VfGH B1404/95

VfGHB1404/954.12.1995

Kein Verstoß der Regelung der Haftung von Vertretern juristischer Personen in der WAO gegen den Gleichheitssatz und gegen das Legalitätsprinzip; keine Verfassungswidrigkeit der Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs; keine unsachlich-überschießende Regelung aufgrund der Beschränkung der Haftung auf Fälle eines Verschuldens seitens des Haftungspflichtigen und der schweren Einbringlichkeit der Schuld beim Abgabepflichtigen

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
WAO §7 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
WAO §7 Abs1

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer war vom 3. Mai bis 30. Juni 1993 Geschäftsführer einer Gesellschaft m.b.H.

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien wurde er aufgrund der §§7 Abs1 und 54 Abs1 iVm §§2 und 5 der Wiener Abgabenordnung (WAO) als Geschäftsführer dieser Gesellschaft für die in der Zeit vom 1. April bis 31. Mai 1993 entstandene Getränkesteuerschuld in Höhe von S 168.647,84 haftbar gemacht und als Haftungspflichtiger zur Zahlung dieses Betrages herangezogen.

Aufgrund der dagegen vom nunmehrigen Beschwerdeführer erhobenen Berufung änderte die Abgabenberufungskommission Wien den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend ab, daß die Haftung auf den Betrag von insgesamt S 70.836,84 für den Monat April 1993 eingeschränkt werde; im übrigen wies sie die Berufung als unbegründet ab.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verfassungswidrigkeit des §7 Abs1 WAO idF LGBl. für Wien 40/1992 behauptet wird; daraus ergebe sich, daß der Beschwerdeführer in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art7 B-VG), Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art18 Abs1 B-VG) sowie in sonstigen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden sei. Vollzugsbedenken werden nicht geltend gemacht. Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der bekämpfte Haftungsbescheid stützt sich u.a. auf §7 Abs1 WAO idF LGBl. für Wien 40/1992; diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Die in den §§54 ff. bezeichneten Vertreter und sonstigen Verpflichteten haften neben den Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern und sonstigen Verpflichteten auferlegten Pflichten, sei es abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten, bei den Abgabepflichtigen nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden können, insbesondere im Falle der Konkurseröffnung."

§54 WAO nennt u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und überträgt diesen die Pflicht, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

(Bis zum Inkrafttreten der Novelle LGBl. für Wien 40/1992 lautete §7 Abs1 WAO:

"Die in den §§54 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können".

und normierte damit - wie §9 Abs1 BAO und die Haftungsbestimmungen der meisten anderen Landes-Abgabenordnungen - eine Ausfallshaftung bloß für den Fall der Uneinbringlichkeit.)

2. a) Die im vorliegenden Fall anzuwendende Neufassung des §7 Abs1 WAO hält der Beschwerdeführer aus mehreren Gründen für verfassungwidrig:

Zum einen verstoße diese Bestimmung, die u.a. eine Haftung für die zur Vertretung einer juristischen Person berufenen Personen für rückständige Abgabenschulden der juristischen Person normiert, gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz, weil sie - im Vergleich zur BAO und den Abgabenverfahrensgesetzen anderer Länder, die eine Haftung des Vertreters nur im Falle der Uneinbringlickeit der Abgabe beim Abgabepflichtigen vorsehen - eine strengere Haftung vorsieht, für die es keine sachliche Rechtfertigung gibt, mag auch der (Wiener) Landesgesetzgeber nicht an den einfachen Bundesgesetzgeber oder andere Landesgesetzgeber gebunden sein.

Zum anderen verstoße §7 Abs1 WAO gegen das Legalitätspinzip:

Der unbestimmte Gesetzesbegriff "nicht ohne Schwierigkeiten" werde abgesehen von der beispielhaften Aufzählung der Konkurseröffnung nicht näher ausgeführt; es bleibe insbesondere unklar, ob man von solchen besonderen Schwierigkeiten erst bei Zahlungsunfähigkeit auszugehen habe oder ob solche Schwierigkeiten schon gegeben seien, wenn der Abgabepflichtige zwar zahlungsfähig, jedoch zahlungsunwillig sei und es auf Eintreibung der Schuld im Exekutionswege ankommen lasse.

b) Die belangte Behörde verteidigt die gesetzliche Regelung:

Was den Vorwurf der Gleichheitswidrigkeit anlange, sei darauf zu verweisen, daß in der länderweise verschiedenen Regelung eines Gegenstandes nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes erblickt werden könne; daß die Regelung an sich unsachlich wäre, habe der Beschwerdeführer aber nicht dargetan.

Auch dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Legalitätsprinzip sei nicht zu folgen: Der Gesetzgeber habe durch die ausdrückliche Anführung der Eröffnung des Konkursverfahrens in §7 Abs1 WAO dem Rechtsanwender eine geeignete Richtlinie für die Auslegung dieser Vorschrift an die Hand gegeben; auch im vorliegenden Beschwerdefall sei der Haftungsbescheid erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Primärschuldners ergangen.

