VfGH G193/91

VfGHG193/9127.2.1992

Aufhebung der Bestimmung über die Zusammensetzung der Schiedskommission nach der Kärntner Krankenanstaltenordnung 1978; Verstoß gegen die nach Art6 EMRK gebotene Unparteilichkeit der Mitglieder eines Tribunals infolge Zugehörigkeit des Direktors des Kontrollamtes zur Schiedskommission

Normen

EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
Krnt KAO 1978 §66 Abs10
Krnt KAO 1978 §66 Abs11
Krnt KAO 1978 §67 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
Krnt KAO 1978 §66 Abs10
Krnt KAO 1978 §66 Abs11
Krnt KAO 1978 §67 Abs2

 

Spruch:

Der erste Satz des §67 Abs2 der Krankenanstaltenordnung 1978, Anlage zur Kundmachung der Landesregierung vom 13. September 1977, Zl. Verf-61/1/77, über die Wiederverlautbarung der Krankenanstaltenordnung (KAO), LGBl. für Kärnten Nr. 34/1978, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1992 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Kärnten ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B755/90 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, welche sich gegen einen Bescheid der Schiedskommission nach der Kärntner Krankenanstaltenordnung 1978 vom 11. Mai 1990 richtet. Mit diesem Bescheid wurde ausgesprochen, daß der Pflegegebührenersatz für das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in St. Veit/Glan jeweils dem Pflegegebührenersatz für das Landeskrankenhaus Villach zu entsprechen hat und daß der abzuschließende Krankenanstaltenvertrag im übrigen, also mit Ausnahme des neu festgesetzten Pflegegebührenersatzes, dem Krankenanstaltenvertrag vom 10. Juli 1975 zwischen dem Konvent der Barmherzigen Brüder in St. Veit/Glan und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger in der zuletzt maßgeblichen Fassung entspricht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht werden und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2. Bei der Beratung über die Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des ersten Satzes des §67 Abs2 der Krankenanstaltenordnung 1978, Anlage zur Kundmachung der Landesregierung vom 13. September 1977, Zl. Verf-61/1/77, über die Wiederverlautbarung der Krankenanstaltenordnung (KAO), LGBl. für Kärnten Nr. 34/1978 (im folgenden: Ktn. KAO), entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 14. März 1991 die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen beschlossen.

3. §67 Ktn. KAO - die in Prüfung gezogene Regelung ist hervorgehoben - lautet:

"§67

Schiedskommission

(1) Zur Schlichtung oder Entscheidung von Streitigkeiten (§66 Abs10 und 11) wird beim Amt der Kärntner Landesregierung eine Schiedskommission errichtet.

(2) Die Schiedskommission besteht aus dem Direktor des Landeskontrollamtes und je einem von den Streitteilen zu berufenden Beisitzer. Die Sitzungen der Schiedskommission sind vom Vorsitzenden unter Bekanntgabe der Tagesordnung rechtzeitig einzuberufen. Eine Entscheidung der Schiedskommission kommt rechtsgültig zustande, wenn sämtliche Mitglieder anwesend sind und sich die Mehrheit für diese Entscheidung ausgesprochen hat. Die Entscheidung der Schiedskommission unterliegt keinem administrativen Rechtszug.

(3) (Verfassungsbestimmung) Die Mitglieder der Schiedskommission sind in Ausübung dieses Amtes an keine Weisungen gebunden.

(4) Auf das Verfahren der Schiedskommission finden die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes Anwendung."

4. Der Verfassungsgerichtshof ging im Einleitungsbeschluß vorläufig davon aus, daß er aufgrund der an ihn gerichteten Beschwerde auch zu beurteilen habe, ob die belangte Behörde verfassungsmäßig zusammengesetzt war und daß deshalb der in Prüfung gezogenen Regelung Präjudizialität iSd Art140 Abs1 B-VG zukomme.

Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung Bedenken wegen Verstoßes gegen das in Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Entscheidung über "civil rights" durch ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Tribunal und legte diese wie folgt dar:

"§67 Abs1 KtnKAO beruft die Schiedskommission zur Schlichtung oder Entscheidung von Streitigkeiten gemäß §66 Abs10 und 11 KtnKAO, also zur Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche iSd Art6 Abs1 MRK (vgl. auch die Überschrift zu §66 KtnKAO ('Privatrechtliche Verträge zwischen Krankenversicherungsträger und öffentlichen Krankenanstalten') sowie VfSlg. 7889/1976). Nach §67 Abs2 Satz 1 KtnKAO hat jeweils der Direktor des Landeskontrollamtes als Vorsitzender der Schiedskommission zu fungieren; die Funktion des Direktors des Kontrollamtes ist somit ex lege mit jener des Vorsitzenden der Schiedskommission verbunden.

§2 Abs1 des (Kärntner) Gesetzes über das Kontrollamt, LGBl. Nr. 44/1977 (im folgenden: KtnKAG), bestimmt, daß der Leiter des Kontrollamtes vom Landtag aus dem Stande der Landesbeamten zu bestellen ist und daß er nur dem Landtag verantwortlich ist; der Leiter des Kontrollamtes führt die Bezeichnung Direktor des Kontrollamtes. Ansonsten finden sich weder in diesem Gesetz noch in anderen gesetzlichen Vorschriften für das Land Kärnten organisationsrechtliche Bestimmungen, die die rechtliche Stellung des Direktors des Kontrollamtes näher regeln.

Da sich keine Bestimmung darüber findet, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen eine Abberufung des Leiters des Kontrollamtes von seiner Funktion zulässig ist, geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die Regelung des §1 Abs3 iVm §2 Abs1 KtnKAG, wonach der Direktor des Kontrollamtes nur dem Landtag verantwortlich ist, dessen jederzeitige Abberufbarkeit in sich schließt (in diese Richtung deutet VfSlg. 2776/1954; vgl. auch Koja, Das Verfassungsrecht der Bundesländer, 2. Auflage, Wien 1989, 293); dies auch mit Wirkung für seine Stellung als Vorsitzender der Schiedskommission.

Schon dies scheint dem Verfassungsgerichtshof mit dem Anspruch auf Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Tribunals unvereinbar. Dazu kommen aber auch Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aus folgenden Gründen:

Wenn §67 Abs2 erster Satz KtnKAO den Direktor des Kontrollamtes für jedes Verfahren vor der Schiedskommission zum Vorsitzenden beruft - und zwar neben zwei Beisitzern, die jeweils von den beiden Streitparteien zu nominieren sind - so gilt dies auch für jene Fälle, in denen das Land Kärnten selbst als eine der beiden Streitparteien - nämlich insbesondere als Träger einer Krankenanstalt gegen den zum Ersatz der Pflegegebühren verpflichteten Träger der Sozialversicherung - involviert ist. Stellt das Land Kärnten aber in solchen Fällen nicht nur einen Beisitzer der insgesamt bloß aus drei Mitgliedern bestehenden Schiedskommission, sondern zudem auch noch den Vorsitzenden, der in seiner Funktion als Leiter des Kontrollamtes mit der Prüfung der Finanzgebarung des Landes auf Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit befaßt ist, so scheint dies mit den Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines dem Art6 Abs1 MRK entsprechenden Tribunals nicht vereinbar zu sein (vgl. in diesem Zusammenhang auch VfSlg. 10639/1985, aber auch das Urteil des EGMR vom 23. Juni 1981, EuGRZ 1981, 454)."

5. Die Kärntner Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die in Prüfung gezogene Regelung im wesentlichen wie folgt verteidigt:

"3. Die Kärntner Landesregierung erachtet die vom Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß gegen §67 Abs1 erster Satz KAO erhobenen Bedenken wegen Verstoßes gegen das in Art6 Abs1 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Entscheidung über 'civil rights' durch ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Tribunal für nicht begründet:

a) Im Einklang mit dem Verfassungsgerichtshof nimmt die Kärntner Landesregierung an, daß die Schiedskommission zur Entscheidung über 'zivilrechtliche Ansprüche' im engeren Sinn berufen ist (vgl. VfSlg. 7889/1976, VfGH B829/89 28. September 1990); die Schiedskommission muß daher entsprechend den Garantien des Art6 Abs1 MRK als unabhängiges, unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Tribunal eingerichtet sein.

