VfGH G76/94

VfGHG76/946.12.1994

Teilweise Zulässigkeit eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Tir RaumOG 1994 über das Verbot von Freizeitwohnsitzen; Baubewilligungsverfahren kein zumutbarer Verwaltungsrechtsweg; Beschränkung des Prüfungsumfangs auf das Verbot von Zubauten; Verstoß gegen das Eigentumsrecht durch das ausnahmslose Verbot von Zubauten zu Freizeitwohnsitzen; unverhältnismäßige, im Allgemeininteresse nicht erforderliche Eigentumsbeschränkung

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
Tir RaumOG 1994 §15
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
Tir RaumOG 1994 §15

 

Spruch:

I. Die Wortfolge "Zubauten und" im ersten Satz des §15 Abs1 des Gesetzes vom 6. Juli 1993 über die Raumordnung in Tirol (Tiroler Raumordnungsgesetz 1994), Landesgesetzblatt für Tirol Nr. 81/1993, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1995 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Das Land Tirol ist schuldig, der Antragstellerin zu Handen ihres Vertreters die mit S 36.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

II. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem auf Art140 Abs1, letzter Satz, B-VG gestützten Antrag wird die Aufhebung des ersten Satzes in §15 Abs1 des Gesetzes vom 6. Juli 1993 über die Raumordnung in Tirol (Tiroler Raumordnungsgesetz 1994), LGBl. für Tirol 81/1993 (im folgenden: TROG 1994), begehrt. Die Antragstellerin ist nach ihrem Vorbringen Eigentümerin einer Liegenschaft in Kitzbühel, auf dem sich ein eingeschossiges Gebäude mit ausgebautem Dachgeschoß befinde. Dieses Wohnhaus werde von der Antragstellerin und ihrer Familie ausschließlich als Freizeitwohnsitz iS des §15 Abs2 TROG 1994 genutzt. Ihre großjährigen Kinder beabsichtigten, eigene Familien zu gründen. Das Wohnhaus in Kitzbühel solle auch ihren Kindern und deren Familien zu Freizeitwohnsitzzwecken zur Verfügung stehen. Dafür sei aber ihr Haus "im derzeit bestehenden Ausmaß nach Einteilung und Raumgröße" nicht geeignet. Deshalb sei die Antragstellerin aus familiären Gründen gezwungen, ihr Wohnhaus zu vergrößern.

§15 Abs1, erster Satz, TROG 1994 greife unmittelbar, eindeutig und aktuell in die Rechtsposition der Antragstellerin als Eigentümerin eines Freizeitwohnsitzes in Tirol ein. Es bestehe keine andere Möglichkeit der Bekämpfung dieser Bestimmung, als einen negativen Baubescheid zu erwirken, um nach Erschöpfung des Instanzenzuges den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG anrufen zu können. Es sei kein Baubewilligungsverfahren anhängig. Für die beabsichtigte bauliche Vergrößerung des Wohnhauses sei eine Bewilligung nach §25 lita der Tiroler Bauordnung, Anlage zur Kundmachung der Tiroler Landesregierung über die Wiederverlautbarung der Tiroler Bauordnung, LGBl. für Tirol 33/1989 (im folgenden: TBO 1989), erforderlich; dazu müßten nach §27 Abs3 litc leg.cit. die erforderlichen Planunterlagen in dreifacher Ausfertigung vorgelegt werden. Die hiefür erforderliche Erstellung von Planunterlagen sowie die damit verbundenen Aufwendungen in Höhe von S 50.000,-- bis S 100.000,-- wären jedoch wegen des absoluten Verbots nach §15 Abs1 TROG 1994 frustriert. Das Beschreiten dieses Weges sei der Antragstellerin iS der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht zumutbar.

2. Die Tiroler Landesregierung bejaht in ihrer auf Grund ihres Beschlusses vom 19. April 1994 erstatteten Äußerung die Antragslegitimation lediglich hinsichtlich der Wortfolge "oder bestehende Freizeitwohnsitze vergrößert", verneint die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit und beantragt, den Antrag, §15 Abs1, erster Satz, TROG 1994 als verfassungswidrig aufzuheben, zurück- bzw. abzuweisen.

3. §15 Abs1 und 2 des TROG 1994 lauten (unter Hervorhebung des angefochtenen Satzes):

"§15

Verbot von Freizeitwohnsitzen

(1) Für Neubauten, die ganz oder teilweise als Freizeitwohnsitze verwendet werden sollen, sowie für Zubauten und Änderungen des Verwendungszweckes von bisher anderweitig verwendeten Gebäuden oder Gebäudeteilen, durch die Freizeitwohnsitze neu geschaffen oder bestehende Freizeitwohnsitze vergrößert werden sollen, darf die Baubewilligung nicht mehr erteilt werden.

