VfGH V295/94

VfGHV295/9425.2.1997

Zurückweisung des Individualantrags auf teilweise Aufhebung eines vor Inkrafttreten des Tir RaumOG 1994 erlassenen Bebauungsplanes mangels eines aktuellen Eingriffs in die Rechtssphäre der Antragstellerin angesichts der Übergangsbestimmung des Tir RaumOG 1994

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Tir RaumOG 1994 §114 Abs1
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Tir RaumOG 1994 §114 Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1.1. Die Antragstellerin beantragt "den mit Gemeinderatsbeschluß der Gemeinde Rum vom 7.12.1992 bzw. 16.12.1993, kundgemacht vom 16.12.1992 bis 14.1.1993, ... erlassenen Teilbebauungsplan 'Ortszentrum' der Gemeinde Rum hinsichtlich der Gste Nr. 1634/2, 1634/5 und 1634/7 GB Rum (als gesetzwidrig aufzuheben), soweit Teile dieser Grundstücke als Verkehrsflächen ausgewiesen ... sind und diesen Verkehrsflächen aus den angrenzenden Grundflächen Baufluchtlinien zugewiesen werden".

1.2. Zur Antragslegitimation führt die Antragstellerin aus, sie sei Eigentümerin der Grundstücke "Nr. 1634/2, 1634/5 sowie 1634/7 EZl. 846 GB 81014 Rum". Im aktuellen und derzeit in Geltung befindlichen Flächenwidmungsplan vom 19. Dezember 1988 seien die zitierten Grundstücke der Antragstellerin als Wohngebiet ausgewiesen. Durch den nunmehr angefochtenen Teilbebauungsplan "Ortszentrum" werde ein 5 bis 6 m breiter Streifen am Südrand des Grundstückes Nr. 1634/2 sowie das gesamte Grundstück Nr. 1634/5 als "Hauptverkehrsfläche" iSv. §17 Tiroler Raumordnungsgesetz 1984, LGBl. 4/1984, (TROG 1984), und "Verkehrsfläche" iSv. §3 Abs11 Tiroler Bauordnung, LGBl. 33/1989, (TBO), "gewidmet und ausgewiesen". Anschließend an diesen Streifen werde am Südrand des Grundstückes Nr. 1634/7 und auf dem Grundstück Nr. 1634/2 eine Baufluchtlinie mit einem Abstand von 4 m verfügt. Der Teilbebauungsplan werde nur insoweit angefochten, "als Teilflächen des Gst. Nr. 1634/2 sowie das Gst Nr. 1634/5 als Hauptverkehrsflächen (§17 TROG 1984) und Verkehrsflächen (§3 Abs11 TBO) sowie Teilflächen der Gste. Nr. 1634/2 und 1634/7 in die Baufluchtlinie (§22 Abs1 TROG 1984) einbezogen wurden".

Durch diese "Widmung (Verkehrsfläche und Baufluchtlinie) in der als 'Teilbebauungsplan' bezeichneten Verordnung" sei die Antragstellerin tatsächlich und ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung bzw. ohne Erlassung eines Bescheides in ihren Rechten verletzt und beeinträchtigt worden. Die Verkehrsflächen könnten nicht als Bauland verwendet werden. Das durch die Baufluchtlinie begrenzte straßenseitig gelegene Gebiet dürfe ebenso nicht verbaut werden.

2. Die Tiroler Landesregierung beantragte in ihrer Äußerung, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen bzw. als unbegründet abzuweisen.

Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur unmittelbaren Anfechtungsmöglichkeit von Flächenwidmungsplänen und Bebauungsplänen (VfSlg. 9260/1981) treffe auf den verfahrensgegenständlichen Bebauungsplan, der seine gesetzliche Grundlage noch im TROG 1984, in der Fassung der Gesetze LGBl. 38/1984 und 76/1990, hat, nicht mehr zu. Dieses Gesetz sei am 1. Jänner 1994 gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des neuen Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994, LGBl. 81/1993, (TROG 1994), außer Kraft getreten. Im Gegensatz zu den damals in Geltung gestandenen Flächenwidmungsplänen, die durch die Übergangsbestimmungen der §§108 Abs2 und 109 TROG 1994 übergeleitet wurden, komme den entsprechenden Bebauungsplänen nur mehr eine eingeschränkte normative Wirkung zu. Nach §114 Abs1 TROG 1994 sei im Bauverfahren auf die bisherigen Bebauungspläne "Bedacht zu nehmen", soweit sie nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen des TROG 1994 stehen. Mit der Erlassung der neuen allgemeinen und ergänzenden Bebauungspläne würden die bisherigen Bebauungspläne schließlich außer Kraft treten.