b) Entgegen der vorläufigen Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes im Einleitungsbeschluß vertritt die Kärntner Landesregierung jedoch die Rechtsmeinung, daß die Schiedskommission den in organisationsrechtlicher Hinsicht an ein Tribunal zu stellenden Anforderungen genügt:

aa) Auszugehen ist zunächst von der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, daß das Nichtbestehen einer Regelung über die Amtsdauer der Mitglieder einer Kollegialbehörde die jederzeitige Abberufung dieser Mitglieder durch die zu ihrer Bestellung zuständigen Organe ermöglicht. Hingegen bedeutet die Normierung einer Amtsdauer grundsätzlich die Unabberufbarkeit der Mitglieder während dieser Dauer. Nach Ansicht der Kärntner Landesregierung muß nun die Amtsdauer den die Organisation dieser Kollegialbehörde regelnden Vorschriften erfolgen. Eine - einer jederzeitigen Abberufbarkeit entgegenstehende - Determinierung der Amtsdauer kann sich vielmehr auch aus anderen, die Rechtstellung der Mitglieder von Kollegialbehörden regelnden Rechtsvorschriften ergeben.

Von Bedeutung ist im gegebenen Zusammenhang auch eine strenge Unterscheidung zwischen der Befugnis, Organe zu bestellen und der gegenteiligen Befugnis, sie wieder abzuberufen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ergibt sich die letztere Befugnis keineswegs bereits aus der erstgenannten Befugnis, sondern muß vielmehr in einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung begründet sein (vgl. VfSlg. 2776/1954).

bb) Art61 Abs3 L-VG sowie §1 Abs3 in Verbindung mit §2 Abs1 KAG bestimmen gleichlautend, daß der Leiter des Kontrollamtes vom Landtag aus dem Stand der Landesbeamten zu bestellen ist und nur diesem verantwortlich ist. Daraus folgt zunächst, daß zum Leiter des Kontrollamtes nur ein Landesbeamter bestellt werden kann und der Leiter des Kontrollamtes auch in dieser Funktion Landesbeamter bleibt. Bei der Beantwortung der Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen der Leiter des Kontrollamtes von seiner Funktion abberufen werden kann, sind somit die (landes-)dienstrechtlichen Vorschriften über die Abberufung von Landesbeamten mit heranzuziehen.

cc) Im Erkenntnis VfSlg. 11151/1986 hat der Verfassungsgerichtshof unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, daß 'das historisch überkommene Begriffsbild des Berufsbeamten' von bundesverfassungswegen sowohl für den Bundes- als auch für den Landesgesetzgeber bindend sei. Als elementare Grundsätze des (historisch überkommenen) Berufsbeamtentums gelten insbesondere, daß das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis grundsätzlich auf Lebenszeit angelegt ist, das Dienstverhältnis nur durch disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Maßnahmen aufgelöst werden kann und befristete Dienstverhältnisse nur in Ausnahmefällen 'wegen der besonderen Natur der Dienstleistung' zulässig sind.

Daraus folgt nach Auffassung der Kärntner Landesregierung bereits von verfassungswegen, daß die Abberufung des Leiters des Kontrollamtes aus seiner Funktion, die er - wie ausgeführt - als Landesbeamter (Berufsbeamter) ausübt, ohne daß dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen wäre, nicht möglich ist, sofern nicht durch strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Maßnahmen das Dienstverhältnis selbst aufgelöst wird.

dd) Eine ausdrückliche (einfachgesetzliche) Regelung über die Abberufung eines Landesbeamten aus seiner Funktion enthalten die §§38 ff des Kärntner Dienstrechtsgesetzes, LGBl. Nr. 35/1985, idgF. Insbesondere §40 leg.cit. regelt die 'Abberufung' des Beamten 'von seiner bisherigen Verwendung' und schafft so jene ausdrücklichen gesetzlichen Grundlagen, die es als unzulässig erscheinen lassen, davon auszugehen, daß der Leiter des Kontrollamtes aus seiner Funktion jederzeit abberufbar sei. Die Frage der Abberufung des Leiters des Kontrollamtes ist somit - wie auch sonst bei Kärntner Landesbeamten, die Funktionsträger sind - eine Frage der Anwendung des §40 des Kärntner Dienstrechtsgesetzes.