3. a) Der Verfassungsgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen (vgl. VfSlg. 11942/1988 mit Hinweisen auf frühere Judikatur und VfSlg. 12008/1989) dargelegt, daß sich die sachliche Rechtfertigung von Haftungsregelungen einerseits aus dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit öffentlich-rechtlicher Ansprüche (wie zB Abgaben oder Sozialversicherungsbeiträge) und andererseits aus einem durch eine Rechtsbeziehung begründeten sachlichen Zusammenhang zwischen der Person des Abgabepflichtigen und jener des Haftungspflichtigen ergibt. Aber auch dann, wenn der Gesetzgeber eine Regelung aus bestimmten sachlich-objektiven Gründen für notwendig erachtet, darf er sie konkret nur derart ausgestalten, daß die damit bewirkten Folgen nicht unverhältnismäßig sind:

Selbst wenn für die Haftung also an sich ein sachlich-objektiver Grund, d.h. in concreto eine sachlich begründbare Nahebeziehung zwischen dem Abgabenschuldner und dem Haftungspflichtigen vorliegt, darf die konkrete Ausgestaltung der Haftungsregelung dennoch nicht unsachlich-überschießend erfolgen. So hat der Gerichtshof etwa (in VfSlg. 11921/1988) eine derartige sachliche Nahebeziehung zwischen dem Verpächter und dem Pächter in bezug auf Getränkesteuerschulden des Pächters akzeptiert, nicht aber eine konkrete Haftungsregelung, die hinsichtlich der Höhe der Haftungssummen bzw. des relevanten Haftungszeitraumes überhaupt keine Eingrenzungen und Abschätzungsmöglichkeiten erlaubte (vgl. jüngst VfGH 28.9.1995, G18/95, mit einer zusammenfassenden Darstellung der einschlägigen Vorjudikatur sowie auch mit Hinweisen auf die entsprechenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen Korinek/Holoubek, Gleichheitsgrundsatz und Abgabenrecht, in: Gassner/Lechner (Hg.), Steuerbilanzreform und Verfassungsrecht, 1991, 73 ff., insb. 88 ff.).

In VfSlg. 12008/1989 hat der Verfassungsgerichtshof eine sozialversicherungsrechtliche Regelung als verfassungswidrig aufgehoben, die die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen insoweit zur Haftung für Beitragsschulden des Vertretenen berief, als die Beiträge aus Verschulden des Vertreters nicht bei Fälligkeit entrichtet wurden. Der Verfassungsgerichtshof führte dazu aus, daß bei dieser Regelung die Frage der Einbringlichkeit beim Vertretenen völlig irrelevant sei: "Dafür, die Haftung des Vertreters im vorliegenden Zusammenhang und in dem vorgesehenen umfassenden Umfang auch bei Einbringlichkeit der Forderung beim Vertretenen zu statuieren, fehlt aber - wie sich aus der Vorjudikatur ergibt - eine sachliche Rechtfertigung". Eine solche weitgehende Haftungsregelung sei daher gleichheitswidrig.

b) Angesichts dieser Judikatur hat der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §7 Abs1 WAO idF LGBl. 40/1992:

aa) Der unbestimmte Rechtsbegriff "nicht ohne Schwierigkeiten" ist so auszulegen, daß nur bei erheblichen Schwierigkeiten, die in ihrer Intensität so geartet sind, wie die Schwierigkeiten, die sich für das Einbringen der Abgabenforderungen im Falle der Konkurseröffnung ergeben, die Tatbestandsvoraussetzung für die Haftung gegeben ist. Dieses - auch von der belangten Behörde vertretene - Verständnis ergibt sich schon aus der allgemeinen Interpretationsregel, daß dann, wenn ein generell formuliertes Tatbestandselement durch eine demonstrative Aufzählung erläutert wird, die Beispiele die Interpretation der generellen Formulierung zu bestimmen haben (vgl. VfSlg. 9720/1983, 10463/1985).

Eine solche Interpretation ist verfassungsrechtlich aber auch geboten. Würde man der Vorschrift einen Sinn unterstellen, daß schon bei geringen Schwierigkeiten, etwa - wie die Beschwerde erwägt - bei subjektiver Zahlungsunwilligkeit, die Tatbestandsvoraussetzung für die Heranziehung zur Haftung gegeben ist, so käme eine solche Interpretation nach dem vom Verfassungsgerichtshof in derartigen Fällen angelegten Maßstab (vgl. Pkt. II. 3. a), insb. VfSlg. 12008/1989) in Widerspruch zu dem dem Gleichheitsgrundsatz innewohnenden Sachlichkeitsgebot.

bb) Andererseits ist die Haftungsregelung, versteht man sie so, daß sich die Interpretation der Schwierigkeiten für das Einbringen am Beispielsfall der Konkurseröffnung zu orientieren hat, verfassungsrechtlich unbedenklich: Es kann nicht zweifelhaft sein, daß eine solche Regelung - wie dies der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 11942/1988 und 12008/1989 verlangt hat - dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient und daß sie aus einer besonderen Rechtsbeziehung zwischen dem Abgabepflichtigen und dem Haftungspflichtigen erfließt. Die Tatsache, daß ein Verschulden des Haftungspflichtigen und schwere Einbringlichkeit (die vergebliche Versuche der Einbringung beim Primärschuldner und sodann Hindernisse von erheblichem Gewicht im Sinne des oben Gesagten erfordert) beim Abgabepflichtigen als weitere Tatbestandsvoraussetzungen hinzutreten müssen, damit die Haftung des Vertreters besteht, zeigt, daß auch von einer unsachlich-überschießenden Regelung nicht die Rede sein kann.

Der Verfassungsgerichtshof hat daher weder unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips noch unter dem des Gleichheitsgrundsatzes Bedenken gegen die angewendete Rechtsvorschrift. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder eine Rechtsverletzung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes hat daher nicht stattgefunden.

c) Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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