VfGH B218/94

VfGHB218/9428.11.1994

Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft; kein unverzügliches Inkenntnissetzen des Beschwerdeführers von der weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft; keine umfassende Prüfung der Frage der Rechtmäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft

Normen

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129 ff
EMRK Art5
PersFrSchG 1988 Art1 ff
PersFrSchG 1988 Art6
FremdenG §48
FremdenG §51
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129 ff
EMRK Art5
PersFrSchG 1988 Art1 ff
PersFrSchG 1988 Art6
FremdenG §48
FremdenG §51

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, seinem Vorbringen zufolge ein Staatsangehöriger von Somalia, reiste am 20. September 1993 über Ungarn nach Österreich ein und versuchte am 21. September 1993 mit einem gefälschten britischen Reisepaß in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen. Anläßlich der Paßkontrolle wurde die Fälschung von Beamten der Bayerischen Grenzpolizei erkannt und der Beschwerdeführer Beamten der Bundespolizeidirektion Salzburg übergeben. Mit Bescheid vom 22. September 1993 verhängte die Bundespolizeidirektion Salzburg über den Beschwerdeführer gemäß §41 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), iVm. §57 AVG die Schubhaft, da diese notwendig sei, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit bzw. um die Abschiebung zu sichern. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer persönlich übergeben und sogleich vollzogen. Mit Bescheid der genannten Behörde vom selben Tage wurde über ihn gemäß §18 Abs1 und 2 Z7 FrG ein bis zum 22. September 1998 befristetes Aufenthaltsverbot für das österreichische Bundesgebiet verhängt.

Unter dem 25. Jänner 1994 - beim Unabhängigen Verwaltungssenat Salzburg (im folgenden: UVS) am selben Tag eingelangt - erhob der Beschwerdeführer gemäß §51 FrG Beschwerde mit dem Antrag, es wolle festgestellt werden, daß die Aufrechterhaltung der von der Bundespolizeidirektion Salzburg mit Bescheid vom 22. September 1993 über ihn verhängten Schubhaft jedenfalls seit dem 23. November 1993, somit auch die zwangsweise Anhaltung des Beschwerdeführers im polizeilichen Gefangenenhaus Salzburg im Zeitraum ab dem 23. November 1993 rechtswidrig sei und ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht mehr vorlägen.

Begründend führte der Beschwerdeführer aus, die Voraussetzungen nach §48 Abs4 FrG lägen im gegenständlichen Fall nicht vor; auch sei keine Niederschrift gemäß §48 Abs5 FrG aufgenommen worden. Die belangte Behörde habe die sich aus §48 Abs1 FrG ergebende Verpflichtung, darauf hinzuwirken, daß die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, verletzt. Weiters könne von einer Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft iSd. §41 Abs1 FrG jedenfalls dann nicht mehr die Rede sein, wenn die für den Vollzug der Schubhaft und die Durchführung der Abschiebung verantwortliche Behörde es unterlasse, mit Nachdruck die Voraussetzungen herbeizuführen, daß die beabsichtigte Abschiebung entweder tatsächlich durchgeführt werden könne oder so rasch wie möglich geklärt werde, ob einer derartigen Durchführung faktische oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen.

2. Der UVS wies diese Beschwerde mit Bescheid vom 27. Jänner 1994 als unbegründet ab und stellte die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft als rechtmäßig fest.

Begründend führt der UVS aus:

