Normen
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
AuslBG BundeshöchstzahlV 1995, BGBl 944/1994 idF BGBl 163/1995
AuslBG BundeshöchstzahlV 1996, BGBl 763/1995
AuslBG §4 Abs7
AuslBG §12a
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
AuslBG BundeshöchstzahlV 1995, BGBl 944/1994 idF BGBl 163/1995
AuslBG BundeshöchstzahlV 1996, BGBl 763/1995
AuslBG §4 Abs7
AuslBG §12a
Spruch:
Die Kundmachung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Bundeshöchstzahl 1996, BGBl. Nr. 763/1995, war gesetzwidrig.
Diese Verordnung ist auch auf beim Verwaltungsgerichtshof anhängige sowie vom Verfassungsgerichtshof an diesen zur Entscheidung abzutretende Fälle nicht mehr anzuwenden.
Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt II kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B702/96 das Verfahren über eine Beschwerde anhängig, die sich gegen einen Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 26. Jänner 1996 richtet.
1. Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte im Dezember 1995 die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für eine ausländische Arbeitskraft. Dieser Antrag wurde vom Arbeitsmarktservice Angestellte Wien mit Bescheid vom 19. Dezember 1995 infolge Überschreitung der für 1995 festgelegten Bundeshöchstzahl gemäß §4 Abs7 AuslBG (idF BGBl. 257/1995) abgewiesen.
Mit dem über die Berufung gegen diesen Bescheid absprechenden, nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien bestätigte diese - gestützt auf §4 Abs7 und §12a AuslBG iVm der Kundmachung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Bundeshöchstzahl 1996 (kurz: BHZV 1996), BGBl. 763/1995, und der Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung - BHZÜV, BGBl. 278/1995, - die erstinstanzliche Entscheidung: Die für 1996 mit 263.000 kundgemachte Bundeshöchstzahl sei überschritten; die beantragte Arbeitskraft gehöre "nicht zum Personenkreis, der bereits auf die ausgeschöpfte Bundeshöchstzahl angerechnet" werde. Eine Anwendung der BHZÜV komme nicht in Betracht, weil die Arbeitskraft keiner der dort genannten Personengruppen zuzurechnen sei.
2. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 9. Oktober 1996 ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der BHZV 1996 ein.
Er hegte das Bedenken, daß die vom Bundesminister für Arbeit und Soziales mit 263.000 kundgemachte Gesamtzahl weniger als die - vom Gesetz geforderten - 8 % des österreichischen Arbeitskräftepotentials beträgt, sodaß diese Kundmachung dem Gesetz widersprechen dürfte.
Zu diesem Bedenken veranlaßte ihn eine über Aufforderung vom Bundesminister für Arbeit und Soziales vorgelegte, im folgenden wiedergegebene Tabelle, aus der die der Berechnung der Bundeshöchstzahl 1996 zugrundegelegten Daten ersichtlich sind:
"Tabelle 2a:
Basisdaten für die Berechnung der Bundeshöchstzahl 1996
Unselbständig Vorgemerkte Unselbst.
Monat/Jahr Beschäftigte Arbeitslose Arbeitskräfte-
potential (AKP)
Sep 94 3,114.626 181.257 3,295.883
Okt 94 3,092.121 200.824 3,292.945
Nov 94 3,075.376 218.664 3,294.040
Dez 94 3,042.354 251.513 3,293.867
Jan 95 3,007.214 278.929 3,286.143
Feb 95 3,020.951 261.328 3,282.279
Mär 95 3,042.167 228.228 3,270.395
Apr 95 3,047.442 212.256 3,259.698
Mai 95 3,068.022 193.101 3,261.123
Jun 95 3,090.061 174.889 3,264.950
Jul 95 3,154.392 174.878 3,329.270
Aug 95 3,140.905 180.284 3,321.189
Durchschnitt 3,074.636 213.013 3,287.649
Zeitraum Anteil am AKP (%) Rohwert Bundeshöchst-
zahl gerundet
Jän.-April 96 8 263.012 263.000
ab Mai 96 9 295.888 296.000
Quelle: Hauptverband (unselbständig Beschäftigte)
Arbeitsmarktservice Österreich (vorgemerkte Arbeitslose)"
Der Gerichtshof nahm vorläufig an, daß der Bundesminister die nach der Anordnung des ersten Satzes des §12a Abs1 AuslBG errechnete Gesamtzahl abgerundet hat, und zwar von 263.012 auf 263.000, obgleich für eine derartige Vorgangsweise die hiefür notwendige gesetzliche Ermächtigung fehlen dürfte.
3. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in welcher er die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung genommenen BHZV 1996 verteidigt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der bei ihm anhängigen Beschwerde und an der Präjudizialität der in Prüfung genommenen Verordnung zweifeln ließe. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
2. a) Die in Prüfung stehende BHZV 1996 lautet:
"Auf Grund des §12a Abs1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 257/1995, wird kundgemacht:
Die zulässige Gesamtzahl der unselbständig beschäftigten und arbeitslosen Ausländer (Bundeshöchstzahl) im Jahr 1996 beträgt 263 000."
b) Ihre gesetzliche Grundlage, §12a Abs1 AuslBG (idF BGBl. 501/1993), und §12a Abs2 AuslBG (idF BGBl. 257/1995) lauten wie folgt:
"Bundeshöchstzahl
§12 a. (1) Die Gesamtzahl der unselbständig beschäftigten und arbeitslosen Ausländer darf den Anteil von 8 vH am österreichischen Arbeitskräftepotential (Gesamtzahl der unselbständig beschäftigten und arbeitslosen Inländer und Ausländer) nicht übersteigen. Diese Gesamtzahl hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales jährlich kundzumachen.
(2) Über die Gesamtzahl gemäß Abs1 hinaus dürfen Sicherungsbescheinigungen und Beschäftigungsbewilligungen bis zu einem Höchstausmaß von 9 vH am österreichischen Arbeitskräftepotential erteilt werden, wenn dies der Bundesminister für Arbeit und Soziales durch Verordnung für einzelne Personengruppen, an deren Beschäftigung öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen bestehen, festlegt. Die Verordnung kann eine bestimmte Geltungsdauer der Beschäftigungsbewilligungen, ein Höchstausmaß für alle Überziehungsfälle zusammengerechnet oder bestimmte zahlenmäßige Höchstrahmen für einzelne Gruppen vorsehen."
3. Daß die in Prüfung stehende Kundmachung mit §12a Abs1 AuslBG nicht vereinbar ist, ist nicht zweifelhaft und wird auch vom Bundesminister für Arbeit und Soziales nicht in Frage gestellt. Der Bundesminister räumt ausdrücklich ein, daß die Rundung "ohne gesetzliche Ermächtigung" vorgenommen wurde.
Er weist aber darauf hin, daß die Bundeshöchstzahl 1996 seit ihrem Inkrafttreten am 1. Jänner 1996 durchschnittlich um rund
12.500 überzogen gewesen sei. Im Zeitpunkt der Festsetzung der Bundeshöchstzahl für 1996 habe er aufgrund der bis dahin gesammelten Erfahrungen und unter Zugrundelegung der entsprechenden Arbeitsmarktdaten auch davon ausgehen können, daß sich der Ausschöpfungsgrad der Bundeshöchstzahl das ganze Jahr hindurch in diesem Rahmen bewegen werde. Es sei somit vorhersehbar gewesen, daß sich der Ausschöpfungsgrad zu keinem Zeitpunkt im Jahre 1996 der festgesetzten Bundeshöchstzahl nähern werde. Vielmehr sei der Überziehungsgrad so hoch geblieben, daß das Faktum der Abrundung für die Erteilung von Berechtigungen zur Arbeitsaufnahme in keinem einzigen Fall irgendeine Auswirkung gehabt habe. Aus diesen Gründen sei es auch gerechtfertigt, die gemäß der Anordnung des ersten Satzes des §12a Abs1 AuslBG mit 263.012 errechnete Bundeshöchstzahl ohne gesetzliche Ermächtigung auf 263.000 abzurunden, da sich die infolge der Abrundung ergebende minimale Differenz im Hinblick auf die erwartete Überziehung der Bundeshöchstzahl als vernachlässigbare und zudem nicht entscheidungsrelevante Größenordnung dargestellt habe. Zudem sei die Rundung aus verwaltungsökonomischen Gründen dringend geboten gewesen, um die in den administrativen Abläufen häufig notwendigen Rechenoperationen auf der Basis der Bundeshöchstzahl zu erleichtern und die Erfassung und Darstellung migrationspolitisch bedeutsamer Zusammenhänge und Entwicklungen zu vereinfachen.
4. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu zerstreuen (vgl. zum Folgenden auch VfGH 26.2.1997, V110/96, betreffend die BHZV 1995):
Abgesehen davon, daß es unerheblich ist, ob sich die angenommene Gesetzwidrigkeit im konkreten Fall auf die Entscheidung der belangten Behörde auswirken konnte, da der Verfassungsgerichtshof eine präjudizielle Norm losgelöst von den Auswirkungen auf den Anlaßfall zu prüfen hat (vgl. etwa VfSlg. 9755/1982, 11190/1986), ist in diesem Zusammenhang aber noch folgendes zu bedenken:
Zum einen nämlich, daß sich von der gemäß §12a Abs1 AuslBG kundgemachten (in concreto abgerundeten) Bundeshöchstzahl auch jene Zahl errechnet, bis zu der die durch §12a Abs2 AuslBG vorgesehene Überschreitung der Bundeshöchstzahl um einen Prozentpunkt zulässig ist. Daß die Gesamtzahl der unselbständig beschäftigten und arbeitslosen Ausländer (auch) den Anteil von 9 % am österreichischen Arbeitskräftepotential überschritten hätte, wird auch vom Bundesminister für Arbeit und Soziales nicht behauptet. Insofern ist daher die Relevanz des unterlaufenen Fehlers nicht zu leugnen, sodaß, selbst von der Prämisse des Bundesministers ausgehend, dem Bedenken nicht entgegengetreten werden könnte.
Zum anderen ist die in §12a Abs1 AuslBG vorgesehene Kundmachung der Bundeshöchstzahl eine notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit des §4 Abs7 leg.cit., wonach "unbeschadet des §12a Abs2. ... Beschäftigungsbewilligungen nur unter der zusätzlichen Voraussetzung erteilt werden (dürfen), daß die Bundeshöchstzahl nicht überschritten wird". Eine Auslegung des §12a Abs1 iVm §4 Abs7 AuslBG dahin, daß im Falle des Unterbleibens der Kundmachung (bzw. im Falle ihrer Aufhebung) die Behörden bei Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung in jedem Einzelfall zu berechnen hätten, ob mit der Erteilung der Bewilligung die zulässige Höchstzahl überschritten wird (, was bejahendenfalls zur Abweisung des Antrages zu führen hätte), verbietet sich nämlich aus verfassungsrechtlichen Überlegungen. Denn dadurch würde die Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen von zeitlichen Zufälligkeiten abhängig gemacht, die zu einer sachlich nicht mehr begründbaren Unterscheidung zwischen verschiedenen Bewilligungswerbern in materiell gleicher Lage führen müßten (vgl. VfSlg. 7708/1975, 10620/1985).
Auch der Einwand, daß die Rundung aus verwaltungsökonomischen Gründen dringend geboten sei, vermag das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht zu zerstreuen. Der Verfassungsgerichtshof braucht dabei der Frage nicht weiter nachzugehen, welche bei der Anwendung des AuslBG erforderlichen Rechenoperationen durch die vorgenommene Abrundung tatsächlich erheblich erleichtert werden. Hätte der Gesetzgeber auf solche Gründe Bedacht nehmen wollen, so hätte er den zur Kundmachung der Bundeshöchstzahl berufenen Bundesminister eine diesbezügliche gesetzliche Ermächtigung erteilen müssen. Mangels einer solchen muß eine Kundmachung als gesetzwidrig qualifiziert werden, die die Bundeshöchstzahl niedriger festsetzt, als sich dies bei Anwendung der im Gesetz genannten Berechnungsgrößen rechnerisch ergibt. Das im Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der BHZV 1996 hat sich daher als zutreffend erwiesen. Infolge ihres auf 1996 zeitlich beschränkten Geltungsbereiches war auszusprechen, daß die BHZV 1996 gesetzwidrig war.
5. Da auch beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerden gegen Bescheide anhängig sind, die sich auf die als gesetzwidrig erkannte Verordnung stützen, aus Anlaß derer aber eine rechtzeitige Antragstellung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht mehr möglich war, sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, die Wirkung der Feststellung auf die im Zeitpunkt seiner Beratung und Entscheidung beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle auszudehnen (Art139 Abs6 B-VG; vgl. VfSlg. 12948/1991 und 13029/1992). Dasselbe gilt auch für alle jene zum genannten Zeitpunkt beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Fälle, bei denen die genannte Verordnung (zwar auch) präjudiziell, aber nicht alleinige Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist, und die antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten sein werden.
6. Die Verpflichtung des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit und des damit in Zusammenhang stehenden Ausspruches im Bundesgesetzblatt II erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG und §60 Abs2 (iVm §61) VerfGG sowie §2 Abs2 Z4 BGBlG, BGBl. 660/1996.
III. Dieses Erkenntnis konnte
gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt werden.
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