Im übrigen dürfen nur mehr Wohnsitze, die

a) im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes nach den raumordnungsrechtlichen Vorschriften rechtmäßig als Freizeitwohnsitze verwendet worden sind oder bei denen sich der Verwendungszweck als Freizeitswohnsitz auf Grund der Baubewilligung ergibt und

b) nach §16 Abs1 rechtzeitig als Freizeitwohnsitze angemeldet worden sind,

als Freizeitwohnsitze verwendet werden. Bescheide, mit denen entgegen dem ersten Satz die Baubewilligung erteilt wird, leiden an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler.

(2) Freizeitwohnsitze sind Gebäude, Teile von Gebäuden oder Wohnungen, die nicht der Befriedigung eines ganzjährigen, mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbundenen Wohnbedürfnisses dienen, sondern zum Aufenthalt während des Urlaubs, der Ferien, des Wochenendes oder sonst nur zeitweilig zu Erholungszwecken verwendet werden. Gastgewerbebetriebe zur Beherbergung von Gästen, Kur- und Erholungsheime, die von öffentlichen Einrichtungen, Betrieben oder Einrichtungen der freien Jugendwohlfahrt erhalten werden, sowie Wohnräume, die im Rahmen der Privatzimmervermietung verwendet werden, gelten nicht als Freizeitwohnsitze."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A: Zur Zulässigkeit:

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985, 11726/1988).

In von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, er habe den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 7726/1975, 11506/1987). Die Grenzen der Aufhebung müssen so gezogen werden, daß einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und daß andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfaßt werden; dies treffe sowohl auf von Amts wegen als auch auf auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zu (VfSlg. 8155/1977, 12465/1990, 13140/1992).

2.1. Das Tiroler Baurecht kennt, anders als jenes anderer Bundesländer, nur ein Baubewilligungs-, nicht auch ein Vorprüfungsverfahren. Im Hinblick darauf ist es nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dem Grundeigentümer nicht zumutbar, allein zum Zwecke, die behauptete Gesetzwidrigkeit der Unzulässigkeit baulicher Maßnahmen aufgrund eines Flächenwidmungs- oder Bebauungsplanes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, die für ein Bauansuchen erforderlichen Planunterlagen anfertigen zu lassen. Vielmehr steht diesen Grundeigentümern hinsichtlich der in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke die Möglichkeit zur Stellung eines Individualantrages zur Geltendmachung behaupteter Gesetzwidrigkeiten solcher auf Verordnungsstufe stehender Pläne vor dem Verfassungsgerichtshof offen (s. VfSlg. 9260/1981, 9947/1984, 9975/1984, 10208/1984, 10277/1984 u.v.a., zuletzt etwa VfSlg. 13117/1992, 13271/1992).

Sinngemäß Gleiches gilt aus denselben Erwägungen für das durch §15 Abs1 TROG 1994 angeordnete Verbot der Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen durch einen Zubau. Die Zulässigkeit eines auf den letzten Satz des Art140 Abs1 B-VG gestützten Individualantrages ist deshalb im Grunde zu bejahen.

2.2. Die Antragstellerin hat ihre Absicht, den bestehenden Freizeitwohnsitz zu vergrößern, näher dargetan. Soferne sich die Anordnungen des ersten Satzes des §15 Abs1 TROG 1994 auf Neubauten sowie die Änderung des Verwendungszweckes von bisher anderweitig verwendeten Gebäuden oder Gebäudeteilen beziehen, durch die Freizeitwohnsitze neu geschaffen werden sollen, kommt daher nach dem Antragsvorbringen eine aktuelle Betroffenheit von vorneherein nicht in Betracht.

Die Antragstellerin beabsichtigt die Errichtung eines Zubaus, durch welchen der bestehende Freizeitwohnsitz vergrößert werden soll. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof wurde die Frage näher erörtert, ob iS der dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Worte "Zubauten und" oder in bezug auf die Wortfolge "oder bestehende Freizeitwohnsitze vergrößert" die Zulässigkeit des Antrages zu bejahen ist; im einen wie im anderen Fall der Aufhebung stünde nämlich der Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den begehrten Zubau das beanstandete Hindernis nicht (mehr) entgegen. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß unter Würdigung aller Umstände der geringere Eingriff in der Beseitigung der Worte "Zubauten und" zu erblicken ist; andernfalls würde nämlich die Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen durch Änderung des Verwendungszweckes von bisher anderweitig verwendeten Gebäuden oder Gebäudeteilen zulässig werden.

