmethoden angewendet werden, auf die dem Schlachtvorgang vorangehende Betäubung zu verzichten.
2.7.3. Zusammenfassend vermag der Gerichtshof daher nicht zu erkennen, daß die Schächtung als empfindliche Störung des Zusammenlebens der Menschen im Staate angesehen werden kann oder von ihr eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung ausginge, die allein ihr Verbot vor dem dargelegten verfassungsrechtlichen Hintergrund rechtfertigen könnte.
2.8. Der Verfassungsgerichtshof kann aber auch nicht finden, daß die Schächtung nach dem israelitischen oder islamischen Ritus mit den guten Sitten unvereinbar im Sinne des Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain wäre. Die guten Sitten bezeichnen nur jene allgemein in der Bevölkerung verankerten Vorstellungen von einer "richtigen" Lebensführung, die durch ausdrückliche gesetzliche Anordnung geschützt sind (Gampl, Staatskirchenrecht, 85). Der Begriff der guten Sitten in diesem Sinne steht mit dem Tierschutz in keinem Zusammenhang. Im übrigen gilt aber auch hier das vorstehend zur öffentlichen Ordnung bereits Gesagte.
3. Das Schächten nach islamischem Ritus ist daher weder mit der öffentlichen Ordnung noch mit den guten Sitten unvereinbar. Ein Verbot des (fachgerechten) Schächtens ist daher in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig; es verstieße gegen Art14 StGG, Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain und Art9 EMRK und wäre daher verfassungswidrig.
4. Dennoch bedarf es hinsichtlich des §11 des Vorarlberger Tierschutzgesetzes nicht der Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens, weil dieser Bestimmung nach ihrem klaren Wortlaut - und ungeachtet der gegenteiligen Aussagen in den insoweit jedoch gegenüber dem Gesetzestext zurücktretenden Gesetzesmaterialien - nicht zwingend ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt werden muß:
4.1. Nach §11 Abs1 Satz 2 leg. cit. ist die Schlachtung so vorzunehmen, daß dem Tier nicht unnötig Schmerzen zugefügt werden, wenn eine Betäubung vor dem Blutentzug unter den gegebenen Umständen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Dies muß nach dem Gesagten bei verfassungskonformer Interpretation so gedeutet werden, daß Anhängern des Islam und Personen mosaischen Glaubens ein Verzicht auf die Schächtung und damit eine Betäubung des Tieres vor der Schlachtung im Hinblick auf die verfassungsgesetzlichen Gewährleistungen der Freiheit der Religionsausübung nicht zugemutet werden kann. Bei verfassungskonformer Interpretation enthält §11 Abs1 leg. cit. also insofern kein generelles Gebot der Betäubung des Tieres vor der Schlachtung, als das Kriterium der Zumutbarkeit - bei einem grundrechtlich geprägten Verständnis - durchaus auch eine Schächtung nach islamischem oder israelitischem Ritus zuläßt.
4.2. Für diese Interpretation des §11 Abs1 leg. cit. spricht auch, daß sie der Richtlinie 93/119/EG des Rates über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung Rechnung trägt und dem Gesetz einen gemeinschaftsrechtskonformen Inhalt beimißt. In Art5 Abs2 dieser Richtlinie wird es den Staaten zwar nur freigestellt, für Tiere, bei denen aufgrund bestimmter religiöser Riten besondere Schlachtmethoden angewendet werden, auf die dem Schlachtvorgang vorangehende Betäubung zu verzichten. Auch gestattet Art18 Abs2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten die Beibehaltung strengerer als der in der Richtlinie getroffenen Vorschriften. Allerdings verlangt Erwägungsgrund 6 der Richtlinie ausdrücklich die Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse bestimmter religiöser Riten. Der Verfassungsgerichtshof ist daher der Ansicht, daß die Richtlinie insoweit die Beibehaltung strengerer Bestimmungen nicht zuläßt, als die Berücksichtigung der genannten religiösen Riten in Rede steht (so im Ergebnis auch Budischowsky, Das "Schächten" nach islamischem Ritus als strafbare Tierquälerei?, ZfV 1997 (454) 461 ff.).
4.3. Der Verfassungsgerichtshof übersieht nicht, daß der Begriff der Unzumutbarkeit auch auf das Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes hindeuten könnte, den Personen, die, wie der Beschwerdeführer, weder mosaischen Glaubens noch Anhänger des Islam sind, für sich nicht geltend machen könnten. Es sind nun aber die bei einer Schlachtung zu beachtenden Vorschriften in §11 des Vorarlberger Tierschutzgesetzes geregelt, während die Strafbestimmung in §18 leg. cit. davon deutlich getrennt ist. Die ausdrückliche Einbeziehung des Zumutbarkeitselementes in das Tatbild des §11 leg. cit., an welches die Strafnorm des §18 anknüpft, bedeutet, daß das betäubungslose Schlachten im Falle der Unzumutbarkeit der Betäubung aus religiösen Gründen nicht tatbildlich ist, ohne daß auf die Frage des Verschuldens im Sinne des §5 VStG zurückgegriffen werden muß (vgl. zur Berücksichtigung einer allfälligen Unzumutbarkeit rechtmäßigen Alternativverhaltens im Verwaltungsstrafrecht VwGH 6.6.1966, 1137/65, 10.6.1980, 3463/78 sowie VwSlg. 9710/A). Ist der Tatbestand des §11 Vorarlberger Tierschutzgesetz nicht erfüllt, so kommt mangels einer tauglichen Haupttathandlung im Sinne des §18 Abs1 litg leg. cit. auch eine Beitragstat im Sinne des §7 VStG nicht in Betracht.
4.4. Die belangte Behörde hat insoweit, als sie von einem Verbot der rituellen Schächtung ausging und den Beschwerdeführer als Beitragstäter nach §7 VStG bestraft hat, nicht nur dem Gesetz einen denkunmöglichen, weil im Hinblick auf Art14 StGG, Art9 EMRK und Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain verfassungswidrigen Gehalt unterstellt, sie hat auch den Beschwerdeführer als Beitragstäter bestraft, obwohl bei verfassungskonformer Interpretation von einer Haupttat gar keine Rede sein kann. Dadurch hat sie gegenüber dem Beschwerdeführer Willkür geübt und ihn damit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.
5. Der Bescheid war daher aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
III. Dies konnte gemäß §19 Abs4
erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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