Aus §40 in Verbindung mit §38 des Kärntner Dienstrechtsgesetzes ergibt sich, daß eine Abberufung (von Amts wegen) nur zulässig ist, wenn 'ein wichtiges dienstliches Interesse daran besteht', und daß eine solche mit Bescheid (§38 Abs5 leg.cit.) zu verfügen ist. Der Begriff des 'wichtigen dienstlichen Interesses' stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen unbestimmten Gesetzesbegriff dar, dessen Auslegung sich an normativen Inhalten zu orientieren hat (VwGH 88/12/0164 6. Feber 1989; vgl. auch VwSlg. 8230/A). Die bescheidmäßig zu verfügende Abberufung unterliegt überdies der Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts.

ee) Nach Auffassung der Kärntner Landesregierung kommt daher dem Bedenken, der Leiter des Kontrollamtes sei (auch mit Wirkung für seine Stellung als Vorsitzender der Schiedskommission gemäß §67 KAO) jederzeit abberufbar, keine Berechtigung zu. Es besteht somit auch keineswegs die Möglichkeit, auf die Zusammensetzung der Schiedskommission - (allenfalls) willkürlich - Einfluß zu nehmen. Vielmehr ergeben sich aus dem normativen Zusammenhang der maßgeblichen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen, unter denen der Leiter des Kontrollamtes von seiner Funktion abberufen werden darf und verbieten damit die Abberufung, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Damit ist aber die in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes geforderte (relative) Unabsetzbarkeit (vgl. VfSlg. 11872/1988) auch des Vorsitzenden der Schiedskommission gewährleistet.

ff) Würde eine dem Gesetz widersprechende Abberufung dennoch erfolgen (etwa um auf die Zusammensetzung der Schiedskommission in unzulässiger Weise Einfluß zu nehmen), so hätte dies zur Folge, daß in der Sache selbst eine gesetzwidrig zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hätte; gegen einen solchen Bescheid könnten die Streitparteien beim Verfassungsgerichtshof (mit der Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein) oder beim Verwaltungsgerichtshof (mit der Behauptung, die Behörde sei unzuständig gewesen) Beschwerde erheben (vgl. VfSlg. 11872/1988).

4. a) Der Verfassungsgerichtshof hegt des weiteren Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedskommission im Sinne des Art6 Abs1 MRK deswegen, weil §67 Abs2 erster Satz KAO den Leiter des Kontrollamtes für jedes Verfahren vor der Schiedskommission zum Vorsitzenden berufe, so auch in jenen Fällen, in denen das Land Kärnten selbst als eine der Streitparteien - insbesondere als Träger einer Krankenanstalt - involviert sei. Der Umstand, daß das Land Kärnten in derartigen Fällen nicht bloß einen der Beisitzer, sondern zudem auch noch den Vorsitzenden der Schiedskommission stelle, scheine mit den sich aus Art6 Abs1 MRK ergebenden Anforderungen für ein Tribunal nicht vereinbar zu sein.

Auch diesem Bedenken kommt nach Auffassung der Kärntner Landesregierung keine Berechtigung zu:

b) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kommt es für die Tribunalqualität eines rechtsprechenden Organs darauf an, daß dieses bestimmte Kriterien (wie insbesondere Unabhängigkeit sowohl gegenüber der Exekutive als auch gegenüber dem jeweiligen Verfahrensbeteiligten und (längere) Amtsdauer der Mitglieder) aufweist (vgl. etwa das Urteil im Fall 'Le Compte' vom 23. Juni 1981, EuGRZ 1981, S 551 ff. mwH., weiters den Fall 'Sramek', EuGRZ 1985, S 336 ff.). Der Verfassungsgerichtshof hat sich im hier maßgeblichen Bereich der Rechtsprechung des EGMR angeschlossen (vgl. z.B. VfSlg. 10639/1985 ua.).

aa) Die Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive schließt insbesondere einen Weisungszusammenhang aus. Sowohl Art61 L-VG (diese Vorschrift deckt sich im wesentlichen mit den einschlägigen Regelungen der außer Kraft getretenen Landesverfassung LGBl. Nr. 2/1946) als auch die §§1 Abs3 in Verbindung mit 2 Abs1 KAG tragen diesem (bundes-)verfassungsrechtlichen Gebot insofern Rechnung, als sie dem Leiter des Kontrollamtes in seinem Haupttätigkeitsbereich eine von der Landesregierung unabhängige Stellung vermitteln.