2.3. Die Zulässigkeit des Antrages beschränkt sich daher auf die Wortfolge "Zubauten und". Der darüber hinausgehende Antrag war zurückzuweisen (s. VfGH 10.3.1994, G239/93, 30.6.1994, G123,124/93).

B. In der Sache:

1.1. Die Antragstellerin behauptet, die angefochtene Bestimmung des TROG 1994 verletze sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums. Eigentumsbeschränkungen seien nur zulässig, wenn sie im Allgemeininteresse lägen. Übermäßige oder unverhältnismäßige Eingriffe in das Eigentum (und in die Privatautonomie) seien verfassungsrechtlich unzulässig. Es sei daher aus dieser Sicht zu fragen, worin das Allgemeininteresse am Verbot der Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen gelegen sein könne. Den Gesetzesmaterialien zufolge soll nur "das Problem 'Freizeitwohnsitz' raumordnungsrechtlich besser vollziehbar sein". Hätte man jedoch die bislang bestehenden einschlägigen Bestimmungen des Raumordnungs- und des Grundverkehrsrechtes restriktiv angewendet, so hätte die Zunahme der Zweitwohnsitze eingedämmt werden können. Daher sei nicht einsichtig,

"warum bei bereits bestehenden (also bereits vor Inkrafttreten des nunmehrigen Gesetzes erworbenen) 'Freizeitwohnsitzen' ein Vergrößerungsverbot im Allgemeininteresse gelegen sein soll. Insbesondere die ... Abwägung zwischen dem Allgemeininteresse und dem betroffenen Schutzgut - hier Grundrecht auf Eigentum - kann diesfalls nur zugunsten des Eigentums ausgehen, woraus sich ergibt, daß die antragsgegenständliche Bestimmung des Tiroler Raumordnungsgesetzes verfassungswidrig ist. Jedenfalls aber ist es verfassungswidrig, weil §15 Abs1 erster Satz TROG völlig undifferenziert von offenbar allen Freizeitwohnsitzen spricht. Es wird daher etwa der Fall, wie er von mir beabsichtigt ist, nämlich die Errichtung eines Zubaues zu meinem bestehenden Haus gleich behandelt wie etwa der denkbare Fall, daß aus einem beispielsweise bestehenden 3-Familien-Haus ein Appartementhaus entstehen soll."

1.2. Dem hält die Tiroler Landesregierung in ihrer Äußerung entgegen:

"Nach Ansicht der Tiroler Landesregierung liegt jedoch die geltend gemachte Verletzung des Grundrechtes auf Unverletzlichkeit des Eigentums aus folgenden Gründen nicht vor:

Die Verbote nach §15 Abs1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 stellen Eigentumsbeschränkungen dar. Solche Eigentumsbeschränkungen sind den Raumordnungsvorschriften - von ihrem Zweck und typischen Inhalt her gesehen - geradezu immanent. Die Antragstellerin ist insoweit im Recht, als hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Eigentumsbeschränkungen jedenfalls zu prüfen ist, ob sie im öffentlichen Interesse liegen und überdies verhältnismäßig sind (in diesem Zusammenhang ist vor allem auch die wirtschaftliche Zumutbarkeit zu prüfen).

Das öffentliche Interesse an den hier in Rede stehenden raumordnungsrechtlichen Beschränkungen liegt in erster Linie im sparsameren Umgang mit Grund und Boden und in der Wiederherstellung der Möglichkeit, daß sich die ansässige Bevölkerung Wohnungen für den ganzjährigen Wohnbedarf zu einem erschwinglichen Preis schaffen kann. Zur Erreichung dieses Zieles trägt die Eindämmung der Errichtung und des Erwerbes von Freizeitwohnsitzen wesentlich bei.

