Normen
EMRK Art10 Abs2
TierärzteG §17 Abs1
EMRK Art10 Abs2
TierärzteG §17 Abs1
Spruch:
§17 Abs1 Tierärztegesetz, BGBl. Nr. 16/1975, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 28. Februar 1995 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. §17 Tierärztegesetz verbietet dem Tierarzt im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes jede Art der Werbung für die eigene Berufsausübung.
§17 Tierärztegesetz, BGBl. 16/1975, hat folgenden Wortlaut:
"(1) Dem Tierarzt ist im Zusammenhang mit der Ausübung seines tierärztlichen Berufes jede Art der Werbung für die eigene Berufsausübung verboten.
(2) Dieses Verbot gilt insbesondere für:
- 1. die Ankündigung tarifwidriger oder brieflicher Behandlung (Fernbehandlung);
- 2. die Anbringung zweck- oder standeswidriger Praxisschilder und Verwendung von zweck- oder standeswidrigen Briefköpfen;
- 3. das Aufsuchen von Tierhaltern zum Zwecke des Anbietens tierärztlicher Leistungen ohne Aufforderung durch den Tierhalter.
(3) ..."
2. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B732/93 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen Bescheid der Disziplinarkommission bei der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs richtet, mit dem der Beschwerdeführer für schuldig erkannt wurde, gegen §17 Abs1 iVm. §53 Abs1 Tierärztegesetz verstoßen zu haben.
3. Bei der Beratung über diese Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §17 Abs1 Tierärztegesetz, BGBl. 16/1975, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher mit Beschluß vom 30. November 1993, B732/93, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung eingeleitet.
Der Verfassungsgerichtshof hegte das Bedenken, daß die von der Behörde angewendete, in Prüfung gezogene Regelung zufolge ihres umfassenden Inhaltes mit dem gemäß Art10 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung im Widerspruch stehe.
4. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Bei der - auf Grund der eingangs angeführten Beschwerde - gebotenen Überprüfung des Bescheides der Disziplinarkommission bei der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs ist §17 Abs1 Tierärztegesetz anzuwenden.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes trifft zu:
Der Verfassungsgerichtshof verweist auf sein Vorerkenntnis zum umfassenden Werbeverbot für (Human-)Ärzte vom 30. September 1993, G5/93, sowie auf seine Judikatur zur Meinungsfreiheit (VfSlg. 10948/1986, 12467/1990, 12886/1991, 12942/1991; VfGH 24.2.1992, V313/91 ua.), auf die im zuerst genannten Erkenntnis Bezug genommen wurde.
Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfaßt. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muß sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (Fall Sunday Times, EuGRZ 1979, S. 390; Fall Barthold, EuGRZ 1985, S. 173),
- a) gesetzlich vorgesehen sein,
- b) einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK
genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und
- c) zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein.
§17 Abs1 Tierärztegesetz normiert ein grundsätzliches Werbeverbot, das dem Tierarzt "jede Art der Werbung" untersagt. Die Bestimmung unterbindet dadurch auch für den Kunden nützliche und sachliche Informationen. Der Verfassungsgerichtshof kann keine Umstände erkennen, die nach Art10 Abs2 EMRK ein Werbeverbot für Tierärzte, wie es die in Prüfung gezogene Bestimmung vorsieht, erlauben würden. Im Interesse des Schutzes der Gesundheit, der Moral, des guten Rufes sowie der Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten ist ein derart weitreichendes Werbeverbot nicht erforderlich.
Eine verfassungskonforme Auslegung, wie sie beispielsweise im Erkenntnis VfSlg. 12467/1990 vorgenommen wurde, ist beim erwähnten Wortlaut ausgeschlossen; §17 Abs1 Tierärztegesetz ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.
4. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG 1953.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß den §§7 und 19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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