Auch die in den zitierten Gesetzesbestimmungen normierte 'Verantwortlichkeit' des Leiters des Kontrollamtes gegenüber dem Landtage kann im Lichte einer gebotenen verfassungskonformen Interpretation keinesfalls so verstanden werden, daß dadurch eine - (auch) willkürliche - Einflußnahme auf die Tätigkeit des Leiters des Kontrollamtes als Vorsitzender der Schiedskommission gemäß §67 KAO ermöglicht würde. Hinzu kommt überdies, daß durch die Verfassungsbestimmung des §67 Abs3 KAO die Mitglieder der Schiedskommission (und damit auch der Leiter des Kontrollamtes als ihr Vorsitzender) in Ausübung dieses Amtes ausdrücklich weisungsfrei gestellt werden.

Allein der Umstand, daß der Leiter des Kontrollamtes zwingend ein 'Landesbeamter' sein muß (vgl. dazu 3.b) bb), steht aber unter dem Gesichtspunkt des Art6 Abs1 MRK seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Schiedskommission grundsätzlich nicht entgegen (vgl. das Urteil des EGMR vom 22. Oktober 1984 im Fall 'Sramek', EuGRZ 1985, S 336 ff. und VfSlg. 10639/1985).

Es trifft somit die These des in Rede stehenden

verfassungsgerichtlichen Bedenken, daß '... das Land Kärnten ...

nicht nur einen Beisitzer der ... Schiedskommission, sondern zudem

auch noch den Vorsitzenden' stellt, in dieser Form nicht zu. Vielmehr wird ein bereits in seiner Funktion als Leiter des Kontrollamtes mit besonderen Garantien der Unabhängigkeit ausgestatteter Funktionsträger zusätzlich zum Vorsitzenden einer Kollegialbehörde berufen und für diesen Tätigkeitsbericht (gemeint wohl: Tätigkeitsbereich) überdies durch Verfassungsbestimmung ausdrücklich weisungsfrei gestellt.

bb) Die im Lichte des Art. 6 Abs1 MRK gleichfalls geforderte Unabhängigkeit gegenüber den Parteien des Verfahrens wird als Gebot einer gewissen Unbefangenheit gegenüber den Streitparteien verstanden. Auch diesem verfassungsrechtlichen Gebot entspricht die Organisation der Schiedskommission, zumal gemäß §67 Abs4 KAO auf das Verfahren vor der Schiedskommission die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes Anwendung finden, so auch dessen §7 über die Befangenheit von Verwaltungsorganen.

cc) Den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich mangelnder Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedskommission infolge des Umstandes, daß als ihr Vorsitzender neben einem weiteren (unter Umständen) vom Land Kärnten zu bestellenden Beisitzer der Leiter des Kontrollamtes (siehe dazu bereits 4. b) bb)) fungiert, ist überdies entgegenzuhalten, daß der Vorsitzende der Schiedskommission keinesfalls als 'persönliches Sprachrohr' des Landes Kärnten tätig wird. Die Berufung des Leiters des Kontrollamtes zum Vorsitzenden der Schiedskommission knüpft einerseits an den Umstand seiner im besonderen Ausmaße gegebenen Unabhängigkeit in seiner erstgenannten Funktion an und soll andererseits die aus einer (Haupt-)Tätigkeit resultierenden besonderen Kenntnisse und Erfahrungen in die Aufgabenbesorgung der Schiedskommission einbringen.

Es kann nicht micht Recht behauptet werden, daß der Leiter des Kontrollamtes in seiner Funktion als Vorsitzender der Schiedskommission als Vertreter der spezifischen Interessen des Landes Kärnten tätig ist, zumal nach der Rechtsprechung des EGMR die persönliche Unparteilichkeit eines Mitgliedes eines Tribunales 'bis zum Beweis des Gegenteils' unterstellt werden muß (vgl. dazu insbesondere das Urteil vom 23. Juni 1981 im Fall 'Le Compte', aaO., hier S 554).