Die Fläche Tirols umfaßt ca. 12.650 km2. Davon sind dauernd besiedelbar nur ca. 1.700 km2 oder 13,5 v.H., nämlich die landwirtschaftlichen Intensivflächen, Gärten, Verkehrsflächen und Bauflächen in den Tälern und auf den begleitenden Terrassen und Hängen sowie Hangleisten bis zur unteren Waldgrenze. Der Wald nimmt mit 4.400 km2 knapp 35 v.H. der Landesfläche ein, die Almen knapp 27 v.H., während der Rest (Gewässer, unproduktive Flächen und alpines Ödland) etwa 25 v.H. der Landesfläche ausmacht (vgl. Barnick, Raumordnung und umfassender Bodenschutz, in: ÖROK (Hrsg.), Raumordnung und umfassender Bodenschutz, 1988, S. 10). Dieses 'Netto Tirol', untersucht man es näher auf seine Eignung für Siedlungszwecke, schränkt sich allerdings noch weiter ein (Hangneigung über 20 v.H., auch über 40 v.H., zu erhaltender Waldbestand, von Lawinen, Wildbächen u.a. gefährdete Bereiche, gesetzliche Nutzungsbeschränkungen wie z.B. Quell- und Grundwasserschutz). Die gesamte theoretisch für die Besiedlung im Sinne von Wohnbau geeignete Fläche dürfte höchstens 800 km2 oder ca. 6,4 v.H. der Landesfläche betragen (Fischler, Tirol ein knapper Siedlungsraum, in: Sozialer Wohnbau in Tirol, 1987, S. 24).

Die Häuser- und Wohnungszählung 1991 des Österreichischen Statistischen Zentralamtes beziffert die Zahl der Wohnungen in Tirol mit Nebenwohnsitzangabe oder ohne Wohnsitzangabe mit rund

34.200 (das sind 13,4 v.H. des Gesamtbestandes) und weist davon ca. 21.300 Wohnungen als Ferienwohnungen aus. Aus früheren Jahren sind zwar nur spärliche Daten vorhanden, sie lassen aber doch den Schluß zu, daß in den letzten 20 Jahren die Zahl der Freizeitwohnsitze in Tirol viel stärker zugenommen hat als die Zahl der Hauptwohnsitze. Zudem bestehen berechtigte Zweifel, daß in der Häuser- und Wohnungszählung 1991 tatsächlich alle Freizeitwohnsitze erfaßt wurden. Es wird vielmehr davon auszugehen sein, daß vor allem bei Freizeitwohnsitzen im Freiland nur ein geringer Erfassungsgrad vorliegt, sodaß insgesamt sicher ein wesentlich höherer Bestand an Freizeitwohnsitzen gegeben ist, als die vorliegenden Daten dies besagen.

Angesichts der Enge des Siedlungsraumes, der dadurch bedingten Notwendigkeit eines besonders haushälterischen Umganges mit Grund und Boden, weiters auf Grund der von der Freizeitwohnsitzentwicklung ausgehenden preistreibenden Wirkung auf den Immobilienmarkt, der dadurch zunehmend schwieriger werdenden Wohnraumbeschaffung für die ansässige Bevölkerung, der damit wiederum verknüpften Verstärkung der Zersiedlungstendenzen sowie letztlich auch der verstärkten finanziellen Belastung der Gemeinden durch unwirtschaftliche und kostspielige Erschließungen und überhöhte Kosten für die Bereitstellung und Erhaltung der Infrastruktur, konnte ein Fortschreiten der bisherigen Entwicklung der Freizeitwohnsitze im Interesse der geordneten Gesamtentwicklung des Landes nicht weiter hingenommen werden.

Da der allergrößte Teil Tirols grundsätzlich als Standort für Freizeitwohnsitze attraktiv ist, konnte eine Lösung des Problems auch nicht darin liegen, die Weiterentwicklung nur in den derzeit schon mit Freizeitwohnsitzen überlasteten Gebieten zu stoppen und eine Verlagerung der Entwicklung der Freizeitwohnsitze auf die übrigen Landesteile zuzulassen. Auch im Hinblick auf eine verantwortungsvolle Zukunftsvorsorge im Sinne des Grundsatzes der Aberörtlichen Raumordnung nach §2 lita des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 mußte verhindert werden, daß eine in den mit Freizeitwohnsitzen belasteten Zonen als falsch erkannte Entwicklung in den derzeit noch weniger betroffenen Gebieten weiterhin zugelassen wird.

Aus all diesen Überlegungen ergab sich die Notwendigkeit, die Schaffung von Freizeitwohnsitzen generell zu stoppen (s. Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 zu §15).

