VfGH B2843/95

VfGHB2843/9526.6.1996

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung der Aufenthaltsbewilligung wegen nicht vorhandener ortsüblicher Unterkunft infolge grober Verkennung der Rechtslage aufgrund der Annahme behördlichen Ermessens

Normen

EMRK Art8
AufenthaltsG §5 Abs1
EMRK Art8
AufenthaltsG §5 Abs1

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines bevollmächtigten Vertreters die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein 1992 in Wien geborener bosnischer Staatsangehöriger, beantragte am 17. Oktober 1994 beim Amt der Wiener Landesregierung (MA 62) die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Der Landeshauptmann von Wien gab diesem Antrag mit Bescheid vom 18. April 1995 unter Berufung auf §5 Abs1 Aufenthaltsgesetz - AufG, BGBl. 466/1992 idF 505/1994, nicht statt. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 2. August 1995 ab. Da kein vom Wohnraum getrennter Schlafraum zur Verfügung stehe, könne dem Kleinkind kein ungestörter Schlaf ermöglicht werden. Eine ortsübliche Unterkunft stehe daher nicht zur Verfügung. Weiters sei auch der freie Raum innerhalb der Wohnung nach Abzug des für das Mobiliar erforderlichen Platzes zu gering, um von einer ortsüblichen Unterkunft sprechen zu können (§5 Abs1 AufG).

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Der Beschwerdeführer bringt vor, daß sein Vater sich bereits seit 1993 legal in Österreich aufhält und er selbst 1992 in Österreich geboren wurde. Von der Ortsüblichkeit der Wohnung sei sehr wohl auszugehen, weil die Quadratmeteranzahl (32 m2) für die Anzahl der darin lebenden Personen durchaus ausreichend sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß Kleinkindern jedenfalls ein von den Eltern getrennter Schlafraum zur Verfügung zu stellen sei. Es sei keinesfalls eine verfassungskonforme Interpretation des §5 Abs1 AufG, daß Familienzuwachs die Familie insofern in Gefahr bringe, als sie aufgrund der dadurch möglicherweise nicht mehr gegebenen Ortsüblichkeit der Unterkunft ihr Aufenthaltsrecht verlieren könnte. Darüber hinaus stünde dem Beschwerdeführer gemäß §3 Abs1 Z2 AufG als eheliches minderjähriges Kind von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung rechtmäßig seit mehr als 2 Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, nach Maßgabe des §2 Abs3 Z3 und Z4 AufG die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Rechtsanspruch zu.

3. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand, und begehrte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer in dem gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfGH 16.3.1995 B2259/94 mit ausführlicher Begründung dargetan hat, hat die Behörde in jedem Fall, in dem die Versagung der Aufenthaltsbewilligung mangels Sicherung des Lebensunterhalts und/oder einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft in das Grundrecht des Fremden auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreifen würde, zu prüfen, ob die Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen notwendig ist, und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

Ein Eingriff in das durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf eine dem Art8 EMRK widersprechende Rechtsvorschrift beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwandte; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewandten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere eine dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Ein derartiger Fehler ist der Behörde im vorliegenden Fall anzulasten.

Die belangte Behörde begründet den angefochtenen Bescheid u.a. wie folgt:

"Diese Einwendungen haben allerdings nicht belegen können, aus welchen Gründen die Ermessensausübung der Behörde bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnung gesetzwidrig gewesen wäre."

Die belangte Behörde vermeint, daß ihr bei Beurteilung der "ortsüblichen Unterkunft" gemäß §5 Abs1 AufG Ermessen eingeräumt sei. Dies trifft jedoch nicht zu. Der Begriff "ortsübliche Unterkunft" ist ein sogenannter unbestimmter Gesetzesbegriff. Er verweist auf Umstände tatsächlicher Natur, welche den objektiven Maßstab zur Auslegung des Begriffes darstellen.

In grober Verkennung der Rechtslage hat die belangte Behörde angenommen, daß ihr §5 Abs1 AufG ein Ermessen einräume, obwohl sie das Gesetz hiezu nicht ermächtigt. Hiermit ist ihr ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von S 3.000,- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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