Im Lichte dieser Ausführungen wird auch deutlich, daß ein allfälliger Verstoß gegen das Gebot der 'Unparteilichkeit' im Sinne des Art6 Abs1 MRK allenfalls der Vollziehung, keineswegs jedoch der in Prüfung gezogenen organisationsrechtlichen Vorschriften anzulasten wäre."

Für den Fall einer Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung beantragt die Kärntner Landesregierung, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

6.1. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, das gegen die Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß der in Prüfung gezogenen Regelung Präjudizialität im Sinne des Art140 Abs1 B-VG zukommt, sprechen würde. Auch von der Kärntner Landesregierung wurde nichts Gegenteiliges vorgebracht. Da auch alle übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

6.2. Der erste Satz des §67 Abs2 Ktn. KAO ist verfassungswidrig:

6.2.1. Die in Prüfung gezogene Bestimmung legt fest, daß die Schiedskommission, die zur Schlichtung oder Entscheidung von Streitigkeiten iSd §66 Abs10 und 11 Ktn. KAO berufen ist, aus dem Direktor des Landeskontrollamtes und je einem von den Streitteilen zu berufenden Beisitzer zu bestehen hat. Der Direktor des Landeskontrollamtes ist somit - zwingend - Mitglied der Schiedskommission; das Gesetz enthält keine Regelung, die vorsehen würde, wer anstelle des Direktors des Landeskontrollamtes der Schiedskommission anzugehören hätte, wenn - aus welchen Gründen immer - sein Tätigwerden im Rahmen der Schiedskommission unmöglich oder unzulässig wäre. Sollten die im Einleitungsbeschluß aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken zutreffen, dann müßten sie die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle treffen.

Bei Streitigkeiten iSd §66 Abs10 und 11 Ktn. KAO, die von der nach §67 leg.cit. berufenen Schiedskommission zu schlichten oder zu entscheiden sind, handelt es sich um zivilrechtliche Ansprüche im engeren Sinn und damit um civil rights iSd Art6 EMRK (vgl. insbesondere VfSlg. 7889/1976, VfGH 289.1990, B829/89). Die Schiedskommission muß daher den Garantien des Art6 Abs1 EMRK entsprechend als unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Tribunal eingerichtet sein. Dies bedeutet nicht nur, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des Tribunals bestehen dürfen; bei der Beurteilung, ob den Voraussetzungen des Art6 EMRK entsprochen ist, kommt, wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesagt hat (vgl. VfSlg. 11131/1986, 12074/1989), auch dem äußeren Anschein Bedeutung zu (vgl. auch VfSlg. 10701/1985).

Der Direktor des Kontrollamtes, der gemäß §67 Ktn. KAO in der Schiedskommission mitwirkt, ist - wie §2 Abs1 letzter Satz des Gesetzes vom 25. Mai 1977, LGBl. für Kärnten Nr. 44/1977, über das Kontrollamt (im folgenden: KontrollamtG) festlegt - der Leiter dieses Amtes. Er ist aus dem Stand der Landesbeamten zu bestellen und nur dem Landtag verantwortlich.

Gemäß Art61 der Kärntner Landesverfassung idF LGBl. für Kärnten Nr. 48/1979, obliegt dem Kontrollamt die Kontrolle der Finanzgebarung des Landes, der öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit Mitteln des Landes, der Stiftungen, Fonds und Anstalten, die von der Landesregierung verwaltet werden, sowie der Unternehmungen, an denen das Land finanziell beteiligt ist. Die Überprüfungen des Kontrollamtes haben sich auf die ziffernmäßige Richtigkeit, die Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften sowie auf die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu erstrecken (vgl. auch §1 KontrollamtG).

6.2.2. Im Einleitungsbeschluß wurden die Bedenken aufgeworfen, daß die Schiedskommission zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten iSd §66 Abs10 und 11 Ktn. KAO auch dann berufen ist, wenn das Land Kärnten selbst Streitpartei ist, nämlich insbesondere dann, wenn es als Träger einer Krankenanstalt gegen den zum Ersatz der Pflegegebühren verpflichteten Träger der Sozialversicherung involviert ist; der Direktor des Kontrollamtes habe auch in solchen Verfahren neben zwei Beisitzern, die jeweils von den Streitparteien zu nominieren seien, mitzuwirken.