Die Eindämmung der Freizeitwohnsitze liegt aber auch im tourismuspolitischen Interesse des Landes Tirol. Es ist schon aus der Definition des Begriffes 'Freizeitwohnsitz' (§15 Abs2 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994) erkennbar, in welche Richtung die Unterbringung von Touristen gehen soll. Nicht in individuellen Freizeitwohnsitzen, die bodenintensiv sind und auch sonst wichtigen raumordnungspolitischen Zielsetzungen zuwiderlaufen, soll der Aufenthalt erfolgen, sondern in den verschiedenen Arten der erwerbsmäßigen Beherbergungsbetriebe.

Welch große Bedeutung dem Problem der Zweitwohnsitze (das Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 verwendet den Begriff Freizeitwohnsitz, weil es in Tirol nur um jene Zweitwohnsitze geht, die für Freizeitzwecke verwendet werden) zukommt, zeigt sich auch daran, daß die Frage der Zweitwohnsitze in den Verhandlungen sowohl über das EWR-Abkommen als auch über den EU-Beitritt eine zentrale Rolle gespielt hat.

So läßt das EWR-Abkommen (siehe Anhang XII Z. 1 lite) Beschränkungen für den Erwerb von Zweitwohnsitzen zu. Nach dem Ergebnis der EU-Beitrittsverhandlungen soll in die Beitrittsakte ein Artikel mit folgendem Wortlaut aufgenommen werden:

'Abweichend von den Verpflichtungen im Rahmen der Verträge, die die Grundlagen der Europäischen Union bilden, kann die Republik Österreich ihre bestehenden Rechtsvorschriften in bezug auf Zweitwohnungen ab dem Zeitpunkt des Beitrittes für einen Zeitraum von fünf Jahren beibehalten.'

Ferner wird in den Annex des Beitrittsvertrages eine gemeinsame Erklärung aufgenommen, wonach die einzelnen Mitgliedstaaten keine Bestimmung des gemeinschaftlichen Besitzstandes hindert, auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene Maßnahmen betreffend Zweitwohnungen zu treffen, sofern sie aus Gründen der Raumordnung, der Bodennutzung und des Umweltschutzes erforderlich sind und ohne direkte oder indirekte Diskriminierung von Staatsangehörigen einzelner Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand angewendet werden.

Das besondere öffentliche Interesse an der Eindämmung der Zweitwohnsitze wird schließlich auch durch die Schaffung der Ermächtigung zur Erhebung einer Zweitwohnsitzabgabe im §14 Abs1 Z. 2 des Finanzausgleichsgesetzes 1993 unterstrichen.

In Tirol ist das raumordnungspolitisch und tourismuspolitisch vertretbare Ausmaß an Freizeitwohnsitzen in bestimmten Gebieten bereits erheblich überschritten. Durch das Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 soll daher eine weitere Freizeitwohnsitzentwicklung gestoppt werden. Diese Maßnahme entspricht nach Ansicht der Tiroler Landesregierung aus folgenden Erwägungen auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Durch das Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 wird in bestehende Nutzungsrechte nicht eingegriffen. Ein schon bisher rechtmäßig verwendeter Freizeitwohnsitz - wie dies beim Wohnhaus der Antragstellerin der Fall sein dürfte - kann bei entsprechender Anmeldung aufrechterhalten werden.

§15 Abs1 erster Satz des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 darf auch nicht isoliert gesehen werden, sondern es muß vielmehr der Gesamtzusammenhang beachtet werden. Mit den §§15 und 16 leg.cit. wurde insgesamt ein Regelungssystem geschaffen, das nicht nur alle im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes rechtmäßig bestandenen Freizeitwohnsitze als solche weiterbestehen läßt, sondern darüberhinaus für berechtigte Fälle auch Ausnahmebestimmungen vorsieht. Auf §15 Abs3 leg.cit. wird in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen. §15 Abs1 erster Satz des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 wird daher nach Ansicht der Tiroler Landesregierung auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit gerecht."

2. Durch die Wortfolge "Zubauten und" im ersten Satz des §15 Abs1 TROG 1994 wird die Erteilung von Baubewilligungen zur Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen durch Zubauten ausnahmslos verboten. Dieses ausnahmslose Verbot der Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen verstößt gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 des (Ersten) Zusatzprotokolls zur EMRK:

2.1. §15 TROG 1994, der für Tirol die Erteilung einer Baubewilligung für genau umschriebene Vorhaben verbietet, stellt zwar keine Enteignung, wohl aber eine Eigentumsbeschränkung insoweit dar, als damit auch die Vergrößerung bestehender Freizeitwohnsitze durch Zubauten verboten wird. Im Sinne der Begriffsbestimmung des §3 Abs6 TBO 1989 ist unter Zubau die Vergrößerung eines bestehenden Gebäudes durch die Herstellung neuer oder die Erweiterung bestehender Räume zu verstehen. Anbau ist danach ein Zubau in waagrechter Richtung, Aufbau ein Zubau in lotrechter Richtung (vgl. zu durch Flächenplanwidmungen bewirkten Bauverboten bzw. Baubeschränkungen etwa VfSlg. 11209/1987, 12560/1990, 13014/1992).