Konkret bedeute dies, daß den Festlegungen der auf Grund des seinerzeitigen TROG 1984 erlassenen Bebauungsplänen nur mehr die Bedeutung von "Bedachtnahmekriterien" zukomme, die im Bauverfahren nach Maßgabe ihrer Vereinbarkeit mit den aktuellen raumordnungsrechtlichen Vorschriften wirksam werden. Dieses - in der Unvereinbarkeit vieler solcher Bebauungspläne mit den geänderten raumordnungsfachlichen Zielsetzungen und in der grundlegenden Neugestaltung der Bebauungsplanung begründete - Regelungssystem führe dazu, daß sich erst im Bauverfahren ergibt, ob und inwieweit ein Bebauungsplan für den Grundeigentümer wirksam wird. Damit wirke der Bebauungsplan für diesen aber "nicht mehr unmittelbar im Sinne des Art139 Abs1 B-VG, sondern nur mehr mittelbar über das Bauverfahren". Der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zufolge sei das die Antragslegitimation begründende Unmittelbarkeitserfordernis unter anderem nämlich nur dann gegeben, wenn Art und Ausmaß des Eingriffes in die Rechtssphäre einer Person bereits durch die betreffende Verordnung selbst bestimmt sind, was aus den dargelegten Gründen bei den unter §114 Abs1 TROG 1994 fallenden Bebauungsplänen nicht mehr der Fall ist.

3. In einer weiteren Stellungnahme führt die Antragstellerin diesbezüglich aus, daß die von der Tiroler Landesregierung angeführte Argumentation, "daß erst im Bauverfahren sich herausstellt, ob der Plan tatsächlich für die Antragstellung wirksam wird, ... genau die bereits im Individualantrag angedeutete gleiche Konsequenz (hätte), daß zunächst ein kostspieliges und aufwendiges Bauverfahren durchzuführen ist, um die Rechtsmittel zur Geltendmachung der Ansprüche der Antragstellerin ausschöpfen zu können".

Daß die bisherigen Bebauungspläne gemäß §114 Abs1 TROG 1994 nur mehr eine eingeschränkte Wirkung haben sollen, "soweit sie nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen dieses Gesetzes stehen", sei "wohl eine jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn sprechende Formulierung". Auch Verordnungen hätten solange Gültigkeit und Wirksamkeit, solange sie dem Rechtsbestand angehören. Selbst wenn diese mit der Erlassung der neuen allgemeinen und ergänzenden Bebauungspläne schließlich außer Kraft treten, bedürfe es dennoch eines entsprechenden Aufhebungsausspruches des Verordnungsgebers.

4. Die Marktgemeinde Rum erstattete ebenfalls eine Äußerung.

5. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Beschluß vom 26. Juni 1996 davon aus, daß er bei der Überprüfung, wieweit der angeführte Teilbebauungsplan noch wirksam ist und die Rechtssphäre der Antragstellerin aktuell beeinträchtigt ist, die Bestimmung des §114 Abs1 TROG 1994 idF vor der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle, LGBl. Nr. 4/1996, anzuwenden hat, und beschloß die oben angeführte Bestimmung von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 11726/1988, VfGH 28.11.1994, V125/94).

2. Der von der Antragstellerin angefochtene Teilbebauungsplan wurde auf Grund des TROG 1984 idF LGBl. 38/1984 und 76/1990 erlassen. Mit 1. Jänner 1994 ist das neue TROG 1994 in Kraft getreten, welches für zu diesem Zeitpunkt bestehende Bebauungspläne in §114 Abs1 folgende Übergangsbestimmung vorsieht:

"§114

Bebauungspläne

(1) Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehenden Bebauungspläne dürfen nicht mehr geändert werden. Sie treten mit der Erlassung des allgemeinen und des ergänzenden Bebauungsplanes für die betreffenden Grundflächen außer Kraft. Bis dahin ist auf die Festlegungen solcher Bebauungspläne, soweit sie nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen dieses Gesetzes stehen, im Bauverfahren Bedacht zu nehmen.