Die Kärntner Landesregierung meint, daß die vom Verfassungsgerichtshof aufgeworfenen Bedenken deshalb nicht zutreffen, weil der Leiter des Kontrollamtes eine von der Landesregierung unabhängige Stellung habe, was sich sowohl aus Art61 der Kärntner Landesverfassung als auch aus §1 Abs3 iVm §2 Abs1 KontrollamtG ergebe. Die Verantwortlichkeit des Leiters des Kontrollamtes gegenüber dem Landtag könne im Lichte einer gebotenen verfassungskonformen Interpretation keinesfalls so verstanden werden, daß dadurch eine - (auch) willkürliche - Einflußnahme auf die Tätigkeit des Leiters des Kontrollamtes gemäß §67 Ktn. KAO ermöglicht würde. Hinzu komme überdies, daß die Mitglieder der Schiedskommission nach der Ktn. KAO durch die Verfassungsbestimmung des §67 Abs3 Ktn. KAO ausdrücklich weisungsfrei gestellt seien.

Gemäß §67 Abs4 Ktn. KAO hätten auf das Verfahren vor der Schiedskommission zusätzlich die Bestimmungen des AVG, so auch dessen §7 über die Befangenheit von Verwaltungsorganen Anwendung zu finden.

6.2.3. Diese Ausführungen der Kärntner Landesregierung sind nicht geeignet, die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu entkräften.

Es ist nämlich keineswegs ausgeschlossen, daß die Ausübung der Funktion des Direktors des Kontrollamtes im Hinblick auf die Zuständigkeiten des Kontrollamtes im Widerstreit zu den Aufgaben steht, die dem Direktor des Kontrollamtes in seiner Eigenschaft als Mitglied der Schiedskommission obliegen. Ist nämlich das Land Kärnten selbst streitverfangen, weil es Träger einer Krankenanstalt ist, dann bewirkt dies für den Leiter des Kontrollamtes, daß die Erfüllung seiner Pflichten als Mitglied der Schiedskommission, die über Ersatzansprüche des Landes als Träger einer Krankenanstalt gegen einen Träger der Sozialversicherung zu entscheiden hat, mit seinen Pflichten als Direktor des Kontrollamtes in einem Spannungsverhältnis stehen kann, ja geradezu stehen muß. Ist doch der Kontrollamtsdirektor zwingend verpflichtet, die Interessen des Landes Kärnten zu wahren und die Gebarung von Landeseinrichtungen nicht nur auf Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften, sondern auch auf Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen. Wenn das Land Kärnten in einem Rechtsstreit vor der Schiedskommission Partei ist, steht eine Mitwirkung des Kontrollamtsdirektors als Mitglied der Schiedskommission mit dem Gebot der Unparteilichkeit in unvereinbarem Widerspruch. Die im AVG enthaltenen Bestimmungen über die Befangenheit ändern daran nichts, weil es sich um eine institutionelle Unvereinbarkeit handelt, die durch die Befangenheitsbestimmungen des AVG nicht gelöst werden kann. Auch wenn - anders als in dem dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1990, B829/89, zugrundeliegenden Fall - damit nicht ein Mitglied der Schiedskommission zugleich auch als Parteienvertreter fungiert, ist dennoch der Regelung immanent, daß verfahrensrechtliche Konstellationen auftreten, bei denen für den Leiter des Kontrollamtes eine Pflichtenkollision auftritt. Die nach Art6 EMRK gebotene Unparteilichkeit der Mitglieder eines Tribunals verlangt aber, daß (auch die innere) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit selbst dem Anschein nach gesichert sein muß. Diesem Gebot wird aber im vorliegenden Fall offenkundig nicht entsprochen.

Die im Einleitungsbeschluß insofern aufgeworfenen Bedenken treffen somit zu.

Es erübrigt sich damit, auf die weiteren Bedenken, die im Einleitungsbeschluß geäußert wurden, einzugehen.

6.3. Der erste Satz des §67 Abs2 Ktn. KAO war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Aussprüche über das Inkrafttreten der Aufhebung und die Kundmachungspflicht stützen sich auf Art140 Abs5 B-VG, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende Ausspruch fußt auf Art140 Abs6 B-VG.

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