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu VfSlg. 6780/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur, VfSlg. 9189/1981, 12227/1989, 12998/1992) gilt der erste Satz des Art5 StGG ebenso für Eigentumsbeschränkungen, auf die sich allerdings auch der im zweiten Satz des zitierten Artikels festgelegte Gesetzesvorbehalt erstreckt: Der Gesetzgeber kann daher verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (vgl. VfSlg. 9189/1981), soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. VfSlg. 9911/1983, 11402/1987, 12227/1989) und nicht unverhältnismäßig ist (VfGH 14.10.1993, B1633/92, 17.12.1993, G48/93, V13/93).

2.3. Auch ein gesetzliches Verbot der Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen durch Zubauten beliebiger Art und Zweckwidmung ist sohin verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn es gemäß dem zweiten Absatz des Art1 des (Ersten) Zusatzprotokolls zur EMRK "in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse ... erforderlich" ist.

Ein solches Allgemeininteresse an der angegriffenen Regelung tut die Äußerung der Tiroler Landesregierung nicht dar. Sie beschränkt sich vielmehr - ebenso wie schon die Erläuterungen zum Entwurf eines Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994, Beilage 2 zu den Protokollen des Tiroler Landtages XI. Periode, 4. Sitzung der 9. Tagung am 6., 7. und 8. Juli 1993, S 45 ff. - darauf, ein solches öffentliches Interesse an Regelungen über das Verbot der Errichtung von Freizeitwohnsitzen aufzuzeigen.

Ungeachtet dessen ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, daß ein Teil dieser Erwägungen an sich auch für Regelungen über die Unzulässigkeit der Erteilung einer Baubewilligung für die Vergrößerung bestehender Freizeitwohnsitze Geltung beanspruchen kann. So vermag etwa der Verfassungsgerichtshof prinzipiell durchaus ein öffentliches Interesse daran zu erkennen, daß solche Regelungen auch dazu beitragen können, daß die Bevölkerung des Landes Tirol in ausreichendem Maße mit Wohnraum versorgt wird. Auch auf die Erweiterung von Freizeitwohnsitzen zurückgehende zusätzliche finanzielle Belastungen der Gemeinden hinsichtlich Erschließungs- und Infrastrukturkosten sind in diesem Zusammenhang nicht zu übersehen.

Doch bedarf es hier keiner näheren Erörterung der Tragfähigkeit dieser Erwägungen im einzelnen: Die angegriffene Wortfolge im ersten Satz des §15 Abs1 TROG 1994 verbietet nämlich die Erteilung einer Baubewilligung für Zubauten, durch die bestehende Freizeitwohnsitze vergrößert werden, ohne jede Ausnahme. Es ist nun aber offenkundig, daß eine derart weitgehende Regelung, die auch sinnvolle bauliche Maßnahmen, wie etwa Vergrößerungen in Zusammenhang mit sanitären Maßnahmen, mit der Vergrößerung der Familie, mit der Übernahme von Eltern in Pflege bzw. mit der Nutzbarmachung für Behinderte udgl. absolut ausschließt, nicht als im öffentlichen Interesse liegend erachtet werden kann und sich insofern auch als unverhältnismäßig und überschießend erweist. Auch der Einwand, daß durch eine derart weitgehende Regelung Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden sollten, vermag daran nichts zu ändern; vielmehr ist es Sache des Landesgesetzgebers, eine verfassungskonforme Abgrenzung zu schaffen.

3. Die Worte "Zubauten und" im ersten Satz des §15 Abs1 TROG 1994 stellen somit eine im Allgemeininteresse nicht erforderliche und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung dar; sie verstoßen gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 des (Ersten) Zusatzprotokolls zur EMRK; sie waren deshalb aufzuheben.

III.1. Der Ausspruch, daß die Aufhebung mit dem Ablauf des 31. Dezember 1995 in Kraft tritt, stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG, jener, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6, erster Satz, B-VG.

2. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Tirol zur Kundmachung erfließt aus Art140 Abs5, erster Satz, B-VG und §64 Abs2 VerfGG 1953.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §65a VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 6.000,-- enthalten.

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