VfGH B165/94

VfGHB165/9412.10.1994

Keine gesetzliche Deckung der Beschränkung der Zulässigkeit der gemeinsamen Berufsausübung von Rechtsanwälten auf Rechtsanwälte mit demselben Kanzleisitz

Normen

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
RAO §1a Abs2
RAO §21c Z8
RL-BA 1977 §25
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
RAO §1a Abs2
RAO §21c Z8
RL-BA 1977 §25

 

Spruch:

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Am 11. März 1992 meldeten die Rechtsanwälte Dr. Alexander G., Dr. Peter L., Mag. Dr. Roland D. und Dr. Christoph K. beim Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit der Bezeichnung L G K & D

zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften an. Unter Punkt 4 (Kanzleisitz) dieser Anmeldung wurde bemerkt:

"Da eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts als solche nicht die Rechtsanwaltschaft ausüben kann, hat die Gesellschaft auch keinen Kanzleisitz im Sinne der RAO".

2.1. Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 31. März 1992 wurde die Anmeldung "nicht zur Kenntnis genommen".

Hiezu wurde begründend ausgeführt, aus §1a Abs1 und Abs2 Z3 RAO ergebe sich, daß die Angabe eines Kanzleisitzes zwingend sei.

§21a Z7 RAO bestimme, daß die Gesellschaft nur einen Kanzleisitz haben dürfe.

§25 RL-BA 1977 bestimme, daß nur Rechtsanwälte mit demselben Kanzleisitz sich zur gemeinsamen Berufsausübung verbinden dürfen.

Das Fehlen eines Kanzleisitzes der Gesellschaft und der Umstand, daß die vier Antragsteller an zwei verschiedenen Kanzleisitzen ihren Beruf ausüben, stehe einer Kenntnisnahme der angemeldeten Gesellschaft zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften entgegen.

2.2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde von der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) mit Bescheid vom 25. Oktober 1993, Z Bkv 4/92-12, keine Folge gegeben.

Dies wurde im wesentlichen wie folgt begründet:

"Gegenstand der vorliegenden Berufungsentscheidung ... ist allein die Frage, ob die Entscheidung des Ausschusses dem §1a Abs1 und Abs2 Z3 RAO entsprochen hat, ob also - ausgehend von der Anmeldung vom 11. März 1992 - die Eintragung der angemeldeten Gesellschaft zu Recht verweigert worden ist (vgl auch VwGH 12.6.1981, 81/04/0081). Soweit die Berufungswerber daher über ihr Vorbringen in erster Instanz hinaus (und daher von diesem abweichend) eventualiter eine Gesellschaft mit dem Kanzleisitz Wien eingetragen haben wollen, besteht insoweit keine Identität mehr mit ihrem den Gegenstand der Berufungsentscheidung bildenden Begehren, über das der Ausschuß zu entscheiden hatte. Eine Entscheidung über dieses demnach neue Begehren, über das der Ausschuß noch nicht absprechen konnte, ist der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission mithin verwehrt (vgl VwGH 2.5.1976, 1651/74), würde sie sich doch andernfalls eine Kompetenz anmaßen, die ihr diesbezüglich nicht zukommt."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, nämlich des §25 RL-BA 1977 idF des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 1. März 1991, weiters die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §21c Z7 RAO idF BGBl. Nr. 474/1990 sowie die Verletzung der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbstätigkeit behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und bekanntgegeben, daß sie auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

4. Während des Beschwerdeverfahrens wurde §25 RL-BA 1977 idF des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 1. März 1991 mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 1994, V61/94, V72/94, als gesetzwidrig aufgehoben.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

5.1. Die Beschwerdeführer machen geltend, der angefochtene Bescheid verletze sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung. §21c Z7 RAO idF BGBl. Nr. 474/1990 sei verfassungs-, §25 RL-BA idF des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 1. März 1991 sei gesetzwidrig.

Die Verfassungswidrigkeit des §21c Z7 RAO begründen sie mit dem Vorwurf, daß die Bestimmung gegen das Grundrecht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG und gegen das in Art7 B-VG verankerte Sachlichkeitsgebot verstoße. Hintergrund des Filialverbotes, das sich aus §21c Z7 RAO ergebe, sei ein Konkurrenzverbot; es könne dahingestellt bleiben, ob ein solches historisch zu rechtfertigen gewesen sei, aus heutiger Sicht sei es jedenfalls als unvertretbar anzusehen. Durch ein Filialverbot könne weder das Ansehen der Rechtsprechung noch das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten gefördert werden, sodaß es ein zur Zielerreichung ungeeignetes Mittel darstelle. Jedenfalls sei die Schwere des Eingriffes in die Ausübung der rechtsanwaltlichen Tätigkeit nicht verhältnismäßig zu dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe und somit inadäquat. Die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes führe auch zur Unsachlichkeit der Regelung. Der Verstoß gegen das Gleichheitsgebot ergebe sich aber auch aus dem Verhältnis zwischen vergesellschafteten und nicht vergesellschafteten Rechtsanwälten. Der Gesellschafter darf seine anwaltliche Tätigkeit an zwei Kanzleisitzen ausüben, nämlich dem der Gesellschaft und dem eigenen Kanzleisitz; demgegenüber sei gleiches der Gesellschaft und auch den nicht vergesellschafteten Rechtsanwälten verwehrt. Mangels eines vernünftigen Grundes für diese Differenzierung verstoße §21c Z7 RAO auch gegen das aus Art7 B-VG abzuleitende allgemeine Sachlichkeitsgebot.

5.2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat sich zunächst mit der Frage befaßt, ob der vorliegende Fall als (Quasi-)Anlaßfall zu werten ist, was dann zuträfe, wenn die aufgehobene Richtlinie von der belangte Behörde angewendet wurde oder anzuwenden gewesen wäre.

Dies ist jedoch nicht der Fall. Wohl wird in der Begründung des Bescheides erster Instanz vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien §25 RL-BA 1977 zur Begründung des Spruches, daß die Anmeldung der Gesellschaft der Antragsteller nicht zur Kenntnis genommen werde, herangezogen. Im angefochtenen Bescheid erfolgt die Abweisung der Berufung jedoch ausschließlich "aus dem ersten im angefochtenen Bescheid angeführten Grund", nämlich der Nichtnennung eines Kanzleisitzes der Gesellschaft. Diese Rechtsansicht der belangten Behörde wurde nicht auf §25 RL-BA 1977 gestützt. Da zur Begründung des angefochtenen Bescheides diese (aufgehobene) Bestimmung nicht anzuwenden war und auch vom Verfassungsgerichtshof zur Beurteilung der an ihn gerichteten Beschwerde nicht anzuwenden ist, liegt ein (Quasi-)Anlaßfall nicht vor.

5.2.3. Zu §21c Z7 RAO idF BGBl. Nr. 474/1990 war zunächst der Frage nachzugehen, ob diese Bestimmung von der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides implizit angewendet wurde - der Bescheid beruft sich lediglich auf §1a Abs1 und Abs2 Z3 RAO - oder jedenfalls anzuwenden war. Dies kann jedoch im Ergebnis dahingestellt bleiben, weil die behaupteten verfassungsrechtlichen Bedenken vom Verfassungsgerichtshof nicht geteilt werden; hiezu genügt es auf das Erkenntnis vom 29. September 1994, B1886/92, zu verweisen.

5.2.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat auch sonst nicht stattgefunden. Daß der Vollzug mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Fehler belastet wäre, wird von den Beschwerdeführern gar nicht behauptet und ist dem Verfassungsgerichtshof auch nicht erkennbar.

Das Verfahren hat aber auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in anderer Weise wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5.3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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