(2) ... ."

In Übereinstimmung mit den Ausführungen der Tiroler Landesregierung ist davon auszugehen, daß im Unterschied zu den maßgeblichen Übergangsbestimmungen für bestehende Flächenwidmungspläne (§§108 Abs2, 112 Abs1, 113 erster Satz TROG 1994) - und auch im Unterschied zur seinerzeitigen Übergangsbestimmung für Verbauungspläne gemäß §31 Abs3 Tiroler Raumordnungsgesetz, LGBl. 10/1972, (TROG), wonach bestehende Verbauungspläne vorläufig weiterhin in Kraft bleiben und "im Widerspruch zur neuen Rechtslage stehen können, ohne zu invalidieren" (VfSlg. 9112/1981, 10446/1985, 11642/1988) - §114 Abs1 TROG 1994 unter den zitierten Voraussetzungen lediglich eine Pflicht zur Bedachtnahme auf bestehende Bebauungspläne vorsieht. Dies bedeutet, daß bestehende Bebauungspläne "nicht unbeschränkt als Grundlage für die weitere bauliche Entwicklung der Gemeinde" (s. die "Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf eines Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994" zu §114, S 133) herangezogen werden dürfen. Es ist vielmehr im Einzelfall im jeweiligen baubehördlichen Verfahren zu prüfen, ob und inwieweit der "alte" Bebauungsplan den Bestimmungen des neuen TROG 1994, insbesondere "den Zielen der örtlichen Raumordnung ..., ... vor allem einer bodensparenden und zweckmäßigen Bebauung" (s. die "Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf eines Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 zu §114, S 133) entspricht und wieweit im Bauverfahren nach dem neuen Gesetz auf den Inhalt des "alten" Bebauungsplans Rücksicht genommen werden kann. Somit ermächtigt §114 Abs1 TROG 1994 die Baubehörde, im Bauverfahren unter den genannten Voraussetzungen von den Festlegungen des bestehenden Bebauungsplanes abzuweichen, so beispielsweise eine Baubewilligung auch dann zu erteilen, wenn sie auf Grund des bestehenden Bebauungsplanes nicht erteilt werden dürfte, bzw. zu versagen, obwohl sie auf Grund des bestehenden Bebauungsplanes erteilt werden müßte.

Daraus folgt, daß erst durch einen in einem Verfahren über ein bestimmtes Bauansuchen ergehenden verwaltungsbehördlichen Bescheid die Art und das Ausmaß der Beeinträchtigung der Rechtssphäre der Antragstellerin durch den Bebauungsplan eindeutig bestimmt wird (ebenso VfSlg. 9876/1983, vgl. auch 11402/1987). Ohne einen solchen rechtskonkretisierenden Akt beeinträchtigt der Eingriff die rechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin bloß potentiell, nicht aber aktuell (VfSlg. 8009/1977, 8058/1977, 8059/1977 uvam.). Damit jedoch mangelt es der Antragstellerin an einer grundlegenden Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 B-VG, sodaß es dahingestellt bleiben kann, ob die sonstigen Voraussetzungen einer Individualantragstellung - insbesondere die Frage, ob und welcher andere zumutbare Weg zur Abwehr des behaupteten Eingriffs zur Verfügung steht - vorliegen (vgl. VfSlg. 9084/1981, 9271/1981).

3. Ungeachtet des Umstandes, daß mit Erkenntnis vom 28. November 1996, G195/96 ua., das TROG 1994 idF vor der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle, LGBl. 4/1996, insoweit als verfassungswidrig mit Ablauf des 30. Juni 1998 aufgehoben wurde, als ihm nicht durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle 1996 derogiert wurde und festgestellt wurde, daß das TROG 1994 idF vor der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle insoweit verfassungswidrig war, als ihm durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle derogiert wurde, ist der Antrag aus oben ausgeführten Erwägungen zurückzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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