Gegen den Beschwerdeführer bestehe ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot. Er besitze keine Mittel für seinen Unterhalt und habe keine sonstigen Beziehungen (wie Familienangehörige, Arbeitsplatz oder Wohnung) zu Österreich. Für den Fall der Enthaftung sei somit die Annahme gerechtfertigt, der Beschwerdeführer werde sich dem Zugriff der Behörden entziehen und im Inland untertauchen bzw. neuerlich versuchen, in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen. Die Schubhaft sei daher gemäß §41 FrG notwendig, um die Abschiebung zu sichern. Auch lägen die Voraussetzungen des §48 Abs4 Z3 FrG vor. Aus dem vorgelegten fremdenpolizeilichen Akt ergebe sich eindeutig, daß sich die längere Dauer der Schubhaft alleine aus dem Grund ergebe, daß bislang das angeforderte Heimreisezertifikat der Demokratischen Republik Somalia noch nicht eingelangt sei. Zutreffend sei, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Vorliegen der Voraussetzungen des §48 Abs4 Z3 FrG nicht gemäß §48 Abs5 FrG zur Kenntnis gebracht habe. Nach Ansicht des UVS vermöge dieser Umstand alleine aber nicht die Rechtswidrigkeit der Schubhaft zu begründen. Nach ihrer Formulierung sei die Bestimmung des §48 Abs5 FrG als reine Ordnungsvorschrift anzusehen. Der UVS habe, unabhängig davon, ob dies dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden sei, zu überprüfen, ob tatsächlich Gründe für eine Verlängerung der Schubhaft gemäß §48 Abs4 FrG vorlägen. Dies sei hier zu bejahen, wobei festzuhalten sei, daß die Behörde bis auf das Abfassen von Urgenzschreiben keinerlei Möglichkeit habe, das Ausstellen eines Heimreisezertifikates zu beschleunigen. Eine solche Urgenz sei am 11. Jänner 1994 erfolgt. Die bisherige Schubhaft des Beschwerdeführers erweise sich somit als rechtmäßig. "Für die Frage der weiteren Anhaltung" werde es "gegebenenfalls noch einmal erforderlich sein, das ausständige Heimreisezertifikat zu urgieren, und falls ein solches innerhalb der höchstzulässigen Haftdauer nicht zu erwarten ist, die vorzeitige Enthaftung anzuordnen".

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Schutz der persönlichen Freiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Der UVS als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher der bekämpfte Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde - wie hier des UVS -, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im folgenden: BVG persFr.), und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfGH 7.3.1994, B115/93).

2. Da sich der angefochtene Bescheid auf §48 iVm. §§51 f. FrG und §§67c Abs3 sowie 79a AVG stützt, ist er nicht gesetzlos ergangen.

Bedenken gegen diese gesetzlichen Grundlagen wurden in der Beschwerde nicht vorgetragen und sind auch aus Anlaß dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden (s. VfGH 23.6.1994, B2019/93).

3. Die belangte Behörde hat jedoch einen so schweren Fehler begangen, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist:

3.1. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer am 22. September 1993 in Schubhaft genommen. Die Schubhaft darf gemäß §48 Abs2 FrG außer in den Fällen des Abs4 nicht länger als zwei Monate dauern; hier durfte sie daher längstens bis 22. November 1993 aufrechterhalten werden. Bis zur Entscheidung des UVS am 27. Jänner 1994 wurde der Beschwerdeführer entgegen §48 Abs5 FrG nicht davon in Kenntnis gesetzt, daß er aus dem Grunde des §48 Abs4 FrG weiter angehalten werde. (Ein solches Inkenntnissetzen erfolgte erst am 2. Februar 1994.)

3.2. In seinem Erkenntnis vom 23. Juni 1994, B2019/93, hatte sich der Verfassungsgerichtshof mit einem Beschwerdefall zu befassen, der mit dem vorliegenden vergleichbar ist. Er hat dort im einzelnen dargetan und näher begründet, daß es sich bei dem Inkenntnissetzen gemäß §48 Abs5 FrG um ein wesentliches Element im Rahmen des nach den §§51 f. FrG gegebenen spezifischen Rechtsschutzsystems handelt. In einem geordneten Fremdenpolizeiwesen ergebe sich daraus zwingend, daß unter "unverzüglich" in §48 Abs5 FrG nur ein Inkenntnissetzen des Fremden vor Ablauf der zweimonatigen Schubhaft in Betracht kommt; ob dies unverzüglich erfolgte oder nicht, sei im Einzelfall zu prüfen. Eine Information des Fremden nach Ablauf dieser Frist erweist sich immer als gesetzlos, heißt es in dem genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes weiter.

3.3. Indem die belangte Behörde dies verkannte und die gemäß §51 FrG erhobene Beschwerde als unbegründet abwies, somit die Rechtmäßigkeit der Schubhaft insgesamt, also auch in bezug auf alle gesetzlich vorgesehenen Erfordernisse der Anhaltung (s. hier die Verständigungspflicht gemäß §48 Abs5 FrG), bis zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung feststellte, hat sie einen so schweren Fehler begangen, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist (vgl. VfGH 23.6.1994, B2019/93).

4. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), aber auch auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. VfGH 23.6.1994, B2019/93).

5. Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

III. 1. Der Kostenausspruch stützt

sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.500,-

- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

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